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ERSTER MOMENT  Die religiöse Bedeutung der Wissenschaft der Logik: das Absolute oder ‘Logos’ als rel

ERSTER MOMENT Die religiöse Bedeutung der Wissenschaft der Logik: das Absolute oder ‘Logos’ als rel

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ERSTER MOMENT

Die religiöse Bedeutung der Wissenschaft der Logik:
das Absolute oder ‘Logos’ als religiöses, populäres und vernünftiges
Prinzip der Wiedereinfügung des Menschen in die Natur 
auf Ebene von Vernunft und Welt

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Der Logos als religiös-metaphysisches Prinzip hat die Aufgabe, den Menschen auf der Ebene von Vernunft und Welt wieder in die Natur einzufügen. Die ursprüngliche Formulierung dieses Begriffs findet sich in der Differenzschrift. Es handelt sich um den Begriff des Absoluten, der die letzte Stufe bei der Umwandlung der urchristlichen Vorstellung der universellen Liebe in den darin enthaltenen Begriff (eben das Absolute) darstellt.
Was das erste vollständige System Hegels aus dem Jahr 1805/06 anbelangt, so hat der Begriff des Logos darin schon seinen Platz gefunden, und zwar als erster Teil des Systems im Manuskript der Logik und Metaphysik von 1804/1805. Dieses Manuskript zeigt einige Unterschiede im Vergleich zur reifen Wissenschaft der Logik, wobei aber die generelle Bedeutung des Begriffs des Logos nicht betroffen ist, sonder nur die fachliche Einteilung einiger Kapitel, die bald ihren definitiven Platz im System finden werden. Schon in der Logik von Nürnberg (1809/1810) zeigt Hegel nämlich, dass er die innere Organisation der Logik im Sinne der nachfolgenden und definitiven Wissenschaft der Logik erarbeitet hat. Diese erschien in den Jahren 1812-1816, wurde 1817, 1827 und 1830 mit der Enzyklopädie nochmals publiziert, sowie schließlich noch einmal in der Einzelversion von 1831, was aber nur für die Lehre vom Sein gilt.
Der Logos ist das religiöse, populäre und vernünftige Prinzip, das den Menschen als Vernunft wieder in die Natur als Welt einfügt: Untersuchen wir nun die Bedeutung dieser Aussage etwas genauer.

