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PHILOSOPHIE FÜR ALLE
Lektion 7
Die Grundstruktur der absoluten Vernunft (Logos)
von
Marco de Angelis
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Der zentrale Aspekt, dem wir bisher hinsichtlich einer Definition der Philosophie als ‚Wissenschaft der Weisheit‘ nachgegangen sind, ist der Begriff ‚Logos‘. Damit ist die absolute Vernunft gemeint, die objektiv und zur gleichen Zeit subjektiv ist und die je nach Bewusstseins und Freiheitsgrad im gesamten Sein präsent und tätig ist.
Nach dieser wichtigen Präzisierung versuchen wir nun, das Absolute, die absolute Vernunft, das Logos, welches sowohl in der Natur als auch im Geiste wirkt, zu verstehen. Es ist in der Tat offensichtlich, dass man von diesem Absoluten ausgehen soll, um die objektive Natur und den subjektiven Geist zu erfassen, in denen es sich zuerst als notwendig und dann als frei erweist.
Wie gelangt man zum Absoluten?
Die erste Frage, die sich diesbezüglich aufdrängt, ist folgende: Wie können wir das Absolute erfassen, wie können wir es erkennen? In der Religion geschieht dies durch den Glauben, aber, wie wir gesehen haben, wendet die Philosophie eine gänzlich verschiedene Methode an, obwohl sie im Grunde dasselbe Ziel verfolgt wie die Religion. Diese Methode besteht in der Argumentation: Sie muss ihre Grundlagen beweisen, und dies vermag kein Akt des Glaubens, kein Dogma.
Der philosophische Zugang zum Absoluten erweist sich, wenn man dem bisherigen Gedanken folgt, als sehr viel einfacher und verständlicher, als es scheint: Da nämlich das Absolute im Grunde die absolute Vernunft ist und diese wiederum das Wesen unseres Geistes darstellt, also unser ununterbrochenes Denken, das Formulieren von Begriffen und Ideen usw., d.h. unsere gesamte logische Aktivität, können wir das Absolute verstehen, indem wir unsere Gedanken analysieren: ergo mithilfe der Wissenschaft der Logik. Die logische Erkenntnis des menschlichen Denkens und die Erkenntnis des Absoluten überschneiden sich.
Diese Überschneidung führt offenkundig zu den Disziplinen der Logik und der Metaphysik, die bereits in den Anfängen der griechischen Philosophie als identisch erachtet wurden, denken wir an Parmenides und Heraklit (man vergleiche des Letztgenannten z.B. die Fragmente zum Logos, heute wie damals aktuell).
Diese beiden Vorbedingungen vorausgeschickt bzw. vorausgesetzt, dass der Zugang ausschließlich über die Logik erfolgen kann und diese daher sowohl mit der Metaphysik als auch mit der Theologie zusammenfällt, da diese zwei Wissenschaften traditionell die Erkenntnis des Absoluten als Ziel haben, stellen sich zwei weitere Probleme: Erstens, das einer präzisen Definition des Gegenstandes bzw. die Frage, in was genau die Vernunft besteht; Zweitens, welche die richtige Methode ist, um es auf ernsthafte und wissenschaftliche Weise zu untersuchen.
Was genau ist die absolute Vernunft bzw. der Untersuchungsgegenstand der Logik-Metaphysik?
Wenn wir unsere Sprache untersuchen, bemerken wir, dass es sicher Begriffe gibt, die Erfahrung voraussetzen, um existieren zu können. Der Mensch hätte z.B. nie den Begriff und das Wort “Baum”, wenn er diesen nie gesehen hätte. Das gilt für alle konkreten und abstrakten Nomen, aber auch für Verben und die Handlungen, die diese designieren. Dann gibt es andere Begriffe, die dazu dienen, die Syntax der Sprache zu formulieren Präpositionen, Konjunktionen usw.). Dazu gibt es noch weitere Worte, welche die Bedeutungen von Nomen und Verben präzisieren (verstärken, abschwächen usw.) wie Adjektive und Adverbien.
Dieser Teil der Sprache ist also auf die konkrete, aber auch abstrakte Erfahrung (z.B. die der Fantasie) und auf die Syntax zurückzuführen, mithilfe derer wir Sätzen einen Sinn geben. Ein anderer Teil der Sprache ist jedoch nicht auf eine interne oder externe Erfahrung zurückzuführen, sondern existiert bereits vor dieser und ist sogar eine notwendige Bedingung, um alle Assoziationen einer begrifflichen Einheit und somit das Wort, das diese Einheit bezeichnet, einzuordnen.
