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2023
(24. Oktober)
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Sinn und Zweck einer neuen europäischen Partei
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Marco de Angelis
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Artikel über die Philosophie der Politik
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Gedruckte Veröffentlichung: noch nicht
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Digitale Veröffentlichung: Ja, hier unten
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Ich möchte hier ganz kurz meinen grundlegenden philosophischen und politischen Ansatz skizzieren. Er ist die Grundlage, von der aus ich zu einem neuen politischen Projekt beitragen könnte und möchte, insbesondere bei den bevorstehenden Europawahlen.
Meiner Meinung nach muss das grundlegende Ziel die Schaffung einer neuen politischen Parteibewegung sein, die sich nicht mehr auf eine Ideologie wie den demokratischen Liberalismus oder den Sozialkommunismus stützt, sondern auf die reine Philosophie.
Dies ist jedoch nicht nur eine subjektive Meinung von mir, die wie jede andere subjektive Meinung von geringem wissenschaftlichen Wert wäre, sondern vielmehr der Stand der historischen Entwicklung, den die Menschheit erreicht hat. Im Laufe der Geschichte sind nämlich verschiedene Zivilisationen aufeinander gefolgt, zunächst die Religionen, vor allem in der antiken und mittelalterlichen Welt, dann die Ideologien in der modernen Welt, dann, etwa ab der Zeit der Aufklärung, zunächst die amerikanischen und französischen liberalen Revolutionen und dann die russische kommunistische Revolution.
Der Prozess dieser religiösen und ideologischen Entwicklung der Menschheit wurde von einer parallelen technologischen Entwicklung begleitet, die, wie wir leider wissen, zu dem Abgrund führte, den die Menschheit im letzten Jahrhundert mit den beiden Weltkriegen erreichte, die eben ideologische Kriege waren, die durch eine enorme technologische Entwicklung unterstützt wurden.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs, der in der größtmöglichen technologischen Entwicklung, nämlich dem Atombombenabwurf auf Japan, gipfelte, war ein entscheidender Wendepunkt notwendig, um das zu verhindern, was damals unvermeidlich schien, nämlich den dritten Weltkrieg, der ein Atomkrieg gewesen wäre, mit dem entscheidenden Zusammenstoß zwischen kapitalistischer und kommunistischer Ideologie.
Dieser Wendepunkt fand auf europäischem Boden statt, dem Hauptschauplatz der letzten beiden Kriege. Er bestand im Beginn des europäischen Einigungsprozesses, d.h. in der Entscheidung, zum ersten Mal in der Geschichte eine schrittweise friedliche Vereinigung von Ländern zu vollziehen, die sich bis vor kurzem noch gehasst und auf das Schlimmste bekämpft hatten.
Die Frage, die wir uns an dieser Stelle stellen müssen, ist sowohl die wahre und tiefe Bedeutung dieses Wendepunkts als auch die Frage, was ihn möglich gemacht hat.
Die wahre und tiefgreifende Bedeutung dieser Wende liegt in der Suche nach dem Gründungsprinzip des Staates nicht mehr in der Ideologie (egal ob kapitalistisch oder kommunistisch), sondern in der Philosophie und dem reinen Wissen. Deshalb markiert der Beginn des europäischen Einigungsprozesses einen Wendepunkt in der Geschichte, insbesondere den Übergang von der ideologischen zur philosophischen Gesellschaft.
Der wichtigste, aber nicht der einzige Text, der diese grundlegende philosophische Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses enthält, ist das Manifest von Ventotene (1941; Pläne für die Einigung der europäischen Nationen waren bereits 1871 in Frankreich und 1920 in Österreich veröffentlicht worden). Im Mittelpunkt dieses Manifests stehen zwei zentrale Prinzipien, die es ermöglichten, die schwere Krise des Hasses zwischen den europäischen Nationalstaaten zu überwinden. Es handelt sich um die Grundsätze des Antinationalismus und des Antimilitarismus. Die Verfasser des Manifests, Altiero Spinelli, Eugenio Colorni und Ernesto Rossi, legten diese Prinzipien im Manifest in klaren Worten dar und erklärten mit meiner Meinung nach sehr überzeugenden Argumenten, dass ein dritter europäischer und späterer Weltkrieg nur vermieden werden könne, wenn man das künftige Leben Europas auf diese Prinzipien stütze.