Der Logos als religiöses Prinzip

Das von Hegel als das ‘Absolute’ oder ‘logische Idee’ bezeichnete spezifische Objekt wird von den Kategorien und Bestimmungen des Denkens gemeinsam gebildet. Diese Kategorien sind untereinander dialektisch verbunden, d.h. durch den dreifachen Prozess von Affirmation, Negation (bzw. erste Negation) und Negation der Negation (bzw. zweite Negation).
Diese notwendige Verbindung der Kategorien macht sie zu einzelnen Momenten eines einzigen Begriffs, der sich durch sie entwickelt, ihre innere Einheit und schließlich das Ergebnis ihrer Entwicklung darstellt. Dieser Begriff ist eben genau die logische Idee oder das Absolute oder die absolute Idee (also in der von uns gewählten Sprache der Logos).
Mit Logos bezeichnet man also das System der Kategorien, ihre dialektische Einheit und gleichzeitig die letzte Kategorie, die in sich alle anderen Kategorien als „aufgehoben“ enthält, und zwar im Sinne der Hegelschen Auffassung von ‘Aufhebung’ (1).)
Der Begriff des Logos hat eine dreifache Bedeutung. Er bildet nämlich die kategoriale Struktur des menschlichen Denkens, der Natur und des Seins als Sein.
Aufgrund der ersten Bedeutung hat der Logos einen „logischen“ Wert; die Zweite verleiht ihm einen „ontologischen“ Wert; für die Dritte hingegen hat er einen „theologischen“ Wert.
In diesen drei Bedeutungen oder Werten des Begriffs des Logos liegt die Besonderheit und Neuheit, die die Hegelsche Logik von den klassischen Logiken, insbesondere von Aristoteles und Kant, unterscheidet.
Die Logik von Aristoteles untersucht nämlich den Logos nur in seiner ersten, der eigentlich logischen Bedeutung, während die zweite und dritte Bedeutung der Metaphysik oder Ersten Philosophie (Wissenschaft des Seins als Sein) vorbehalten bleiben. Dies zieht eine Trennung zwischen dem Begriff des menschlichen Denkens und den Begriffen des Seins und des Absoluten nach sich, die hingegen, wie wir später sehen werden, in der Hegelschen Logik vollständig verschwindet.
Kants transzendentale Logik vereinigt zwar den Begriff des menschlichen Denkens und den Begriff des Seins - wenn auch nur im Sinne des Seins als Erscheinung -, aber noch nicht den des Absoluten. Diese Logik hat zwar eine ontologische und metaphysische Bedeutung, aber im kritischen und letzten Endes subjektivistischen Sinne einer Metaphysik der ‘Erscheinungen’ und nicht der ‘Wesenheiten’, d.h. der Dinge ‘für uns’ und nicht ‘an sich’. Für Kant entspricht nämlich das Sein als Sein den transzendentalen Kategorien des Denkens, die jedoch keinen objektiven und substantiellen Wert besitzen, sondern nur eine subjektive und formale Geltung.
Aufgrund dieser Einschränkung bleibt auch bei der transzendentalen Logik Kants, wie übrigens auch bei der Logik von Aristoteles, eine Trennung zwischen Denken und Sein, Vernunft und Welt. Diese Trennung wird von der Hegelschen Logik überwunden, die die subjektivistische Grenze der Transzendental-Philosophie aufhebt und auf diese Weise subjektives Denken, Sein und Absolutes vereinigt.
Rekonstruieren wir nun kurz die Entwicklung des Hegelschen Begriffs des Logos, damit wir die Bedeutung dieser Vereinigung genau verstehen und den Weg Schritt für Schritt nachvollziehen können, den die Entwicklung des Hegelschen Denkens im bezug auf diese Problematik genommen hat.
