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1995a: DER EINFLUSS VON ROUSSEAU AUF DEN JUNGEN HEGEL

1995a: DER EINFLUSS VON ROUSSEAU AUF DEN JUNGEN HEGEL

 

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1995

(Mai)

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DIE ROLLE DES EINFLUSSES VON J.-J.ROUSSEAU
AUF DIE HERAUSBILDUNG VON HEGELS JUGENDIDEAL

Ein Versuch, die ’dunklen Jahre’ (1789-1792)
der Jugendentwicklung Hegels zu erhellen

 

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Papiertext: ja

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Digitaler Text: hier unten, aber noch nicht vollständig
(Es handelt sich um eine fast vollständige Digitalisierung
des Werkes von 1995.

Eingen wenige Anmerkungen sind noch nicht eingetragen)
 

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Inauguraldissertation
zur Erlangung des akademischen Grades eines Dr. phil.
an der Fakultät für Philosophie, Pädagogik und Publizistik
der Ruhr-Universität-Bochum

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vorgelegt
von
Marco de Angelis

REFERENT: Prof. Dr. Gunter Scholtz
KORREFERENT: PD Dr. Kurt Meist

Tag der mündlichen Prüfung:  17. August 1994

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Danksagung


Vorliegende Arbeit wurde im Juni 1994 von der Fakultät für Philosophie, Pädagogik und Publizistik der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen.

Folgenden Personen und Institutionen, die durch ihre Mithilfe zur Durchführung meines Promotionsvorhabens beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle meine Dankbarkeit aussprechen:

Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Gunter Scholtz, der mir in einer schwierigen Phase meines Promotionsvorhabens begegnete und mich durch fachliche und menschliche Nähe entscheidend unterstützt hat. Dabei ist er für mich gleichzeitig auch Vorbild ’gelebter Philosophie’ gewesen;

Herrn PD Dr. Kurt Rainer Meist, der das Korreferat freundlicherweise übernommen hat,  für seine ausführliche und als Kenner des jun-gen Hegel fachmännisch ausgezeichnete Beratung, die sich  auf die Durchführung der Arbeit sehr positiv ausgewirkt hat;

Herrn Dr. Helmut Schneider vom Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum für die Diskussionsbereitschaft zu mehreren Fragen der For-schung über den jungen Hegel sowie für die Aufnahme der Arbeit in die von ihm be-treute Reihe ’Hegeliana’;

Herrn Dr. Lothar Udert  für seine unterstützende Beratung als Studienberater der Ruhr-Universität;

Der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Tübingen sowie dem dortigen Universitätsarchiv für die Bereitstellung zur Ansicht der Manuskripte der Specimina, der Magisterprogramme, der Akten des Stiftes und der Nachschriften der Vorlesun-gen von Flatt sowie für die Hilfe bei manchen Fragen bezüglich der Katalogisierung derselben;

Dem Präsidenten, Herrn Avv. Gerardo Marotta, und dem Generalsekretär, Herrn Prof. Antonio Gargano, des Istituto Italiano per gli Studi Filosofici in Neapel, für die finanzielle Unterstützung in der Anfangsphase meines  Forschungsaufenthaltes in Deutschland, die die Durchführung des ersten Teils der Arbeit ermöglichte.

Fr. Ursula Boder, die die sprachliche Überarbeitung des Manuskripts mit unermüdlicher Geduld, ausgezeichneter fachlicher Kompetenz und nicht zuletzt anregender philosophischer Kritik freundlicherweise übernommen hat;

Fr. Exner und Fr. Closset vom Hegel-Archiv sowie Fr. Topp vom Dekanat der philosophischen Fakultät für ihre Hilfe bei der bibliographischen Arbeit bzw. bei manchen organisatorischen Fragen;

Meiner Lebensgefährtin Monika Hummel, die mit mir die Höhen und Tiefen während des ganzen Zeitraums der Durchführung der Arbeit unterstützend durchgestanden und ’philosophisch’ miterlebt hat.

Ein besonderer Dank gilt meiner Familie in Neapel, die mir während der Jahre in Deutschland den nötigen Rückhalt gegeben hat.

 

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Des connoissances qui sont à nôtre porté
les unes sont fausses, les autres sont inutiles, 
les autres servent à nourrir l’orgueil de celui qui les a. 
Le petit nombre de celles qui contribuent réellement à nôtre bien-être 
est seul digne des recherches d’un homme sage; 
il ne s’agit point de savoir de ce qui est, 
mais seulement ce qui est utile.

J.-J. Rousseau, G.W.F. Hegel


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Vorbemerkung


Das vorangestellte Motto ist eine Widmung Hegels an den Stiftskameraden Weigelin und ist dem Émile (S. 428) entnommen, wobei Hegel allein die Worte „& par conséquent d’un enfant qu’on veut rendre tel“ (1) hinter äd’un homme sageä ausgelas-sen hat, da Weigelin kein Kind war (2).

Der Satz ist von besonderer Bedeutung, denn er enthält einen Gedanken, der im Den-ken sowohl des jungen Hegel als auch  Rousseaus auftritt: Zweck der Kenntnisse, al-so des Wissens, ist die Weisheit und nicht das Wissen selber, als bloße Quantität von erworbenen Kenntnissen betrachtet. Die Weisheit besteht zwar auch aus Kenntnissen, diese dürfen jedoch nicht Selbstzweck sein, sondern sollen zu unserem Wohle dienen. Das Sich-wohl-fühlen des Menschen ist also der Maßstab für die
Nützlichkeit der Kenntnisse und deshalb für ihren echten Wert.

Philosophie ist in ihrem Wesen Weisheit und nicht Wissen, wie von den Griechen durch die Auswahl des Wortes ’Philosophie’ ein für allemal festgelegt wurde (3), und sie soll vor allem eine Art zu leben und nicht nur zu denken sein, wofür Sokrates das unvergängliche Vorbild geliefert hat. In dieser Hinsicht ist die Übereinstimmung zwi-schen Rousseau und dem jungen Hegel außerordentlich wichtig, denn sie bezieht sich nicht auf einen besonderen Begriff, sondern betrifft die Interpretation der Philosophie und ihrer Aufgabe im allgemeinen und kann deshalb als Grundlage jedes anderen, besonderen Begriffs dienen.

Angesichts der Tatsache, dass die Philosophie in dem Denken des reifen Hegel auf-grund des im Übrigen gerechtfertigten Bestrebens Hegels, sie  als ’Wissenschaft’ dar-zustellen, Gefahr läuft, als Weisheit zu verschwinden, möge diese Studie durch ihr sehr spezielles und begrenztes Thema zur Wiederentdeckung der echten Bedeutung von Hegels reifem System als ’Weisheitslehre’ (4) und nicht nur als ’Wissenschaft’ beitragen.

 

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Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort 

ERSTER TEIL: Rekonstruktion des Inhaltes von Hegels geistiger Entwicklung in den ’dunklen Jahren’ 1789-1792  

Einführung: Die richtige Methode für das Verständnis von Hegels Geistesentwicklung in den Jahren 1789-1792  

- Die für die Rekonstruktion der Jahre 1789-1792 geeignete Methode: die Schichtuntersuchung  
- Die für die Rekonstruktion der Jahre 1785-88 und 1792/93-1794 geeignete Methode: die genetische Methode  
- Einteilung  

Sektion A. Hegels geistige Entwicklung in den Jahren 1785-1788 und 1792/93-1794 

1. Erste Phase: Die Entstehung der Grundfrage nach einer ’Aufklärung des gemeinen Mannes’

(22. April 1785 - 7. Januar 1787; Hauptquelle: Tagebuch)  

1.1 Erstes Stadium: Hegels ursprüngliches, aufklärerisches, moralisches Hauptinteresse  
(22. April - 24. August 1785)  

1.2 Zweites Stadium: Das Verständnis der Geselligkeit als Weg und der Glückseligkeit als Ziel des menschlichen Lebens (24. August 1785 - 15./24. Februar 1786)  

1.3 Drittes Stadium: die Entstehung der Grundfrage nach einer ’Aufklärung des gemeinen Mannes’ (24. Februar 1786 - 7. Januar 1787)

2. Zweite Phase: die Rezeption der Kategorie der Natürlichkeit und derer Anwendung auf das Gebiet der Wissenschaften und Künste  (7. Januar 1787 - 7. August 1788; Hauptquellen: Exzerpte, Aufsätze)  

2.1 Erstes Stadium: die Rezeption der Kategorie der Natürlichkeit als Grundlage einer richtigen Aufklärung (7. Januar 1787 - 16. August 1787; Hauptquelle: Exzerpte)  

2.2 Zweites Stadium: Hegels Anwendung der Kategorie der Natürlichkeit auf das Gebiet  der Wissenschaften und Künste: die Entstehung von seiner früher philosophischer Auffassung der Geschichte und die Gewinnung des Vorbildes des natürlichen Bildungsideals der Griechen
(16. August 1787 - 7. August 1788; Hauptquelle: Aufsätze)  

3. Dritte Phase: Die Entstehung des Programms der Stiftung einer neuen Religion zum Zweck der ’Aufklärung des gemeinen Mannes’ 
(10. Januar 1792 - Winterhalbjahr 1793/94; Hauptquellen: Tübinger und frühe Berner Texte)  

3.0 Hegels Position innerhalb der philosophisch-theologischen Diskussion im Stift  

- Die Tübinger Specimina und die Frage nach der Beförderung der Moral im Anschluss an Kants praktische Philosophie als Hauptfrage in der philosophisch-theologischen Debatte unter den Stiftlern - Die Rezeption von Kants praktischer Philosophie im Stift unter den Professoren und den Repetenten am Beispiel von J.F.Flatt und C.G.Rapp  

- Auswertung der Untersuchung von Flatts und Rapps Schriften und Beurteilung ih-rer Bedeutung als Beitrag zur damaligen philosophisch-theologischen Debatte im Stift, mit besonderer Berücksichtigung ihres Einflusses auf Hegel  

3.1 Erstes Stadium: Hegels Vorhaben der Rettung der Religion als Volksreligion
(10. Januar 1792 - Herbst/Winter 1792/93; Hauptquelle: Text 12)  

3.2 Zweites Stadium: die Festsetzung der Hauptmerkmale der Volksreligion
(Herbst/Winter 1792/93 - Sommer 1793; Hauptquellen: Texte 16; 2., 3. und 4. Predigt)  

3.2.1 Erste Stufe: die Volksreligion als ’Sache des Herzens’
(Herbst/Winter 1792/93; Hauptquelle: Text 16, Bögen a bis g)  

- Hegels Auffassung der Volksreligion als ’Sache des Herzens’  
- Fichtes Offenbarungsschrift als Hintergrund von Hegels Auffassung der Religion als ’Sache des Herzens’  

3.2.2 Zweite Stufe: Der Übergang von der Auffassung der Religion als ’Sache des Herzens’ zu der als ’Vernunftreligion’ (Winter 1792/93 - 1. Mai 1793; Hauptquellen: 2. Und 3. Predigt)  

- Die 2. und 3. Predigt  
- Der Einfluss des ersten Teils von Kants Religionsschrift auf die 2. und 3. Predigt  
- Gesamtrekonstruktion der bisherigen Entwicklung und Vorschläge zur Chronologie  
3.2.3 Dritte Stufe: die Volksreligion als ’Vernunftreligion’
(1. Mai - Sommer 1793; Hauptquellen: 4. Predigt; Text 16, Bögen h bis l)  

- Kants Religionsschrift und die Begründung der Vernunftreligion als der einzig wahren Religion  
- Hegels Rezeption von Kants religionsphilosophischer Auffassung
- Die Volksreligion als Vernunftreligion  

3.3 Drittes Stadium: die Entstehung von Hegels Programm der Stiftung einer neuen Volksreligion 
(Sommer 1793 - Winterhalbjahr 1793/1794; Hauptquellen: Texte 25-26)  

3.3.1 Erste Stufe: die Untauglichkeit der christlichen Religion als Vernunftreligion
(Hauptquelle: Text 25)  

3.3.2 Zweite Stufe:  die Entstehung von Hegels Programm der Stiftung einer neuen Volksreligion als Vernunftreligion (Hauptquelle: Text 26)  

Sektion B. Hegels geistige Entwicklung in den Jahren 1789-1792  

Einführung  

1. Die Kontinuität von Hegels geistiger Entwicklung in der Zeit zwischen 7. August 1788 und 10. Januar 1792  

2. Schichtuntersuchung des Ideals der Stiftung einer neuen Volksreligion   

2.1 Das Ideal der Beförderung einer natürlichen Moralität in den Menschen als Hintergrund und Voraussetzung von Hegels religiösem Ideal  
2.2 Die natürliche Welt- und Menschenauffassung als Hintergrund und Voraussetzung des moralischen Ideals

- Die Gottesauffassung
- Die Naturauffassung  
- Die Menschenauffassung  

2.3 Ergebnis der Schichtuntersuchung  

3. Hegels Anwendung der Kategorie der Natürlichkeit auf das Gebiet der Moral: die Entstehung des Ideals einer natürlichen Moralität als Hauptinhalt seiner geistigen Entwicklung in den ’dunklen Jahren’ 1789-1792  

ZWEITER TEIL: Die Philosophie Rousseaus als Hauptquelle von Hegels frher natrlicher Welt- und Menschenauffassung  

Einführung

1. Hinweise auf den Einfluss von Rousseau auf den jungen Hegel in den Jahren 1789-1792  

1.1 Dokumentarische Hinweise  

- Frühe Tübinger Texte  
- Leutweins Bericht  
- Stammbuchblätter  
- 1. Predigt  
- Rousseau a M. D’Alembert  

1.2 Inhaltliche Hinweise: Vergleich zwischen der Welt- und Menschenauffassung in Rousseaus Émile und Hegels Texten der Jahre 1792/93-94  

1.2.1 Die Welt- und Menschenauffassung in Rousseaus Émile

- Die Gottesauffassung  
- Die Naturauffassung  
- Die Menschenauffassung  

1.2.2 Vergleich mit der  Welt- bzw. Menschenauffassung von Hegels Texten der Jahre 1792/93-94

- Vergleich zwischen Rousseaus und Hegels Gottesauffassungen  
- Vergleich zwischen Rousseaus und Hegels Naturauffassungen  
- Vergleich zwischen Rousseaus und Hegels Menschenauffassungen  

1.2.3 Zusammenfassung dieses Vergleichs  

1.3 Begrifflich-terminologische Hinweise: Ähnliche Textstellen in Rousseaus Émile und Hegels Texten aus den Jahren 1792/93-94

- Textstellen über den Begriff ’Mensch’  
- Textstellen über den Begriff ’negative Erziehung’  
- Textstellen über den Begriff ’natrliche Erziehung’ bzw. ’Erziehung der Natur’  
- Textstellen über den Gang der Natur  
- Textstellen über die Gte des Menschen  
- Textstellen über die Unschuld des Menschen  
- Textstellen über die Begriffe ’natrliche Bedürfnisse’, ’natürliche Neigungen’, ’natürliche Leidenschaften’ und ’wohlgeordnete Sinnlichkeit’  
- Textstellen über die Vernunft  
- Textstellen über die Kenntnisse und deren Nützlichkeit  
- Textstellen über die Weisheit und über die Glückseligkeit  
2. Die Rezeption einer natürlichen Welt- und Menschenauffassung durch Rousseau als Inhalt der geistigen Entwicklung Hegels in den ’dunklen Jahren’ 1789 - 1792  

3. Der Unterschied zwischen den Auffassungen von Rousseau und dem jungen Hegel und die weitere geistige Entwicklung Hegels ab dem Spätsommer/Herbst 1792  

3.1 Der Unterschied zwischen Rousseaus und Hegels Begründung der Moral  
3.2 Die Entstehung dieses Unterschieds  
3.3 Die weitere geistige Entwicklung Hegels ab dem Spätsommer/Herbst 1792 bis 1794  

Schluss: Zusammenfassung der durch diese Studie erzielten neuen Ergebnisse und Ausblick  

1. Der Einfluss von Rousseau auf den jungen Hegel in den ’dunklen Jahren’ 1789-1792 als Hauptergebnis dieser Studie  
2. Einige wichtige Nebenergebnisse dieser Studie
3. Überprüfung dieser Ergebnisse im Hinblick auf die Methode  
4. Ausblick unter dem Gesichtspunkt der Erforschung von Hegels geistiger Entwick-lung in den Jahren 1785-1794
5. Die weitere geistige Entwicklung Hegels ab 1794
6. Die spätere Distanzierung Hegels von Rousseaus Philosophie  
7. Die Wirksamkeit Rousseauschen Denkens in Hegels philosophischem System: Hegels Philosophie als ’Weisheitslehre’  
8. Ausblick unter dem Gesichtspunkt der systematischen Geltung dieser Studie  

Anhang 1: Chronologische Folge von Hegels erhaltenen Manuskripten aus den Jah-ren 1785-1794  

Anhang 2: Übersetzung der Textstellen aus dem Émile

Literaturverzeichnis

A. Hauptquellen und ihre Siglen  
B. Weitere Quellen  
C. Dokumente  
D. Literatur über Hegels geistige Entwicklung bis 1794  
E. Literatur zur Problematik der angewendeten Methode  
F. Literatur ber die Aufklärung im Allgemeinen und insbesondere über die geistige Lage in Stuttgart zu Hegels Schulzeit  
G. Literatur über die damalige theologisch-philosophische Debatte im Stift  
H. Literatur über die Begriffe ’Natur’ und ’Natürlichkeit’  
I. Literatur über den Einfluss der französischen Revolution in Deutschland und insbesondere im Stift 
J. Literatur über Rousseau und seinen Einfluss in Deutschland  
K. Literatur zur Frage der systematischen Geltung dieser Studie  

Personenverzeichnis  

*

Vorwort

Das Thema der vorliegenden Studie ist der Einfluss von Rousseau auf das Denken des jungen Hegel. Die Begründung für die Wahl dieses Arbeitsgebietes liegt in der Zentralität der Philosophie von Rousseau innerhalb der Jugendentwicklung Hegels, wie sie vor allem durch den Bericht Leutweins (1) überliefert worden ist. Dadurch wissen wir, dass Rousseau für den jungen Hegel in den Tübinger Jahren nicht nur ein interessanter Denker, sondern sogar ’sein Held’ war:


„Allein währendd


Man ist nach dieser Aussage von Leutwein also berechtigt, zudem Schluss zu kommen, dass Rousseau der Denker gewesen sein muss, der Hegel bei der Gründung sei-nes Jugendideals am meisten beeinflusst hat.
Trotz seiner Zentralstellung in der Jugendentwicklung Hegels ist Rousseaus Einfluss von der Hegel-Forschung bisher noch nicht gründlich erforscht worden. Zwar befinden sich darüber Abschnitte in mehreren Werken der diesbezüglichen Sekundärlitera-tur (2), die ein klares Bewusstsein der Wichtigkeit dieses Einflusses zeigen. Es fehlt aber eine Studie, die sich hauptsächlich mit diesem Thema beschäftigt, alle diesbe-züglich erhaltenen Dokumente benutzt, Hegels Manuskripte ausschließlich unter die-sem Aspekt neu interpretiert, um schließlich zu der Erkenntnis  der Rolle zu kommen, die Rousseaus Philosophie sowohl in chronologischer als auch in systematischer Hin-sicht bei der Entstehung von Hegels Jugendideal gespielt hat.
In dem Bewusstsein von der Zentralität von Rousseaus Einflussauf den jungen Hegel und gleichzeitig von dem  Mangel an einer hinreichenden Kenntnis von den Umständen dieses Einflusses hat die Internationale Hegel-Vereinigung im Juni 1990 in Poi-tier seine Tagung über das Thema Rousseauismus und Revolution beim jungen Hegel veranstaltet. Der Sammelband (3), der die vorgetragenen Referate enthält, zeigt aber, dass, wenngleich  mit Sicherheit ein weiterer Schritt im Hinblick auf das Verständnis dieses Einflusses gemacht worden ist, die Lücke trotzdem im Wesentlichen noch besteht. Der Grund dafür liegt darin, dass die Referenten genauso wie die oben-genannten Interpreten leider auf eine Erforschung der Jahre 1789-1792 verzichtet haben (4). Allein diese hätte aber in Bezug auf den bisherigen Stand der Forschung einen Schrittweiter führen können, da Leutwein am Anfang seines Berichts es unterstrichen hatte, dass seine Erinnerungen die ersten vier Jahre von Hegels Tübinger Aufenthalt, also von Herbst 1788 bis Sommer 1792 betreffen:


„Allerdings stand Hegel vier Jahre lang während seines Aufenthalts im Stifte mit mir auf so vertrautem Fuße, wie mit keinem andern. Ich war eine Promotion vor ihm. Von seinem fünften akademischen Jahre kann ich folglich nichts mehr sagen.“ (5).


