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2023b: EuRussia, Frieden als Verwirklichung der Philosophie

2023b: EuRussia, Frieden als Verwirklichung der Philosophie

 

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2023
(6. Mai)

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EURUSSIA

FRIEDEN ALS VERWIRKLICHUNG DER PHILOSOPHIE

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Marco de Angelis

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Artikel erschienen in der italienischen nationalen
Zeitung La Notizia vom 6. Mai 2023

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Digitale und gedruckte Veröffentlichung: Ja, hier
(La Notizia del 6 maggio 2023)

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Ausschließlich digitale Veröffentlichung: ja, hier unten

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Die Aussage im Titel ist nicht nur ein Gedanke, sondern eine historische Tatsache. Westeuropa befand sich im letzten Jahrhundert in einer viel dramatischeren und tragischeren Situation als die derzeitige in der Ukraine.  Der erbitterte Nationalismus der verschiedenen westeuropäischen Nationen, die alle darauf erpicht waren, fremde Gebiete in Besitz zu nehmen, führte zunächst Europa und dann die ganze Welt in die uns allen bekannte weltweite Katastrophe. Und doch haben wir den Abgrund des Bösen überwunden, und die europäischen Generationen, die unmittelbar nach 1945 geboren wurden und heute etwa 70-80 Jahre alt sind sowie ihre Kinder und Enkelkinder konnten ihr ganzes Leben in völliger Abwesenheit von Krieg auf ihrem eigenen Territorium verbringen.  Das hat es in der bisherigen Geschichte wohl noch nie gegeben, denn Europa war immer Schauplatz von Kriegen.

Wir müssen uns daher die Frage stellen: Was hat diesen enormen historischen Fortschritt ermöglicht?  Denn wenn wir damals in einer weitaus dramatischeren Situation als heute erfolgreich waren, dann gibt es umso mehr Gründe, warum die Menschen im Ost-Europa heute erfolgreich sein können.

Die Antwort ist auf den ersten Blick einfach: Die Einleitung des europäischen Einigungsprozesses, also der heutigen Europäischen Union, mit all ihren Grenzen und Schwierigkeiten, hat dennoch diesen dauerhaften Frieden und den Wohlstand, auch den wirtschaftlichen, der dem Frieden immer folgt, gesichert. Wir müssen daher über dieses große historische Ereignis nachdenken und versuchen zu verstehen, was es möglich gemacht hat.

Nach einer sorgfältigen und gründlichen Untersuchung dieser Ereignisse lautet die Antwort: Nach 1945 war die Politik angesichts des Ausmaßes, das das Böse erreicht hatte, gezwungen, das Gute zu verwirklichen, d. h. die Ethik, also die Philosophie. Ohne auf antikes Gedankengut eingehen zu wollen, geht sie zumindest auf Kant zurück, insbesondere auf seine Schrift "Zum ewigen Frieden" von 1795, die Idee, dass der Frieden unter den Menschen mit der Überwindung des Nationalismus durch die Schaffung supranationaler staatlicher Institutionen und Strukturen verbunden ist.  Die Europäische Union ist eben eine solche supranationale Institution.  

Die Politik nach 1945 setzte jedoch nicht direkt Kants Gedanken um, die heute nur noch wenigen wie auch damals bekannt sind, sondern vielmehr die Ideen, die im Manifest von Ventotene enthalten sind, einem etwa 20-seitigen Büchlein, das drei italienische sozialistische Intellektuelle, Edoardo Colorni, Ernesto Rossi und Altiero Spinelli, während ihrer Zeit der Gefangenschaft auf der Insel Ventotene geschrieben hatten. Das Manuskript wurde von Colornis Frau, der Deutschen Ursula Hirschmann, unter sehr schwierigen Umständen und mit großem Mut nach Rom gebracht, dort 1941 gedruckt und anschließend veröffentlicht und bekannt gemacht. 

Dieses Büchlein, das im Vergleich zu Kants Text leicht zu lesen ist, enthält jedoch das gleiche philosophisch-politische Grundprinzip wie im Buch Kants, nämlich die Idee, dass der Feind des Friedens Nummer eins der Nationalismus ist, der dann in Militarismus umschlägt, was wiederum früher oder später zum Krieg führt. Genau das geschieht leider zwischen der Ukraine und Russland. 