Schauen wir uns den folgenden Beispielsatz an: “Der Tisch ist hoch.” Darin gibt es einige Begriffe, die über die einfache Bedeutung jenes Satzes hinausgehen. Bereits im Wort “Tisch” steckt die Formulierung eines einzigen Begriffs für ein Zusammenspiel mehrerer Einzelteile, die Einheit einer Vielzahl, über die hier bereits gesprochen wurde. Diese sind Tischplatte, Tischbeine, Schrauben, Material, Farben und gegebenenfalls weitere vorhandene Teile, die zu einer Funktion zusammengesetzt sind, die bereits weit über das einfache Wort hinausgeht, z.B. die Funktion Bücher oder Lampen zu tragen usw. Dies beinhaltet die Reduktion der Vielzahl auf eine begriffliche und funktionelle Einheit. Diese Art der Reduktion findet sich noch deutlicher im Begriff “Aula” wieder, in dem die Teile, die das Ganze darstellen, voneinander getrennt und nicht physisch miteinander verbunden sind (während sie im Tisch physisch miteinander verbunden sind).
Im selben Satz “Der Tisch ist hoch” haben wir außerdem eine konjugierte Form des Verbs “sein”, welches offensichtlich komplexer ist als das Substantiv “Tisch” und das Adjektiv “hoch”. Das Verb drückt ein Urteil aus, indem einem Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen wird. Dieser Akt entspringt offensichtlich unserer Logik, da der Tisch per se weder niedrig noch hoch ist.
Werfen wir nun einen flüchtigen Blick auf die bisher im einfachen Beispielsatz ermittelten Begriffe, die wir analysiert haben, um den Aufbau des Satzes zu erläutern:
Begriff (der Tisch ist ein Begriff, ein Gattungsname);
EinheitVielzahl, GanzesEinzelteile (die Struktur des Begriffs);
Urteil (dass der Tisch für uns hoch ist);
Sein (die Verknüpfung einer Eigenschaft mit einem Gegenstand);
Qualität und Quantität (die Höhe, das Hoch sein).
Alle diese Wörter, die notwendig sind, um diesen einfachen Satz zu formulieren, sind offenkundig weder reale Gegenstände (Nomen), noch Handlungen (Verben) noch syntaktische Diskursstrukturen (Präpositionen, Konjunktionen), sondern “Kategorien” bzw. Gedankenstrukturen, mithilfe derer wir die Realität, unsere Gedanken und Ideen und alles, über was wir nachdenken, sprachlich abbilden können.
Die Kategorien sind das echte und eigentliche Herzstück des Denkens, das Netz, über das das Denken die Vielzahl auf logische Weise vereinen und ausdrücken kann. Sie bilden daher den echten und eigentlichen Inhalt des Denkens, seine Essenz, sein Wesen. Das Denken besteht aus Kategorien, welche dann – angewandt auf die innere und äußere Erfahrung zur Kenntnis der Welt führen.
Aufgrund unseres bisher ausgeführten Verständnisses der Beziehung zwischen Denken und Absolutem scheint es naheliegend, dass die Kategorien, also die Grundstrukturen des Denkens, ebenfalls die Struktur des Absoluten darstellen. Die absolute Vernunft, das Logos, besteht demnach aus Kategorien.
Die Logik ist daher die Wissenschaft der Kategorien, vor allem im subjektiven Sinne als Wissenschaft des menschlichen Denkens (so etwa bei Aristoteles und Kant); folgt man Hegel hingegen, der, wie wir gesehen haben, eine tiefere Auffassung der Logik als Kenntnis des Absoluten ausgearbeitet hat, so ist diese Wissenschaft auch Metaphysik und Theologie.
Wir haben schließlich auf der einen Seite die sogenannte formale Logik (Aristoteles, Kant, zeitgenössische Logik) und auf der anderen Seite die substantielle Logik (Hegel, dialektische Auffassung).
Die formale Logik erkennt nicht die unauflösbare Verknüpfung des menschlichen Denkens, also der subjektiven Vernunft, mit der rationalen Struktur der Welt, also mit der objektiven Vernunft, und somit entsagt sie sich für immer der Möglichkeit, die tieferen Gründe einer Erkenntniserweiterung zu verstehen.