Die Referenten auf der Tagung haben sich leider auf die Erforschung der Fragmente der Jahre 1792/93-94 konzentriert. Diese Fragmente sind aber von Hegel genau ab dem letzten Jahr seines Tübinger Aufenthalts geschrieben worden (6), befinden sich deshalb schon jenseits der Zeitspanne, in die der Einfluss von Rousseau fällt. Den Re-ferenten konnte also nicht gelingen, den Einfluss von Rousseau auf den jungen Hegel  nachzuvollziehen, weil sie nicht vorher eine Untersuchung der Jahre 1789-1792 durchgeführt haben. Ihre Interpretationen bringen daher den einen oder den anderen Aspekt des Einflusses von Rousseau auf den jungen Hegel ans Licht, ohne dass die Rolle dieses Einflusses in Hegels Jugendentwicklung und in der Gründung seiner Weltauffassung und seines Jugendideals sowohl chronologisch als auch systematisch gründlich untersucht wird und ohne dass folglich Leutweins Bericht für uns einen konkreten Inhalt bekommt.
Ursache dafür ist die Methode, die diesen Studien zugrundeliegt, d.h. die Bevorzugung der Suche nach begrifflichen Einklängen gegenüber dem Versuch, die Rousseau-Rezeption des jungen Hegel streng chronologisch zu rekonstruieren. Fulda hat diese Methode sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Was er z.B. gegen die ’Einflussforschung’ und für eine Erforschung der ’Affinitäten’ zwischen Rousseaus Philosophie und dem Denken des jungen Hegel in der Einleitung zum obengenannten Sammelband sowie auch in seinem eigenen Aufsatz schreibt (7), ist nur als der Versuch anzusehen, einen kürzeren Weg bei der Erforschung dieses Themas einzuschlagen und den längeren, aber wissenschaftlicheren Weg der genauen, chronologischen und entwicklungsgeschichtlich fundierten Rekonstruktion von Hegels Rousseau-Rezeption zu vermeiden. Durch diesen methodologischen Ansatz wird aber erreicht, dass es der subjektiven, willkürlichen und an die persönlichen philosophischen Interessendes Interpreten gebundenen Entscheidung überlassen wird, welche die Begriffe sind, die die ’Affinitäten’ bilden, und welche Texte diese belegen sollen. Diesem Ansatz steht gegenüber und wäre vorzuziehen eine objektive, entwicklungsgeschichtlich fundierte und durch alle erhaltenen Dokumente überprüfbare, streng chronologische Rekonstruktion. 
Sicher ist das letzte Ziel, zu einem  philosophischen Verständnis der Frage zu gelan-gen, welche Gedanken der junge Hegel von Rousseau rezipiert hat und welche philo-sophische Geltung diese Gedanken besitzen. Dieses Ziel, eben weil es ein Ziel ist, kann aber nicht schon als Ergebnis am Anfang stehen, sondern braucht einen Weg, der zu ihm führt. Alle Versuche, sich diesen mühsamen, aber notwendigen Weg zu ersparen, führen zu Studien, die auf den ersten Blick interessant scheinen, da sie philosophische Begriffe beinhalten, die aber auf Dauer Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten, weil sie auf keiner festen Basis stehen. Eine solche  Basis kann  nur eine vorausgehende, vorbereitende entwicklungsgeschichtliche Forschung liefern. 
Um den Einfluss von Rousseau auf den jungen Hegel überzeugend darzustellen, ist es also unentbehrlich, zuerst die Gedankenentwicklung Hegels in den Jahren 1789-1792 zu rekonstruieren. Diese Zeit in Hegels Leben ist aber bisher nie erforscht worden, und man kann sich auf keine schon vorhandene Arbeit stützen. 
Auf die mangelnde Kenntnis dieser Jahre der geistigen Jugendentwicklung Hegels und gleichzeitig auf die enorme Bedeutung dieser Zeit für die Herausbildung seiner Philosophie hatte schon1965 Henrich in seinem Aufsatz über Leutwein hingewiesen:


„Hegels Jugendgeschichte ist noch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Für mehrere Jahre seines Studiums in Tübingen besitzen wir von seiner eigenen Hand keine Do-kumente. Denn das erste Manuskript der Schriften, die Nohl herausgegeben hat, ent-stand im letzten Jahr der theologischen Studien (1792/3), während die Überlieferung aus der Stuttgarter Gymnasialzeit, die nicht ganz spärlich ist, mit einem Aufsatz aus der Zeit endet, in der sich Hegel im theologischen Stift gerade einrichtete. Zwischen beiden hat Hegel eine tiefgehende Wandlung erfahren und den Weg begonnen, der ihm eigentümlich ist. Auf ihm ist er zum Philosophen geworden.“ (S. 39)


Fünfundzwanzig  Jahre  später hat  Ripalda in seinem Aufsatz Aufklärung beim jun-gen Hegel (8) diese Auffassung noch einmal betont, indem er die Erforschung dieser Jahre als „immer noch ein Desiderat“ bezeichnet hat:


„Vieles bleibt beim frühen Hegel, vor allem in den dunklen Jahren der großen Ver-änderung zwischen 1789 und 1792, noch zu erforschen; eine Integration der ver-schiedenen Komponenten - Wissenschaft, Poesie, Politik, Philosophie, Theologie - in den historischen Hintergrund und unter einander ist immer noch ein Desiderat.“ (S. 126)


Ripaldas Kennzeichnung dieser Zeit als  die ’dunklen Jahre’ der geistigen Entwick-lung Hegels scheint also den aktuellen Stand unserer diesbezüglichen Kenntnis sehr treffend zusammenzufassen.(9)
Diese mangelhafte Kenntnis der ’dunklen Jahre’ sowie deren Ursache, d.h. die unter den Hegel-Forschern allgemein verbreitete Tendenz, die Erforschung dieser Jahre zu vermeiden,  haben andererseits auch einen Grund: in der Tat fehlen aus diesen Jahren stammende, eigene Schriften Hegels. Die Tübinger Schriften, die wir besitzen, sind die Fragmente über das Ideal der Gründung einer Volksreligion sowie vier Predigten. Die ersteüberlieferte Predigt (Text 8 von GW 1) stammt aber vom 10.Januar 1792, so dass zwischen dem letzten, erhaltenen Aufsatz vom Dezember 1788 (Text 7) und dieser Predigt eine Lücke von 36 Monaten klafft (10). Manuskripte aus den Jahren 1789, 1790 und 1791, abgesehen von wenigen Stammbuchwidmungen  (11),fehlen völlig, und aus dem Jahr 1792 ist mit Sicherheit nur die erste Predigt erhalten, da die Datierung der zweiten Predigt und der Texte 12-16 sowohl in das Jahr 1792 als auch in das Jahr 1793 fallen könnte (12). Was aus diesen Jahren überliefert worden ist, sind nur einige Dokumente wie z.B. Stammbuchwidmungen (eine Auflistung dieser Dokumente befindet sich in dem Paragraphen 1.1 des zweiten Teils vorliegender Studie) (13). 
Gegenüber dem Mangel an Manuskripten aus diesen Jahren kann man zwei Positionen einnehmen:


- entweder kann man der Auffassung sein, dass Hegel in diesen Jahren nichts Wichti-ges geschrieben, mit dem Exzerpieren aufgehört und das Niederschreiben seiner Ge-danken in dem Tagebuch, das offenbar schon im Januar 1787 eingestellt worden war, nicht wieder angefangen hat. Aus dieser Perspektive betrachtet, wären diese Jahre wie eine Pause in seiner Gedankenentwicklung;


- oder man kann auch denken, dass Hegel in diesen Jahren genauso tätig wie in den vorherigen Jahren war, er also exzerpiert und vielleicht auch seine Gedanken in Form von Fragmenten niedergeschrieben hat, diese Schriften aber im Laufe der Zeit aus ir-gendeinem Grund (14) verloren gegangen sind. 


Die Hegel-Forschung hat sich bisher nicht explizit,  aber offensichtlich implizit für die erste Möglichkeit entschieden und auf eine gründliche Erforschung der Jahre 1789-1792 verzichtet. Mir scheint aber die zweite Möglichkeit die wahrscheinlichere, weil es sehr schwer zu glauben ist, dass Hegel, der so fleißig in der Pflege seiner Bildung war und, wie Rosenkranz berichtet, seine Kataloge über die verschiedenen Gebiete des Wissens mit immer neuem, exzerpierten Material präzis und ausführlich füllte, genau in den Jahren des Universitätsstudiums, die ihn am meisten angeregt haben dürften, die schriftliche Pflege seiner Bildung unterbrochen haben sollte. 
Einen endgültigen, dokumentarischen Beweis für die eine oder die andere Auffassung wird wohl niemand geben können, solange sich keine neue, überraschende  Ent-deckung von eigenen, aus dieser Zeit stammenden Schriften Hegels ereignet. Zurzeit scheint es aber keine Spur von einer solchen Entdeckung zu geben. Man muss sich also mit dem erhaltenen Material zufrieden geben und versuchen, auf dieser Basis Hegels Gedankenentwicklung in diesen Jahren zu rekonstruieren. In diesem Zusam-menhang steht aber eins fest: Auch wenn die erste Auffassung die richtige wäre, wenn Hegel also gar nichts Wichtiges in dieser Zeit geschrieben hätte, konnte er den Gang seiner Gedanken wohl nicht unterbrechen. Es ist nicht vorstellbar, dass sein Gedankenfluss, der bis 1788 und dann wieder ab1792/93 so intensiv fortgeschritten ist, in der Zeit von 1789 bis1792 dagegen stagniert hätte. Da nichts Besonderes in seinem Leben in diesen Jahren passiert ist, das eine solche, harte Unterbrechung rechtfertigen könnte, scheint diese Möglichkeit auszuschließen zu sein. Es ist also wohl anzunehmen, dass sich Hegels Gedankengang in den Jahren 1789-1792 genauso fortschreitend wie vorher und nachher entwickelt hat, wenngleich uns die diesbezüglichen Belege fehlen. Die Gründe dafür haben aber mit der äußerlichen Überlieferung von Hegels Nachlass und nicht mit der immanenten Entwicklung sei-nes Denkens zu tun. Aufgabe der Hegel-Forschung ist also, an dieser Zeit nicht vorbeizugehen und sie zu ignorieren, als ob sie im Leben Hegels keine wichtige Rolle gespielt hätte, sondern deren Inhalt mit allen verfügbaren, wissenschaftlichen Mitteln zumindest in seinen Umrissen zu schildern zu versuchen. Allein hierdurch kann auch  zu der Erfüllung des Ziels der Hegel-Forschung beigetragen werden, das Pöggeler bei den Stuttgarter Hegel-Tagen von 1970 als vierte Aufgabe des Hegel-Archivs pro-grammatisch festsetzte, d.h. ein entwicklungsgeschichtliches Hegelverständnis aus-zuarbeiten:


„Zu den Aufgaben der Edition, des Aufbaus eines Archivs, der Koordinierung der Hegel-Forschung kommt eine vierte Aufgabe, der das Hegel-Archiv sich nicht ent-ziehen kann. Wilhelm Dilthey hat von der Kant-Ausgabe gesagt, erst sie mache eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung des Kantischen Denkens möglich; [...] Ob-gleich dieses geschichtliche Verständnis eines Autors nur als eine der möglichen Weisen der Rezeption und Auseinandersetzung gelten darf, ist die Hegeledition in besonders starkem Maße mit der Ausarbeitung eines entwicklungsgeschichtlichen Hegelverständnisses verbunden.“ (14)


Aus den oben angegebenen Gründen scheint mir, dass diese Aufgabe, zumindest  was die in Hegels Jugendentwicklung zentralen Jahre von 1789 bis 1792 angeht, noch nicht erfüllt worden ist. Das ist umso gravierender, als diese Jahre der ’Wendepunkt’ in Hegels Entwicklung von der Rezeption des Wissensseiner Epoche in der Stuttgar-ter Zeit zu dessen origineller Ausarbeitung durch das Ideal einer neuen Volksreligion in den letzten Tübinger und ersten Berner Jahren gewesen sind. Außerdem, wie sich Henrich in der oben zitierten Stelle treffend ausgedrückt hat, ist Hegel genau in diesen Jahren „zum Philosophen geworden“. 
Auf Grund des oben dargestellten Mangels ist also anzunehmen, dass auch die ge-samte Entwicklung von Hegel zumindest bis zur Abfassung der Fragmente der ersten Berner Jahre noch nicht richtig entwicklungsgeschichtlich rekonstruiert werden konnte. 
Auf der Basis der dargestellten Unvollständigkeit in unserem Verständnis der Ju-gendentwicklung Hegels in den ersten vier Tübinger Jahren und demzufolge von Rousseaus Einfluss auf ihn ist diese Studie mit folgendem doppelten Ziel begonnen und durchgeführt worden:


- erstens, Hegels geistige Entwicklung in den Jahren 1789-1792 entwicklungsge-schichtlich zu rekonstruieren;


- zweitens, die Lücke bezüglich des Verständnisses von Rousseaus Einfluss auf Hegel zu beseitigen.


Die Studie gliedert sich dementsprechend in zwei Hauptteile:


- in dem ersten Teil wird versucht, zuerst die geistige Entwicklung von Hegel in den Jahren  1785-88 und 1792/93-94, aus denen Schriften von ihm erhalten sind, entwicklungsgeschichtlich zu rekonstruieren (Sektion A) und dann auf dieser Grundlage den philosophischen Inhalt seiner Geistesentwicklung in den ’dunklen Jahren’ 1789-1792 zu deduzieren (Sektion B);


- in dem zweiten Teil wird dann versucht, auf Grund der dadurch erzielten Ergebnisse darzulegen, welchen Einfluss die Philosophie von Rousseau auf ihn ausgeübt hat. 


Somit wird beabsichtigt, den Bericht von Leutwein durch eine streng entwicklungsgeschichtlich geführte Untersuchung zu überprüfen, um ihn zu verifizieren bzw. zu falsifizieren.

 

 

 

SEKTION A

 

Hegels geistige Entwicklung in den Jahren
1785-88 und 1792/93-94

 

*

 

ERSTE PHASE

Die Entstehung der Frage nach einer

’Aufklärung des gemeinen Mannes’

(22. April 1785 - 7. Januar 1787)

Hauptquelle: Tagebuch

*

Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Grundproblem des gesamten hegelianischen Denkens auch noch danach auftaucht. Dies ist das Problem der Aufklärung des einfachen Mannes, das Hegel auf den letzten Seiten des Tagebuchs, das wahrscheinlich gegen Ende 1786 geschrieben wurde, explizit zum Ausdruck brachte. Hegel kam nicht plötzlich zur Formulierung dieses Problems, sondern durch einen langsamen Reifeprozess, der sich in drei Phasen vollzog.

Einteilung

Affirmation

Im ersten Stadium, das sich vom Beginn seiner intellektuellen Entwicklung (22. April 1785 nach den erhaltenen Unterlagen) bis zum 24. August desselben Jahres erstreckt,(1) wird das grundlegende philosophische Interesse des jungen Denkers umrissen. Es geht eindeutig um die Moral, d.h. um die Lebensweise der Menschen und die Prinzipien, die sie bestimmen. Die Lektüre des Tagebuchs, in dem Hegel seine Gedanken in dieser Phase seiner geistigen Entwicklung festhält,(2) offenbart ohne jeden Schatten eines Zweifels die aufklärerische Prägung seines Denkens in diesen Jahren. Er hält inne, um über die Lebensweise seiner Mitbürger nachzudenken, und kritisiert die Tatsache, dass die meisten von ihnen, selbst die Gelehrten, immer noch abergläubisch sind. Dieser Haltung setzt Hegel eine rationale und ausgewogene Haltung entgegen, die im Einklang mit der aufgeklärten Zeit steht.

Erste Negation

Im zweiten Stadium- vom 24. August 1785 bis zum 15. und 24. Februar 1786 - hält der junge Schüler des Stuttgarter Gymnasiums vor allem inne, um über den Sinn des Lebens, also über den Grundwert der Moral, nachzudenken. Dann dachte er über Themen nach, die dem Leben des einfachen Mannes sehr nahe stehen, wie Glück und Geselligkeit,(3) wie verschiedene Schriften - sowohl Tagebuchseiten als auch Auszüge - dokumentieren, die zu dieser Phase gehören und diese Begriffe direkt oder indirekt betreffen.(4)  Durch diese Überlegungen kommt er zu dem Schluss, dass der Sinn des Lebens für den einfachen Menschen im Glück liegt und dass Geselligkeit, d.h. die Beziehung zu anderen Menschen, der wichtigste Weg ist, dieses Ziel zu erreichen.  

Zweite Negation

Das dritte und letzte Stadium dieser Phase, als Negation der Negation, ist gekennzeichnet durch die Verschmelzung oder Synthese der beiden grundlegenden Konzepte der vorhergehenden Stadien, nämlich des Konzepts der Erleuchtung als Affirmation und des Konzepts des Glücks als Negation zuerst. Diese Synthese nimmt die Form einer Frage an, d.h. die Frage nach der Aufklärung des einfachen Menschen. Wenn nämlich Aufklärung oder, was dasselbe ist, Rationalität die richtige und ausgewogene Einstellung zum Leben ist, und wenn andererseits Glück das oberste Ziel ist, das im Leben erreicht werden soll, stellt sich die Frage, wie diese beiden Faktoren, die beide deshalb unabdingbar sind, miteinander in Einklang gebracht werden können. Das Problem betrifft nicht so sehr den gelehrten Menschen, der ohnehin durch Studien zur Rationalität kommt und darüber hinaus stellen die Gelehrten die Minderheit der Menschheit dar, sondern den einfachen Menschen, also die überwältigende Mehrheit der Menschen.  Diese Frage lässt sich am deutlichsten anhand der folgenden Frage stellen: Wie ist es möglich, den einfachen Menschen aufzuklären und ihn durch seine rationale Haltung zum Glücklichsein zu bringen?

Mit der Formulierung dieser Frage ist die Entwicklung des Hegelschen Denkens in dieser ersten Phase abgeschlossen.  Hegel fühlte sich jedoch noch nicht in der Lage, dieses Problem direkt anzugehen. Auf einer grundlegenden Seite des Tagebuchs stellt er in der Tat fest, dass die Vertiefung und Lösung dieser auch für Gelehrte schwierigen Frage für ihn dann noch schwieriger ist, da er die Geschichte noch nicht aus philosophischer Sicht und in der Tiefe studiert hatte.(5) Deshalb entwickelte der junge Denker von nun an diese Argumentation nicht mit Bezug auf den einfachen Menschen, sondern auf den gelehrten Menschen, d.h. er konzentriert sich auf die Aufklärung durch die Wissenschaften und die Künste. Er fühlte sich auf diesem Gebiet sicherer, nicht nur aus den von ihm selbst angeführten Gründen, sondern auch, weil ihm noch immer die nötige praktische Erfahrung fehlte, um das Leben des gemeinen Menschen zu verstehen. Er hatte bereits Studienerfahrung, so dass er das Gefühl hatte, die Frage auf dieser Ebene angehen zu können, näher an seiner täglichen Tätigkeit und seiner eigenen Persönlichkeit.  

 

Anmerkungen

1) Zu den Gründen für diese Datierung sowie zu den folgenden Datierungen dieser Phase siehe Einfluß, 26 ss. 
2) In Einfluß wurde auch hervorgehoben, wie Hegel in jeder Phase der Entwicklung seines Denkens eine Form der Darstellung gegenüber den anderen privilegierte. In diesem ersten Stadium ist es das Tagebuch, das nicht nur quantitativ, sondern auch und vor allem qualitativ die Essenz seines Denkens enthält.
3) Deutsche Begriffe: "Glückseligkeit" und "Geselligkeit".
4) Eine Liste dieser Schriften findet sich in Einfluß, Anm. 40, S. 43.
5) Vgl. dazu den Hegelschen Text Einfluß, S. 44-45.  

 

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ERSTES STADIUM 
 

HEGELS HAUPT- UND URINTERESSE
FÜR DIE MORALITÄT EINES VOLKES

 

(22. April 1785 - 24. August 1785)
(Hauptquelle: Tagebuch)

 

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In diesem ersten Stadium, das von den dokumentierten Anfängen seiner intellektuellen Entwicklung (22. April 1785) bis zum 24. August des gleichen Jahres reicht,([4]) zeichnet sich das grundlegende philosophische Interesse des jungen Denkers ab. Es gilt eindeutig der Moral, d.h. der Lebensweise der Menschen und ihren Prinzipien.

Von den anderen beiden, durch das Tagebuch belegten Interessen des jungen Hegel, dem Interesse für Sprachen und insbesondere für die griechische und lateinische Sprache und dem Interesse für die ‘pragmatische Geschichte’, kann weder das eine noch das andere als sein ‘Hauptinteresse’[1] betrachtet werden: das erste, weil es mehr die Form als den Inhalt von Hegels ursprünglichem, geistigem Interesse betrifft und erst mit der Herausbildung des Begriffs der Natürlichkeit der Sprache der Alten in den Aufsätzen der Jahre 1787-1788 einen ersten, eigentlich philosophischen Status erhält; das zweite, weil es dem moralischen Hauptinteresse für die Lebensweise der  Menschen untergeordnet ist, da das Studium der Geschichte für Hegel kein Selbstzweck war, sondern dem Verständnis des Lebens der Menschen diente, was sich unter anderem aus dem Tagebucheintrag vom 01.07.1785 und insbesondere aus der sehr wichtigen Textpartie über die Aufklärung schließen läßt (s. das dritte Stadium dieser Phase).

Deshalb scheint es mir begründet zu sein, Hegels ursprüngliches Hauptinteresse als ‘moralisch’ zu bezeichnen. Darunter ist alles zu verstehen, was sich auf das geistige Leben des Menschen, auf dessen Denkweise und auf die bei den einzelnen Individuen mehr oder weniger bewusst daraus resultierende Lebensweise bezieht.  In dem Exzerpt Philosophie. Allgemeine Übersicht vom 09.-10.08.1787,  befindet sich eine Definition der praktischen Philosophie, die als begriffliche Umgrenzung dieser moralischen Grundeinstellung Hegels dienen kann:[2]

„II. Die practische Philosophie begreift überhaupt Alles, was sich auf die äussere und innere Glückseligkeit des Menschen bezieht. [...] Die moralische Theorie des Menschen setzt alle die allgemeinen Grundsätze fest, welche in allen Theilen der practischen Weltweisheit aus der moralischen Betrachtung des Menschen müssen vorausgesetzt werden; das allgemeine Gesetz der Natur und die allgemeine Verbindlichkeit der Menschen dazu; die wahren Begriffe von Tugend und Laster, von Glückseligkeit und Unglückseligkeit, von natürlichen Belohnungen und Strafen, von Schuld und Unschuld.“ (GW 3, S. 117)

Diese Definition ist sehr  geeignet, Hegels damalige moralische Weltanschauung auszudrücken, da in ihr viele Begriffe (Glückseligkeit und Unglückseligkeit, Tugend und Laster usw.) vorhanden sind, die in den moralischen Überlegungen des jungen Hegel, insbesondere in diesen ersten Jahren, oft vorkommen. Die Begriffe ‘praktische Philosophie’, ‘moralische Theorie’ bzw. ‘Betrachtung des Menschen’, ‘moralische Weltanschauung’, ‘praktische Weltweisheit’ usw. geben genau die Denkeinstellung Hegels in den Stuttgarter Jahren wieder. Diese wird aber die Grundlage auch seines späteren Philosophierens bleiben.

