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A3. PHILOSOPHIE FÜR ALLE: Wissen als geordnetes System von Begriffen

A3. PHILOSOPHIE FÜR ALLE: Wissen als geordnetes System von Begriffen

 

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PHILOSOPHIE FÜR ALLE

Lektion 3

Wissen als geordnetes System von Begriffen

von

Marco de Angelis

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Das System der Wissenschaften scheint also nach unserer Metapher der Idealbibliothek eine Anordnung von natürlichen und geistigen Objekten und ihrer Funktions und Entwicklungsgesetzen zu sein (Elementarteilchen, Atome, Moleküle, Mineralien und Gestein, Pflanzen, Tiere, Menschen, Gesellschaft, vergangene, gegenwärtige sowie noch zu schreibende Geschichte, also Ethik und Politik). All dies erscheint als etwas, das außerhalb von uns und unabhängig von unserer Subjektivität existiert. 

In Wahrheit ist das, was uns als Objekt erscheint, ein Begriff, der Begriff genau dieses Objekts. Daher ist die Wissenschaft aus Begriffen gebildet. Das System der Wissenschaft, die Idealbibliothek, ist eine Anordnung von Begriffen, die aufgrund von Praktizität und wissenschaftlicher Effizienz in Wissensbereiche (die einzelnen Wissenschaften) aufgeteilt sind und nach dem jeweiligen inneren logischen Verhältnis aufeinander aufbauen. 

Dieser nicht zurückzuweisende Fakt, dass unser Wissen aus Begriffen und nicht aus Objekten besteht, betrifft nicht nur die genannten Wissenschaften, sondern auch die Philosophie und die Religion. Jede Philosophie, so materialistisch sie auch sein mag, wenn sie etwa in der Rohmaterie das Fundament für alles sieht, wie auch jede Religion und ihre augenscheinlich abgehobenen und unrealistischen Begriffe, wie z.B. Gott, Jenseits usw., sind am Ende nur Begriffe. 

Deshalb hat der große Denker Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seiner Logik rigoros die Theorie aufgestellt, dass jede Philosophie wie auch jede Religion, und wir fügen dem noch jede Wissenschaft hinzu, Idealismus ist. Das heißt, eine geordnete und systematische Sequenz von Ideen und Begriffen, sodass mit dem Begriff ‚Idealismus‘ keine philosophische Strömung gemeint ist, sondern jegliche menschliche Weltkenntnis. 

So drückt sich Hegel in seiner Wissenschaft der Logik aus:

“Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu ihrem Prinzip, und die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist. Die Philosophie ist es sosehr als die Religion; denn die Religion anerkennt die Endlichkeit ebensowenig als ein wahrhaftes Sein, als ein Letztes, Absolutes, oder als ein NichtGesetztes, Unerschaffenes, Ewiges. Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie ist daher ohne Bedeutung. Eine Philosophie, welche dem endlichen Dasein als solchem wahrhaftes, letztes, absolutes Sein zuschriebe, verdiente den Namen Philosophie nicht; Prinzipien älterer oder neuerer Philosophien, das Wasser oder die Materie oder die Atome, sind Gedanken, Allgemeine, Ideelle, nicht Dinge, wie sie sich unmittelbar vorfinden, d. i. in sinnlicher Einzelheit, selbst jenes Thaletische Wasser nicht; denn obgleich auch das empirische Wasser, ist es außerdem zugleich das Ansich oder Wesen aller anderen Dinge, und diese sind nicht selbständige, in sich gegründete, sondern aus einem Anderen, dem Wasser, gesetzte, d. i. ideelle. Indem vorhin das Prinzip das Allgemeine, das Ideelle genannt worden, wie noch mehr der Begriff, die Idee, der Geist Ideelles zu nennen ist und dann wiederum die einzelnen sinnlichen Dinge als ideell im Prinzip, im Begriffe, noch mehr im Geiste als aufgehoben sind, so ist dabei auf dieselbe Doppelseite vorläufig aufmerksam zu machen, die bei dem Unendlichen sich gezeigt hat, nämlich daß das eine Mal das Ideelle das Konkrete, Wahrhaftseiende ist, das andere Mal aber ebensosehr seine Momente das Ideelle, in ihm Aufgehobene sind, in der Tat aber nur das eine konkrete Ganze ist, von dem die Momente untrennbar sind”.

(G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik, in: Gesammelte Werke, Hamburg 1985, Bd. 21, S.142).