Auf diese Weise öffnet sie eine unüberwindbare Kluft, auch auf ethischem Niveau, zwischen Mensch und Welt, Vernunft und Materie. So schafft man einen Dualismus zwischen Mensch und Natur, Vernunft und Welt, der eine Reihe ernster Probleme aufwirft, sowohl für die theoretische Philosophie als auch – oder vor allem – auf dem Gebiet der ethischen Philosophie. Im ersten Fall geht es um Phänomene wie den zeitgenössischen Relativismus bzw. den Mangel an Vertrauen in eine absolute und objektive Wahrheit, die unabhängig vom einzelnen Mensch ist; Im zweiten Fall haben wir das Phänomen der Ausbeutung des Menschen und der Natur seitens des Menschen mit den uns gut bekannten Auswirkungen. All dies hat als erste philosophische Ursache den Dualismus, durch den das Andere, sei es Mensch oder Natur, vom Subjekt als anders als das Selbst angesehen wird, nicht als Seinesgleichen und daher des Respekts würdig und vielleicht auch der Sorge und der Liebe, genauso, wie das Subjekt sich selbst sieht.
Über die mäeutische Methode der Logik-Metaphysik
Den Gegenstand der Logik verdeutlicht, kommen wir nun zu ihrer Methodik, d.h. wie wir die Kategorien am besten erkennen können. Hier gibt es zwei Möglichkeiten, die auch in diesem Falle auf radikale Weise die formale und die substantielle Logik unterscheiden. Im ersten Fall werden die Kategorien über die Analyse der Sprache ermittelt, anhand einer Überlegung des Philosophen, der die Kategorien ermittelt, auflistet und ihre verschiedenen Bedeutungen erläutert; Im zweiten Falle hingegen muss der Denker, der Philosoph, fast verschwinden, und die Kategorien müssen sich von selbst erkennen, nach einer eigenen Methode, bei welcher der Philosoph zwar physisch präsent ist, aber minimal auf die Selbsterklärung der Kategorien einwirkt.
Dieses Verfahren erinnert stark an die mäeutischsokratische Methode, der zufolge die Wahrheit per se im Subjekt existiert, und zwar unabhängig von diesem, und die Aufgabe des Philosophen nicht darin besteht, die Wahrheit zu erschaffen und sie dem Schüler zu diktieren, was eine willkürliche Aktion darstellen würde, sondern ihm zu helfen, die Wahrheit, die er in sich trägt, selber ans Licht zu bringen. So verhält es sich auch in der substantiellen Logik: Die Kategorien, die ja die Vernunft und somit das Absolute darstellen, sind selbst die Wahrheit, die sich in uns allen findet. Wir alle sind das Absolute in unserem Logos in unserem Denken. Der Philosoph ist derjenige, der diesen Logos versteht, der sich dessen bewusst wird und deswegen seinesgleichen helfen kann, dieselbe Bewusstwerdung zu vollziehen, also die Selbstbewusstwerdung, die er zuerst vollzogen hat, weswegen er jedoch nicht mehr Logos besitzt als die Anderen. Er ist sich dessen lediglich bewusster.
Der substantiellen Logik nach darf sich der Philosoph nicht das Recht anmaßen, die Kategorien auszuwählen und aufzulisten, weil er sich so das Recht zuspräche, als ein individuelles Ich das Absolute zu bestimmen; Er darf der Logik lediglich seine Stimme verleihen, indem er als Akt vollster Genügsamkeit und Bescheidenheit seine eigene subjektive Persönlichkeit vollständig ausblendet. Es ist also nicht der Denker, ob es Hegel oder wer auch immer ist, der den Kategorien seine eigene Logik aufzwingen muss. Die Kategorien benötigen keinen solchen Akt, weil sie die Logik bereits in sich tragen. Sie selbst sind nämlich die Logik, wie könnte also ein Mensch, auch wenn er ein Philosoph oder Wissenschaftler ist, die logische Ordnung der Erklärung der Kategorien festlegen? Der Philosoph muss jene innere Logik der Kategorien bescheiden anerkennen und sie dann zum Ausdruck bringen. Dabei muss er sich an sie halten und seine eigenen Beiträge auf das Nötigste beschränken. So wird er eine mäeutische Funktion hinsichtlich des Logos einnehmen, er wird diesem helfen, sich selbst zu erkennen und sich zum Ausdruck zu bringen.
Die Grundidee der substantiellen Logik ist also, dass die Kategorien eine eigene Logik besitzen, die der Philosoph daher nur ermitteln soll, damit diese Logik sich selbst entwickelt, ohne äußere Einwirkungen. Der Knackpunkt, das eigentliche Hindernis ist dabei, den Anfang zu finden, die erste Kategorie, auf die, wenn sie erst einmal gefunden ist, die anderen automatisch folgen, weil sie sich aus der inneren Notwendigkeiten der Logik ergeben.