Es scheint mir deshalb richtig, das Wort  ‘Moral’ mit seinen abgeleiteten Wörtern ‘moralisch’, ‘Moralität’ usw. für diese ersten Schritte im Denken Hegels als ganz einfache und allgemeine Bezeichnung der Dimension des menschlichen Verhaltens bzw. Handelns zu benutzen; komplexere Bedeutungen des Wortes, wie z.B. der berühmte Unterschied zwischen ‘Moralität’ und ‘Sittlichkeit’ aus Hegels späterem philosophischen System, sind hier nicht relevant. Auf diesem Wege kann man unmittelbar auf dem Niveau des Denkens des jungen Hegel bleiben, das im Grunde genommen insbesondere in der Stuttgarter Zeit keinen tieferen und differenzierteren Begriff der Moral als diesen besaß.

Da dieses moralische Interesse nicht nur den Anfang, sondern auch die spätere Entwicklung Hegels prägte, wie in der vorliegenden Studie in Bezug auf die Zeit von 1785 bis 1794 gezeigt wird, ist es nicht nur als ursprüngliches Interesse, sondern auch als Hauptinteresse seines Philosophierens zumindest bis zum Anfang der Berner Jahre zu betrachten.

Eine Kennzeichnung von Hegels Hauptinteresse als ‘moralisch’ ist schon von Peperzak (1960) vorgeschlagen worden. Er trifft ins Richtige, wenn er die philosophische Haupteinstellung des jungen Hegel als ‘la vision moral du monde’ bezeichnet. Hegel war wirklich auf der Suche nach einer neuen Moral, und deswegen ist diese Interpretation im Grunde genommen richtig. Sie ist jedoch aus zwei Gründen einseitig:

- erstens, weil Peperzak mit dieser Bezeichnung die dualistische Weltanschauung … la Kant meint, die Hegel dann in der Phänomenologie ausführlich behandelt hat (S. XIV-XV). Hegels Texten  liegt aber eine einheitliche, monistische Moralauffassung zugrunde;

- zweitens, weil sie sich den religiösen bzw. politischen Interpretationen entgegenstellt (S. XIII), ohne sie in sich aufzunehmen bzw., mit der Sprache der Wissenschaft der Logik,  aufzuheben und dadurch zu einem vollständigen Bild des jungen Hegel zu kommen.

Die Tagebucheinträge, in denen Hegel am deutlichsten sein Hauptinteresse ausgedrückt hat, sind folgende:

- 01.07.1785:[3] dieser Eintrag zeigt sehr deutlich, wie Hegel sich für die Geschichte interessierte, weil er dadurch das Leben der Menschen glaubte besser verstehen zu können:

„Eine pragmatische Geschichte ist glaub ich, wenn man nicht bloß Facta erzählt, sondern auch den Carakter eines berümten Mannes, einer ganzen Nation, ihre Sitten, Gebräuche, Religion [...]“.

- 08.07.1785:[4] Hegel denkt über den Charakter der Geschlechter nach und führt einige Verse von Horaz zum Verständnis des Charakters des weiblichen Geschlechts (aber auch zum Teil des männlichen Geschlechts) an.[5] Die wörtliche Wiederholung des Begriffs ‘Charakter’ sowie entsprechende Umschreibungen in diesen zwei Einträgen) scheinen sehr interessant zu sein, da sie zeigen, dass Hegels Aufmerksamkeit sehr gezielt auf das Verständnis des Charakters des Menschen gerichtet war.[6]

- 9/10/11.07.1785:[7] in diesen Einträgen übt Hegel Kritik am Aberglauben seiner Mitbürger. Anlaß ist der Volksglaube an „das sogenannte Muthes Heer“  gewesen.[8] Der Eintrag vom 09.07.1785 ist besonders wichtig, da Hegel hier zum ersten Mal im Rahmen seiner Überlegungen über den menschlichen Charakter die Begriffe ‚Aberglaube’ und ‚Aufklärung’ benutzt. Sehr deutlich kann man diesem Eintrag entnehmen, dass Hegel die Welt zur damaligen Zeit  von einem überzeugt aufklärerischen Standpunkt aus betrachtete und infolgedessen kritisch gegenüber jeder Äußerung von Aberglauben war. Insbesondere kritisiert er, dass es unter den Leuten, die meinten, ‚das Muthes Heer’ gesehen zu haben,

„[...] sogar Leute, von denen man mehr Aufklärung erwartet, und die in öffentlichen Ämtern stehen“

gab.[9] Diese Bemerkung zeigt, dass Hegels Kritik der Denk- bzw. der Lebensweise der Menschen seiner Umgebung gegen diejenigen gerichtet war, die nicht mit den aufgeklärten Zeiten Schritt hielten (GW 1, S. 9,9: „O tempora! O mores! geschehen Anno 1785. O! O!“). Seine Kritik war also nicht gegen eine bestimmte Schicht der Gesellschaft gerichtet, war also nicht klassengebunden, wenngleich es selbstverständlich ist, dass er für besonders skandalös hielt, dass die oberste, regierende Schicht noch abergläubisch war und nichts von der neuen, aufklärerischen Weltanschauung aufgenommen hatte.

- 30.07.1785:[10] sogar eine alte Ausgabe von Cicero ist für Hegel Anlass, über die Gefühle und die Einsichten der Menschen nachzudenken, die mit dieser Ausgabe in irgendeiner Form beschäftigt waren und von der Nachwelt vergessen worden sind. Auch in diesen anscheinend wenig bedeutenden Betrachtungen zeigt sich Hegels Sensibilität für das innere Leben des Menschen und für die menschlichen Schicksale.[11]

- 22/23/24.08.1785:[12] in diesen  Tagen beginnt Hegel eine Untersuchung über das Thema:

„Was denn eigentlich die schlimmste Geistesverwirrung sei, die über die Menschen -einzelne wie Gemeinschaften-, über Städte und Felder, über Staaten und Reiche das meiste Unheil gebracht hat“.[13]

Dass es sich um das Vorhaben eines richtigen, wenngleich selbstverständlich noch naiven Programms handelt, ergibt sich aus der Ausdrucksweise Hegels in dem folgenden Satz desselben Eintrags:

„Wir wollen also sehen, was Ruhmsucht, Goldgier, Hochmut, Neid, Verzweiflung, Haß, Zorn und Rachgier angerichtet haben“.

Dass Hegel sich hier hauptsächlich mit dem Verständnis der menschlichen Seele bzw. des menschlichen Charakters beschäftigt, scheint  mir unbezweifelbar. Somit wird die in dieser Arbeit bisher verfolgte Interpretation, dass Hegels ursprüngliches Interesse dem Verständnis des moralischen Lebens des Menschen galt, weiter unterstützt. Interessant ist es hier insbesondere, dass er dieses ‚Programm’ sowohl in Bezug auf den einzelnen Menschen, also moralisch, als auch in Bezug auf die ‘Gemeinschaften’, also gesellschaftlich bzw. politisch, versteht.

Es zeigt sich, wie für Hegel schon in diesem ersten Stadium seiner Geistesentwicklung der moralische  und der gesellschaftlich-politische Gesichtspunkt eine Einheit bilden, die ihren Kern in dem Verständnis des Menschen und seines Charakters hat.

- 22./23.12.1785:[14] nach einer langen Krankheit nimmt Hegel die Durchführung seines Programms am 22.12.1785 wieder auf:

„Schon lange bevor ich von der schweren Krankheit befallen wurde, habe ich nach dem Maß meiner Begabung zu erklären begonnen, was an Bösem und Gutem aus den Leidenschaften der Seele folgt“.[15]

Am 22.12. schrieb er, dass  er „wie es im Hinblick auf die Ehre [...] steht“ schon dargelegt habe, und den Eintrag vom 23.12. beginnt er dann mit den Worten: „Wir wollen nun fortgehen zu der Gier nach Gold und Reichtum“. Dies bestätigt, dass es sich dabei um die Fortsetzung der am 22.08.85 begonnenen, ethisch-gesellschaftlich gerichteten Überlegungen handelt. Der ähnliche Anfang des Eintrags vom 11.02.1786: „Wir wollen zu diesem unserem alten Unternehmen zur Verbesserung des Stils, das für einen längeren Zeitraum unterbrochen war, zurückkehren [...]“ ist zweifelsohne ein weiterer Beweis der Kontinuität in der geistigen Entwicklung Hegels wenigstens in Bezug auf seine gründlichen Interessen für die Moral, für die Altsprachen und für die pragmatische Geschichte. Hegel ging also sehr systematisch in der Verfolgung seines Hauptinteresses für das Verständnis der menschlichen Seele vor.

Auf der Basis der oben aufgeführten Tagebucheinträge ist es jetzt möglich, Hegels ursprüngliches, moralisches Hauptinteresse genauer zu bezeichnen.

In erster Linie war Hegels Nachdenken auf das Verständnis des menschlichen Charakters, der menschlichen Seele konzentriert. Er wollte verstehen, welche Gründe es sind, die den Menschen in der einen oder  anderen Weise zum Handeln bewegen. Ein gutes Beispiel dafür sind seine Überlegungen zu Glaube und Aberglaube und zu der Frage, wieso diese geistigen Lebenseinstellungen auch Menschen, die vernünftig sein sollten, oft zu unvernünftigen Gedanken und Handlungen bestimmen. Hegels moralisches Interesse für den Menschen hatte also in erster Linie eine psychologische Komponente, d.h.  es zielte auf das Verständnis des menschlichen Geistes.

In zweiter Linie wollte er einen aufgeklärten Begriff des Menschen erarbeiten, der als Vorbild für seine Selbsterziehung gelten konnte. Es ist sehr beeindruckend, wie Hegel sich im Tagebuch mit der eigenen Seele beschäftigt und bei der Lektüre von griechischen und lateinischen Klassikern, bei Gesprächen mit seinen Lehrern und bei der Beobachtung der Lebensweise der anderen Menschen immer auf der Suche nach dem richtigen Lebensweg für sich selber ist. Sein moralisches Interesse war also gleichzeitig ein pädagogisches Interesse, wobei diesbezüglich zu präzisieren ist, dass er in diesen früheren Jahren vor allem sich selbst zu einer ausgeglichenen Moralität erziehen wollte. Er war also sein eigener Schüler.

In dritter Linie waren Hegels Überlegungen auch gesellschaftlich-politisch gerichtet.[16] Die Suche nach einer eigenen ausgeglichenen, aufgeklärten Moral verband sich mit seiner Kritik der Gegenwart, die seiner Ansicht nach über keine richtige moralische Theorie verfügte. Hegels Vorhaben, für sich eine solche Moral herauszufinden, war also mit dem Gedanken verbunden, dass diese neue Moral auch für andere Menschen, also für die Gesellschaft Gültigkeit haben müsse. Das moralisch-pädagogische Interesse hatte also gleichzeitig eine sozial-politische Geltung.

Das Verständnis der menschlichen Seele, die Selbsterziehung zu einem aufgeklärten, ausgeglichenen, moralischen Verhalten, die Umwandlung dieses moralischen Verhaltens in ein gesellschaftlich-politisches Ideal sind also die drei Hauptmerkmale von Hegels ursprünglichem Hauptinteresse.

Unter diesen drei Dimensionen gibt es präzise, logische Verhältnisse: die psychologische Dimension ist die Voraussetzung für die anderen Dimensionen, weil es ohne Kenntnis der menschlichen Seele nicht möglich ist, eine moralische Theorie zu erarbeiten; die moralisch-pädagogische Dimension ist ihrerseits die Voraussetzung für die  sozial-politische Dimension, weil man kein ‘Volkserzieher’ sein kann, wenn man nicht fähig ist, sich selbst moralisch zu erziehen.

Die moralisch-pädagogische Dimension scheint also die zentrale Stelle in Hegels Hauptinteresse zu besetzen und deswegen die wichtigste Rolle als sein Hauptziel zu spielen. Auf sie bezogen, scheinen die psychologische Dimension ihre notwendige Voraussetzung und die sozial-politische Dimension ihre logische Folge zu sein. Hegels  Hauptziel und Hauptinteresse waren schließlich weder bloß psychologisch noch rein sozial-politisch, sondern hauptsächlich moralisch-pädagogisch: er wollte für sich selbst eine ausgeglichene, aufgeklärte Lebensweise herausbilden, und das konnte er nur  durch  Selbsterziehung erreichen, da er von seiner Umwelt kein für ihn passendes moralisches Vorbild bekommen konnte.

 

Anmerkungen

 

 

[1] Hinsichtlich des  Wortes ‚Hauptinteresse’ ist zu präzisieren:

- in Bezug auf die frühe Stuttgarter Zeit (bis ca. Ende 1786) geht es mehr um He­gels ‚Haupt­interesse’, da in die­sem ersten Stadium seiner geistigen Ent­wick­lung noch kein festes Motiv bzw. Anliegen in seinen Überlegungen fest­zustellen ist, sondern er fühlt sich von Wis­sen ins­gesamt angezogen. Dabei zeigt er aber schon eine deutliche Neigung zu bestimmten Wis­sens­be­reichen bzw. Fragen, die des­halb als sein ‚Hauptinteresse’ zu bezeichnen sind.

- In Bezug auf die Zeit ab ca. Ende 1786/Anfang 1787 und dann noch mehr auf die Tübinger bzw. frühe Ber­ner Zeit ist es dage­gen schon mög­lich, von ‚Hauptan­liegen’ zu spre­chen, da Hegel in­nerhalb seines Haupt­inter­esses inzwischen schon zu einer be­stimmten Frage­stellung gekommen ist, de­ren Lösung das Wesen seines Jugendideals aus macht und als sein damali­ges Hauptan­liegen zu bezeichnen ist.

[2] GW 3, S. 115 ff.

[3] GW 1, S. 5

[4] GW 1, S. 8

[5] Vgl. GW 1, S. 532, Anmerkung zu 8,19-21.

[6] Im Eintrag vom 15.07.1785  ist es dies­mal der Charakter von So­kra­tes, der die Aufmerksamkeit des jungen Hegel weckt: „Ich ging mit Herrn Prof. Cleß spazieren. Wir la­sen in Mendels­sohns-Phädon nur so gleich­sam die Vorbe­rei­tung oder Einleitung nem­lich den Carakter des Sokrates“ (GW 1, S.10,11-13; s. dazu die diesbe­züg­liche An­mer­kung auf S. 533).

[7] GW 1, S. 8

[8] Siehe darüber GW 1, S. 532, Anmerkung zu 8,24.

[9] GW 1, S. 8,26-27

[10] GW 1, S. 13; die deutsche Über­set­zung befindet sich in Nicolin, 1970, S.91.

[11] Siehe GW 1, S. 537, Anmerkung 13,19-20.

[12] GW 1, S. 16-17; für die deutsche Über­setzung s. Nico­lin, 1970, S.94-95.

[13] Nicolin, 1970, S. 94

[14] GW 1, S. 20

[15] Nicolin, 1970, S. 98

[16] Dieser Aspekt von der philosophischen Persönlichkeit des jungen Hegel ist vor allem in den Studien von Lukács (1948) und Busche (1985) vertieft worden.

 

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ZWEITES STADIUM

Das Verständnis von Geselligkeit als Mittel
und Glück als Ziel des menschlichen Lebens

 

Zeitraum: 24. August 1785 - 15./24. Februar 1786

Hauptquellen: Exzerpte, Tagebuch
 

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Der nächste Schritt, den der junge Hegel in seiner Suche nach einer ausgeglichenen, aufgeklärten Lebensweise machte, war die Bestimmung des Hauptwerts dieser Moral. Er versuchte zu verstehen, was für das menschliche Leben entscheidend ist, welche Gründe im Leben des Menschen die  Hauptrolle spielen. Eine Antwort zu dieser wichtigen Frage hat er in den Tagen vom 15. bis 24.02.1786 gefunden. Seine Überlegungen schrieb er in den folgenden Einträgen seines Tagebuchs nieder:

 

- 15/16./18./24.02.1786:[1] in diesen Tagen bereitete sich Hegel für die ‘Übungen zur Beförderung der Eloquenz’ vor, die im Sommer stattfanden.[2] Als Gegenstand, worüber er sprechen wollte, wählte er selbstverständlich ein Thema, das sehr nahe an seinem moralischen Hauptinteresse lag, und zwar ‘der gesellige Umgang’. Dieser besteht seiner Meinung nach darin,

 

„daß man häufig zusammenkommt, sich gegenseitig bespricht, spazierengeht und Wege unternimmt, um an einem gewissen gemeinsamen Plan teilzunehmen; am vorzüglichsten ist ja das Vergnügen, sich über Dinge und Geschäfte zu beraten und dieselben durchzuführen“.[3]

 

Der Grund für die Wahl dieses Themas wird von ihm damit erklärt, dass es folgenden Anforderungen entspricht:

 

  • es gehört zu einem „Nachbarbereich des Studiums“;
  • es ist „nicht zu weit von unserem Lebensalter und unseren Sitten“ entfernt

und

  • schließlich handelt es sich um „keinen ganz geschichtlichen Stoff, bei dem kein Platz für die eigene Überlegung übrig bliebe“.[4]

In diesem Projekt sind Hegels moralisches Hauptinteresse und sein weiteres Interesse für den Stil des korrekten Schreibens und Redens wunderbar vereinigt. Das erste gibt den Inhalt, das zweite die Form für das Projekt seiner Rede, die als eine erste Zusammenfassung der Ergebnisse seiner bisherigen Überlegungen gelten kann.

 

Die Hauptidee dieses Projektes ist, daß der Umgang mit Menschen, „wenn er richtig und mit den rechten [Menschen] geschieht“,[5] sehr nützlich für den Menschen und die Bildung seines Geistes sein kann.

Hegel behandelt hier zwei Formen des geselligen Umgangs: den Umgang mit älteren Menschen:

 

Zunächst wollen wir sprechen über die Vorteile des Umgangs mit älteren Menschen“ (Nicolin, 1970, S. 101),[6]

 

und mit den Frauen:

 

Ich komme nun zum Umgang mit dem schwachen Geschlecht“ (Nicolin, 1970, S. 102).[7]
 

Besonders nützlich scheint ihm der Umgang mit älteren Menschen, da die Jugendlichen  dadurch Menschenkenntnis erhalten können.[8] Die Begleitung von älteren Männern hat er selbst gesucht, um von ihren Kenntnissen und insbesondere ihrer Menschenkenntnis zu profitieren, wie es durch verschiedene Tagebucheinträge belegt wird, in denen er über den kulturellen Inhalt seiner Gespräche auf Spaziergängen mit seinem Lehrer Cleß oder mit dem verstorbenen verehrten Lehrer Löffler berichtet (s. unter anderen insbesondere die Einträge vom 4.07./6.07./7.07. /15.07./21.07./22.07.1785).

 

Das ist ein weiteres Zeichen, dass die Betrachtungen, die er in seinem Tagebuch eingetragen hat, nicht nur einen objektiven Wert als langsame Schritte zu seinem Verständnis der Welt und der Menschen, sondern auch einen subjektiven Wert, als langsame Schritte zu seinem Verständnis von sich selbst und zu seiner Herausbildung eines Menschenideals haben, nach dem er sich wie nach einem Vorbild richten und nach dem er den eigenen Charakter bilden wollte.

 

In Bezug auf den Umgang mit den Frauen schreibt der begabte Schüler:

 

Wer nämlich unter den Menschen, die jetzt den Erdball bevölkern, glücklich zu sein wünscht - und das wird gewiß jeder von euch wollen und will es [schon jetzt], der muß, so möchte ich sagen, die Schlacken wegwerfen, und das kann nirgendwo besser und gründlicher geschehen als in Gesellschaft der Frauen. Sie haben nämlich das Monopol von Ruhm und Schande“.[9]

 

Beide Formen  des geselligen Umgangs können also  nach Hegel sehr nützlich für den kultivierten jungen Menschen sein, und das klingt wohl wie eine ethische Aufforderung zur Überwindung der Einsamkeit und zur Suche nach einem befriedigenden menschlichen Zusammensein.