Wie wir bei der zweiten Periode der Entwicklung des Hegelschen Denkens gesehen haben, vor allem in den Jahren zwischen 1797 und 1803, so wird der Begriff des Logos vom Philosophen aus Stuttgart zum ersten Mal 1801 als ‘das Absolute’ formuliert. Dieser Begriff des Absoluten ist der logisch-metaphysische Ausdruck der Einheit zwischen Vernunft und Gott, von Hegel bereits im Vorjahr (1800) erfasst; und diese stellt wiederum den systematischen Ausdruck des ontologischen Prinzips der Einheit der Gegensätze dar, vom Philosophen in den Jahren 1797-1799 konzipiert.
Diese dreifache Entwicklung bei der Formulierung des Begriffs des Absoluten oder Logos hat außerdem die Bedeutung der Herausarbeitung des Begriffinhaltes, der in Form von Vorstellungen in der ursprünglichen Religion von Jesus vorhanden ist. Wir wollen nun untersuchen, wie uns dieser Entwicklung des Logos dabei helfen kann, die systematische Bedeutung dieses Begriffs zu verstehen.
Der Logos hat drei Bedeutungen: die logische, die ontologische und die theologische. Jede dieser drei Bedeutungen bildet eine Stufe in der Hegelschen Konzeption des gedanklichen Inhaltes, der implizit in der religiösen Vorstellung von Jesus vorhanden ist.
Die erste Stufe von 1797 - 1799 beinhaltet die Formulierung der ontologischen Bedeutung des Logos. Die Einheit der Gegensätze bezieht sich also nicht auf die Welt der Natur oder die des Geistes, sie ist vielmehr ein universelles Prinzip, das weder zeitliche noch räumliche Grenzen kennt. Wo auch immer ein Wesen war, ist und wird es sein; dieses war, ist und wird das Ergebnis zweier Gegensätze als ihre Vereinigung sein. Das Prinzip der Einheit der Gegensätze bezieht sich also auf das Sein als Sein und nicht auf ein bestimmtes Wesen. Wir haben bereits festgehalten, dass es sich hier um die ursprüngliche Formulierung der Dialektik handelt.
Die zweite Stufe, das Jahr 1800, stellt hingegen die ursprüngliche Formulierung der theologischen Bedeutung des Logos dar. Darin ist die Einheit der Gegensätze nicht mehr in allgemeiner und abstrakter, sondern in der spezifischen und konkreten Form enthalten, die aus dem grundlegenden Gegensatz besteht, der in sich alle anderen einschließt, also den Gegensatz zwischen dem Menschen als Vernunft und Gott als Organismus der Welt (d.h. Gott in der pantheistischen Bedeutung des Wortes). Hegel konzipiert die Einheit dieser beiden Gegensätze, die das erste und letzte Glied der Kette in der Entwicklung der Welt bilden (2), indem er die menschliche Vernunft als spekulative Fähigkeit (Religion) sieht, und nicht nur als reinen Intellekt, während Gott als „in“ der Natur und „in“ der Zeit, also nicht „außerhalb“ lebender Geist erfasst wird. Solcherart formuliert sind Vernunft und Welt nicht mehr voneinander getrennt, sondern durch die Tatsache vereint, dass sie beide „Leben“ und daher Möglichkeiten sind, in der Religion „eins“ zu werden. In dieser Hinsicht entspricht diese Stufe der theologischen Bedeutung des Logos (das unendliche Leben ist das Absolute, die Einheit von Vernunft und Welt).
Und schließlich kommen wir zur dritten Stufe, dem Jahr 1801, mit der Formulierung des Begriffs des Absoluten. Es handelt sich hierbei um die „logische“ Bedeutung des Begriffs des Logos. Hegel wandelt nämlich die Identität Vernunft-Welt in die metaphysische Identität von Subjekt und Objekt um, die von der damaligen idealistischen Philosophie (vor allem Schellings) als Identität im Denken, als logische Identität konzipiert wird. Diese logische Bedeutung des Logos ist sicherlich logisch-substantiell und nicht logisch-formal, da es in sich die früheren Bedeutungen aufbewahrt.