Das Problem des Anfangs der Logik-Metaphysik bzw. die erste Kategorie: das Sein (die absolute Vernunft ‚ist‘; Affirmation)
Welche kann die erste Kategorie sein? Denken wir einen Moment gemeinsam darüber nach. Wir wissen nun, dass die Vernunft das Absolute ist und dass sie unsere Essenz darstellt, die wir auf objektive Weise erkennen können, weil die Möglichkeit der Wahrheitskenntnis einerseits eine logische Wahrheit und andererseits eine empirische Tatsache darstellt, so wie wir es zuvor in der Theorie des “Ich verstehe” verdeutlicht haben.
In der Logik sind Subjekt und Objekt eins. Das Subjekt, die individuelle Vernunft, möchte das Objekt, den Logos bzw. die universelle Vernunft, erforschen und erkennen, die jedoch im Grunde sie selbst ist. Das Denken erkennt sich selbst, das ist der erste logische Schritt, der Ausgangspunkt. Was weiß das Denken zunächst über sich selbst, was weiß die Vernunft über sich? Haben wir bereits eine Wahrheit, wissen wir bereits etwas in diesem ersten Moment? Wir wissen tatsächlich, dass sie ist: Die Existenz der Vernunft kann nicht bezweifelt werden (das kartesianische cogito ergo sum). Daher ist ihr “Sein” das Allererste, das erste Hauptmerkmal, die erste Bestimmung, die erste Definition, die wir ihr zusprechen können. Deswegen ist das Sein auch die erste Kategorie.
Die erste Kategorie des Denkens, das erste Hauptmerkmal der Vernunft, ist folglich das Sein. Und diese Kategorie ist in der Tat, wie wir von Parmenides wissen, auch die Grundkategorie der Metaphysik: Alles ist, bevor wir es als etwas Spezifisches weiterbestimmen. Das ist die allgemeinste, am wenigsten spezifische und detaillierte Bestimmung, die dafür jedoch universeller ist. Man kann sie allem zuschreiben, jedem materiellen oder auch abstrakten Objekt, in dem Moment, in dem wir an es denken.
Das Nichts als zweite Kategorie (die absolute Vernunft ist ‚Nichts‘; erste Negation)
Es ist jedoch klar, dass das Wissen über die Existenz der Absoluten Vernunft nicht bedeutet, diese auch zu kennen. Wir haben ihren Inhalt noch nicht bestimmt. Das, was wir in diesem ersten Schritt der logischen Erkenntnis darüber wissen, ist noch nichts. Und genau dieses ‚Nichts‘ stellt die zweite Kategorie der Vernunft dar, zu der wir wie man nachfolgen kann – durch unsere eigene ‚passive‘ Überlegung über die Kategorie des Seins gelangt sind.
In der Tat haben wir der Kategorie des Seins nicht durch unsere subjektive Willkür die des Nichts hinzugefügt, sondern jene hat sich als die notwendigerweise auf die des Seins folgende aufgedrängt. Wir haben diese logische Reihenfolge nur erkannt, nicht erschaffen. Darin besteht die mäeutische Kennzeichnung der angewandten Methodik.
“Sein” und “Nichts” sind daher die ersten zwei Bestimmungen des Logos, der absoluten Vernunft, also die ersten beiden Kategorien der Logik. Es ist nicht an uns, diese zu bestimmen, sie bestimmen sich selbst, die eine entwickelt sich aus der anderen. Das Nichts geht aus dem Sein hervor, aber man kann auch das Gegenteil behaupten bzw. dass der Ausgangspunkt der Logik die Vernunft ist, über die wir noch nichts wissen, außer dass sie ist. Aus dieser Perspektive gesehen, kommt also zuerst das Nichts und dann das Sein als dessen Negation vor.
Wie man sieht, sind also die Kategorien, die wir in diesem ersten Schritt der Erkenntnis der Vernunft derselben zuschreiben, die einfacheren Kategorien. Sie gehören zum Anfang des Prozesses der Vernunft, die sich selbst kennt. Am Anfang kann sie nicht mehr von sich wissen, als dass sie ist, aber das heißt, dass sie noch nichts Inhaltliches von sich weiß: Sie weiß, dass sie ist, aber nicht was sie ist.
Das Werden als dritte Kategorie (die absolute Vernunft wird‘; zweite Negation oder Negation der Negation)
Im aktuellen Erkenntnisstadium, zu dem wir nun gelangt sind, haben wir also das Sein und das Nichts; Der Gedanke weiß, dass er ist, aber er weiß noch nicht, was er ist. Dieses ‚noch‘ leitet einen weiteren logischen Schritt ein und mit diesem eine neue Kategorie: das Werden. Wir wissen nämlich jetzt, dass das Logos, die absolute Vernunft, wird. Sie erscheint. Wir sind dabei, sie zu erkennen, sie ist auf dem Weg zu werden, sie entsteht. Die Kategorien sind sozusagen dabei, sich zu entwickeln, zu zeigen.