 

Nachdem er geschrieben hatte, dass die Geselligkeit „[...] uns von der Natur auferlegt ist [...]“, schrieb Hegel darüber in dem Eintrag vom 18.02.1786:

 

„[...] mag auch von vielen, ja von den Erfahrensten die Einsamkeit gelobt werden, [...], so wirst du doch nur wenige anführen können, die sich immer dieser Absonderung von den Menschen erfreuen; denn so oft sie sich, von der geistigen Arbeit ziemlich erschöpft, erholen wollen, haben sie -[...]- die Gesellschaft von Menschen gesucht, freilich der richtigen und gleichgearteten. [...]. Die Einsamkeit hat ihre Zeit, ihr Maß und ihr Ziel, und auch die Gemeinsamkeit hat das ihre“.[10]

 

Es fällt schwer, dabei nicht an die Philosophie des objektiven Geistes und insbesondere an deren Sektion die Sittlichkeit zu denken, in der Hegel das Leben für die Familie, für die Gesellschaft (die gemeinsame Arbeit) und für den Staat, also das ‘gesellige’ Leben, als die vollständigste Form der Verwirklichung des menschlichen Geistes, seiner Freiheit und Glückseligkeit, bezeichnet.[11]

 

In den Paragraphen 478 ff., die noch zur Philosophie des subjektiven Geistes gehören, erklärt Hegel zuerst, wie die Glückseligkeit  in ihrer tiefsten Bedeutung die Freiheit sei (480), und dann, wie die Verwirklichung der Freiheit des Geistes, die das Wesen desselben ist, in dem objektiven Geist erfolgt (482). Dieser besteht in seiner höchsten Form in der Sittlichkeit,[12] die ihrerseits ihren Ausdruck in den zwischenmenschlichen Institutionen Familie und Staat findet. Diese sind auf der gegenseitigen Anerkennung des Selbstbewusstseins (‘das allgemeine Selbstbewusst-sein’) gegründet (§ 436).[13]

 

Es ist bemerkenswert, wie die Grundbegriffe dieses zentralen Teils von Hegels System an seine ersten Überlegungen des Tagebuchs wunderbar anknüpfen:

 

  • der Begriff der ‘Glückseligkeit’, die der reife Hegel als ‘Freiheit’ versteht;
  • der Begriff des ‘Charakters’ des Menschen, der von ihm in  enge Beziehung zu dem der Freiheit gestellt wird;[14]
  • schließlich der Begriff der ‘Geselligkeit’, der nicht ausdrücklich genannt wird, aber zweifellos mit dem Begriff des ‘allgemeinen Selbstbewusstseins’ und den darauf gegründeten intersubjektiven Institutionen des ethischen bzw. sittlichen Lebens des Menschen zusammenfällt:[15

    Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst, [...]. Dies allgemeine    Widererscheinen des Selbstbewußtseins [...] ist die Form des Bewußtseins der Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit, der Familie, des  Vaterlandes, des Staats, sowie aller Tugenden, der Liebe, der Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, des Ruhms.“
    (§ 436).

 

Die oben dargestellte Parallelität zwischen der Sittlichkeit als zentralem Teil im System Hegels und der Geselligkeit als einem der Grundbegriffe dieser frühen Jahre zeigt, wie die bisher den Tagebucheinträgen entnommenen Begriffe (der menschliche Charakter, die Glückseligkeit, die menschlichen Tugenden und Werte, die Geselligkeit usw.) ihre zentrale Rolle im geistigen Leben Hegels im Laufe der Zeit behalten haben, und bestätigt deshalb auch die Richtigkeit der bisher vorgenommenen Interpretation des moralischen Interesses Hegels als seines Hauptinteresses.

 

Es scheint deshalb nicht falsch, den Tagebucheinträgen vom Februar 1786 auf Grund ihrer Grundbegriffe  ‘Geselligkeit’ und ‘Glückseligkeit’ eine ähnlich zentrale Stelle in der frühen Gedankenentwicklung Hegels zuzuschreiben, wie sie die Begriffe ‘Sittlichkeit’ und ‘Freiheit’ im späteren System haben.

 

Dieser Schluss wird durch den logischen Zusammenhang zwischen den Grundbegriffen der Tagebucheinträge der Jahre 1785-1786 entscheidend gestützt. Dieser besteht darin, dass Hegel sein ursprüngliches Interesse für das Verständnis des Menschen und dessen Charakter nun auf die Begriffe der Geselligkeit und überhaupt der zwischenmenschlichen Beziehungen sowie der ‘Glückseligkeit’ richtete.

In dieser Beziehung ist der von ihm herstellte Zusammenhang zwischen Glückseligkeit und Geselligkeit sehr wichtig: aus den Tagebucheinträgen vom 18.02. und vom 24.02.1786 ist  zu schließen, dass für ihn die Geselligkeit eine Voraussetzung für die Glückseligkeit ist und dass durch die Einsamkeit keine Glückseligkeit zu erreichen ist.

 

Die Verbindung zwischen Geselligkeit und Glückseligkeit kann mit Sicherheit als Hegels damaliger Hauptgedanke in Bezug auf sein moralisches Hauptinteresse betrachtet werden.

Geselligkeit und Glückseligkeit werden deshalb für ihn bei der Suche nach einer für ihn selbst richtigen und aufgeklärten Lebensweise ab diesem Zeitpunkt richtungweisend.

Die Glückseligkeit ist das Ziel des moralischen Lebens des Menschen, die Geselligkeit der Weg, wodurch der Mensch zu jenem Ziel gelangen kann.

Beide zusammen sind der Sinn des moralischen Verhaltens bzw. des menschlichen Lebens.

 

Um diesen grundlegenden Gedanken zu erfassen, musste Hegel tief und systematisch überlegt haben, und durch dieses tiefe und systematische Nachdenken konnte er zum ersten Mal in seiner Gedankenentwicklung nicht nur die schon angegebenen hauptsächlich moralischen Begriffe, sondern noch mindestens zwei allgemeingültige Grundbegriffe erfassen, die dann sein künftiges Denken möglicherweise bis in die Entstehung und Bildung seines Systems hinein bestimmt haben.

Es handelt sich um folgende Begriffe:

 

- die ‘Nützlichkeit’ bzw. der ‘Nutzen’ sowie der ‘Vorteil’ der ‘Kenntnisse’ in dem Leben des Menschen) und darunter insbesondere der ‘Menschenkenntnisse’ (Eintrag vom 24.01.1786: „Hinzu kommt... Menschenkenntnis“);[16]

- die Natur als diejenige, die dem Menschen das Bedürfnis des geselligen Umgangs eingepflanzt hat (Eintrag vom 15.02.1786: „Zuerst will ich dann sprechen...“ und vom 18.02.1786: „Daß diese uns von der Natur...“).

 

Das erste Auftauchen dieser allgemeingültigen  Begriffe sowie der sich um das Begriffspaar Geselligkeit-Glückseligkeit gruppierenden moralischen Begriffe, die dann auch in der späteren Entwicklung Hegels eine entscheidende Rolle gespielt haben, ist als ein weiterer Beweis der Kontinuität seiner geistigen Entwicklung sowie der Bedeutung dieser Monate am Anfang des Jahres 1786 für die Bildung seiner entstehenden Moralauffassung anzusehen.


[1]) GW 1, S. 22 ff.

[2]) Siehe hierzu die Anmerkung der Redaktion bei 22,2 in GW 1, S. 542.

[3]) Der deutsche Text findet sich in Nicolin, 1970, S. 101; das lateinische Original in GW 1, S. 22-23.

[4]) Die Zitate stammen aus der Anmerkung vom 15.02.1991 (Nicolin, 1970, S. 100; der lateinische Text ist in GW 1, S. 22).

[5]) Nicolin, 1970, S. 100; GW 1, S. 22

[6]) Nicolin, 1970, S. 101: Zunächst wollen wir sprechen über die Vorteile des Umgangs mit älteren Menschen sprechen [...]“.

[7]) Nicolin, 1970, S. 102: „Ich komme nun zu dem Umgang mit dem schwa­chen Geschlecht.

[8]) Nicolin, 1970, S. 102: „Zuerst also und vornehmlich ergibt sich ein über­reicher Vor­teil aus dem Umgang mit äl­teren Men­schen, weil sie sich viele Kennt­nisse von vielen Dingen erwarben. Hinzu kommt vor al­lem eine Kenntnis, die kei­nem sonst zuteil wird [...]: das ist die Menschenkennt­nis.“

[9]) Nicolin, 1970, pS. 102-103; GW 1, S. 24. Die diesbezüglichen Anmerkungen zu 24,4-6 und 24,13-14 auf Seite 542 zeigen sehr deutlich, wie diese Gedanken Hegels durch das Buch Theophron von Campe entscheidend beeinflusst wurden.

[10]) Nicolin, 1970, S. 101; Die Anmerkung vom 23.11.12 in GW 1 gibt genaue Angaben über die diesbezügliche Quelle dieses Gedanken Hegels, nämlich die Rezension von ‚Über die Einsamkeit‘ von J.G. Zimmermann in ‚Allgemeine Deutsche Bibliothek‘ (vgl. Ripalda, 1990, S. 117).  

[11]) Siehe insbesondere folgende Paragraphen der ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse‘ (1830): §§ 478-490 über das Glück; §§ 481-482: §§ über den freien Geist; §§ 513 ff.: über die Sittlichkeit.

[12]) Siehe § 513: "Die Sittlichkeit ist die Vollendung des objektiven Geistes".

[13]) Siehe die Anmerkung zu § 436 zur allgemeinen Selbstbewusstsein.

[14]) § 482, Anmerkung: „Es ist dies Wollen der Freiheit nicht mehr ein Trieb, der sei­ne Befriedigung fordert, son­dern der Cha­rakter, - das zum trieblosen Sein gewordene Be­wußt­sein.“

[15]) Das Wiederkehren der Be­griffe der Ehre, des Ruhms und an­derer Ei­gentüm­lich­keiten des menschlichen Cha­rakters in die­sem Para­graphen ist auch als Verbindung zum Stuttgarter Hegel sehr interessant und bedeutsam.

[16]) Siehe die schon erwähnten Einträge im Tagebuch vom 18. und 24. Februar 1786.

 

 

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DRITTES STADIUM


Entstehung der Grundfrage nach einer

’Aufklärung des gemeinen Mannes’

 

(24. Februar 1786 - 7. Januar 1787)

Hauptquelle: Tagebuch, Aufsätze

Im Februar 1786 stellt sich Hegels allmählich herangebildetes moralisches Lebensideal auf folgende Weise dar: was seinen Inhalt anbelangt, spielt der Begriff der Glückseligkeit, als Hauptziel des Lebens des Menschen, zusammen mit dem Begriff der Geselligkeit, als dessen unentbehrliche Voraussetzung, die Hauptrolle; was die Form betrifft, spielt der Begriff der Aufklärung die Hauptrolle, da das moralische Lebensideal unbedingt die Vernünftigkeit zur Voraussetzung haben muss. Diese zwei Begriffe, die Glückseligkeit und die Aufklärung bzw. Vernünftigkeit, bilden deshalb die Grundstruktur für Hegels  entstehendes, moralisches Lebensideal.

Ein weiterer Schritt in Hegels Gedankenentwicklung ist hauptsächlich durch zwei Einträge belegt, die leider in einer sehr lückenhaften Form erhalten sind. Es handelt sich um den Eintrag vom 22. März 1786 und den Eintrag ohne Anfang und deshalb auch ohne Datum, der sich in GW 1 auf S. 30 von 30,1 bis 30,19 befindet.[1] Der erste Eintrag ist abgebrochen, und wir haben von ihm nur den Anfang;[2] von dem zweiten Eintrag fehlen uns Anfang und Ende,[3] und wir haben deshalb nur eine Textpartie.

Was den Inhalt anbelangt, betreffen diese zwei Einträge verschiedene Begriffe, und zwar  betrifft der erste den Begriff der Glückseligkeit und der zweite den Begriff der Aufklärung. Was die Zeit der Abfassung der Textpartie angeht, lässt sich folgendes vermuten: da sich Hegel gegen Ende des Eintrags über die Gelehrsamkeit der Ägypter äußert (GW 1, S. 30,13-19) und er am 23.Dezember 1786 genau über dieses Thema ein Exzerpt niedergeschrieben hat,[4] scheint die Textpartie im Anschluss an dieses Exzerpt, also in der Zeit um den bzw. nach dem 23.12.1786 bis Anfang 1787, als Hegel mit dem Niederschreiben seiner Gedanken in diesem ersten Tagebuch aufhörte, geschrieben worden zu sein.[5] Somit würde diese Textpartie die Begrenzung zwischen dem zweiten und dem dritten Stadium dieser ersten Phase der Jugendentwicklung Hegels bilden, da Hegel sich in der Zeit von März  bis Oktober 1786 noch hauptsächlich mit dem Begriff der Glückseligkeit beschäftigte, wie mehrere Exzerpte aus diesen Monaten bezeugen,[6] während er ab Ende des Jahres 1786 seine Überlegungen über die Aufklärung und diesbezügliche Exzerpte in Angriff nahm (s. darüber die nächste Phase seiner Entwicklung). Von diesem inhaltlichen Standpunkt aus gehört also die Textpartie völlig berechtigt zum dritten Stadium dieser ersten Phase, während der Eintrag über den Begriff der Glückseligkeit und die diesbezüglichen Exzerpte eigentlich noch zum zweiten Stadium dieser Phase gehören.

Was die Form betrifft, zeigen beide Einträge eine deutliche Ähnlichkeit, da beide eine Begriffsdefinition enthalten.[7] Auf Grund dieser Ähnlichkeit und der Tatsache, dass die zwei Einträge wegen der fehlenden Zwischenblätter unmittelbar nacheinander überliefert worden sind, wird hier der Eintrag vom 22. März innerhalb des dritten Stadiums und in enger Beziehung zur Textpartie ohne Datum dargestellt, wenngleich es uns scheint, dass er zusammen mit den anderen, aus diesen Monaten stammenden Exzerpten über den Begriff der Glückseligkeit noch zum zweiten Stadium gehört. Das wird aber keine schwerwiegenden Folgen für die Richtigkeit der Rekonstruktion der gesamten Entwicklung dieser Phase haben, da die Schilderung der Reihenfolge in der gedanklichen Entwicklung Hegels dadurch nicht beeinträchtigt wird.

Im ersten Teil des Eintrags vom 22. März 1786 denkt Hegel über den Begriff der Glückseligkeit nach. Dazu schreibt er:

"Alle Menschen haben die Absicht, sich glücklich zu machen". (GW 1, S. 29,23)

Er wiederholt hiermit seinen Gedanken, dass  die Glückseligkeit Hauptziel des menschlichen Lebens sei, wie er schon in dem Eintrag vom 24.02.1786 festgestellt hatte. Als er dann mit der Festsetzung des Begriffes  der Glückseligkeit beginnt, was  sie also eigentlich sei, bricht der Text ab ("Doch zuerst muss ich den Begriff von Glückseeligkeit festsezen, ich verstehe nämlich darunter einen..."). (GW 1, S. 29,27-28).

Die Textpartie ohne Datum beginnt mit der Darstellung des Begriffes der Aufklärung:

"...hier zu Papier bringe, muss ich vorher vorausschiken, was ich unter Aufklärung verstehe". (GW 1, S. 30,1-2).

In den nächsten Zeilen, die wir besitzen, stellt Hegel seinen Begriff der Aufklärung dar. Er unterteilt die Aufklärung in ‚Aufklärung durch Wissenschaften und Künste’ und ‚Aufklärung des gemeinen Mannes’ (GW 1, S. 30, 2-19).  Die Aufklärung durch Wissenschaften und Künste bezieht sich ausschließlich auf den Stand der Gelehrten,[8] während  die Aufklärung des ‚gemeinen Mannes’[9] das ganze Volk betrifft. "Einen Entwurf von einer Aufklärung des gemeinen Mannes zu machen" (GW 1, S. 30,4-5), hielt Hegel für eine äußerst schwere Aufgabe, sogar für gelehrte Leute GW 1, S.30,3-5). Für ihn selbst war sie "noch viel schwerer", da er "die Geschichte noch nicht philosophisch und gründlich" studiert hatte (GW 1, S. 30,6-7). Er wollte deshalb hier nur die  Aufklärung durch die Wissenschaften und Künste behandeln.[10]

Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass auch hier einige Gedanken enthalten sind, die unwichtig zu sein scheinen, aber auf beeindruckende Weise mit Hegels späterer Auffassung übereinstimmen. Zuerst, in Bezug auf die ‚Aufklärung des gemeinen Mannes’, heißt es:

"Sonst glaub ich auch, diese Aufklärung des gemeinen Mannes habe sich immer nach der Religion seiner Zeit gerichtet." (GW 1, S. 30,7-8).

Dieser Satz erinnert an die Philosophie der Geschichte, in der z.B. folgendes  zu lesen ist:

"Die Religion ist der Ort, wo ein Volk sich die Definition dessen gibt, was es für das Wahre hält." (SA, Bd.12, S. 134).

Daraus geht deutlich hervor, dass auch für den reifen Hegel die Aufklärung des Volkes, also des ‚gemeinen Mannes’, durch  die Religion erfolgt.[11]

In Bezug auf die Aufklärung durch die Wissenschaften und die Künste schrieb der damalige Schüler:

"In Ansehung dieser bin ich also der Meinung sie haben zuerst im Orient und Süden geblüht und seyen dann von da aus immer mehr nach Westen gewandert“. (GW 1, S. 30, 11-13).

Auch in diesem Fall kommt sofort eine Stelle aus Hegels Philosophie der Geschichte in Erinnerung, die wie eine Zusammenfassung von Hegels Auffassung der Geschichte klingt:

Die Weltgeschichte geht von Osten nach Westen, denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang.“

(SA, Bd.12, S. 134).

Wenn man  die beeindruckende Übereinstimmung dieser Gedanken des jungen mit denen des reifen Hegel zu den anderen, bereits belegten Gedanken hinzunimmt, kommt die Kontinuität der geistigen Entwicklung Hegels sehr deutlich hervor, und man ist verlockt und wahrscheinlich auch berechtigt zu sagen, dass diese Entwicklung nicht darin bestand, neue Wahrheiten zu erfinden, sondern eher darin, die Grundgedanken seiner Jugend zu entfalten und die hier enthaltenen Wahrheiten ausführlicher und ‘wissenschaftlich’ (nach dem späteren Begriff von der ‘Wissenschaft der Logik’, also ‘dialektisch’ zu begründen).[12]

Es ist sehr wichtig zu verstehen, wie Hegel zu dem Gedanken kam, einen „Entwurf der Aufklärung des gemeinen Mannes zu machen“. Es ist wahrscheinlich, dass in dem fehlenden Teil des Eintrags davon die Rede war. Nach dem Abbruch fängt der Eintrag mit den Worten: „...hier zu Papier bringe, muss ich vorher vorausschiken, was ich unter Aufklärung verstehe“ wieder an (GW 1, S. 30,1-2).

Was wollte Hegel „zu Papier bringen“? Es muss sich um etwas handeln, das dem Begriff und wahrscheinlich auch dem Wortlaut nach das Wort ‘Aufklärung’ enthält, sonst würde Hegel hier nicht schreiben, dass er vorher vorausschicken müsse, was er unter Aufklärung verstehe. Es wird sich also wohl um irgendeine Form der Aufklärung handeln, die Hegel „zu Papier bringen“ wollte.

Zusammenfassend lässt es sich feststellen: Es fehlen uns also einerseits die Festsetzung des Begriffes  Glückseligkeit’ in dem fehlenden Teil des Eintrags vom 22. März 1786, was aus dem letzten Satz vor dem Abbrechen („Doch zuerst muss ich den Begriff von Glückseligkeit festsezen...“) zu entnehmen ist, und andererseits die Darstellung des Begriffs von irgendeiner Form von Aufklärung im ersten Teil der Textpartie ohne Datum, wie aus dem Wiederanfang des Textes nach dem Abbruch zu schließen ist.[13]

Auf Grund  der bisher durchgeführten Rekonstruktion der Entwicklung, die Hegels  moralisches Interesse betrifft, ist es trotzdem möglich, sich ein Bild davon zu machen, um welchen Gegenstand das Denken Hegels kreiste zwischen dem ersten, den Begriff der Glückseligkeit behandelnden Eintrag vom 22. März 1786 und der zweiten, den Begriff der Aufklärung behandelnden Textpartie ohne Datum (die wahrscheinlich um den Dezember 1786 entstand), und zu versuchen, die Lücke in der Überlieferung der Manuskripte durch die logische Reihenfolge der Gedanken auszufüllen.

In der Zeit von März bis Dezember 1786 scheint Hegel vorwiegend damit befasst gewesen zu sein, sein moralisches Lebensideal zu definieren, und zwar durch den Begriff der Aufklärung als seiner vernünftigen Form und den Begriff der Glückseligkeit als seines inhaltlichen Zieles. Aus der Textpartie ohne Datum geht hervor, dass er das Bedürfnis hatte, „einen Entwurf einer Aufklärung des gemeinen Mannes zu machen“, sonst wäre er gar nicht zu der Erkenntnis gekommen, dass er dazu mangels eines gründlichen und philosophischen Studiums der Geschichte noch nicht genügend vorbereitet war.[14]Einen Entwurf einer Aufklärung des gemeinen Mannes zu machen“, konnte für den jungen Hegel nur bedeuten, die Forderung nach Aufklärung auch für den gemeinen Mann, also für das Volk, geltend zu machen, und die Aufklärung folglich mit dem Hauptziel des Lebens des ‘gemeinen Mannes’, d.h. also mit der Glückseligkeit in Verbindung zu bringen. Hegel verzichtete aber darauf, nicht weil er das nicht wollte oder für nicht bedeutend hielt, sondern weil er sich dazu noch nicht in ausreichender Weise vorbereitet wusste. Da er  die Geschichte noch nicht gründlich und philosophisch studiert hatte, beschloss er also, seine Untersuchungen über die Verbindung zwischen Aufklärung und Glückseligkeit zuerst auf dem Gebiet der Gelehrten zu führen, d.h. die Aufklärung als ‘Aufklärung durch die Wissenschaften und die Künste’ in Verbindung zu dem Begriff der Glückseligkeit zu setzen.

