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A11. Die logische Struktur der Ethik: die intersubjektive Anerkennung

A11. Die logische Struktur der Ethik: die intersubjektive Anerkennung

 

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Lektion 11

Philosophie für alle


Die logische Struktur der Ethik: die intersubjektive Anerkennung

von

Marco de Angelis


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Ziel der Ethik ist es, den Sinn des menschlichen Lebens auf der Welt zu erkennen. Ihr Ansatz ist, diesen Sinn vom Begriff des „Menschseins“ abzuleiten, dessen Wesen in der absoluten Vernunft besteht, im Logos also. Natürlich ist dieses Wesen in allen Menschen gleich, unabhängig von ihrem Geburtsort, der ja zufällig ist. Folglich haben sie auch je nach Geburtsort unterschiedliche Hautfarben sowie andere somatische oder auch psychologische Merkmale wie ihre Religion, die Werte, die sie vermacht bekamen usw. All dies muss ausgeblendet werden, wenn man den Standpunkt einer rationalen Weltauffassung, wie sie als wissenschaftlicher Ansatz dem Idealismus zugrunde liegt, und somit deren Grundkonzept des Absoluten als Wesen des Menschen übernimmt.


Dem Ethikbegriff liegt die Anerkennung der Menschen untereinander als Absolutes zugrunde, also die Tatsache, dass jeder Mensch, der auf die hier zuvor beschriebene Weise erzogen wurde, in sich selbst und auch im anderen Menschen das Absolute, also ein rationales, freies, schöpferisches Seiendes sieht. Von diesem übergeordneten Standpunkt aus wird das menschliche Subjekt nicht nur sich selbst (weil es sich als schöpferisches Wesen zu verwirklichen versucht), sondern auch die anderen Menschen als schöpferische Wesen betrachten, als Subjekte, nicht als Objekte. Der Mensch wird demnach alles versuchen, damit die anderen Menschen sich auch verwirklichen und ihre freie Kreativität leben können.


Diese Lebenseinstellung, die vorsieht, dass der menschliche Geist sich anstrengt, die Verwirklichung der absoluten Vernunft in jedem zu fördern, egal, ob in sich selbst oder in den anderen Menschen, ist genau das moralische Verhalten desjenigen, der sich nach den Prinzipien der absoluten Ethik verhält.


Kant hat diesen Begriff sehr klar im zweiten kategorischen Imperativ ausgedrückt, in dem er den Menschen auffordert, das Menschsein sowohl in sich als auch in den Anderen als Ziel und niemals als Mittel zu betrachten:


„Handle so, daß du die Menschheit zugleich als Zweck sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“


(Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1785, in: I. Kant: Akademie Ausgabe, Bd. IV, S. 429).

 

Kant hat jedoch nicht spezifiziert, worin dieses Menschsein genau besteht, das als Ziel und nie als Mittel behandelt werden darf bzw. wie das ethische Leben auszusehen hat, welches Ziel unserer Handlungen sein soll. Das hat wiederum Hegel auf äußerst klare Weise verdeutlicht. Er hat mit der Anerkennung des anderen Menschen als Geist das Prinzip der Ethik erkannt. Der Philosoph definiert die Anerkennung als „allgemeines Selbstbewusstsein“, wie er es im Folgenden ausdrückt:


“§436 γ). Das allgemeine Selbstbewußtsein


Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst, deren jedes als freie Einzelheit absolute Selbständigkeit hat, aber, vermöge der Negation seiner Unmittelbarkeit oder Begierde, sich nicht vom anderen unterscheidet, allgemeines [Selbstbewußtsein] und objektiv ist und die reelle Allgemeinheit als Gegenseitigkeit so hat, als es im freien anderen sich anerkannt weiß und dies weiß, insofern es das andere anerkennt und es frei weiß.


Dies allgemeine Widererscheinen des Selbstbewußtseins, der Begriff, der sich in seiner Objektivität als mit sich identische Subjektivität und darum allgemein weiß, ist die Form des Bewußtseins der Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit, der Familie, des Vaterlandes, des Staats, sowie aller Tugenden, der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, des Ruhms. Aber dies Erscheinendes Substantiellen kann auch vom Substantiellen getrennt und für sich in gehaltleerer Ehre, eitlem Ruhm usf. festgehalten werden.“


(In: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), GW 20, Hamburg 1992, S.432-433).


Diese Anerkennung zwischen menschlichen Individuen könnten wir als ‚horizontale Anerkennung‘ definieren, weil es sich um Individuen handelt, welche auf derselben Existenzebene stehen. Neben dieser horizontalen könnten wir hingegen die Anerkennung zwischen dem individuellen und dem universellen Menschen, der in ersterem steckt, als ‚vertikale Anerkennung‘ definieren, weil das Absolute bzw. das Universelle in Form der absoluten Vernunft des menschlichen Individuums etwas darstellt, das der individuellen menschlichen Existenz übergeordnet ist. In diesem Sinne erkennt der Mensch in sich die Präsenz von etwas Höherem als der reinen Individualität an, eben die Präsenz der absoluten Vernunft.