Daher ist das Werden die nächste Kategorie, die dieses erste Erkenntnisstadium abschließt, weil das Werden die Verbindung, die Einheit zwischen dem Sein und dem Nichts ausdrückt. Wenn etwas wird, bedeutet das, dass es vom Sein zum Nichts oder vom Nichts zum Sein übergeht (die Geburt und der Tod, der Anfang und das Ende usw.). Das Werden bildet daher die Beziehung zwischen den ersten beiden Kategorien, zwischen Sein und Nichts.
Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: der Begriff von “Moment”
Das Sein und das Nichts als solche sind Momente (dies ist ein sehr wichtiges Prinzip der substantiellen Logik) des Werdens, welches jetzt die aktuelle Kategorie und Bestimmung der absoluten Vernunft ist. Sein und Nichts sind einseitige, partielle Momente. Alles, was wahrhaftig existiert auf dieser Stufe der logischen Entwicklung, ist das Werden der Vernunft, die sich selbst kennt. Das ist die Wahrheit, die wir jetzt haben, die Vernunft ist dabei, sich selbst zu erkennen, sie wird, sie besteht in dieser Selbstwerdung.
Betrachten wir das Ganze von einem metaphysischen Standpunkt aus, nachdem wir bemerkt haben, dass es sich dabei um eine substantielle und objektive, also um keine bloß formale und subjektive Logik handelt, so können wir die bisher erreichte Wahrheit mit dem folgenden Satz ausdrücken: Das Absolute wird, ist im Werden. Dieser Gedanke führt uns vor allem zum anderen großen griechischen Denker zurück, der zusammen mit Parmenides die Metaphysik begründet hat: Heraklit, dessen Philosophie das Werden als Hauptprinzip hat.
Dazu kommt, dass es sich außerdem um einen Gedanken handelt, der auf außerordentliche Weise mit der kontemporären wissenschaftlichen Weltauffassung konform geht. Dieser zufolge ist in der Tat alles Evolution, Werden, Zeit. Im folgenden werden wir sehen, dass die logischsubstantielle Auffassung, obwohl sie deutlich flexibler und komplexer ist, unbestreitbar die Vision der Realität als Prozess des Werdens in sich trägt, die in völligem Einklang mit dem heutigen wissenschaftlichen Weltverständnis ist.
Ist dieser erste logische Gedankengang vollzogen, der uns dahin geführt hat, im Werden die erste synthetische Kategorie zu erkennen, da sie in sich die entgegengesetzten Momente des Seins und des Nichts enthält, können wir noch einmal über die Methode nachdenken und so die weiteren allgemeinen Prinzipien der absoluten Vernunft ermitteln.
Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: die vollkommene Immanenz der Entwicklung
Zunächst muss man klarstellen, dass es sich dabei nicht direkt um eine extern angewendete Methode handelt, die von der Sache selbst trennbar wäre, sondern dass es die Bewegung, die Entwicklung, welche den Kategorien inhärent ist, selbst ist, die diese Methode bildet. Wir stellen zwar unsere Überlegungen zur Methode von außen an, wir gewinnen die allgemeinen Prinzipien aus ihr, aber es muss unmissverständlich klar sein, dass wir den Kategorien keine Methode aufzwingen, sondern dass diese sich nach einem inneren Ablauf die eine von der anderen herausbilden, der nicht von außen beeinflusst wird.
Demnach haben wir bereits das Prinzip der vollkommenen Immanenz der Entwicklung, also der Selbstentwicklung der Sache selbst. Dies wiederum ist ebenfalls ein Grundaspekt der Welt: Die Welt entwickelt sich auf immanente Weise weiter, ohne von außen beeinflusst zu werden, auch die ihre ist eine Selbstentwicklung.
Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: die Aufhebung
Ein weiteres Grundprinzip stellt das Prinzip der Aufhebung dar. Das Werden übersteigt sowohl das Nichts als auch das Sein, aber es bewahrt sie in sich als sein Begriff, weil es letztlich nur den Übergang vom Sein zum Nichts und vom Nichts zum Sein ist. Deshalb gilt das, was in der Entwicklung überwunden wird, geht nicht komplett verloren, sondern bleibt auf eine ideale Weise, zwar nicht mehr real, aber es bleibt. Die Entwicklung ist also Wachstum, Fortschritt, der selbstverständlich keinerlei Bewertung impliziert, kein Urteil.
Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: Affirmation, erste Negation und zweite Negation bzw. Negation der Negation
Innerhalb des Entwicklungsprozesses, der von der Aufhebung gekennzeichnet ist, muss man auf drei Grundmomente hinweisen: die Affirmation, die erste Negation und die Negation der Negation, die auch zweite Negation bezeichnet werden kann.
Die Affirmation ist der erste Moment, der Beginn (im Falle des Beginns der Logik z.B. das Sein). Sie ist die Position, das, was unmittelbar ist, der Ausgangsbegriff.
Die erste Negation hingegen besteht im Gegenteil jener Affirmation bzw. dessen Negation (im Falle der ersten drei Kategorie ist das Nichts). Dieser Moment ist absolut essentiell, er ist der eigentliche Motor der Entwicklung. Wenn es ihn nicht gäbe, gäbe es keine Entwicklung. Die Negativität ist eine Grundeigenschaft des Seins, auch von uns selbst. Wir negieren unaufhörlich das, was ist, so gehen wir weiter, so schreiten wir in unserem Leben fort. Manchmal sind wir müde und wir wünschen uns, zu entspannen, anzuhalten, positiv zu sein, angekommen und unbeweglich, affirmativ. Aber nach einer Weile langweilt uns dies, und die Hektik, wenn wir sie so nennen möchten, der Negativität beginnt von vorn. Wir verlassen die Position des Stillstands und beginnen eine neue Aktivität, neue Projekte. Man könnte sagen, dass je geistiger eine Person ist, desto negativer ist sie hinsichtlich der Stabilität, also dessen, was ihr gegenübersteht. Sie will darüber hinausgehen, es ändern. Der Moment der Negation ist der wahre dialektische Moment bzw. der des Widerspruchs dessen, was ist. Deshalb stellt er den Moment der Suche nach seiner Überwindung dar.
Der dritte Moment ist schließlich der der zweiten Negation oder der Negation der Negation, bzw. das Erreichen einer neuen Position, einer neuen Affirmation, die der Ausgangsposition übergeordnet ist, weil sie in sich alles das trägt, was ihr der negative Moment eingebracht hat. Diese Position ist also synthetisch. Sie birgt in sich den gesamten Prozess der Negation, aber hat jetzt eine neue Stabilität erreicht.
Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: Die Unterscheidung zwischen falscher und wahrer Unendlichkeit
Diese neue Affirmation wird wiederum eine eigene Negation erfahren und so wird der Prozess fortgeführt werden, aber nicht unendlich. In der Sequenz der Kategorien werden nämlich auch die Kategorien des Endlichen und Unendlichen erläutert. Das Endliche wird dabei vom affirmativen und negativen Teilmoment der Entwicklung repräsentiert (im Falle der ersten Triade sind es das Sein und das Nichts). Das Unendliche ist hingegen der dritte Moment, der synthetische (in unserem Falle das Werden). Daher muss man das Unendliche so verstehen, dass es das Vollendete ist. Es ist das Resultat der Entwicklung, das die Momente enthält, aus denen es resultiert, sowohl als überwundene als auch als bewahrte Momente.
Von diesem Begriff des Unendlichen, welches die wahre Unendlichkeit darstellt, muss man die falsche Unendlichkeit unterscheiden. Die falsche Unendlichkeit ist das, was wir allgemeinsprachlich als Unendlichkeit verstehen, d.h. die unendliche Weiterentwicklung, die keine Ende hat. Jene ist aber nur reine Wiederholung, ohne jemals zu einem vollendeten Resultat zu gelangen, das der Entwicklung einen Sinn gibt.