Hegel begann also nicht sofort mit dem Entwurf von einer ‘Aufklärung des gemeinen Mannes’, weil er vorher die Geschichte gründlich und philosophisch studieren wollte. Sein letztes Ziel war aber, einen solchen Entwurf zu machen.[15]

Man kann  also sagen, dass die Entstehung der Frage nach einer ‘Aufklärung des gemeinen Mannes’ sehr wahrscheinlich den Hauptinhalt der Textpartie ohne Datum bildete. Das Problem bestand hauptsächlich in der Verbindung des Begriffs der Glückseligkeit mit dem der Aufklärung, wie Hegel sie in den entsprechenden Einträgen definiert hatte. In dieser Verbindung wurden von ihm die zwei Voraussetzungen seines in dieser Zeit entstehenden moralischen Ideals vereinigt: die Glückseligkeit als Hauptziel und Inhalt des menschlichen Lebens, die in sich die Geselligkeit einschließt, und die Aufklärung als die Form des menschlichen Verhaltens, die zu jenem Ziel führen soll und die für sich allein, ohne diesen Inhalt, leer wäre. Hierin sind also die Hauptgedanken dieser ersten Phase der Geistesentwicklung Hegels, die Forderung nach Vernünftigkeit des moralischen Verhaltens und nach Glückseligkeit des menschlichen Lebens, zusammengefasst.

Die Stellung der Frage nach einer ‘Aufklärung des gemeinen Mannes’ kann man deshalb als logischen Schluss dieser Phase betrachten. Wenngleich sie von Hegel nicht sofort gelöst wurde, bildete sie doch den Hintergrund seiner weiteren Gedankenentwicklung. Diese ging über den notwendigen Umweg der Untersuchung der ‘Aufklärung durch die Wissenschaften und die Künste’ weiter.

 

Anmerkungen

 

 

[1] GW 1, S. 29

[2] GW 1, S. 450.  Über das Abbrechen schreiben die Her­ausgeber des Ban­des: „In­ner­halb des ersten der drei am Schluß lie­genden Doppelblätter hat der Text eine Lücke (vgl.29,28): in der Mitte dieses Doppel­blattes fehlt we­nig­stens ein eingelegtes Blatt, vielleicht auch eine größere Zahl von Blättern.“

[3] Über die Lücke am Ende des Textes wird fol­gendes von den Herausgeb­ern be­rich­tet: „Die letzte Seite dieses dritt­letzten Doppelblat­tes ist ganz vollge­schrieben. Da hier der ent­wickelte Gedankengang of­fenbar noch nicht zu Ende ist (vgl. 30,19), aber auf dem folgen­den Doppelblatt die Ein­tra­gung mit Datum den 1 Jan. 1787 ganz neu an­setzt, ist möglicherweise an dieser Stelle noch weiterer Text verlo­ren­gegangen.“ (GW 1, S. 450).

[4] Siehe das Exzerpt Agypten. Von der Gelehrsamkeit der Agyp­ter in GW 3, S. 113 ff.

[5] Vgl. GW 1, S. 453-454.

[6] Siehe insbesondere folgende Exzerpte:

- 17/22.06.1786: Wahre Glückseligkeit;

- 10.10.1786: Seele (aus Campes Seelenleh­re);

- 16.10.1786: Weg zum Glück in dem großen Welt.

Vgl. Hoffmeister, Dok.,  Fußnote 2, S. 100 in Bezug auf das letzte Exzerpt: „Die Stelle fin­det sich in dem Werke von Zimmer­mann S. 30 und ist wörtlich abge­schrieben. Da diese Stel­le im Oktober abgeschrieben ist und auf demselben Papier steht, wo die Ex­zerpte über die Glückseligkeit vom Juni sich befinden, so kann man daraus sehen, daá Hegels Gemt mit all­gemeinen wichtigen Problemen sich systematisch beschäftigte.“

[7] In dem editorischen Bericht im Band 1 der Gesammelten Werke wird über die zwei Texte bemerkt (S. 453-454): „Auch fällt eine formale Ähnlichkeit zwischen der abbrechenden Notiz vom 22. März 1786 und der bruchstückhaften Textpartie ohne Datum auf: vgl. die Definitions-Ansätze 29,27-28 und 30,1-2.“ Es handelt sich um die Definitionen der Begriffe Glückseligkeit und Aufklärung.

[8] GW 1, S. 30,2-3: „Ich rede nämlich also hier nur von der Auf­klärung durch Wis­sen­schaften und Künste. Sie schränkt [sich] also bloß auf den Stand der Gelehrten ein.“

[9] In dieser Studie werde ich diesen Ausdruck in dieser, Hegels Ausdrucks­weise treue­ren Form und nicht in der für die heu­tigen Verhältnisse vielleicht rich­tigeren Form ‚einfa­cher Mensch‘ benut­zen.

[10] GW 1, S. 30,10-11: „Ich spreche hier al­so meiner Absicht [gemäß] bloß von den Wis­senschaften und Künsten.“

[11] Zur Problematik bezüglich der Aufklärung des Volkes durch die Religion bzw. die Philosophie s. S. 276 ff. von Einfluß.

[12] Die allmähliche, bis zum System hinreichende  Entfaltung dieser Begriffe, die schon in Stuttgart das ‚Netz‘ bildeten, womit Hegel das geistige Leben des Menschen zu verstehen versuchte, kann man durch das methodologische Prinzip der ‚Differenzierung‘, das in der Einleitung dargestellt worden ist, treffend interpretieren.

[13] Außerdem fehlt noch weiterer Text am Ende der Textpartie ohne Datum ab 30,19 (s. den editorischen Bericht in GW 1, S. 452). Es ist aber völlig unmöglich zu verstehen, wovon die Rede in diesem Text war, weil jeglicher Anhaltspunkt dazu fehlt.

[14] Es ist das große Verdienst von Schmidt-Japing (1924, S. 3-4), dass er als erster die Zentralstellung der Frage von einer ‚Aufklärung des gemeinen Mannes‘ innerhalb der Jugendentwicklung Hegel verstanden hat. Er hat zwar nicht rekonstruiert, wie sich diese Frage im Geiste des jungen Hegels allmählich herangebildet hat, hat aber die Verbindung zwischen dieser Frage und dem ca. fünf Jahre später entstandenen Ideal einer neuen Religion mit großer Schärfe gesehen. Hiermit hat er auch  einen entscheidenden Beweis für die Kontinuität innerhalb der Gedankenentwicklung Hegels zur Verfügung gestellt. In dieser Interpretation folgen Schmidt-Japing die Arbeiten von G.E.Müller (1959, S. 26) und Hans Küng (1970, S. 49), während Rebstock (1971, S. 211, Fußnote 40) Stellung dagegen bezieht.

[15] Es gab außerdem  noch einen Grund, der Hegel daran hinderte, sofort einen Entwurf von einer Aufklärung des gemeinen Mannes zu machen: seinen Mangel an Menschenkenntnis. Wenngleich er sich darüber auf der Seite vom 22.03.1786 nicht ausdrückt, können wir durch die Lektüre der anderen Seiten des Tagebuchs, die in diesem Zeitraum geschrieben wurden, zu dem Schluss kommen, dass er sich für sich selbst eine tiefere Menschenkenntnis wünschte. Nicht umsonst betrafen viele von seinen Lektüren direkt oder indirekt ein solches Thema. Angesichts seines jugendlichen Alters und seiner damaligen Erziehung, die ihm durch ihre Abgeschlossenheit die Möglichkeit nahm, vielfältige Erfahrungen zu machen, ist sein Mangel an Menschenkenntnis eigentlich selbstverständlich.

 

 

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ERSTE PERIODE, ZWEITE PHASE

Die Rezeption der Kategorie der Natürlichkeit e

die Entwicklung einer monistischen und naturalistischen Konzeption

der Welt und des Menschen

 

Zeitraum: 7. Januar 1787 - 10. Januar 1792

Hauptquellen: Auszüge, Aufsätze

 

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In den unmittelbar folgenden Monaten versuchte Hegel offensichtlich, den Mangel an Wissen über die menschliche Natur und vor allem an einer gründlichen und philosophischen Untersuchung von Geschichte, Wissenschaften und Künsten zu beheben, um dann die Frage der Aufklärung von lösen zu können der gemeine Mann. ’auf diesem soliden Fundament. Er erreichte dies in drei Stufen:
 

  • Erste Stufe (Affirmation): Hegel erhält durch die Lektüre vor allem eines Aufsatzes von Fridrich Nicolai, wie wir später sehen werden, die Kategorie „Natürlichkeit“ als Modell für korrekte Beleuchtung. Diese Phase erstreckt sich vom 7. Januar 1787 bis zum 16. August desselben Jahres und erreicht an diesem Tag mit dem Auszug aus Nicolai ihren Höhepunkt.

  • Zweite Stufe (Negation): Die Kategorie „Natürlichkeit“ wird vom jungen Denker auf das Gebiet der Wissenschaften und Künste angewendet, insbesondere auf den Unterschied zwischen der Poesie der Alten und der Moderne. So kommt er zu einem Verständnis der natürlichen Erziehung der Griechen und damit ihrer natürlichen Lebensweise. Von diesem Moment an wurde das klassische Griechentum für ihn zum Vorbild und Lebensideal. Diese Phase umfasst den Zeitraum vom 16. August 1787 bis zum 7. August 1788. An diesem Tag schreibt Hegel den Aufsatz "Über einige charakteristische Unterschiede", in dem wir die Grundidee der Natürlichkeit der Griechen finden.

  • Dritte Stufe (Negation der Negation): Nachdem der junge Denker die Erleuchtung durch die Wissenschaften und Künste verstanden hat, kann er endlich zu seinem ursprünglichen Zweck zurückkehren, nämlich die Erleuchtung des einfachen Menschen zu verstehen. Er erkennt dies durch die Lektüre von Rousseau, insbesondere des Emilio. Wie wir sehen werden, hat die Hand der Zensur diese sehr wichtige Phase in der Entwicklung des jungen Philosophen, der in den Anfangsjahren der Universität intellektuell an zeitgenössischen revolutionären Ereignissen in Frankreich teilgenommen und sich auch mit der französischen Studentengemeinschaft angefreundet hat, schwer getroffen des Stiftes (aus Colmar und Montbéliard). Wir wissen, dass Hegel zusammen mit Hölderlin und Schelling offen auf der Seite der revolutionären Kräfte stand, und wir können gut erraten, welchen Inhalt seine Schriften und Lesungen der Zeit hatten. Davon ist leider fast nichts mehr übrig. Die Schriften der Jahre von 1789 bis 1792, genau die ersten Universitätsjahre, die prägendsten, in denen er sicherlich viele seiner eigenen Aufsätze schrieb und Auszüge aus den mehrfachen Lesungen erarbeitete, die er sicherlich gemacht hat, sind verloren gegangen oder, genauer gesagt, zerstört. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird. Die Schriften der Jahre von 1789 bis 1792, genau die ersten Universitätsjahre, die prägendsten, in denen er sicherlich viele seiner eigenen Aufsätze schrieb und Auszüge aus den mehrfachen Lesungen erarbeitete, die er sicherlich gemacht hat, sind verloren gegangen oder, genauer gesagt, zerstört. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird. Die Schriften der Jahre von 1789 bis 1792, genau die ersten Universitätsjahre, die prägendsten, in denen er sicherlich viele seiner eigenen Aufsätze schrieb und Auszüge aus den mehrfachen Lesungen erarbeitete, die er sicherlich gemacht hat, sind verloren gegangen oder, genauer gesagt, zerstört. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird. Die prägenderen, in denen er sicherlich viele seiner eigenen Aufsätze geschrieben und Auszüge aus den mehrfachen Lesungen ausgearbeitet hat, die er sicherlich getan hat, sind verloren gegangen oder, genauer gesagt, zerstört worden. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird. Die prägenderen, in denen er sicherlich viele seiner eigenen Aufsätze geschrieben und Auszüge aus den vielen Lesungen ausgearbeitet hat, die er sicherlich getan hat, sind verloren gegangen oder, genauer gesagt, zerstört worden. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird. vielleicht genauer gesagt zerstört. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird. vielleicht genauer gesagt zerstört. Dank verschiedener zeitgenössischer Zeugnisse und spezifischer Studien, die kürzlich durchgeführt wurden, ist es nun möglich, ein Bild des intellektuellen Fortschritts von Hegel auch in diesen Jahren zu rekonstruieren, das von Kritikern zu Recht als „dunkel“ definiert wurde, gerade aufgrund des fast vollständigen Mangels von Primärquellen. So entsteht ein sehr interessantes Bild, das aus der Geburt von Hegels monistischer und naturalistischer Konzeption besteht, die dann in den kommenden Jahren die Grundlage seines Denkens bleiben wird.

Glücklicherweise wurden uns ab Herbst 1792 seine Schriften überliefert, die sich - zufällig - von diesem Moment an auf religiöse Themen konzentrieren. Wir werden jedoch sehen, dass es auf der Grundlage der philosophisch-religiösen Überlegungen der Zeit von 1792 bis 1794 eine monistische und naturalistische Philosophie geben wird, die das Ergebnis der Rezeption von Rousseaus Gedanken ist und in den "dunklen Jahren" unmittelbar vor der Ausarbeitung ausgearbeitet wurde Herbst 1792.

 

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ERSTES STADIUM

 

Die Rezeption der Kategorie ’Natürlichkeit’
als Grundlage einer ausgeglichenen Aufklärung

 

7. Januar 1787 - 16. August 1787

Hauptquelle: Exzerpte

 

Es ist sehr interessant, in der chronologischen Abfolge der Exzerpte zu beobachten, wie diese bis Oktober 1786 noch hauptsächlich auf Hegels subjektive psychologisch-moralisch-pädagogische Überlegungen zum Konzept des Glücks zurückzuführen sind, während sie ab Dezember 1786 mit dem Exzerpt "Über die Gelehrsamkeit der Ägypter" gehen wir zu den theoretisch-objektiveren Überlegungen zur Aufklärung durch die Wissenschaften und Künste über [1].Wie bereits oben erläutert, war die Zeit zwischen Oktober und Dezember 1786 die Zeit, in der Hegel von Überlegungen zum Begriff des Glücks, die ihren Ausgangspunkt im Tagebucheintrag vom 22. März 1786 hatten, zu Überlegungen zum Begriff der Erleuchtung überging. / Beleuchtungsstärke. In den Auszügen, die er ab dem 23.12.1786 schrieb, befasste sich Hegel hauptsächlich mit der Ausarbeitung eines genauen Konzepts der „Erleuchtung“. Dieses Ziel erreicht er im Auszug aus Mendelssohn vom 31. Mai 1787 [2] und vor allem im Auszug aus Nicolais Beschreibung einer Reise durch die Schweiz vom 16. August 1787 sowie in deren Fortsetzung vom 23. August 1787 [3] ]]Diese beiden Auszüge sind eng miteinander verbunden, insbesondere der zweite wird als logische Fortsetzung und Vervollständigung des ersten dargestellt.
 

Exzerpt aus Moses Mendelssohn

Im ersten Auszug untersucht Mendelssohn die Beziehung zwischen Bildung, Kultur und Erleuchtung. Ihm zufolge sind alle drei "Modifikationen des sozialen Lebens". [4] Bildung umfasst Kultur und Aufklärung. Kultur ist eher die praktische Seite, die Aufklärung plus die theoretische Seite der Bildung. Die äußere und formale Seite der Kultur ist "Politur" ("Freundlichkeit"). Die Bildung eines Volkes wird an der Harmonie des Wohlfahrtsstaates mit der Bestimmung des Menschen gemessen [5] . Die Bestimmung des Menschen kann in die Bestimmung des Menschen als Menschen und als Bürger unterteilt werden. Kultur und Politur hängen vom sozialen Status und Beruf des Menschen ab. Die Aufklärung hingegen "ist im Allgemeinen ohne Klassenunterschied". [6]Es geht um Menschen als Menschen. Es sollte Harmonie zwischen der Aufklärung des Menschen und der Aufklärung des Bürgers geben. Der Zustand, in dem diese Harmonie nicht erreicht wird, ist unglücklich [7] . Aufklärung und Kultur können beide degenerieren [8] . Aber "sie gehen Hand in Hand", sie schützen sich gegenseitig vor Degeneration (Korruption) und ermöglichen die optimale Bildung einer Nation, die wiederum den Grad des nationalen Glücks bestimmt. Wenn der höchste Höhepunkt des nationalen Glücks durch Bildung erreicht wurde, "riskiert eine Nation einen Sturz, weil sie nicht höher steigen kann" [9] .

In diesem Auszug sind folgende Punkte wichtig:

 

  • in erster Linie die Frage nach der Beziehung zwischen Aufklärung und Glück und ihrer Umsetzung auf sozialer Ebene als Beziehung zwischen Bildung (Kultur + Aufklärung) und der Bestimmung des Menschen;

  • zweitens die Schlussfolgerung, zu der Mendelssohn in diesem Zusammenhang gelangt, nämlich die Abhängigkeit des Glücks eines Volkes von seiner Bildung und vor allem von der darin verwirklichten Beziehung zwischen Kultur und Aufklärung oder zwischen der Bestimmung des Menschen als Mensch und als Bürger. Nur wenn diese Beziehung harmonisch ist, sind die Menschen glücklich. Mendelssohn präsentiert daher das Glück der Menschen auf diesen Seiten als etwas Soziales und Individuelles. Da Bildung, Kultur und Aufklärung „Modificationen des sozialen Lebens“ sind, gehört ihre Wirkung, das „nationale Glück“, auch zum sozialen Bereich.

  • Schließlich ist in diesem Exzpert jedoch noch nicht klar, welche „Schritte“ Aufklärung und Kultur fortgesetzt werden sollten, um eine korrekte und vollständige Form der Bildung zu erreichen, dh wie ihre Harmonie erreicht werden kann. Die Antwort auf diese Frage fand Hegel im Auszug aus Nicolai vom 16.08.1787.
     

Exzpert aus Christoph Friedrich Nicolai


In dieser Passage wird genau die Hauptfrage nach dem richtigen Verhältnis zwischen Aufklärung und Kultur angesprochen:
 

"Kultur und Aufklärung sind beide mächtige Motoren für den Wohlstand einer Nation: Beide müssen [vereinen], beide müssen in angemessenem Verhältnis zueinander arbeiten, in angemessenem Verhältnis zur Masse der Aktivitäten und Denkweisen einer Nation; andernfalls wird ihre Wirkung sein weder sicher noch dauerhaft " [10] .
 

Kultur bezieht sich laut Nicolai auf "die gesamte Masse der Aktivitäten einer Nation" (Kunst, Handwerk, Sitten usw.), während die Aufklärung ist
 

"... Reflexion über alle Objekte des menschlichen Lebens in dem Maße, in dem sie das Wohlbefinden jedes Einzelnen und das allgemeine Wohlbefinden beeinflussen" [11] .
 

Die Kultur und Aufklärung einer Nation sollte im Einklang miteinander und mit anderen Aspekten des Lebens der Nation stehen, um ihre Rolle als "treibende Kräfte für den Wohlstand einer Nation" zu erfüllen. Ist dies nicht der Fall, degenerieren sie. Kultur degeneriert zu "Politur", wenn sie nur etwas Äußeres ist; Die Aufklärung degeneriert zur Dünkel, wenn die subjektive Reflexion die objektive Denkfähigkeit übersteigt. Laut Nicolai ist der Weg (Gang) der Natur der Maßstab, der als Modell für die richtige Beziehung und den richtigen Grad an Kultur und Aufklärung einer Nation dienen kann:
 

"Die Natur geht Schritt für Schritt, sie hat keine Wirkung ohne Ursachen, und in ihr wird jede Wirkung notwendigerweise zu einer neuen Ursache, die eine neue Wirkung erzeugt; und so geht sie ständig weiter" und "geht ihren eigenen Weg [...] und nicht sie erzeugt mehr Effekte als es Ursachen gibt ". [12]
 

Laut Nicolai ist der Weg der Natur niemals zu viel, er produziert niemals etwas Unwirkliches und nichts Falsches;

 

"die Vorstellungskraft" dagegen "springt, schafft nach Belieben, will Wirkungen haben, bevor die Ursachen existieren, sieht nichts so wie es ist, sondern so, wie es sein möchte [...]". [13]

Diese Gedanken, die Hegel aus Nicolais ’Beschreibung’ extrahiert, sind sehr wichtig, weil sie einen tiefgreifenden Einfluss auf seinen Geist hatten und ihm die Hauptkategorie lieferten, auf die er von nun an seine Denkweise stützte. Dies ist die Kategorie der "Natürlichkeit", dh die Spezifität der Natur, ihr "Weg", die besondere Art und Weise, wie sie sich entwickelt.

Dank dieser Kategorie und des Studiums der Aufklärung durch die Wissenschaften und Künste ist Hegel nun in den Besitz seines eigenen Konzepts der Aufklärung gelangt. Die Aufklärung, das heißt die Vernunft, darf nicht gegen die Natur gerichtet sein, sondern muss ihr folgen. Die Natur wird so für Hegel zum Maßstab sowohl der Erleuchtung als auch der Vernunft. Für ihn bedeutet "vernünftig" von nun an "natürlich" zu sein. Die Kategorie „Natürlichkeit“ wird für ihn von diesem Moment an auch zum Maßstab für die richtige Beziehung zwischen Innen und Außen, zum Inhalt und zur Form, ein Maßstab, der verhindern kann, dass etwas degeneriert.