Wir können die horizontale Anerkennung auch als ‚ethische Anerkennung‘ definieren, weil sie zwischen Menschen erfolgt. Die vertikale Anerkennung können wir hingegen als ‚theoretische Anerkennung‘ definieren, da sie zwischen dem Menschen und dem Absoluten erfolgt. Die erste liegt der Ethik zugrunde. Die zweite bildet die Theorie, also das Verständnis vom Sinn der Welt und der menschlichen Existenz auf Erden, die von sich aus die ethische Anerkennung hervorkommen lässt. Die theoretische Anerkennung begründet also die ethische, die von ersterer abhängt. Das gilt nicht nur für die idealistische Philosophie, sondern für jegliche andere Philosophie und Religion, sowie auch für den Atheismus.


Die ethische Anerkennung basiert also auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit des universellen Selbstbewusstseins bzw. auf der Tatsache, dass man sich darüber bewusst ist, dass Ehemann, Ehefrau, Vater, Mutter, Sohn oder Tochter oder auch in der Arbeitswelt Arzt, Patient, Lehrer, Schüler usw. zu sein, allein und ausschließlich mittels der Anerkennung durch den Anderen möglich ist. Diese Anerkennung setzt voraus, dass der Andere Ziel und nicht Mittel ist. Daher ist der Ehemann Ziel für die Ehefrau; der Sohn oder die Tochter ist Ziel für den Vater oder die Mutter und umgekehrt usw. In allen menschlichen Beziehungen soll der Andere stets als Ziel, nie als Mittel angesehen werden. Er darf nie benutzt werden und das muss gegenseitig sein. Auf diese Weise entsteht ein universelles Selbstbewusstsein bzw. ein stabiles Vertrauensverhältnis, eine Beziehung, in der jeder sich um den anderen kümmert, und zwar je nach den spezifischen Gegebenheiten der Beziehung.


Schauen wir, welche die konkreten ethischen Formen sind, die der logische Mechanismus der Anerkennung annimmt, also wie der echte und eigentliche Inhalt der Ethik aussieht, die sich auf die Bestimmung der absoluten Vernunft als des schöpferischen Wesens des Menschen stützt. Diese Ethik kann auch als ‚absolute Ethik‘ bezeichnet werden, da sie sich auf das Absolute in Menschen gründet.


Nur insofern es von einem anderen Subjekt anerkannt ist, kann das menschliche Subjekt als schöpferisches Vernunftwesen leben, weil es von seiner physischen Existenz, die vom Körper und dessen Instinkten geprägt ist, zur Existenz als Geist übergeht. Während der Mensch als Körper der Notwendigkeit des Instinkts und des Bedürfnisses unterliegt und kurz nach jeder Befriedigung bereits auf der Suche der nächsten ist, ist er als Geist ein freies Wesen und lebt kreativ nach der schöpferischen Rationalität. Diese strebt keine vorübergehende Bedürfnis­befriedigung an, sondern eher den freien Aufbau von etwas in Gemeinsamkeit mit einem anderen Subjekt. In diesem Aufbau, in dieser Schöpfung, der einen Prozess darstellt, kann der Mensch sein eigenes Wesen, seine schöpferische Rationalität verwirklichen und so als Geist in der Freiheit und nicht als Natur in der Notwendigkeit leben.


Im ersten Fall, also im organischen, durch Bedürfnisse geprägten Leben des Körpers, ist das menschliche Subjekt selbst Gegenstand jener Bedürfnisse und lebt – auch wenn es sie befriedigt - nach der Kategorie des falschen Unendlichen, das, wie wir in der Lektion 7 gesehen haben, keine authentische Form der Unendlichkeit ist. Die Bedürfnisse kommen nämlich immer wieder, nach einer Art unendlichen Fortschritts, also Bedürfnis­befriedigung, das Wiederaufkommen des Bedürfnisses, erneute Bedürfnis­befriedigung usw. usw. Dieser Prozess findet nie ein Ende, einen Sinn, zielt niemals auf etwas Festes, das als Vollendung gelten könne.


Im zweiten Falle hingegen, dem des rationalen Lebens des Geistes, welches dem universellen Bewusstsein und somit der gegenseitigen Anerkennung zugrunde liegt, lebt der Mensch als schöpferisches Subjekt. Deswegen befriedigt er zwar auch seine Bedürfnisse, was zum Leben dazugehört, aber er tut dies im Rahmen fester sozialer Strukturen, deren Ziel spiritueller Art ist (Kinder haben, sie erziehen, eine Arbeit für jemanden ausführen usw.). Das ist möglich, weil der Mensch dabei nicht unmittelbar seine eigenen Bedürfnisse befriedigt, sondern die Bedürfnisse des Anderen (was selbstverständlich gegenseitig ist). Auf diese Weise kreiert man eine Bindung, man baut sich gemeinsam etwas auf, das Sinn hat. In diesem Prozess des Aufbaus agiert nicht etwa die Kategorie der falschen, sondern die der echten Unendlichkeit. Man verwirklicht etwas Vollendetes, etwas Festes (eine Familie, eine verrichtete Arbeit, eine soziale Einrichtung usw.) und in dieser Verwirklichung wirkt der Mensch als freies, schöpferisches Wesen und ist nicht einfach stets wiederkehrenden Bedürfnisse unterjocht.

 

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