Das Ergebnis dieses Vergleichs zwischen der Entstehung des Hegelschen Begriffs des Logos und seiner definitiven Formulierung ist also das Verständnis der Beziehung, die die drei Bedeutungen verbindet. Diese drei Bedeutungen sind also nicht ohne wechselseitige Beziehung, sie sind vielmehr durch eine Werterweiterung verkettet, die von der ersten zur zweiten und dann zur dritten Bedeutung übergehend, dem Logos als menschliches Denken, also seiner Grundbedeutung, verliehen wird.
Der ontologische Wert des Logos hebt nämlich die Einschränkungen des logischen Wertes auf, was als der Gesichtspunkt  von Aristoteles und Kant im bezug auf die Logik gilt und demzufolge das Denken nur einen formalen und subjektiven Wert hat. Ist diese Einschränkung einmal aufgehoben, so verleiht der ontologische Wert des Logos dem menschlichen Denken erneut die Würde, die es in der antiken Metaphysik hatte, d.h. die anerkannte Fähigkeit, die Wahrheit der Dinge erkennen zu können.
Es ist jedoch von großer Bedeutung, dass das menschliche Denken diesen ontologischen Wert nun nicht mehr unmittelbar und naiv enthält, sondern als Logik, d.h. nicht als direkte Erkenntnis des Seins, sondern als Offenbarung des Seins durch die Autoreflexion des Denkens über sich selbst (das absolute Wissen).
Dieser ontologische Wert des Logos führt also das Kantische Prinzip der Subjektivität, sowie das der modernen Philosophie im Allgemeinen, mit dem Prinzip der Objektivität der antiken Metaphysik, vor allem der von Aristoteles, zusammen. Und genau aus dieser Einheit von Subjekt und Objekt, von Denken und Sein „im“ Logos entsteht schließlich die dritte Bedeutung dieses Begriffs, eben sein theologischer Wert. Dieser Wert besagt, dass das menschliche Denken der Ort der Offenbarung der absoluten Wahrheit, also des Seins, des Ewigen, der immerwährenden, universalen und notwendigen Form jedes empirischen Wesens ist, da es selbst in der Struktur seines Wesens das Absolute, eben den Logos, darstellt und nicht irgendeine empirische Wesenheit. Die subjektive und objektive Vernunft fallen also zusammen, sie bilden den absoluten Logos, der sich im Menschen seiner selbst bewusst wird.
Daher erwirbt das menschliche Denken durch den Übergang von der ersten zur dritten Bedeutung die (weitere) doppelte Bestimmung von ‘Sein’ und ‘Absolutem’.  Denn das menschliche Denken drückt in seiner reinen Form, gebildet von den Kategorien der Logik, das Sein aus, wobei es dank dieser Fähigkeit in seinem reinen Wesen das Absolute ist.
Der Logos ist mit dieser komplexen, dreifachen Bedeutung also das religiöse Prinzip, die Verwirklichung des Hegelschen Jugendideals, formuliert in den Jahren 1793-94. In diesen Jahren hat Hegel, wie wir es in der ersten Periode seiner Gedankenentwicklung gesehen haben, sein Ideal der Begründung einer neuen ethischen, natürlichen, populären und vernünftigen Lehre zur Wiedereinfügung des Menschen in die Natur konzipiert. Im Einzelnen formulierte er zuerst das Ideal einer natürlichen Morallehre und dann, nachdem er erkannt hatte, dass es unmöglich sei, eine solche Theorie ohne Vorkenntnisse der Natur des Menschen zu begründen, formulierte er das Ideal einer neuen populären und vernünftigen Volksreligion. Die Aufgabe dieser neuen Religion ist es nämlich, den Menschen auf der Ebene von Vernunft und Welt wieder in die Natur einzufügen, und daher, aufgrund dieser Wiedereinfügung die effektive Natur des Menschen anhand seines Platzes in der Welt zu begreifen. Mit der Formulierung des Prinzips des Logos hat Hegel also die Natur, das Wesen des Menschen verstanden. Die Natur des Menschen ist es, in seiner reinen Vernünftigkeit das Absolute zu sein.