Die Natürlichkeit als Maß für die Harmonie erhält einen metaphysischen Wert, der nicht nur die unmittelbar folgenden Jahre von Hegels jugendlicher Entwicklung prägen wird (denken Sie an Hegels Vision in Tübingen vom harmonischen Leben der alten Griechen), sondern auch die Hauptkategorie bilden wird Der reife Denker wird die dialektische Logik mit ihrem immanenten und selbstbestimmten Fortschritt verbinden. Im Kontext der Logik wird Natürlichkeit die Entwicklung der „Sache selbst“ sein, das sein eigenes Prinzip, seine eigene Harmonie in einer vollkommenen Einheit von Innen und Außen hat. Die Selbstentwicklung der logischen Idee wird nichts anderes sein als die endgültige und vollständige Form, die dieses Kriterium der Natürlichkeit annehmen wird, erhalten durch den Auszug von Nicolai. Bekanntlich wird dann das gesamte philosophische System auf Logik basieren, und es könnte nicht anders sein,

An dieser Stelle sollte ein für alle Mal verstanden werden, warum das Studium von Hegels frühen Schriften, einschließlich seiner frühesten Stuttgarter Schriften, keineswegs nur als Studium von historischem Wert angesehen werden sollte, dh ohne Relevanz für das spätere Verständnis von Hegels System., sondern als unabdingbare Voraussetzung für das korrekte und objektive Verständnis dieses Systems, wenn wir Hegels Absichten treu bleiben und ihm nicht unsere eigene subjektive Interpretation aufzwingen wollen. Eine Interpretation von Hegels System ohne die Rekonstruktion seiner Entwicklung kann nur unvollständig, wenn nicht geradezu falsch sein. Nur aus der Geschichte von Hegels Entwicklung ist es möglich, den Ursprung und damit die wahre Bedeutung der Hauptbegriffe seiner Weltanschauung zu rekonstruieren, dh die Bedeutung, die sie "in sich" haben.[14] , also auf der Grundlage ihrer Selbstentwicklung, so wie Hegel es uns mit seiner Dialektik gelehrt hat, und nicht die Bedeutung, die wir ihnen "für uns" "von außen" zuschreiben wollen [15] .

In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass den Stuttgarter Schriften selten ein theoretischer Wert beigemessen wurde. Eine ursprüngliche Entwicklung von Hegels Denken, die für das spätere System von Bedeutung ist, wurde von vielen Kritikern erst seit der Tübinger Zeit in Betracht gezogen [16].Die Rekonstruktion der bisherigen Entwicklung von Hegels Denken in den Stuttgarter Jahren hat stattdessen gezeigt, dass Hegel, der das Gymnasium verließ und an die Universität ging, bereits die Ausarbeitung der Hauptfrage seiner eigenen Philosophie mit sich brachte Die Aufklärung des „gemeinen Mannes“ ist die Hauptkategorie, die für die Lösung dieser Frage erforderlich ist, dh die Kategorie der „Natürlichkeit“. All dies war dem sehr jungen Denker bereits am 16. August 1787 sehr klar, also neun Tage vor seinem siebzehnten Geburtstag und ein gutes Jahr, bevor er das protestantische Stift in Tübingen für ein Universitätsstudium betrat.

Hegels Stuttgarter Schriften sind daher keineswegs nur die ersten kulturellen Schritte und Versuche eines begabten Gymnasiasten; im Gegenteil, sie enthalten bereits die Arbeit des nächsten Philosophen auf den Punkt gebracht. Zu Beginn seiner intellektuellen Reise beschäftigte er sich mit der Ausarbeitung seiner eigenen grundlegenden philosophischen Frage und legte den Grundstein für seine eigene Vision der zukünftigen Welt, die er sich zu dieser Zeit sicherlich nicht einmal aus der Ferne vorstellen konnte. [17]In diesem Zusammenhang muss daher gesagt werden, dass es nicht „zwei oder noch mehr Hegels“ gibt, dh den Hegel von Stuttgart, von Tübingen, von Frankfurt usw. und dann der endgültige Hegel des Berliner Systems, aber nur ein Hegel, dessen intellektuelle Entwicklung (nach Aufhebung) kontinuierlich durch die verschiedenen Phasen wächst, die nicht unbedingt durch Wohnortwechsel gekennzeichnet sind - dies wäre ein äußeres Element, daher "unnatürlich" mit Respekt vor der natürlichen Logik des ’Dings selbst’ - und gipfelt schließlich im System. Letzteres wird vor allem im Jenese-System von 1805-06 identifiziert, das alle Teile enthält, die wir später in den anderen Versionen des Systems finden werden, und in einer vollständigeren und ausführlicheren Form in der Encyclopedia of Philosophical Sciences von 1817. Leider ab etwa 1819 nach den Karlsbader Beschlüsse Hegels Veröffentlichungen, die Universitätsprofessoren, ihren Vorlesungen und ihren Werken ein sehr strenges Kontrollsystem auferlegten, werden nicht mehr zu 100% "authentisch" sein, da im Gegenteil die vorherigen nicht der Kontrolle und Zensur unterliegen, sondern teilweise "unecht" sind. wie diktiert von der Angst, wegen ihrer philosophischen Positionen strafrechtlich verfolgt zu werden. Dies bedeutet nicht, dass die Hegelschen Veröffentlichungen nach 1819 nicht als repräsentative Texte seines Denkens anzusehen sind, sondern nur, dass in ihnen weise unterschieden werden muss, was den tatsächlichen, authentischen Hegelschen Gedanken ausmacht, den wir bis zum Ende finden 1817, und dies, was der Denker stattdessen hinzufügen musste, um sich gegen die Vorwürfe des Atheismus zu verteidigen, die von seinen Feinden nicht zu Unrecht an ihn gerichtet wurden, in der Hoffnung, ihn die prestigeträchtige Position an der Universität Berlin verlieren zu lassen, die er sich dank eines Lebens in Forschung und Lehre gesichert hatte. Nur durch diese Arbeit der "Säuberung" können Hegelsche Veröffentlichungen nach 1819 verwendet werden, um ihr Denken zu verstehen, andernfalls sind sie irreführend, wie dies für viele seiner Interpreten der Fall war, angefangen bei Marx, der die Texte vor 1819 nicht authentisch kannte Hegelianer haben es im Laufe der Jahrzehnte völlig falsch interpretiert. Es ist genau diese falsche Interpretation von Hegel, die den Niedergang dieser Philosophie verursachte, die stattdessen in Deutschland in jenen Jahren dominierte, also im philosophisch und kulturell fortschrittlichsten Land der gesamten Menschheit. Der Niedergang von Hegels Philosophie, verursacht durch die Verwendung der unechten Werke für authentische Werke, verursachte den Niedergang der gesamten deutschen, europäischen und Weltkultur, mit den Ergebnissen, die heute vor jedermanns Augen liegen. Deshalb ist es heute unbedingt erforderlich, den wahren Sinn der Hegelschen Philosophie wiederzugewinnen, was nur durch eine Rückverfolgung ihrer Entwicklung ab den Stuttgarter Jahren möglich ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unter diesem streng dialektischen und evolutionären Gesichtspunkt die Interpretation des philosophischen Reifesystems ohne die Rekonstruktion seiner Entwicklung "leer" wäre, während eine Rekonstruktion des Denkens des jungen Hegel ohne die Verbindung zum Reifen System würde mit "blind" enden. [18]

 

Anmerkungen

[1] Siehe zum Beispiel die folgenden Auszüge:

  • 09-10.03.1787: Philosophie. Allgemeine Übersicht;
  • 10.03.1787: Rechtsgelehrsamkeit. Allgemeine Übersicht;
  • 3.15.1787: aus Mendelssohn über Bildung, Kultur, Aufklärung
  • 28.9.1787: Mythen in der Philosophie und in der Religion
  • 16-23.08.1787: aus Nicolai über Kultur und Erleuchtung.

[2] GW3, S. 169 ff: Berl. Monatschr. 1784. IX St. 7.1: Über die Frage: was heißt aufklären? von Mos. Mendelssohn p. 193-200.

[3] GW 3, S. 177 ff.: Nicolais Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz. Siehe Bd. 1785. XIV. S205 ff.

[4] GW 3, S. 169: "Bildung, Kultur und Aufklärung sind Veränderungen des sozialen Lebens, Auswirkungen des Fleißes und der Bemühungen der Menschen, ihren sozialen Zustand zu verbessern."

[5] GW 3, S. 169: "Je mehr... Volk".

[6] GW 3, S. 171

[7] "Unglücklich ist der Staat..." (S. 172).

[8] "Missbrauch der Aufklärung..." (S. 173)

[9] GW3, S. 174

[10] GW3, S. 177

[11] Beide Zitate befinden sich in GW 3, S. 177.

[12] GW3, S. 178

[13] GW3, S. 178

[14] Vgl. Wissenschaft der Logik I / 1 (1832), GW 21, 91: "Das Qualitätswesen als solches in Bezug auf dieses Verhältnis zum anderen ist an sich."

[15] Siehe Wissenschaft der Logik, I / 1 (1832), GW 21, S. 39: "Darüber hinaus muss jedoch die Notwendigkeit der Verbindung und das immanente Entstehen von Unterschieden in der Behandlung der Sache selbst gefunden werden, da sie in die eigene weitere Bestimmung des Begriffs fallen."

[16] Hayms scharfes und unbegründetes Urteil ist entscheidend: "Hegel erscheint in seiner frühen Jugend ganz als sammelnde und lernende Natur" (S. 20), und unter Bezugnahme auf das Tagebuch: "[...]; da sind wir nicht unterhalten durch moralische Konflikte, durch persönliche Ereignisse, die wichtig sind oder nicht. Das Leben des Jungen besteht in seinem Lernen; sein einziges Interesse ist, dass er wiederholt, visualisiert und in seinen Geist einprägt, was er erlebt und gelernt hat "(S.21).

Diese negative Bewertung der Stuttgarter Zeit findet sich in den Arbeiten von Asveld (1953), Rebstock (1971), Scheit (1973), Kondylis (1979), Semplici (1987) und Ripalda (1990) wieder.

Ein positives Urteil über die Stuttgarter Jahre der geistigen Entwicklung Hegels, nach dem er bereits in diesen Jahren ursprünglich war, wird stattdessen von folgenden Interpreten unterstützt: Schmidt-Japing (1924), Haering (1929), Aspelin (1933), Negri ( 1933), Negri (1958) und GE Müller (1959).

[17] Daher scheint die von Ripalda geäußerte Meinung völlig irreführend zu sein: "Psychologisch wurde Hegel vor den ersten existierenden Schriften gebildet. Philosophisch kann man jedoch weder einen Ursprung aus Stuttgart ableiten noch einen ’Schnitt’ feststellen [...]" (1990, S. 126).

[18] Siehe Kant, Kritik der reinen Vernunft, GS III, p. 75: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Intuitionen ohne Konzepte sind blind."


DIGITALE-BIBLIOGRAFIE

Zur deutschen Populärphilosophie der Zeit:

Begriff Popularphilosophie

Allgemeine Deutsche Bibliothek

 

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ZWEITES STADIUM
 

Die Anwendung der Kategorie der Natürlichkeit
auf die Wissenschaften und Künste

 

(16. August 1787 - 7. August 1788)

Hauptquelle: Schulaufsätze

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Einleitende Bemerkungen

Die zweite Stufe dieser Phase der Entwicklung des Denkens Hegels wird von der Problematik der Frage nach der Aufklärung auf dem Gebiet der Wissenschaften und Künste dimoniert. Die andere Frage, die viel komplexer und Hegels Grundinteresse innewohnt, nach der Aufklärung des ’gemeines Mannes’ bleibt zunächst im Hintergrund. Die Aufklärung des gelehrten Menschen wird vom jungen Philosophen vor allem durch das Lesen der damaligen Zeitschriften vertieft, aus denen er die Artikel transkribierte oder zusammenfasste, die ihn am meisten interessierten. Glücklicherweise sind viele dieser Exzerpte erhalten. Sie erlauben es uns, die Entwicklung seines Denkens von Januar 1787, dem Monat, in dem das Schreiben des Tagebuchs unterbrochen wurde, bis September 1788 zu rekonstruieren.[1] 

Während der intellektuelle Fortschritt in der ersten Phase von ihm im Tagebuch vermerkt wurde und daher durch Lesen dieser Quelle rekonstruiert werden kann, wurde der Fortschritt in dieser zweiten Phase sozusagen vom jungen Studenten in schriftlicher Form durch Auszüge aus den gelesenen Werken „synthetisiert“. Der Grund dafür, nämlich die unterschiedliche Schriftform, in der Hegel von Zeit zu Zeit seinen intellektuellen Fortschritt aufzeichnete, liegt nicht in zufälligen oder psychologischen Gründen, wie zum Beispiel. seine Reifung und die konsequente Aufgabe der Verwendung eines Tagebuchs, sondern in der immanenten Dialektik der Entwicklung seines eigenen Denkens. Die introspektive Form des Tagebuchs passte zu Hegel, solange er seine eigenen Reflexionen über die Mitmenschen um sich herum sammeln und sein Urteil über diesen Bereich seiner täglichen Lebenserfahrung formen und ausdrücken musste. Gerade dieses Beobachtungs- und zugleich Beurteilungsverfahren veranlasste Hegel in den Jahren 1786-1787, sich ein eigenes Urteil über die damalige Gesellschaft zu bilden (offensichtlich nach seinem eigenen, begrenzten geografischen Horizont). Er sah im Projekt einer ’Aufklärung des gemeinen Mannes’ die Lösung dessen, was ihm das größte Problem der Zeit erschien, nämlich das Überleben des Aberglaubens trotz der Aufklärung. Sobald er zu diesem Schluss kam, eröffnete sich eine neue Phase in seiner Entwicklung. Diee Entwicklung bestand nicht mehr darin, die Welt der Gegenwart zu beobachten und zu beurteilen und hierdurch ein moralisches Ideal zu bilden, sondern darin, die Welt der Vergangenheit zu vertiefen, um dadurch die grundlegenden Aspekte der menschlichen Gesellschaft zu verstehen. Nur so konnte Hegel tatsächlich die Hauptmerkmale der Aufklärung durch die Wissenschaften und Künste begreifen. Die Jahre 1787-1788 sind daher geprägt von eingehenden Lektüre zu verschiedenen Aspekten der menschlichen Gesellschaft, insbesondere der Vergangenheit.[2] 

 

Die Natürlichkeit der alten Dichter

 

Nachdem er die Kategorie der Natürlichkeit als Maßstab für ein korrektes Verhältnis zwischen Innen und Außen, Inhalt und Form und damit als geeignetes Kriterium für eine korrekte Aufklärung rezipiert hatte, das allein zu einem individuellen und sozialen Glück führen kann, konnte Hegel seinen Mangel an einem "gründlichen und philosophischen Studiums der Geschichte", wie von ihm im Tagebuch zum Ausdruck gebracht wird, beseitigen. Dies bedeutet nicht, dass er von diesem Moment an begann, sich mit Geschichte systematisch zu beschäftigen, sondern dass er begann, über das historische Material nachzudenken, das er bisher gesammelt hatte und das er in diesen Monaten weiter sammelte, um zu einem ersten philosophischen Ergebnis Interpretation in seiner Interpretation der Geschichte zu gelangen. Dies gelang ihm, genau weil er nun endlich über eine Kategorie verfügte, auf die er sein schon philosophisches Urteil stützen konnte.

Bei der Formulierung einer philosophischen Interpretation der Geschichte bleibt Hegel in diesen Jahren noch auf der Ebene der Wissenschaften und Künste und kehrt noch nicht auf die Ebene der ’Aufklärung des gemeinen Mannes’ zurück. Insbesondere untersucht er die Geschichte der Dichtkunst in Form eines Vergleichs zwischen der Kunst der alten und modernen Dichter, die zu dieser Zeit ein wichtiges Thema für Intellektuelle war. [3] Er tat dies aber mit dem Ziel, seine eigenen philosophischen Fragen zu klären und nicht an der damaligen Debatte teilzunehmen.

 

Schulaufsatz: "Über einige charakteristische Unterschieden der alten Dichter (von den neueren)"

 

Zu diesem Thema schrieb er insbesondere zwei Aufsätze "Über einige charakteristische Unterschiede der alten Dichter (von den neueren)" vom 7. August 1788 [4] und, weniger bedeutsam, "Über einige Vorteile, die uns das Lesen der antiken griechischen und römischen klassischen Schriftsteller bringt (im Dezember 1788).[5] Dieser zweite Aufsatz gehört jedoch nicht zu dieser Phase, da es deutlich gezeigt werden kann, dass der Höhepunkt dieser Phase, d..h der Gedanke, der sein Wesen ausmacht, von Hegel durch den ersten Aufsatz vollständig erreicht wird. Dieser Aufsatz kann daher zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Fortschritte in Hegels geistiger Entwicklung enthalten. Was seine Rolle in Hegels Entwicklung betrifft, so gibt es daher zwei Möglichkeiten: Entweder enthält es eine bloße Wiederholung der Gedanken, die bereits im ersten Aufsatz enthalten sind, oder es enthält neue Gedanken, die möglicherweise bereits auf ein neues Stadium hinweisen. Wir werden uns damit also später befassen, wenn uns mit den Schriften beschäftigen werden, die Hegel vom 7.8.1788 bis Ende August 1792 verfasst hat. 

In den fünfzehn Monaten zwischen dem Exzerpt über die Natürlichkeit aus Nicolais Aufsatz und dem ersten dieser Aufsätze hat Hegel offensichtlich die Kategorie der Natürlichkeit aufgegriffen und ausgearbeitet. Nach dieser notwendigen ’Zeit der Assimilation’ war er endlich bereit, sie auf die Interpretation der Kunstgeschichte anzuwenden.

Die Hauptidee des Aufsatzes vom 08.07.1788 ist, dass die alten Dichter einen größeren Erfolg und einen tieferen Einfluss [6] auf die Menschen mit ihren Werken hatten als die neueren:

"In unsern Zeiten hat der Dichter keinen so ausgebreiteten Wirkungskreis mehr." (GW 1, S. 46,1)

Hegel sieht den Grund dafür darin, dass sie spontan ihre eigene poetische Kunst geschaffen haben:

"Eine vorzüglich auffallende Eigenschaft der Werke der Alten ist das, was wir die Simplicität nennen, die man mehr fühlt, als deutlich unterscheiden kann." (GW 1, S. 46, 22-23).

Das Hauptmerkmal ihrer Kunst war daher die Einfachheit, die, wie Hegel schreibt, darin besteht:

"[…] daß die Schriftsteller uns das Bild der Sache getreu darstellen." (GW 1, S. 46,24-25) 

Sie waren daher originell und nach Hegel 

"...mussten sie original sein" (GW 1, S. 47,2),
weil sie ihre Ideen, Empfindungen und Vorstellungen direkt aus der Natur (GW 1, S. 48.14-16) und aus Erfahrung erhielten.[7]  Diese wurden ihnen nicht bereits von anderen Menschen oder Kulturen vorbereitet und ausgearbeitet.[8] Die alten Dichter waren der "Sache selbst" treu, wie sich Hegel bereits in diesem Aufsatz auf sehr bedeutende Weise ausdrückt, da sie spontan den Inhalt ihres Geistes ausdrückten, ohne (das Bild der Sache) 

"...durch feine Nebenzügege, durch gelehrte Anspielungen interessanter oder durch eine kleine Abweichung von der Wahrheit es glänzender und reizender zu machen, wie wir heut zu Tage fordern.[9] 

Mit einem Wort kann gesagt werden, dass die Alten ’natürlich’ waren, da sie ihre Kunst unwissentlich nach dem Prinzip der ’Natürlichkeit’ schufen. [10]

Folglich hatten die Alten ein breites Spektrum an Aktivitäten und damit Erfolg und Einfluss auf die Menschen, [12] wenngleich sie es im Gegensatz zu den Modernen

"... ohne Rücksicht auf ein Publicum ihre Werke verfertigten" (GW 1, S. 47,25-26).

Anders als bei den Alten

"[...] sind die Begriffe und die Cultur der Stände zu sehr verschieden, als daß ein Dichter unserer Zeit sich versprechen könnte, allgemein verstanden und gelesen zu werden" (GW 1, S. 46,11-13).

Es ist interessant, dass Hegel hier zum ersten Mal seit 1786, dem Jahr, aus dem die Textpartie höchstwahrscheinlich stammt, oder auf jeden Fall aus dem dritten Stadium der ersten Phase, auf den Begriff des ’gemeinen Mannes’ zurückkommt. Dies bedeutet, dass er zu dieser Zeit dabei ist, die Perspektive der Aufklärung durch die Wissenschaften und Künste zu verlassen.

Es gibt zwei weitere Aspekte, die in diesem Aufsatz bemerkenswert sind: seine Analyse der Sprache, insbesondere sein Interesse an Altgriechisch und Latein, und Lessings Einfluss.

Sehr bemerkenswert sind in diesem Aufsatz noch zwei Aspekte: seine Analyse der Sprache,  insbesondere sein Interesse für die altgriechische und die lateinische Sprache, und der Einfluss Lessings.