Die Gesamtanschauung, die aus unserem wissenschaftlichen Wissen hervorgeht, ist also eine Welt und Menschenauffassung, die in einer Anordnung von Begriffen besteht, deren Hauptinhalt eben genau das ist, was wir ’Welt’, ’Leben’,  ’Sein’ nennen. Wir setzen nämlich voraus, dass die Totalität dessen, was ist, ein Ganzes ist, und das drücken wir mit dem Wort ’Welt’ bzw. mit ähnlichen Worten aus. Der Begriff ’Welt’ (sowie ähnliche Begriffe) drückt deshalb den Gegenstand der Totalität des Seins aus, wie es als Erster Parmenides erkannt und benannt hat, der griechische Philosoph, den man zu Recht als Gründer der Metaphysik betrachtet:

„Denken und des Gedankens Ziel ist ein und dasselbe; denn nicht ohne das Seiende, in dem es sich ausgesprochen findet, kannst Du das Denken antreffen.“ 
(Parmenides: Über die Natur, Fragment 8, aus: Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch und Deutsch von Hermann Diels, 1. Band, Berlin 1922, S. 157).
In diesem Gedanken spielen folgende Begriffe eine Rolle: Sein, Denken, Ordnung, Totalität und Begriff. Alle sind sehr eng miteinander verknüft. Der Begriff eines Baumes ist beispielsweise nichts anderes als die geordnete Beziehung zwischen den Einzelteilen, die gemeinsam den Baum ergeben, das Ganze, was wir mit dem Begriff “Baum” verbinden. Dasselbe gilt für jedes andere Objekt, vom größten bis zum kleinsten. Im Falle des kleinsten, des unteilbaren Atoms könnte man natürlich behaupten, dass es sich nicht mehr um eine Gesamtheit aus Einzelteilen handelt. Auch dieses ist hingegen teilbar, weil es auch Elementarteilchen besteht. Das ist dann allerdings die Idealgrenze, die nicht mehr überschritten werden kann. 
Nichtsdestoweniger sucht und wird der Mensch von Natur aus immer auf der Suche nach dem Kleinsten des Kleinsten und dem Größten des Größten sein, wie das Motto zu Hölderlins Hyperion lautet: 

„Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est”,

(„vom Größten nicht eingeschränkt, im Kleinsten enthalten sein, ist das Göttliche“).

Dieses Motto bezieht sich auf Ignazio von Loyola Grabstein, wo in etwa der gleiche Satz zu lesen ist.

Der junge Hölderlin hat nämlich tatsächlich im Menschen die Fähigkeit erkannt, das Kleinste vom Kleinsten und das Größte vom Größten zu denken, wie auch die Fähigkeit, bei der Suche nach beiden niemals aufzugeben, weder rückblickend, in Richtung des “was war vorher”, noch vorausblickend, in Richtung “was wird später sein”. Durch diese seine Fähigkeit tritt der menschliche Geist tatsächlich als das, was sich zum Kleinsten des Kleinsten und zum Größten des Größten machen kann, hervor. Ob der Mensch eines Tages wirklich das Kleinste und das Größte, jenseits derer es nicht weitergeht, erreichen wird, wissen wir nicht; mit Sicherheit wird der Mensch weiter nach dem Kleinsten vom Kleinsten und dem Größten vom Größten sowie danach, was vor dem Anfang war und was nach dem Ende ist, suchen. Er wird sich nie mit einem Punkt des Stillstands, über den es nicht hinausgeht, zufriedengeben.

Das System der Wissenschaft tritt als System von Begriffen in Erscheinung, als Einzelteile eines Ganzen, die untereinander eine bestimmte Anordnung haben, die wiederum der Ordnung entsprechen müssen, die diese Begriffe in der Realität haben. Und hier kommt die Grundproblematik der Wahrheit ins Spiel, bzw. die Übereinstimmung zwischen der wissenschaftlichen Weltkenntnis und der realen Welt, zwischen dem System aus Konzepten und dem Weltsystem, zwischen Gedanken und Sein. 

Der pantheistische Philosoph Spinoza spricht diesbezüglich von Übereinstimmung zwischen Ordnung der Ideen und Ordnung der Dinge:

„Lehrsatz 7. Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist die selbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge.“

(in: Baruch De Spinoza, Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, dt. Übersetzung von O. Baensch, Hamburg 1976).

Hegel, der Gründer des absoluten Idealismus, definiert diesen Gedanken als Übereinstimmung zwischen Wirklichem und Vernünftigem: 


„Was vernünftig ist, das ist wirklich;
und was wirklich ist, das ist vernünftig.“

(G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Gesammelte Werke, Bd. 14,1)

Mit “wirklich” meint Hegel hier die Wirklichkeit, also den Begriff der Realität, und dabei handelt es sich nicht um die ungefilterte, empirische, echte Realität, sondern um die Realität, die vom Menschen wissenschaftlich, d.h. nach logischer Notwendigkeit, verstanden wird: die logische Struktur der empirischen Realität also.

Es ist ein Grundgedanke der Philosophie, dass sich die logische Gedankenebene und die metaphysische Ebene des Seins überschneiden. 

Diese entscheidende Problematik werden wir im Folgenden vertiefen und dabei verstehen, ob, wie und warum das System der Wissenschaft mit der Welt übereinstimmt.

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