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ERSTES STADIUM (1805, erste Hälfte?):  Die absolute bzw. ’rein sittliche’ Religion ist die Philosoph

ERSTES STADIUM (1805, erste Hälfte?): Die absolute bzw. ’rein sittliche’ Religion ist die Philosoph

 

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ERSTES STADIUM

(1805, erste Hälfte?)

 

Die absolute bzw. ’rein sittliche’ Religion ist die Philosophie

 

Hauptquelle: "Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit"

 

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In diesem Zusammenhang ist ein Text von besonderer Bedeutung, weil er einen Abriss der Religionsgeschichte der Menschheit enthält. Darin rekonstruiert Hegel diese Geschichte, indem er einen Fortschritt in der Geschichte der Religion von relativen und historischen Entwicklungsstufen bis zu ihrer absoluten und universalen Form sieht. Diese Form, mit der nach Ansicht des schwäbischen Denkers die religiöse Entwicklung der Menschheit endet, wird von der Philosophie dargestellt, die somit mit der absoluten Religion zusammenfällt.(1) Dieser Text wurde richtigerweise von Karl Rosenkranz unter dem Titel "Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit" überliefert. Was seine Datierung betrifft, so ist es nicht möglich, durch ein graphologisches Gutachten den genauen chronologischen Moment seiner Verfassung zu bestimmen, da das Manuskript als verloren gegangen gilt. Aufgrund des Inhaltes ist er auf jeden Fall in die Zeit um 1805 einzuordnen.(2) Genau in diesem Jahr fällt nämlich die vollständige Ausarbeitung der Hegelschen "Logik/Metaphysik", die von diesem Text vorausgesetzt wird.
Dieser Text bietet eine sehr präzise Antwort auf die in der Suche nach einer absoluten Religion enthaltenen Problematik, die bei der Fertigstellung des Manuskriptes "System der Sittlichkeit" von 1802/03 ungelöst geblieben war, und nimmt gleichzeitig die Ergebnisse der Konstruktion des Systems vorweg bzw. setzt diese voraus, und zwar insbesondere den Begriff der Philosophie als Wissenschaft, der sowohl für die "Logik/Metaphysik" als auch für die "Phänomenologie" grundlegend ist. 

In der Folge wird untersucht werden, welchen Beitrag dieser ganz wichtige Text für den Entwicklungsfortschritt des Hegelschen Denkens enthält.

Der Text zeichnet nämlich die historische Darstellung der chronologischen Entwicklung der verschiedenen wichtigsten Religionsformen nach. Schon am Beginn des Textes stellt Hegel jedoch klar, dass es sich nicht nur um eine chronologische und historische, sondern auch um eine systematische und philosophische Entwicklung handelt, und zwar in dem Sinne, dass die logisch-dialektische Gliederung des Religionsbegriffs der historischen Entwicklung zugrunde liegt, da diese ihre Manifestation in der Zeit darstellt:

„Die Religion muß, wie Hegel sich in der damaligen naturphilosophischen Modesprache ausdrückte, nach den allgemeinen drei Dimensionen der Vernunft innerhalb der klimatischen Modificationen nach ihrer empirischen Differenz weltgeschichtlich in folgenden drei Formen auftreten: 1) in der Form der Identität, in ursprünglicher Versöhntheit des Geistes und seines Reellseins in der Individualität; 2) in der Form, daß der Geist von der unendlichen Differenz seiner Identität anfange und aus ihr eine relative Identität reconstruire und sich versöhne; 3) diese Identität, unter jene erste absolute subsumirt, wird das Einssein der Vernunft in Geistesgestalt und derselben in ihrem Reellsein oder in Individualität als ursprünglich und zugleich ihren unendlichen Gegensatz und seine Reconstruction setzen.“ (GW 5, S. 460-461, 35-34)

Es ist daher eindeutig, dass für Hegel schon vom Augenblick der Verfassung dieses Textes an die historische Abfolge der drei Hauptreligionsformen der systematischen Struktur des Begriffs der Vernunft entspricht, und zwar nach dem dialektischen Schema, das damals Hegel schon zur Verfügung stand, auch wenn es noch nicht vollständig ausgereift war: Urprüngliche Identität (Versöhnung), Spaltung und schließlich auf höherer Ebene wiedererlangte Identität unter Einschluss des Gegensatzes (Wiederversöhnung).
Im zitierten Text konzentriert sich Hegel mehr auf die Entwicklung der historischen Seite. Der zufolge entspricht die erste Stufe der Naturreligion, die zweite Stufe der christlichen Religion (oder allgemein der monotheistischen Religion) und schliesslich die dritte Stufe der absoluten Religion bzw. Philosophie. Die systematische Seite dieser Problematik wird von ihm hingegen in der Philosophie des Geistes aus dem Jahr 1805/06 entwickelt.(3)

Der Inhalt der dritten Phase besteht aus der letzten Stufe des religiösen Vorgangs, der Erhebung des endlichen zum unendlichen Bewusstsein, in dem die Menschheit also den Übergang von der Sichtweise des empirischen und subjektiven Bewusstseins zu jener des reinen und absoluten Bewusstseins vollzieht. Hegel definiert diese Sichtweise mit folgenden Worten:

“Nachdem nun der Protestantismus die fremde Weihe ausgezogen, kann der Geist sich als Geist in eigener Gestalt zu heiligen und die ursprüngliche Versöhnung mit sich in einer neuen Religion herzustellen wagen, in welche der unendliche Schmerz und die ganze Schwere seines Gegensatzes aufgenommen, aber ungetrübt und rein sich auflöst, wenn es nämlich ein freies Volk geben und die Vernunft ihre Realität als einen sittlichen Geist wiedergeboren haben wird, der die Kühnheit haben kann, auf eigenem Boden, und aus eigener Majestät sich seine reine Gestalt zu nehmen. – Jeder Einzelne ist ein blindes Glied in der Kette der absoluten Nothwendigkeit, an der sich die Welt fortbildet. Jeder Einzelne kann sich zur Herrschaft über eine größere Lände dieser Kette allein erheben, wenn er erkennt, wohin die große Nothwendigkeit will und aus dieser Erkenntniß die Zauberworte aussprechen lernt, die ihre Gestalt hervorrufen. Diese Erkenntniß, die ganze Energie des Leidens und des Gegensatzes, der ein paar tausend Jahre die Welt und alle Formen ihrer Ausbildung beherrscht hat, zugleich in sich zu schließen und sich über ihn zu erheben, diese Erkenntniß vermag nur Philosophie zu geben.“

(GW 5, S. 465, 1-17). 

Der Philosoph  stellt also in diesem Absatz klar, dass die „dritte Religionsform“ der Menschheit die Philosophie sein muss, da sie die der Vernunft eigene Form ist, oder, anders gesagt, auf dem Wissen beruht und daher die absolute Religionsform ist (daher drittes und letztes Stadium der religiösen Entwicklung der Menschheit, nach der Naturreligion oder Polytheismus und der übernatürlichen oder Monotheismus).(4)
Rosenkranz schreibt zu dieser Thematik folgendes und kommentiert dabei den Text, den er noch besaß:

“Obwohl nun Hegel damals, wie aus den vorstehenden Mittheilungen zur Genüge hervorgeht, den Protestantismus für eine eben so endlicher Form des Christenthums hielt, als den Katholizismus, so ging er deswegen doch nicht, wie Viele seiner Zeitgenossen, zum Katholizismus über, sondern glaubte, daß aus dem Christenthum durch die Vermittelung der Philosophie der Philosophie eine dritte Form der Religion sich hervorbilden werde.“ (GW 5, S. 464,20-24) 

Die beginnende Rolle der Philosophie als religiöses Leitbild der Menschheit stellt die Erreichung des höchsten Grades der Erhebung des endlichen zum unendlichen Leben dar, d.h. den Grad der Identifikation des endlichen Lebens mit dem unendlichen Leben, des Menschen mit Gott, des individuellen Geistes, der dem individuellen Menschen innewohnt, mit dem absoluten Geist, der bei allen Menschen und Vernunftwesen tätig ist.
Auf diese Weise löst Hegel die Frage, auf die er bei der Fertigstellung des Systems der Sittlichkeit gestoßen war und die einem Abschluss der ersten Gesamtfassung seiner ethischen Philosophie im Wege gestanden hatte. Es handelt sich um die Frage nach der absoluten Religion, die imstande wäre, die absolute Sittlichkeit zu begründen. 

Diese Frage bestand aus der folgenden logischen Gedankenverkettung:

-  Wenn das individuelle Handeln gleichzeitig auch das absolute Handeln sein soll, bedeutet das, dass sich das Absolute in der Welt manifestieren muss. Ein Absolutes, das von der Welt getrennt bleibt oder sich nicht vollkommen im Menschen und damit im individuellen Handeln offenbart, auch wenn es in der Welt vorhanden ist, kann dem Prinzip der absoluten Sittlichkeit nicht gerecht werden.

-  Die Begründung der Sittlichkeit durch die absolute Religion bedeutet ausserdem, dass dem Menschen die Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben, die Hegel schon in den systematischen Fragmenten von 1799-1800 als etwas Notwendiges und als Wesen der Religion angesehen hat, glückt.

Im Schlussteil des Textes wird dieses Problem dahingehend gelöst, dass die Philosophie als absolute Religion auf der einen Seite die Erhebung des endlichen Menschen zum unendlichen Leben, dem Absoluten, dank der Erhebung des empirischen zum reinen Bewusstsein ermöglicht, während auf der anderen Seite diese Erhebung den empirischen Menschen zu einer Identifizierung mit dem Absoluten führt. Deshalb wird auch sein Handeln nicht mehr rein individuell, sondern universell geprägt sein und somit sich als echt ethisches Handeln qualifizieren.
Die Tatsache, dass dieser Text den Titel "Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit" trägt, ist also kein Zufall, da er tatsächlich die Wiederaufnahme und den Abschluss der Originalversion der Hegelschen Philosophie vom objektiven Geist, also des Systems der Sittlichkeit, darstellt. Es entspricht aus historischer Sicht dem Teil, der im System von der Philosophie des absoluten Geistes gebildet wird, d.h. der systematischen Begründung der Absolutheit der Sittlichkeit.

 

ENDNOTEN

1) In GW 8 Jenaer Systementwürfe III, S. 185-287. 

2) Im bereits kommentierten Text "... es ist nur die Form".

3) In GW 8 Jenaer Systementwürfe III, S. 185-287.

4) Infolge von diversen familiären, sozialen und politischen Einflüssen, von Ilting sehr gut dargestellt, wird Hegel später leider die Fähigkeit verlieren, sich streng an das Allgemeine zu halten, und so einige Male diesen Einflüssen unterliegen, indem er das philosophische Allgemeine (z.B. die Religion als Begriff) mit dem historischen Einzelnen (z.B. das Christentum) identifizieren wird. Diese unglückliche Vermischung von Allgemeinem und Einzelnem ist den Jenenser Manuskripten noch fremd, einerseits aufgrund ihres privaten Charakters, andererseits wegen der mutigen Frische des Hegelschen Denkens, das in dieser Phase seiner Entwicklung gerade sich selbst entdeckte, ohne Furcht vor der Wahrheit, die sich ihm langsam  ‘offenbarte‘.

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