Es ist schon bemerkt worden, wie das Interesse des jungen Hegel für die alten Sprachen neben seinem moralischen Hauptinteresse eine wichtige Stelle in dieser Zeit einnimmt.  Bemerkungen und Überlegungen über die altgriechische und die lateinische Sprache sowie über den Begriff der Sprache selbst sind überall in Hegels Tagebuch zu finden, wie es in dieser Studie schon gezeigt worden ist. Das gleiche gilt für die Exzerpte zu diesem Thema. In dieser Phase seiner Entwicklung bekommt aber Hegels Nachdenken über Sprache eine besondere Bedeutung, weil er die Kategorie der Natürlichkeit auf den Begriff der Sprache anwendet.Seine Überlegungen über die Sprache bringen Hegel auf den Gedanken, dass es vorteilhaft sei, wenn man sich in einer Sprache ausdrücken könne, die man selber gebildet und nicht von außen bekommen habe. Da das heute nicht mehr möglich ist, weil die Menschen gezwungen sind, im Verlauf ihrer Erziehung die Sprache und deren Inhalt schon vorbereitet zu erlernen, wäre wenigstens sehr wichtig, sich die ursprüngliche, echte Bedeutung der Wörter anzueignen, wie es in dem Exzerpt aus Kistenmaker vom 18. März 1788 zu lesen ist.[12]

Da dieses Exzerpt von Hegel genau in der Zeit zwischen dem Exzerpt aus Nicolai (16.08.1787) und dem Aufsatz "Über einige charakteristische Unterschiede..." (07.08.1788) abgeschrieben worden ist, kann man seinen Einfluss auf ihn nicht ausschliessen. Man könnte ihn darin sehen, daá diese Lektüre dazu beigetragen hat, dass Hegels Überlegungen über die Sprache, die bisher eine sekundäre Rolle in seinem Denken gespielt hatten, sich mit der Hauptrichtung seiner Überlegungen verbanden und eine Unterstützung zur Entstehung seiner philosophischen Interpretation der Geschichte von der Seite der Geschichte und der Philosophie der Sprache her leisteten.

Was Lessings Einfluss auf den jungen Hegel betrifft, ist sehr wichtig, dass in diesem Aufsatz zum ersten Mal der Satz aus Lessings Nathan vorkommt, der von Hegel danach oft zitiert wurde und der mit Sicherheit auch seine eigenen Gedanken ausdrückte. [14]

Der begriffliche Inhalt dieses Satzes knüpft an den Begriff der Natürlichkeit (Simplizität, Originalität) an. Er besitzt einen allgemeinen Wert, d.h. er ist nicht unbedingt an die Interpretation der Kunst oder der Sprache gebunden, sondern er betrifft die Bildung des menschlichen Geistes im allgemeinen. Vorbild jeglicher Bildung ist eine natürliche bzw. originale Bildung. Eine Bildung, die auf Begriffen beruht, die man nicht selber gebildet hat und deren Inhalt man nicht versteht, ist dagegen als ’tote’, ’leere’, ’kalte’ bzw. ’buchst„bliche’ Bildung anzusehen.

Man muá hinter diesem Begriff auch eine Kritik der damaligen Bildung sehen, und in diesem Sinne wird dieser Satz von Hegel in den Tübinger Jahren gegen den Unterricht im Stift verwendet.  Es handelt sich also um einen zentralen Begriff in Hegels Denken, und es ist diesbezüglich sehr wichtig, Lessings Einfluss auf die Entstehung von Hegels früher, philosophischer Interpretation der Geschichte auf die Zeit zwischen August 1787 und August 1788 festlegen zu können. 

Rückblickend kann man also sagen, daá Hegel bis zum 7. August 1788 mit Sicherheit sein Verständnis des Begriffs ’Aufklärung’ vertieft hat. Er hat schon die Kategorie der Natürlichkeit aufgenommen und ist durch den Vergleich zwischen der Kunst der Alten und der Kunst der neueren unter dem Gesichtspunkt jener Kategorie zu einer philosophischen Interpretation der Geschichte  gelangt. Nach dieser Interpretation scheint die Bildung des Geistes bei den Alten dem Maástab der Natürlichkeit entsprochen zu haben, was in der Neuzeit nicht mehr der Fall ist. Infolgedessen scheint Hegel sich ein Bild der Geschichte als Verfall angeeignet zu haben, und dementsprechend scheint er ab diesem Zeitpunkt das Bild des menschlichen Lebens, wie er es bei den Alten und insbesondere bei den Griechen) zu erkennen meinte, als sein Vorbild eines natürlichen Lebens betrachtet zu haben.[15] 

 

Anmerkungen

 

[1Dies ist der Auszug „Philosophie. Verhältniss der Metaphysik zur Religion “. Zur Chronologie sowohl der Seiten des Tagebuchs als auch der Auszüge sowie der Fragmente der folgenden Jahre siehe der Anhang zu dieser Arbeit.

[2]Es ist sicherlich in diesen Jahren, dass Hegels charakteristische Art, Geschichte zu studieren, geboren wurde, um die grundlegenden Strukturen der menschlichen Gesellschaft und die letztendliche Bedeutung, zu der ihre Entwicklung tendiert, zu verstehen. Es wird dann seine berühmte philosophische Auffassung von Geschichte beleben, deren Wurzeln genau in diesen frühen Überlegungen liegen (in Einfluß habe ich auch konkrete Parallelen zwischen der Philosophie der Reifegeschichte und diesen Studien der Stuttgarter Zeit aufgezeigt - siehe z Beispielseiten 45-46).

[3]  Siehe Giusti, 1987, S. 13-22

[4]GW1, S. 46-48

[5]  GW1, S. 51-54

[6]  Die beiden Begriffe "Erfolg" und "Einfluss" finden sich im Auszug aus Nicolai auf S.146 mit der gleichen Bedeutung: "Andererseits Reflexion über alle Objekte des menschlichen Lebens, sofern sie einen Einfluss auf haben." Wohlbefinden [...]; [...] zeigt den Grad der Aufklärung einer Nation. All dies kann tausendmal geändert werden, aber es muss im richtigen Verhältnis stehen, sonst wird der Erfolg schlecht sein. "

[7]  GW1, S. 46-47: "Darüber hinaus, da das gesamte System ihrer Ausbildung so war, dass jeder seine eigenen Ideen aus der Erfahrung selbst gewonnen hatte und die kalte Buchlehre nicht kannte, die sich nur mit toten Zeichen in das Gehirn einprägt, aber immer noch konnte Sag von allem, was er wusste: Wie? Wo ist es? Warum? hatte es gelernt; Jeder musste daher seine eigene Denkweise und sein eigenes Denksystem haben, er musste daher originell sein. "

[8]  GW1, S. 47,2-8: „Von unserer Jugend an lernen wir die praktikabelste Menge an Wörtern und Zeichen von Ideen, und diese ruhen in unseren Köpfen ohne Aktivität und ohne Verwendung. Nur nach und nach lernen wir durch Erfahrung, unseren Schatz zu kennen und etwas in Worten zu denken, die jedoch sozusagen schon für uns sind, Formen, nach denen wir unsere Ideen formen und die bereits ihren Umfang und ihre Grenzen haben. definiert und sind Beziehungen, nach denen wir es gewohnt sind, alles zu sehen ".

[9]  GW1, S. 46,25 -27

[10]  Diese Überlegung, dass alte Dichter auf natürliche Weise natürlich waren, erscheint sehr interessant, während moderne Dichter, wenn sie natürlich sein wollen, dies bewusst tun müssen, d.h. nicht mehr spontan, sondern absichtlich.

[11]  Mit "Volk" meint Hegel hier das "gemeine Volk", dh den "gemeinen Mann" im Sinne des Teils des Textes über die Aufklärung-Aufklärung der vorherigen Phase.

[12]  GW1, S. 183,15-16: "Wegen der Schwierigkeiten ist es notwendig, so weit wie möglich zur ersten und ältesten Bedeutung der Wörter zurückzukehren..."

[13]  Siehe GW1, S. 99,25-26und 51,20-21.

[14]  GW1, S. 52,17-19: "Aber die Alten, besonders die Griechen, auf die wir uns hier in besonderer Weise beziehen, da die römischen Schriften, ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, nur Nachahmungen dieser sind - [...]" er schrieb im Aufsatz vom Dezember 1788.

 


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1.3 DRITTE PHASE

Entstehung des Programms der Stiftung einer neuen natürlichen
und vernünftigen Volkreligion zum Zweck der Aufklärung des ’gemeinen Mannes’

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Zeitraum: 10. Januar 1792 - Wintersemester 1793/94

Hauptquellen: letzte Tübinger Texte und frühe Berner Texte

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Achtung: Es handelt sich um eine automatische Übersetzung des italienischen Originals,

es könnten Ungenauigkeiten geben. Bis Ende 2022 wird die Übersetzung korrigiert.
Insbesondere die Zitate können dem Sinn nach korrekt sein, aber sprachlich nicht dem Original entsprechen.
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Grundkonzept der dritten Phase der ersten Periode

Dank Flatts Lehre versteht Hegel, dass die Religion eine sehr wichtige Funktion im Leben eines Volkes hat und dass diese Funktion nicht von einer Philosophie wie der Kantischen erfüllt werden kann, die für ein gelehrtes Publikum bestimmt ist. Er folgt damit der Position von Flatt, der glaubte, dass Kants Philosophie nur für Gelehrte einen erhellenden Wert habe und die Religion stattdessen die Aufgabe habe, die Moral des Volkes zu fördern. Hegel ist jedoch im Gegensatz zu Flatt nicht ganz davon überzeugt, dass gerade die christliche Religion geeignet ist, diese Funktion zu erfüllen, und arbeitet deshalb die Züge einer neuen ethisch-religiösen Lehre heraus, die möglicherweise zur Aufklärung des Menschen führen kann. gemeinsames. 

Philologische Situation der Quellen und Datierung

Obwohl die zu dieser dritten Phase der ersten Periode der Hegelschen Gedankenentwicklung gehörenden Schriften weitgehend fragmentarisch und zudem undatiert sind, kann die Datierung dieser Phase insgesamt auf genaue graphologische Studien gestützt werden, die in Deutschland im Laufe der letzten Jahrzehnte durchgeführt wurden, die auf Grund der wenigen datierten zeitgenössischen hegelschen Schriften - z.B. die Briefe - zumindest allgemein die Abfolge der Fragmente und die Zeitspanne, in der sie geschrieben wurden. Dies ermöglicht eine ziemlich genaue genetische Rekonstruktion des letzten Studienjahres Hegels am Stift in Tübingen, also von Ende 1792 bis Ende 1793, sowie des ersten Jahres seines Schweizer Aufenthaltes, also von Ende 1793 bis Ende 1794.. [17]

Stadien der dritten Phase der ersten Periode

Das erste Stadium dieser Phase, ungefähr vom 10. Januar 1792 bis zum Winter 1793, wird durch Hegels Verständnis der Notwendigkeit konstituiert, die Religion vor der aufklärerisch-kantianischen Kritik zu retten. Dabei geht es um die Haltung des jungen Philosophen zu der intensiven Debatte, die damals zwischen den Anhängern der Kantschen Konzeption der Postulate der praktischen Vernunft, also der Begründung der Religion durch die Moral, und umgekehrt denjenigen, die daran verankert blieben, geführt wurde die traditionelle und offizielle theologische Position der Begründung der Moral durch das Werk der Religion. Gerade im Stift war diese Debatte besonders lebhaft, wie hier Flatt lehrte, einer der intelligentesten Kant-Kritiker und Anhänger der theologischen Position. [18]

Auf der Grundlage von Flatts Lehre versteht Hegel in der Tat, dass die Religion eine sehr wichtige Funktion im Leben eines Volkes hat und dass diese Funktion nicht von einer Philosophie wie der Kantischen erfüllt werden kann, die für ein gelehrtes Publikum bestimmt ist. Er folgt damit der Position von Flatt, der glaubte, dass Kants Philosophie nur für Gelehrte einen erhellenden Wert habe und die Religion stattdessen die Aufgabe habe, die Moral des Volkes zu fördern. Hegel ist jedoch im Gegensatz zu Flatt nicht ganz davon überzeugt, dass gerade die christliche Religion geeignet ist, diese Funktion auszuüben (deshalb spricht er in den Texten dieser Stufe von einer ‚Volksreligion‘, offenbar im Gegensatz zur Philosophie Kant als „gelehrte Religion“).

Im zweiten Stadium dieser Phase, vom Winter 1792/93 bis zum Sommer 1793, führt der junge Student gründliche und genaue Reflexionen über die grundlegenden Eigenschaften durch, die eine Volksreligion haben muss, um diese sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen. Diese Phase ist wiederum in drei Phasen unterteilt, die jeweils durch einen Schritt gekennzeichnet sind, den er bei der Bestimmung des Begriffs der Volksreligion unternimmt.

 

Auf der Grundlage dieser kantischen Konzeption entwickelt Hegel in der dritten und letzten Stufe dieser Phase (Sommersemester 1793 bis Wintersemester 1794)  dank der Lektüre des kantischen Religionstextes sein eigenes Ideal der Gründung einer neue populäre und rationale religiöse Lehre, um die Aufklärung des einfachen Mannes zu fördern. 

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1.3.1 ERSTES STADIUM 

Hegels Position zum Problem der 
Religionsrettung bei einem aufgeklärten Volk: 
Religion ist lebensnotwendig
 und muss als „Volksreligion“ gerettet werden

Zeitraum: August 1792 - Frühjahr 1793
Hauptquelle: Text 12

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Die erste klare Position Hegels gegenüber der damals im Stift geführten philosophisch-religiösen Diskussion ist eine ausdrückliche Kritik an diejenigen, die glaubten, Religion habe keine theoretische Gültigkeit.
Leider ist es aufgrund des Mangels an Texten aus den Jahren 1789-1791 nicht möglich, mit chronologischer Genauigkeit festzustellen, wann diese Hegelsche Auffassung entstanden ist. Wir können jedoch mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass sie sich nicht vor dem 10. Januar 1792 entwickelt haben kann. Tatsächlich eine Predigt, die Hegel heute hält, in der er die Meinung äußert, dass die Funktion der Religion im Leben des Menschen nicht unverzichtbar ist und dass die Grundlage der Moral auch durch die Stimme des Gewissens verwirklicht werden kann. Dies ist offensichtlich eine Position vom Typ Rousseau, da der französische Philosoph in den ersten vier Jahren seines Aufenthalts in Tübingen von der allgemeinen Herangehensweise des Hegelschen Denkens geprägt zu sein scheint (1).
Hegels Verständnis von der zentralen und unersetzbaren Rolle der Religion im menschlichen Leben lässt sich erstmals eindeutig nur mit Text 12 „Inwieweit ist Religion zu würdigen …“ dokumentieren. Dieser Text wurde von dem jungen Philosophen zwischen Ende August 1792 und dem Frühjahr 1793 geschrieben (2). Seine Position zur Stiftsdiskussion muss daher spätestens in diesen Zeitraum gestellt werden.
Im Text finden wir den Beginn von Hegels Auseinandersetzung mit der philosophisch-religiösen Problematik. Dieser Vergleich wird dann in den folgenden Texten ausgebaut und erhält in den letzten Blättern des Textes 16 eine erste vollständige Systematisierung.
Die grundlegende Frage ist die der Rettung der Religion in einer aufgeklärten Nation, wie man an diesen Worten erkennen kann:

Die Opfer, (3) und die ihnen zugrunde liegenden Begriffe, können niemals in ein Volk eingeführt werden, das einen gewissen Grad an Erleuchtung erreicht hat [...]. Wie können sie sich in einer aufgeklärten Nation behaupten, wenn sie erst einmal da sind? "(SG 1, 159).

Hier ist das deutsche Original:
" Opfer und die Begriffe auf die [sie] sich gründen, lassen sich bei einem Volk nimmer einführen, das einen gewissen Grad von Aufklärung hat - [...] - wie können sie, wenn sie einmal da sind, bei einer aufgeklärten Nation sich halten.“ 
(SW 1, 75, 7-11).

Diese Problematik entwickelnd, fragt sich der junge Denker weiter, wie eine Religion beschaffen sein soll, die die Kritik des Intellekts überwinden will und gleichzeitig jene sensiblen Komponenten enthalten kann, die es ihr erlauben, auf die Mentalität der Menschen einzuwirken.
Die Antwort auf diese Frage bildet das zentrale Motiv aller Fragmente dieser Jahre bis hin zum Wintersemester 1793/94, die bereits in Bern entstanden sind. In den ersten Zeilen des Textes 12 wird daher die grundlegende Frage formuliert, die dann der Entwicklung des Hegelschen Denkens in den kommenden Monaten und Jahren zugrunde liegen wird.
In diesem wichtigen Text finden wir neben der grundsätzlichen Frage der Rettung der Religion bei einem aufgeklärten Volk auch diverse andere Überlegungen, die bereits einen weiteren Schritt zur Feststellung der Grundzüge einer solchen Religion darstellen. Besonders wichtig sind die von Hegel angestellten Überlegungen zur Doppelfrage, ob eine solche Religion als subjektiv oder objektiv und dennoch als privat oder öffentlich vorzuziehen ist.
Gleich zu Beginn des Textes geht Hegel gleich auf die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Religion ein:

Inwiefern ist Religion als subjektiv oder als objektiv einzuschätzen? "(SG 1, 159).

Hier der Originaltext:

"... wiefern ist Religion zu schäzen als subjektive oder als objektive ?" (GW 1, 75, 3).

Diese Frage wird von ihm ausdrücklich im Zusammenhang mit Fichte behandelt und ist daher mit seiner Rezeption der Offenbarungsschrift (4) in Verbindung zu bringen. Da sich Hegel ausdrücklich die Frage stellt, ob die eine oder andere Form der Religion richtig ist – dies wird schon in den anderen überlieferten Fragmenten deutlich werden (5) –, ist zumindest aus diesem inhaltlichen Grund offensichtlich, dass dieser Text eine war vor den anderen geschrieben.
Die Fortsetzung des Textes setzt neben der Lektüre Fichtes auch die von Moses Mendelssohns Werk Jerusalem (6) voraus. Aus der Lektüre dieses Textes hat Hegel vor allem die Unterscheidung zwischen Privatreligion und Volksreligion mitbekommen (7). Diese Konzepte kehren im Text sehr oft wieder (8).
Hegel tritt für Volksreligion und gegen Privatreligion ein. Der Zweck der Volksreligion wird von ihm folgendermaßen ausgedrückt:

„... den Charakter der Nation im Ganzen zu formen “ (GS 1, 160).

Im Original: „[...] den Charakter der Nation im Großen zu bilden “ (GW 1, 76, 4).
Die Begriffspaare subjektiv-objektiv und öffentlich-privat, beide in Bezug auf Religion, spielen in den unmittelbar folgenden Texten eine zentrale Rolle. Aus diesem Grund ist es daher notwendig, dem Text 12 grosse Bedeutung beizumessen, da wir durch ihn rekonstruieren können, wie das Problem, das den folgenden Texten zugrunde liegt, entstanden ist und dann in die Texte der Berner Frühzeit in das Ideal des Gründung einer neuen Religion.
Dieses Problem lässt sich wie folgt zusammenfassen:

- Hegels grundlegendes Ziel ist es, die Religion vor einem aufgeklärten Volk zu retten;

- die grundsätzliche Frage ist, wie diese Religion aussehen soll;

- Grundlegende Merkmale dieser Religion, die Hegel in den letzten Monaten zu definieren versucht, sind Subjektivität und Popularität.

Eine weitere Frage bleibt zu klären, nämlich auf Grund welcher Argumentation Hegel die Religion retten wollte, was also der grundlegende Grund für sein Interesse an diesem Aspekt des menschlichen Lebens war.

Aus den anderen Texten wissen wir, dass Hegel in der Religion die Möglichkeit der „Beförderung der Moral“ sah, da sie die „Triebfedern“ oder „Beweggründe“ zum menschlichen Handeln (9). 
Diese Konzeption taucht im Text nicht explizit auf, aber die Konzepte, auf denen sie basiert, sind vorhanden. (10) Da sie in Kants Moralphilosophie durch die Theorie der Postulate begründet ist und diese Theorie von Fichte in seiner Offenbarungsschrift aufgegriffen wurde, könnte Hegel sie sowohl durch die Lektüre von Kant als auch durch den Fichtschen Text erhalten haben (11).
Der Einfluss von Flatts Lehre und Rapps Aufsatz „Über die moralischen Triebfedern, besonders der christlichen Religion“ ist angesichts ihrer direkten und täglichen Präsenz im damaligen Stift jedoch viel wahrscheinlicher.
Daraus lässt sich jedoch schließen, dass der grundlegende Grund, aus dem Hegel die Religion retten wollte, nämlich ihre Funktion zur Förderung der Volksmoral, von Hegel zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes bereits erdacht worden war.
In Text 12 wird daher Hegels Haltung gegenüber der philosophisch-religiösen Stiftsdiskussion deutlich zum Ausdruck gebracht: Er war der Meinung, dass die Religion in einem Volk zu retten sei und dies in Form einer subjektiv-volkstümlichen Religion geschehen müsse (subjektive Volksreligion).
Der nächste Schritt, den Hegel zu tun hatte, war die Lösung der grundlegenden Frage, was diese Religion in einem aufgeklärten Volk haben sollte, dh er musste ihre Hauptmerkmale herausarbeiten. Dies tat er in den unmittelbar folgenden Monaten, wie Text 16 reichlich und deutlich dokumentiert. 

FUSSNOTEN

1) Vgl. de Angelis, 1995.
2) Vgl. GW 1, S. 469-471.
3) Hegel bezieht sich hier auf die der Religion eigenen Opfer.
4) Siehe GW 1, p. 557, Anmerkung bei 75.4.
5) Siehe Text 16, Blatt „c“, GW 1, S. 87ff.
6) GW 1, Redaktionsbericht, p. 470: „Der erste Teil (des Textes) ist offenbar während der Lektüre des Buches Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum von Moses Mendelssohn entstanden“.
7) Vgl. Jamme, 1983, p. 50: „Die Unterscheidung zwischen Volks- und Privatreligion [...] erreichte Hegel durch Moses Mendelssohn, einen von Kant hochgeachteten Denker, und sein 1783 erschienenes Werk Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum“.
8) Sie greifen insbesondere auf folgende Stellen von GW 1 zurück: 76,5-6; 76,8; 77,13; 77.15-16; 77,19; 77.26.
9) Das sind Begriffe, die in wesentlicher Weise zu der theologisch-moralischen Debatte gehören, mit der wir es zu tun haben.
10) Siehe Platz 77,5 ff. von GW 1 (GS 1, S. 161 ff.), wo zu lesen ist: „- die ganze Reihe von Triebfedern und Beweggründen, womit man dise jene Tugend motivirt“ diese oder jene Tugend"). Hier wird deutlich, dass die Begriffe „Triebfeder“ und „Beweggrund“ zum Zeitpunkt der Abfassung 12 bereits zur Begriffsausstattung Hegels gehörten.
11) Siehe die Stelle 77,16-18 von GW 1, in der der Bezug zu Fichte bezüglich des Verhältnisses von Religion und Moral deutlich gemacht werden kann (siehe die Stelle 23,18-19 der Offenbarungsschrift).