Diese Unterscheidung ist in der substantiellen Logik grundlegend, weil sie weitreichende Folgen für den Menschen hat, beispielsweise in der Ethik. Geht man von der falschen Unendlichkeit aus, so kann man sagen, dass unser Leben ein positiver und negativer Prozess ist, mit dem wir am Ende nichts erreichen: Viel Mühe kostet uns das Leben, am Ende für nichts. Wir bauen auf, kämpfen, freuen uns und leiden, aber alles ist nur eine Reihenfolge von Momenten, die kein bleibendes Ergebnis mit sich bringen. Vom Standpunkt der wahren Unendlichkeit aus ist das nicht aber so. Diesem zufolge ist es nämlich nicht die Häufigkeit der Wiederholung, die zählt, sondern die Qualität ihres Resultates. Wir studieren, lernen und bestehen Prüfungen in einem kontinuierlichen Prozess, der scheinbar zu nichts führt und repetitiv ist. Aber in diesem Prozess verändern wir uns selbst, lernen einen Beruf, formen unseren Geist und werden zum Resultat dieses Lernprozesses. Daher scheint es, dass wir eine unnütze Sequenz von positiven und negativen Momenten durchlaufen haben, eine Dialektik, aber das, was zählt, ist das Endergebnis, nicht die Note der Abschlussarbeit, sondern unsere Vorbereitung, wir selbst als Resultat des dialektischen Lernprozesses. Wir selbst sind die wahre Unendlichkeit als Folge von endlichen Momenten (Unterrichtsstunden, Prüfungen, Seminaren) usw. Der mit Schweiß verdiente Universitätsabschluss und die Opfer, die wir für die Prüfungen gebracht haben, besiegeln den dialektischen Prozess und geben den endlichen Momenten seiner Entwicklung einen Sinn. Sie sind das Zeugnis dessen, dass wir etwas gelernt haben, dass wir jemand anderes sind die Person, die sich an der Universität eingeschrieben hat. Wir haben uns qualifiziert, Fähigkeiten erarbeitet, die uns dazu befähigen, einen Beruf innerhalb der Gemeinschaft, in der wir leben, auszuführen. Ein gekaufter Abschluss, ohne Lernprozess, hat keinerlei Wert, und das nicht für die Gesellschaft, für die sie ihn sogar haben könnte, sondern für uns und die Logik, weil der gesamte dialektische Lernprozess und der gesamte Veränderungsprozess des Ichs.
Auch eine Liebesbeziehung ist so: Die gesamte Reihe von Treffen, Gesprächen, Küssen, Zärtlichkeiten und vielleicht auch Streitereien usw. ist so ein Prozess, der als solcher zu einem Ergebnis, zu einer Unendlichkeit in Form des Liebespaares bzw. der Familie führen soll, um Sinn zu haben und wertvoll zu werden. Die Familie enthält in sich den Prozess, d.h. die beiden Einzelpersonen, das Positive und das Negative, aber als eine Einheit, das Paar, in dem jeder sich im Anderen wiedererkennt. In jenem Resultat existiert das Ich nur als Moment des Paares, es ist aufgehoben, ist somit überschritten aber auch auf einem übergeordneten Niveau bewahrt. Jeder ist dank des Anderen nicht mehr alleine und erhält seinen Sinn in der Gesamtheit des Paares, und jetzt kann es Ehemann, Ehefrau, Mutter, Vater werden. Das solide Liebespaar ist wahrhaft unendlich, als Resultat des dialektischen Liebesprozesses. Das Paar generiert wiederum einen weiteren Prozess, nämlich den der natürlichen Zeugung sowie der geistigen Erziehung ihrer Kinder, in dem das wahrhaft Unendliche im Ergebnis bzw. im gut erzogenen Kind besteht, welches seinerseits die Fähigkeit besitzt, in einer weiteren Liebesbeziehung weitere gut erzogene Menschen hervorzubringen usw.
Schlussendlich liefert uns die substantielle Logik einen Schlüssel zur Interpretation der Realität, weil sie voraussetzt, dass die logischen Kategorien nach der parmenidischen Auffassung von Identität zwischen Gedanken und Sein nicht nur dem Gedanken, sondern dem gesamten Sein eigen sind. Diese Auffassung ist das Fundament der gesamten Geschichte der Metaphysik und wir haben gesehen, dass sie von einem erkenntnis und wahrheitstheoretischen Standpunkt aus dank der Theorie des “Ich verstehe” stets Gültigkeit besitzt.
Das Resultat (das wahrhaft Unendliche) als inneres Endziel der Entwicklung
Diesen Grundprinzipien muss man ein weiteres hinzufügen, das des Resultats als des immanenten Endziels der Entwicklung. Das Resultat ist nämlich nicht zufällig bzw. aus der Beziehung zwischen Affirmation und Negation geht nicht zufällig irgendeine Negation der Negation als Resultat hervor, sondern es (das Resultat) bzw. sie (die Negation der Negation) ist bereits von Beginn an als Potenz vorhanden. Unser Verständnis des Seins als Affirmation sowie des Nichts als dessen Negation enthält in sich schon das Werden, welches dann am Ende als Resultat expliziert wird. Das bedeutet, dass der Bestimmung der absoluten Vernunft als Sein und Nichts lag schon die Kategorie des Werdens zugrunde, da die absolute Vernunft als solche bei Ihnen im Werden war.
Die Negation der Negation ist daher die Explizierung dessen, was im Übergangsprozess von der Affirmation zur ersten Negation bereits implizit enthalten ist. Daher arbeitet das wahrhaft Unendliche als Grund bereits in seinen endlichen Momenten und gibt ihnen einen Sinn, ein Endziel.