Diese grundlegende Konzeption war nicht das Ergebnis eines improvisierten Denkens, sondern der Anwendung der Philosophie von Immanuel Kant auf die Politik, die die drei italienischen Intellektuellen, insbesondere Eugenio Colorni, sehr gut kannten. Nur Kants Kosmopolitismus, der am besten in seiner Schrift Über den ewigen Frieden von 1795 zum Ausdruck kommt, konnte ihrer Ansicht nach die unverzichtbare und ernstzunehmende kulturelle Grundlage für eine zivile Wiedergeburt Europas nach der Barbarei des Zweiten Weltkriegs sein.
Gestärkt durch seine Verankerung in der Tradition der klassischen Philosophie und insbesondere im Denken Kants, stellte das Ventotene Manifest den idealen Impuls für den Beginn des europäischen Einigungsprozesses dar, der von nun an auf Antinationalismus und Antimilitarismus gegründet war.
Das Gründungsprinzip der zukünftigen Vereinigten Staaten von Europa, denn darauf zielt der Einigungsprozess ab, besteht also darin, die erste historische Verwirklichung der klassischen Philosophie zu sein und damit indirekt die Verneinung von theoretischen Positionen, die ideologisch oder religiös sind und nur die Interessen eines Teils der Gesellschaft vertreten: Die Philosophie vertritt in der Tat eine objektive logisch-wissenschaftliche Wahrheit, sowohl theoretisch als auch ethisch, und in diesem zweiten Aspekt kann sie nicht anders, als das Gemeinwohl aller Menschen anzustreben, unabhängig von der sozialen Rolle, die das Leben ihnen zugewiesen hat, die oft nur auf dem Fall der Geburt beruht.
Wenn wir nun nach dieser langen, aber notwendigen geschichtsphilosophischen Vorbemerkung in die Gegenwart kommen, können wir nicht umhin zu bemerken, wie die derzeitige europäische Führung alles daran setzt, diese beiden Grundprinzipien dessen, was sie eigentlich respektieren und repräsentieren sollte, zu verraten, nämlich, wie der Titel eines von mir im Jahr 2022 veröffentlichten Aufsatzes besagt, den ’geistigen Sinn Europas’ (online hier).
Ausgehend von den obigen Ausführungen hat Europa eine sehr wichtige historische und spirituelle Bedeutung: Es entstand als erster Versuch, einen philosophischen Staat zu schaffen, der nicht auf der Macht der Ideologie oder des religiösen Glaubens, sondern auf philosophischem und wissenschaftlichem Wissen beruht. Nur philosophisches und wissenschaftliches Wissen, soweit es auf der allen Menschen gemeinsamen Vernunft beruht, kann eine Brücke zwischen den Nationen und zwischen den Völkern schlagen und sie zu gegenseitigem Respekt und damit zum Frieden führen. Wirtschaft und Religion hingegen spalten sie. Frieden ist daher eine direkte Folge eines philosophisch-wissenschaftlichen Ansatzes für den Staat. Er ist, wie ich kürzlich in einem Artikel in der Zeitung La Notizia schrieb, nichts anderes als die ’Verwirklichung der Philosophie selbst’ (online hier). Ohne Philosophie kann es keinen echten und dauerhaften Frieden zwischen den Menschen geben!
Wenn wir also heute etwas für den Frieden tun wollen, und die jüngsten tragischen Ereignisse machen dies leider äußerst dringend und notwendig, müssen wir die Wiederentdeckung und Stärkung des geistigen Sinns Europas zur Grundlage einer neuen philosophisch-politischen Bewegung in Europa machen, einer neuen philosophisch-politischen Bewegung in Europa, die sich auf ihre historische Mission besinnt, die, wie gesagt, im Manifest von Ventotene und seinen Grundsätzen des Antinationalismus und Antimilitarismus verankert ist, und damit letztlich auf das kosmopolitische Philosophieren Kants und anderer Denker der Vergangenheit und Gegenwart, die diese philosophische Vision vertreten.(1)
Anmerkungen
1) Ich habe diese meine Gedanken in einer Broschüre ausführlicher dargelegt, die als Manifest für ein neues Europa gedacht ist, das seinem ursprünglichen Geist entspricht. Der Titel der Broschüre lautet Philosophie für alle. Manifest für die philosophische Identität des europäischen Volkes (online hier). Dieses Manifest soll sowohl das Manifest der Kommunistischen Partei (1848) als auch das Manifest von Ventonene (1941) ersetzen, deren grundlegende Gedanken es enthält, aber in einer einzigen Vision vereint und ersetzt. Es enthält nämlich von ersterem den absolut unverzichtbaren Wert des Gemeinwohls und von letzterem die für die Verwirklichung des Gemeinwohls ebenso unverzichtbare Idee eines supranationalen Staates, der die wahre Freiheit (nicht die Willkür!) der Einzelnen wir eines jeden Volkes schütz und fördert.
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