Der Logos als populäres und vernünftiges Prinzip

Der Logos ist das religiöse Prinzip der neuen ethisch-religiösen Lehre Hegels. Sehen wir uns nun genauer an, inwiefern dieses Prinzip populär und vernünftig ist bzw. auf welche Art und Weise es die beiden unumgänglichen Bedingungen der Popularität und der Vernünftigkeit erfüllt.
Als populäres Religionsprinzip liefert der Logos eine Erklärung des ersten Prinzips der Welt und befriedigt somit das natürliche Bedürfnis der menschlichen Vernunft, sich eine Vorstellung über das Fundament des Seins zu machen. Auf diese Weise kann der Logos die Menschen in einem Volk vereinigen, das eben als Merkmal eine gemeinsame Weltanschauung aufweisen soll. Natürlich darf das Volk, also das Ergebnis dieser religiösen Vereinigung, nicht nach Geographie, Rassen usw. bestimmt und begrenzt werden, sondern es umfasst grundsätzlich die gesamte Menschheit.
Als vernünftiges Religionsprinzip kann der Logos vom ‘Gericht der Vernunft’ absolviert werden, da er auf Begriffen beruht, die nicht mit subjektiven Vorstellungen, sondern mit vernünftigen, objektiven Argumenten vertreten werden können.
Nun ist es an der Zeit, die Beweggründe genau zu analysieren, die der Popularität und Vernünftigkeit des Logos zugrundeliegen.
Die Popularität des Logos bedeutet, dass er als religiös-metaphysisches Prinzip das erste Prinzip der Welt darstellt und daher auch eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen nach einem Begriff des Absoluten als Ursache, Ur-Prinzip der Welt gibt.
Sehen wir uns nun aber genauer an, auf welche Weise der Hegelsche Begriff des Logos eine Antwort auf diese überwiegend religiöse und metaphysische Frage nach der Ursache der Welt gibt.
Im philosophischen System von Hegel versteht man unter dem Logos oder der logischen Idee vor allem das, was durch seine Entäußerung die Natur gestaltet und sich durch seine Rückkehr in sich als Geist offenbart. Mit dieser logischen Bewegung kann Hegel die Existenz einer endlichen Natur und eines endlichen Geistes bzw. der Welt philosophisch erklären. Nichtsdestoweniger existiert aber auch ein umgekehrter Weg des Logos: Dieser besteht aus seiner progressiven Befreiung von den verschiedenen Formen der natürlichen Materie und auch von den Formen des subjektiven und objektiven Geistes, bis hin zur vollständigen Befreiung, d.h. er wird enthüllt und existiert in dieser Enthüllung im absoluten Geist bzw. im  reinen philosophischen Selbstbewusstsein. In diesem Entwicklungsstadium, also im Denken, das sich selbst erkennt, existiert der Logos in der Zeit, ist er endlich erschienen (3).)
Die Bewegung der Natur, die natürliche Evolution, und die Bewegung des Geistes, das geistige Werden oder die Phänomenologie des Geistes (die Geschichte), sind nämlich beide dank der enormen Antriebskraft des Logos enstanden, dessen Ziel es ist, sich von den Ketten der Materie und der empirischen Subjektivität zu befreien, um im Wissen von sich selbst, also im absoluten Wissen zu erscheinen.
Damit versteht man also auch, warum der Logos, abgesehen von der Logik, auch im sehr allgemein gehaltenen Entwurf des philosophischen Systems von Hegel, also in der Enzyklopädie, dem Absoluten entspricht. Denn das Absolute ist die Ursache der Welt, d.h. der Natur und des Geistes, und der Logos ist eben genau die Ursache der Welt: Ursache der Welt natürlich in der philosophischen Bedeutung von ‘Endursache’ und nicht in der naturalistischen und letzten Endes antiphilosophischen Bedeutung von ‘wirkende Ursache’, typisch z.B. für die traditionelle christliche Religion.
Der theologischen Interpretation der Wissenschaft der Logik entspricht eine religiöse Interpretation der Enzyklopädie, also des gesamten philosophischen Systems von Hegel.
Denn die Religion als Begriff bedeutet nichts anderes als die Erkenntnis der Ursache der Welt bzw. des Absoluten, also absolutes Wissen oder absoluter Geist, wie Hegel im §554 der Enzyklopädie von 1830 explizit klarstellt. Darin drückt er sich unter Bezugnahme auf den Abschnitt des absoluten Geistes folgendermaßen aus:

„Die Religion, - wie diese höchste Sphäre im allgemeinen bezeichnet werden kann, (...)“ 
(GW 20, 542/14-15)

Man muss daher zwischen der Religion ‘in weiterem Sinne’ und ‘in engerem Sinne’ unterscheiden. Erstere behandelt die Dimension des absoluten Geistes im Allgemeinen, also die Erscheinung des Absoluten im Menschen durch die Kunst, die Religion und die Philosophie; Die zweite bezieht sich auf das Religiöse als solches, also spezifisch auf die Erscheinung des Absoluten in der vorstellenden Form, d.h. als ‘Glaube’.
Das philosophische System Hegels ist also eine Philosophie, weil es rational formuliert wurde. Da sein Inhalt eine Antwort auf diese religiöse Frage nach der Erkenntnis der Ursache der Welt bereithält, hat es aber eine „religiöse“ Bedeutung. 
Die Philosophie Hegels ist also Verständnis des Absoluten als ‘Endursache’ der Welt; jetzt ist es an der Zeit, diesen Begriff des Logos als Endursache der Welt genauer darzustellen.
Die Endursache der Welt ist der Grund, das Fundament  der Existenz der natürlichen Lebewesen und der Gestalten des Geistes. Der Zweck der Welt darf natürlich nicht als etwas Bewusstes, Freiwilliges in subjektivem Sinne aufgefasst werden. Es ist hingegen der Sinn des natürlichen und historischen Werdens, bzw. die Entwicklungsrichtung der Materie und der Geistigkeit. Die Materie besitzt eine Eigenbewegung; diese Bewegung führt durch die anorganische, organische lebende Welt zum Geist; Der Geist ist daher der Sinn des Werdens der Materie. Die Worte Hegels zu diesem Thema in der  Enzyklopädie (§381) sind außerordentlich deutlich und interessant:

„Der Geist hat für uns die Natur zu seiner Voraussetzung, deren Wahrheit, und damit deren absolut Erstes er ist“ (GW 20, 381/24-25).

Ein Kenner der Sprache Hegels versteht sofort die tiefe Bedeutung dieses Gedankens: Die ‘Wahrheit’ von etwas zu sein, bedeutet in der Sprache der Dialektik, der Sinn bzw. das nicht zufällige, sondern notwendige Ergebnis zu sein; notwendig nicht in mechanistischem, sondern in finalistischem, dialektischem Sinne. Genau dies bringt Hegel dann im zweiten Teil des zitierten Satzes zum Ausdruck, und zwar mit dem Ausdruck ‘absolut Erstes’: Der Geist ist das ‘absolut Erste’ der Natur, weil es in der Entwicklung der Natur bereits vorgesehen ist, dass sie zur Bildung des Geistes führt.
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Materie belebt ist und bewusst den Geist produziert, und auch nicht jemand oder etwas zuzulassen, das bewusst die Materie als Grundlage für die Erschaffung des Menschen nach seinem Vorbild geschaffen habe. Dies sind bloß Vorurteile der abergläubischen Vorstellung im Volk, die von jeder ernsthaften philosophischen Anschauung stets zurückgewiesen wurden, was auch in Zukunft so bleiben wird.
Wenn man sagt, der Geist sei der Sinn oder das Ziel oder Zweck des Werdens der Materie, so bedeutet das, dass die der Materie „immanente“ Entwicklung, also die Entwicklung, die die Materie in sich selbst hat, aus verschiedenen Stufen besteht, wobei jede Stufe wiederum die Voraussetzung für die nächste bildet, bis hin zu einer Stufe, die man nicht mehr als Materie definieren kann, weil sie etwas anderes ist: eben der Geist.
Im Einzelnen ist der Geist das Gegenteil von Materie, denn er ist Freiheit, während die Materie Notwendigkeit ist.
Es ist kein Zufall, dass die Evolution der Materie zur Bildung des Geistes führt, sondern etwas Notwendiges, da dies auf das Vorhandensein einer unbewussten und notwendigen Logizität in der Materie zurückzuführen ist, die zum Bewusstein und zur Freiheit tendiert.
Das Auftauchen des Geistes in der Evolution der Natur ist also nichts anderes als das ans-Licht Kommen, das Auftauchen dieser Logizität, sein zur-Existenz-Kommen.
In diesem Sinne ist der Geist also die Endursache der Natur, weil die Evolution der Materie genau auf die Antriebskraft des Logos zurückzuführen ist, die darauf drängt, durch die Beschaffenheit von geistigen, bewussten und freien Wesen existent zu werden. Ohne diese innere, zum Selbstauftauchen drängende Kraft gäbe es keinerlei Werden der Materie, also auch keine Natur als solches.
Der Logos bringt also sowohl die Natur als auch den Geist hervor und liefert somit den Beweis dafür, die Endursache der Welt zu sein, oder, was dasselbe bedeutet, die Ursache von sich selbst, oder, um den Ausdruck wiederaufzunehmen, mit dem Spinoza diesen Begriff ein für allemal definierte, die ‘causa sui’.
Es ist kein Zufall, dass sich Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie auf Spinoza bezog, und zwar mit folgenden Worten:

„Im allgemeinen ist darüber zu bemerken, daß das Denken, der Geist, sich auf den Standpunkt des Spinozismus gestellt haben muß. Diese spinozistische Idee ist als wahrhaft, als begründet zuzugeben. Es ist eine absolute Substanz; diese ist das Wahre“ (V 9, 104/76-79).