Kehren wir zurück zu unseren vorherigen Beispielen, so führen die Prüfungen nicht zufällig zum Abschluss, sondern der Abschluss wird Stück für Stück mit jeder Prüfung vorangebracht. Er ist bereits präsent in jedem einzelnen Moment des Weges, der zum Endresultat führt.
Im Fall des Liebespaares geschieht dasselbe: Der Mann und die Frau, die mit der Zeit verstehen, dass sie sich lieben und zusammenleben wollen, leben dies nicht nur an einem entscheidenden Tag, wie etwa dem ihrer Hochzeit, sondern in jedem einzelnen Moment ihres gemeinsamen Weges, der zu diesem Resultat führt. Die wahre Unendlichkeit erscheint als solche erst am Ende des Prozesses, aber sie ist im gesamten Prozess präsent, wenn auch still und versteckt.
Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: der Kreis als geometrische Figur, die den dialektischen Prozess abbildet
Ein weiteres Grundprinzip der substantiellen Logik ist das des Kreises. Dieses resultiert direkt aus dem, was wir gerade gesagt haben. Die passende geometrische Figur, die jene Logik visuell abbildet, ist nämlich keine Gerade oder Halbgerade, sondern der Kreis.
Der Prozess zielt auf ein Resultat ab, das als solches in Idealform bereits vorher existierte. In diesem Sinne ist die Verwirklichung des Resultats, das wahrhaft Unendliche also, die Verwirklichung des Ideals, eines Projektes, das von Beginn an in Idealform implizite existiert. Im Falle der ersten Triade Sein, Nichts, Werden ist das Resultat das Werden, aber unsere anfängliche Idee war es bereits, die Kenntnis der absoluten Vernunft zu erlangen, daher wirkt sein Werden bereits von Anfang an als Grund der Entwicklung. Der Prozess ist also nicht zufällig, sondern strebt danach, etwas Ideales zu verwirklichen, das der Entwicklung vorausgesetzt ist. Diese Entwicklung führt dann zurück zu jenem Ausgangspunkt des Kreises, mit dem Unterschied, dass am Anfang lediglich das nicht realisierte Ideal war, der Begriff des Baumes im Samen, der Familie im Liebespaar, während das Endresultat im verwirklichten Ideal besteht, d.h. im entstandenen Baum, in der entstandenen Familie usw.
Allgemeine Grundprinzipien der absoluten Vernunft: die Kreativität
Das letzte Prinzip, das es noch zu nennen gibt, das aber zusammen mit dem der Aufhebung die beiden wichtigsten darstellt, ist schließlich das der Kreativität. Der gesamte logischdialektische Prozess ist kreative Schöpfung, in der Logik Schöpfung der Kategorien, in der Realität Schöpfung des konkreten Seins. Die absolute Vernunft ist Schöpferin, sie bringt alles hervor, was ist, sie kreiert das Monos, über das wir gesprochen haben, das EinsAlles, das in seinem Inneren all jenes hat, was einen Anfang und ein Ende hat, die Welt also.
Auch dieses Prinzip hat einen maßgeblichen Einfluss auf unser praktisches Leben: Es bedeutet nämlich, dass unser rationales Wesen nicht darin besteht, dass wir fähig sind, zu verstehen, sondern vor allem, dass wir fähig sind, zu erschaffen. Unser Wesen ist das eines Schöpfers. Unser Glück und unsere Selbstverwirklichung bestehen in nichts anderem als in der Schöpfung, in einem Leben als schöpferisches Wesen.
Etwas zu schaffen bedeutet zunächst, etwas zu gedanklich zu konzipieren (eine Reise, ein Kunstwerk, eine Familie, ein Gesetz, ein handwerkliches Objekt usw.) und es dann mittels verschiedener Momente, d.h. Entwicklungsphasen oder stadien, zu realisieren. Am Ende wird das vollendete Werk die wahre Unendlichkeit des Prozesses vieler endlicher Momente sein (z.B. die Geburt der Kinder und die Momente ihres Lebens, sind die endlichen Momente des Lebens einer Familie; die Prüfungen sind die endlichen Momente eines Universitätsabschlusses; der Bau des Fundaments und der verschiedenen Stockwerke sind die endlichen Momente des Unendlichen in Form eines Hauses usw.).
Wir werden diesen Grundbegriff der Kreativität im ethischen Teil vertiefen (Lektion 11 ff.). An dieser Stelle war es wichtig, eine Brücke zwischen Logik-Metaphysik und Ethik zu schlagen.
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