Dieses kantische Prinzip und das Manifest von Ventotene müssen daher im Falle des derzeitigen Krieges in der Ukraine angewandt werden. Es ist ein universelles philosophisches Prinzip, das für jedes Volk und jede Region der Erde gilt.  Nationalismen müssen überwunden und ein Einigungsprozess eingeleitet werden, und zwar nicht so sehr zwischen der Ukraine und Russland, angesichts des offensichtlichen Unterschieds in der geopolitischen Relevanz, sondern zwischen der EU, der die Ukraine natürlich zu Recht angehören darf, und Russland. 

Wenn die EU in den nächsten Jahren endlich beschließt, ihre Pflicht zu erfüllen, d.h. sich für den Frieden auf ihrem eigenen Territorium einzusetzen, was die absolute Priorität eines jeden Staates ist, was die EU am Ende doch praktisch ist, sollte sie zunächst die verschiedenen Staaten aufnehmen, die noch nicht dazugehören, aber dazugehören wollen, und dann sofort einen Prozess der Annäherung und des gegenseitigen Verständnisses, der Anerkennung, wie man in der spezifischen Sprache der Philosophie sagt, mit Russland einleiten. 

Zwischen der EU und Russland, d.h. in Osteuropa, muss also all das geschehen, was nach 1945 zwischen den verschiedenen Nationen Westeuropas geschehen ist und sie einander geistig, durch den Austausch von Menschen, wie z.B. das Erasmus-Projekt, und materiell, durch den Handel und die Freizügigkeit von Waren und Personen (Schengen), näher gebracht hat. Nur so wird es möglich sein, den Nationalismus, dessen Hauptquelle die Vorurteile gegenüber anderen Völkern sind, allmählich, aber gründlich abzubauen. Um diese Vorurteile abzubauen, ist es notwendig, sich gegenseitig kennen zu lernen und dann anzuerkennen.

Dieser Prozess der Anerkennung zwischen den verschiedenen Völkern ist die unabdingbare Voraussetzung für die Schaffung einer stabilen Grundlage für einen dauerhaften Frieden, wie wir ihn in Westeuropa sicherlich als erreicht betrachten können, wo jeder Konflikt durch Gespräche und keinesfalls mit Waffen gelöst wird.

Der Wunsch nach Frieden, den sicherlich die meisten Menschen nicht nur hier in Westeuropa, sondern auch in der Ukraine und in Russland hegen, muss daher einen solchen philosophischen Inhalt haben, dass er nicht nur ein leeres Wort und Wunschdenken ist. Das politische Projekt, das diesem Wunsch einen konkreten Inhalt geben muss, muss darin bestehen, auf eine zukünftige geistige und materielle Annäherung zwischen dem europäischen (westlichen und östlichen) und dem russischen politischen Raum hinzuarbeiten. Es muss an dem philosophisch-politischen Ideal einer EURUSSIA gearbeitet werden, d.h. einer zukünftigen supranationalen Einheit, der sowohl die eigentlichen europäischen, westlichen und östlichen Staaten als auch Russland mit seinen europäischen und asiatischen Komponenten angehören.

Dies wurde sowohl von Kant vorausgesehen, der in seinem Projekt alle Staaten der Welt einschloss, als auch vom Manifest von Ventotene, in dem es klar heißt, dass die europäische Einheit nur als ein erster Schritt zu betrachten ist, dem weitere Schritte folgen müssen, um das Ergebnis des Friedens auch auf andere Gebiete auszudehnen, angefangen natürlich mit denen, an die Europa grenzt, also in unserem aktuellen Fall Russland. 

Im Grunde genommen geht es heute nur darum, dort weiterzumachen, wo wir nach 1945 aufgehört haben, und so dem europäischen Einigungsprozess neue Impulse zu geben, indem wir ihn kraftvoll und weise nach Osten, in Richtung Russland, vorantreiben. 

Dies scheint derzeit das einzige ernsthafte geschichtsphilosophische Projekt zu sein, das unserem gemeinsamen Friedenswillen einen echten politischen Inhalt geben kann. 

(Originalartikel in der italienischen digitalen Fassung hier)

 

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