Durch den Begriff ‘causa sui’ ist daher die „Popularität“ des Logos als religiöses Prinzip begründet. Wenden wir uns nun der Begründung seiner Vernünftigkeit zu.
Die Vernünftigkeit des Logos basiert auf der Tatsache, dass er die Ursache der Welt nicht in der subjektiven Form der religiösen Vorstellung, sondern in der objektiven Form der Philosophie darstellt (insbesondere der Logik-Metaphysik).
Diese Objektivität besteht aus der Ableitung und logischen Abfolge der verschiedenen Bestimmungen des Denkens, zuerst die reinen der Logik und dann die natürlichen und geistigen Bestimmungen der entsprechenden Teile des philosophischen Systems. Bei der Entwicklung dieser logischen Abfolge wird keine Wahrheit als wahr, als Dogma vorausgesetzt, sondern jeder Begriff wird aus der vorhergehenden Entwicklung abgeleitet und bildet wiederum die Voraussetzung für die nachfolgende Entwicklung.
Das ist hier natürlich nicht der geeignete Zeitpunkt, um der Frage nachzugehen, ob Hegel die Erstellung eines solchen letztbegründeten Systems gelungen sei oder nicht (4). Diese Problematik wird zu einem der Hauptthemen des zweiten Teils der Globalinterpretation der Hegelschen Philosophie gehören, der der immanenten Systemkritik gewidmet ist.
Unabhängig von den Ergebnissen dieser Kritik ist es auf jeden Fall ein unantastbarer Verdienst des Philosophen aus Stuttgart, den Menschen auf die Notwendigkeit hingewiesen zu haben, diese religiöse Fragen mit der vernünftigen Methode der Logik zu bewältigen, sowie ein neues Modell der Logik, geeignet zur Lösung dieser Probleme, geliefert zu haben.
Kurz und gut, die Religionsauffassung von Hegel, die als ‘Religion in weiterem Sinne’ natürlich nur den Inhalt der Religion bewahrt, aber die Form verändert hat, da sie auf Vernunft beruht, kann vom Kantischen ‘Gericht der Vernunft’ freigesprochen werden. 


Der Logos als Wiedereinfügung des Menschen als Vernunft in die Natur als Welt

Somit sind wir beim letzten Aspekt der Bedeutungserklärung folgender Formulierung angelangt: Der Logos ist das populäre und vernünftige Religionsprinzip zur Wiedereinfügung der Vernunft in die Welt. Bisher haben wir den ersten Teil dieses Satzes erklärt; nun ist es an der Zeit, den Zweiten zu erklären, d.h. zu verstehen, inwiefern es dem Hegelschen Begriff des Logos gelingt, die Vernunft wieder in die Welt einzufügen.
Wie bereits festgestellt, liegt das Merkmal des Logos in der Fähigkeit, das Absolute auszudrücken; Dank dieser Fähigkeit zeigt sich der Logos als Ursache der Welt im Sinne der Endursache, causa sui. Aus diesem theologischen Wert der Hegelschen Auffassung vom Logos folgt, dass dieser Begriff die menschliche Vernunft wieder in die Welt einfügt. Der Logos ist nämlich die systematische Totalität der Kategorien. Diese Totalität ist nicht nur der Stoff, aus dem das Wirken des menschlichen Denkens besteht, sondern auch der Stoff, aus dem das Werden der Natur selbst geformt ist, und zwar durch die Erzeugung verschiedenerer Lebewesen. Im Einzelnen erklärt Hegel, dass die Vernunft die Struktur der Welt ist (ontologischer Wert des Logos), bevor sie menschliches Denken (logischer Wert des Logos) ist und dass die Beziehung zwischen den beiden, der subjektiven Vernunft im Menschen und der objektiven Vernunft in der Welt, darin besteht, dass sich die menschliche Vernunft im Werden der Welt als reine Form der Natur herausbildete, also als dieselbe ontologische Struktur der Materie, aber in ihrer reinen und nicht materiellen Form (theologischer Wert des Logos). Diese Teleologie des Werdens der Welt ist das Auftauchen des Logos als deren Endursache.
Hegel ist es mit diesem Begriff des Logos gelungen, die menschliche Vernunft auf vernünftige Weise wieder in die Welt einzufügen, da aus dieser Sicht die Vernunft des Menschen der Welt nicht mehr fremd ist, wie sie es z.B. sowohl aus der Sicht der empiristischen Philosophie als auch der Transzendentalphilosophie ist, sondern einen wesentlichen Bestandteil der Welt bildet. Im Einzelnen stellt sie den letzten Teil dar, das notwendige und nicht zufällige Ergebnis des Werdens der Welt.
Nach Ansicht Hegels ist also die menschliche Vernunft nach den gleichen logischen Prinzipien strukturiert wie die Welt. Deshalb ist es jedem Menschen möglich, die Welt zu erkennen bzw. die logische Struktur der räumlich-zeitlichen Entwicklung des Seins zu verstehen. 
Zur Verfolgung dieses Ziels und zur eigenen Wiedereinfügung in die Welt, benötigt die Vernunft nur eine Voraussetzung: Keine Enthüllung, kein Dogma, welcher Natur sie auch immer sein mögen, sondern die einfache Bereitschaft, „die Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen“, wie Hegel in einer seiner besonders tiefen Ausdrücke, bereits mehrere Male in dieser Arbeit zitiert, zusammenfasste. Dadurch wird es eine rational begründete Antwort auf die Existenzfragen gegeben, die die augenblickliche Trennung des Menschen von der Welt, den Moment der ‘Entzweiung’, verursachten und immer verursachen. 
Der Logos ist daher das populäre  und vernünftige Prinzip der neuen populären und vernünftigen Religion, mit der Hegel den Menschen auf Ebene von Vernunft und Welt wieder in die Natur einfügte und somit die Entzweiung überwand, die sowohl in der Auffassung des institutionellen Christentums (populär, aber nicht vernünftig) als auch bei Kant (vernünftig, aber nicht populär) noch immer vorhandenen war.
Das Religionsprinzip diente Hegel bei seinem allgemeinen Projekt der Begründung einer neuen ethisch-religiösen Lehre dazu, den Begriff der menschlichen Natur zu erfassen und daher die neue natürliche Moraltheorie zu formulieren, die sein ursprüngliches Ideal darstellt.
Untersuchen wir nun, wie es dem schwäbischen Philosophen gelang, nach der Erfassung der neuen Religionslehre davon den Begriff der menschlichen Natur abzuleiten und somit die notwendige Voraussetzung für die Formulierung der neuen natürlichen Ethiklehre zu schaffen.

 

ENDNOTEN

1) Darüber siehe die Einleitung zu der vorliegenden Arbeit.
2) ‘Erster’ und ‘letzter’ natürlich in logischem und nicht in chronologischem Sinn.
3) Von diesem Standpunkt aus gesehen, sicherlich eine mögliche Interpretation des Hegelschen Systems, weil objektiv in diesem begründet ist, würde sich die Wissenschaft der Logik nach der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes einreihen. Es handelt sich um den zweiten Schluß, von Hegel im §575 der Enzyklopädie von 1830 dargelegt (zur Theorie der Schlüsse und daher zu den unterschiedlichen Lesearten des philosophischen Systems von Hegel vgl. die Arbeit von Theodore Geraets Der absolute Geist als Eröffnung des Hegelschen Systems).
4) Die Frage der ‘Letztbegründung’ eines philosophischen Systems und insbesondere des Hegelschen Systems steht seit einigen Jahren im Zentrum der philosophischen Diskussion in Deutschland und stellt gewiss einen der interessantesten und fruchtbarsten Forschungswege dar (s. die Studien von Kuhlmann 1985, die Sammlung von Klein 1994 und schließlich die Arbeiten von Apsalons und Wandschneider 1995).

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