 

*

1.3.2

ZWEITES STADIUM 

Von der Volksreligion als „Sache des Herzens“

zur Volksreligion als "Sache der Vernunft"

(Herbst / Winter 1792/93 - Sommer 1793)

Achtung: Es handelt sich um eine automatische Übersetzung des italienischen Originals,
es könnten Ungenauigkeiten geben. Bis Ende 2022 wird die Übersetzung korrigiert. 

Fussnoten müssen ebenso korrigiert werden.
Insbesondere die Zitate können dem Sinn nach korrekt sein,
aber sprachlich nicht dem Original entsprechen.
Bitte nicht aus dieser Fassung zitieren, warten Sie bitte auf die Endfassung!).

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Ausgehend von einem Zeitraum etwa zwischen Ende 1792 und Anfang 1793 beginnt Hegel mit der Bestimmung der grundlegenden Merkmale der Form der Volksreligion, die geeignet ist, die Religion vor der Kritik des Intellekts zu retten. 

Dieser Prozess gliedert sich in drei Stufen.

In einer ersten Stufe meint der junge Stiftler, dass das Fundament dieser Religionsform das Herz sein muss. Diese  Stufe, etwa Herbst/Winter 1792/93, beinhaltet die Ausarbeitung des Begriffs der Volksreligion als „Sache des Herzens“ (oder „subjektive Religion“). Hegel wendet sich gegen eine Religion, die eine kalte Äußerung des Intellekts sei und keinen positiven Einfluss auf das moralische Verhalten des Mensche ausüben könne. Eine solche Religion nennt er  Theologie „objektive Religion“.

In einer zweiten Stufe, die die letzten Monate seines Aufenthaltes in Tübingen und die ersten Monate seines Berner Aufenthaltes umfasst, begreift Hegel unter dem entscheidenden Einfluss von Kants Religionsschrift, dass die Grundlage der Volksreligion nur die Vernunft sein kann. So arbeitet er das definitive Ideal der Volksreligion als „Sache der Vernunft“ aus. Diese Stufe, vom Winter 1792/93 bis zum 1. Mai 1793, ist insbesondere von einer Denkkrise geprägt, in der sich Hegel nach der Lektüre und Rezeption der von Kant im ersten Kapitel der Religionsschrift zum Ausdruck gebrachten anthropologischen Konzeption befindet. Darin hatte Kant nämlich klargestellt, wie in der menschlichen Natur sowohl die Anlage zum Guten als auch zum Bösen zusammen vorhanden sind und dass daher die Aufgabe der Religion darin besteht, den Menschen dazu zu bringen, der ersten Anlage zu folgen und die zweite konsequent aufzuheben. Hegel zeigt in den Schriften dieser Stufe (der zweiten und dritten Tubingischen Predigt), dass er diese kantische Lehre empfangen, sich zu eigen gemacht und damit die Vorstellung des vorigen Stufe der überwunden hat.

Die dritte Stufe  (vom 1. Mai 1793 bis zum Sommer desselben Jahres) besteht schließlich in Hegels Aneignung der im zweiten und vor allem im dritten Kapitel der zitierten Kantischen Schrift enthaltenen philosophisch-religiösen Konzeption. Tatsächlich offenbart der junge Hegel in den zu dieser Stufe gehörenden Fragmenten und insbesondere im Blatt „h“ des Textes 16, dass er die kantische Lehre von der wahren Religion als einer rationalen Religion vollständig assimiliert hat. [19]

Der Text 16 ist die Hauptquelle für dieses Stadium. Die Blätter von ’a’ bis ’g’ des Manuskripts, die Text 16 entsprechen, enthalten Hegels ursprüngliche Konzeption der Volksreligion. Anhand der sehr ausführlichen und informativen Anmerkungen der Herausgeber des ersten Bandes der Gesammelten Werke ist eine genaue Analyse dieses Textes möglich. Aus diesen Notizen erfahren wir, dass das sogenannte „Tübingerfragment“, also der Text 16 von GW 1, kein einheitlicher Text ist, sondern eine Sammlung verschiedener Texte, die von Hegel zu verschiedenen Zeiten und geschrieben wurden dann von ihm zu einer thematisch einheitlichen Schrift zusammengefügt ([1]) 

Vor allem die Zäsur an Stelle 99,28-29 von GW 1 ist wichtig, da sie die Wasserscheide zwischen zwei Textgruppen darstellt, die sich durch eine völlig unterschiedliche Auffassung von ‚Volksreligion‘ voneinander unterscheiden.“ ([ 2]) 

Die vor diese Zäsur gestellten Texte enthalten in der Tat eine Auffassung von Volksreligion als „Sache des Herzens“, während die nachfolgenden die Auffassung von „Volksreligion“ als „Sache der Vernunft“, also als Vernunftreligion, zum Ausdruck bringen. 

 

*

ERSTE STUFE

Volksreligion als „Sache des Herzen“   

(Herbst / Winter 1792/93)  

 

Ausgehend von einem Zeitraum etwa zwischen Ende 1792 und Anfang 1793 beginnt Hegel mit der Bestimmung der grundlegenden Merkmale der Form der Volksreligion, die geeignet ist, die Religion vor der Kritik des Intellekts zu retten. 

Dieser Prozess gliedert sich in zwei grundlegende Phasen: In einer ersten Phase, mehr oder weniger bis zum Sommer 1793, glaubt der junge Stiftler, dass das Fundament dieser Religionsform das Herz sein muss (er arbeitet das Ideal einer des Herzens aus). ); in einer zweiten Phase, die die letzten Monate seines Aufenthaltes in Tübingen und die ersten Monate seines Berner Aufenthaltes umfasst, begreift Hegel unter dem entscheidenden Einfluss von Kants Religionsschrift, dass die Grundlage der Volksreligion nur die Vernunft sein kann. So arbeitet er das definitive Ideal einer „Religion der Vernunft“ aus. 

Die Blätter von ’a’ bis ’g’ des Manuskripts, die Text 16 entsprechen, enthalten Hegels ursprüngliche Konzeption der Volksreligion. Anhand der sehr ausführlichen und informativen Anmerkungen der Herausgeber des ersten Bandes der Gesammelten Werke ist eine genaue Analyse dieses Textes möglich. Aus diesen Notizen erfahren wir, dass das sogenannte „Fragment von Tübingen“, also der Text 16 von GW 1 (und auf Italienisch von SG 1), kein einzelner Text ist, sondern eine Sammlung verschiedener Texte, die von Hegel zu verschiedenen Zeiten und geschrieben wurden dann von ihm zu einer thematisch einheitlichen Schrift zusammengefügt ( [1]

Vor allem die Zäsur an Stelle 99,28-29 von GW 1 ist wichtig, da sie die Wasserscheide zwischen zwei Textgruppen darstellt, die sich durch eine völlig unterschiedliche Auffassung von ‚Volksreligion‘ voneinander unterscheiden ( [ 2]

Die vor diese Zäsur gestellten Texte enthalten in der Tat eine Auffassung von Volksreligion als „Sache des Herzens“, während die nachgestellten die Auffassung von „Volksreligion“ als „Vernunftreligion“, also als Vernunftreligion, als eine ’Sache der Vernunft’. 

In diesem Abschnitt konzentrieren wir uns auf die erste Konzeption, während die zweite später besprochen wird, da sie die Lektüre von Kants Religionsschrift voraussetzt, also nach der von Flügge vorgeschlagenen intelligenten Periodisierung bereits in die zweite Periode der Entwicklung der Diskussion über die theologisch-moralische Problematik, angeregt durch die Veröffentlichung von Kant’s Werken der praktischen Philosophie. 

Eine eingehende Analyse der verschiedenen Blätter von ’a’ bis ’g’ des Textes 16 offenbart das Vorhandensein einzelner konzeptioneller Passagen Hegels, durch die er die Konzeption der Volksreligion als einer ’Sache des Herzens’ entwickelt hat. Diese Passagen können genau voneinander unterschieden werden. Bauen wir sie jetzt nacheinander wieder auf.

 

Blatt ’a’

(GW 1: 83.1 bis 85.13) ( [3] )

Hier ist eine Einführung in das ganze Thema. Hegel beginnt mit der Begründung des Themas und erklärt die Bedeutung der Religion im Leben der Menschen. Tatsächlich lautet der Anfang dieses Blattes und auch des Textes 16 so:

 

"Religion ist eine der wichtigsten Angelegenheiten unseres Lebens [...]" (GW 1, 83, 1)

Denkt man an die Kritik, der die Religion innerhalb des Stifts ausgesetzt war (z. B. die Position von Atheisten/Naturalisten wie Diez), ( [4] ), so lässt sich schlussfolgern, dass diese ersten Worte bereits eine klare Haltung gegen diese extreme Haltung darstellen und, wenn auch nicht ausdrücklich zugunsten der von Flatt befürworteten Rettung der Religion. 

Hegel begründet diese Bedeutung der Religion damit, dass in der „Natur des Menschen“ ein „natürliches Bedürfnis“ danach bestehe, so dass die Religion und vor allem „das, was in der Gotteslehre praktischen Wert hat“ im „Unverdorbenen“ finde menschlichen Sinnes „ein sehr aufnahmefähiges Terrain. 

Nach dem Hinweis auf die zentrale Stellung der Religion im menschlichen Leben erklärt die junge Studentin auch, dass es aus methodologischer Sicht wichtig sei, mit viel Fingerspitzengefühl vorzugehen, wenn man sich erfolgreich mit diesem Thema auseinandersetzen, d. h. effektiv beeinflussen wolle die Moral der Menschen Männer. Das dürfen wir eigentlich nie vergessen

 

„[...] Sinnlichkeit das Hauptelement bei allem Handeln und Streben der Menschen ist“ (GW 1, 84, 16-17).

Weiterführend formuliert er es so:

„Die Natur des Menschen ist sozusagen nur von den Ideen der Vernunft durchdrungen“

 

und er vergleicht den Einfluss dieser Ideen auf das moralische Verhalten des Menschen mit dem Salz in einem Gericht, dh damit, dass es seinen Geschmack verändert, ohne jedoch seine Anwesenheit sichtbar zu erkennen. 

Hegel meint damit, dass die auf rationalen Prinzipien gegründete Moral nur dann auf den Menschen einwirken kann, wenn es ihr gelingt, seine Sensibilität zu beeinflussen. 

Moral muss also, um erfolgreich zu sein, die menschliche Sensibilität so modifizieren, dass sie selbst „moralisch“ wird. Geschieht dies, so handelt der Mensch dennoch auf sensiblen Reiz hin, da er ohnehin nicht anders kann, aber die Religion die Sensibilität „moralisiert“ hat, wird er sich indirekt auch moralisch verhalten. 

 

Blatt ’b’

(GW 1: 85.14 bis 87.15) ( [5] )

Mit diesem Gedanken der Sensibilität als Grundelement menschlichen Handelns verbindet sich der Beginn des zweiten Blattes. Nachdem Hegel betont hat, dass Religion nicht als einfache Wissenschaft von Gott Gültigkeit erlangt, sondern nur dann, wenn sie „das Herz interessiert“, da sie die „Beweggründe“ der Moral liefert, bekräftigt Hegel, dass Religion „sensibel“ sein muss.

 

„[...] um auf die Sinnlichkeit wirken zu können“ (GW 1, 86, 2).

Dies ist ein wichtiger Gedanke, der im Laufe der Entwicklung des Hegelschen Denkens nicht verloren gehen wird, sondern einen festen Bestandteil seines religiösen Ideals bilden wird. 

In diesen ersten beiden Blättern haben wir eine erste Systematisierung der Überlegungen des jungen Denkers zum Begriff „Volksreligion“. Durch sie versucht Hegel, die Konzeption einer Volksreligion auszuarbeiten, die im Volk einen wirksamen Erfolg erzielen kann. 

Zu diesem Zweck versucht der junge Stiftler, die grundlegenden Eigenschaften zu ermitteln, die für dieses Ergebnis unerlässlich sind. In Blatt ’b’ ist dieser grundlegende Charakter Sensibilität und dieses Blatt endet mit dieser Überlegung ( [6]

 

Blatt ’c’

(GW 1: 87.16 bis 90.25) ( [7] )

Dieses Blatt bildet den zentralen Kern der ersten Gruppe von Fragmenten. Darin behandelt Hegel Folgendes: „Untersuchung des Unterschieds zwischen objektiver und subjektiver Religion. Die Bedeutung dieser Diskussion für die ganze Problematik“ (GS 1, S. 173 ff. – meine Übersetzung). ( [8] ) Sie ist ein besonders wichtiges Thema in Bezug auf die Ausarbeitung des Begriffs „Volksreligion“ (auch der Versuch des Denkers zu bestimmen, was der "... Hauptpunkt einer Volksreligion..." ist, wie wir auf Blatt ’b’ lesen, ( [9] ) ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Hegel in diesen eigentlich geht es um eine einzige Hauptfrage, nämlich um die Bestimmung des Begriffs einer "Volksreligion"). 

Hier entlarvt Hegel zunächst den Begriff der „objektiven Religion“ (GW 1, S. 87,18 bis 89,15) ( [10] ) und dann den der „subjektiven Religion“ (S. 89,16 bis 90,2 ).( [11]

In dieser Darstellung bleibt er nicht unparteiisch, sondern bezieht klar Stellung für die subjektive Religion, die etwas Lebendiges ist, und gegen die objektive Religion, die im Gegenteil etwas Totes ist. 

Seine Schlussfolgerungen finden sich im letzten Absatz dieses Blattes, in dem der junge Denker seine grundsätzliche Absicht zum Ausdruck bringt. 

 

„Meine Absicht ist nicht, zu untersuchen, welche religiöse Lehre am meisten Interesse fürs Herz haben, [...], sondern was für Anstalten dazu gehören, dass die Lehren und die Kraft der Religion in das Gewebe der menschlichen Empfebindungen eingrenfernischt, i zu handeln beigesellt, und sich in ihnen lebendig und wirksamerweise - daß sie ganz subjektiv werde - wenn sie das ist - so äußert sie ihr Daseyn nicht blos durch Händefalten, [...], sondern sie verbreitige Zich aufle mens (ohne daß die Seele gerade es sich bewust ist) und wirkt überall - aber nur mittelbar mit - sie wirkt, um mich so auszudrücken, negativ, bei dem frohen Genus menschlicher Freude - [...], wenn sie auch nicht unmittelbar einwirkt, so hat sie doch den feiner Einfluß, daß sie die Seele wenigstens frei und offen dabei fortwirken läst,[...] - "

(GW 1, S. 90, 3-25)

Diese Intention besteht dann darin, zu analysieren, wie Religion subjektiv werden kann, das heißt "... was sind die Dispositionen (’Anstalten’), für die Religion - [...] - ganz subjektiv wird". 

Damit begründet Hegel einen weiteren Grundcharakter der Religion (nach ihrer „Popularität“ und „Empfindlichkeit“): die Subjektivität.

 

Blatt ’d’  [12]

(GW 1: 90.26 bis 93.27)

Dies ist ein sehr wichtiges Blatt, da Hegel darin erste Schlüsse aus den in den vorangegangenen Blättern angestellten Überlegungen zieht ( [13] ).

Anknüpfend an die Darstellung des Unterschieds zwischen subjektiver und objektiver Religion stellt er zu Beginn dieses Blattes den zentralen Begriff vor, der seine eigene Auffassung von Volksreligion auszeichnet: Er unterscheidet wiederum zwischen Theologie und Religion und vervollständigt diese Unterscheidung durch die wichtige Überlegung, dass Theologie ist „Sache des Verstandes“, während Religion „Sache des Herzens“ ist:

 

„Wenn Theologie Sache des Verstands und des Gedächtnisses ist [...] Religion aber Sache des Herzens [...]“ (GW 1, 90, 26-28).

In den unmittelbar folgenden Zeilen legt Hegel diese Religionsdefinition sehr präzise dar, wobei er eine Begriffsstruktur verwendet, die sich sowohl auf die kantische „Kritik der praktischen Vernunft“ als auch auf die Fichtes deutlich bezieht ( [14] ).

Die Definition von Religion als „Sache des Herzens“ enthält also „Offenba-rungsschrift“ in sich all jene Grundzüge der Volksreligion, die Hegel bis zu diesem Stadium seiner eigenen Entwicklung feststellen konnte.

Dieser Ausdruck findet sich noch an zwei Stellen dieser Fragmentgruppe - in den folgenden Fragmenten wird er nicht mehr vorkommen -, insbesondere an den Stellen 92,8 des Blattes ’d’ und 96,28 des Blattes ’g’. Ab Blatt „h“ wird dann unter deutlichem Einfluss von Kants „Religionsschrift“ die Charakterisierung der Religion als „Sache des Herzens“ durch den Begriff der „Vernunftreligion“ (Vernunftreligion) ersetzt ( [15 ] )

Der Rest des Folio ’d’ (S. 91-93 von GW 1) enthält eine Apologie des Herzens nach Lessings Nathan. Hier steht der Intellekt dem Herzen gegenüber, unfähig, die Grundlage der Moral zu sein.

 

Blatt ’f’ ( [16]

(GW 1: 94.1 bis 96.24) ( [17] )

Dieses Blatt enthält Hegels „Abrechnung“ mit dem Intellekt und der Aufklärung. Unter dem Ausdruck "Aufklärung" versteht der junge Student vor allem die Haltung, die den Menschen eine aus "kalten" Grundsätzen bestehende Moral vorschreiben will, ( [18] ) ohne Rücksicht auf die Sensibilität (siehe das Beispiel, das er in "Anfang" gegeben hat Blatt ’a’ über die Wirkung von Salz in einem Gericht). Seine Kritik richtet sich insbesondere gegen Campe.“ ( [19] )

Das grundlegende Argument von Hegels Kritik ist, dass der Intellekt nur dazu dienen kann, die Wahrheiten der objektiven Religion zu klären, aber ganz unfähig ist, sie in praktisches, moralisches Verhalten umzuwandeln. Kurzum, sie kann der subjektiven Religion keine Hilfe leisten, wie es unsere treffend ausdrückt:

 

„Aufklärung des Verstandes macht zwar klüger, aber nicht besser“ (GW 1, 94, 12).

Der mittlere Teil dieses Blattes ist besonders wichtig, da er sehr deutlich zum Ausdruck bringt, mit welchem ​​grundsätzlichen Problem Hegel in diesen Texten konfrontiert ist. Es behandelt das Problem der Aufklärung des Volkes:

 

„Wenn man davon spricht: man kläre ein Volk auf [...]“ (GW 1, 95, 1).

In Bezug auf diese Problematik – die nichts anderes ist als die Wiederaufnahme der für die Überlegungen der Stuttgarter Zeit zentralen Frage nach der „Aufklärung des einfachen Mannes“ – ( [20] ) kommt Hegel zu folgendem Ergebnis:

 

"[...] da es unmöglich ist, daß eine Religion, die allgemein fürs Volk seyn soll, aus allgemeinen Wahrheiten bestehen kan, zu jeder Zeit nurre Menschen gekommen sind [...] - und also immer theils Zusäze beigemischt müssen, die blos auf Treu und Glauben angenommen werden müssen - oder daß die reinern Säze vergröbert in eine sinnlichere Hülle gestekt werden, wenn sie verstanden werden und der Sinnlichkeit annehmlich seyn solliglen, [...] ] - wenn ihre Lehren in Leben und That wirksam seyn sollen - unmöglich auf blosse Vernunft gebaut seyn können "

(GW 1, 96, 5-16).

Mit diesem klaren Schluss, der sowohl die gestellte Frage (Volksaufklärung) als auch die von Hegel zur Zeit der Abfassung dieses Blattes erdachte Relativlösung (Volksreligion als „Sache des Herzens“) formuliert, schließt das Blatt“ f ’.

 

Blatt ’g’

(GW 1: 96.25 bis 99.28) ( [21] )

Dieses Blatt beginnt mit der gleichen Frage, die auch am Ende von Blatt ’f’ steht:

 

„Wie Religion überhaupt eine Sache des Herzens ist, so könnte es eine Frage seyn, wie weit sich Räsonnement einmischen darf, um Religion zu bleiben“.

(SW 1, 96, 28-29)

Der mittlere Teil dieses Blattes enthält einen Vergleich zwischen Erleuchtung und Weisheit ( [22] ) Die Erleuchtung geht aus diesem Vergleich offensichtlich als Verlierer hervor. Hegel kritisiert sie wie auf Blatt f. Im Gegenteil, die Weisheit wird von ihm in direkte Beziehung zum Herzen, dh zum Fundament der Vernunft gestellt.

 

"Aber Weisheit ist nicht Wissenschaft - Weisheit ist eine Erhebung der Seele [...] sie räsonnirt wenig [...] sie hat ihre Überzeugungen nicht auf dem allgemeinen Markt eingekauft, [...] sondern spricht aus der Fülle des Herzens" (GW 1, 97, 8-19).

Nach einem weiteren, ziemlich scharfen Angriff auf Campe, insbesondere auf den „Herrscher von Campe“ („Kampische Lineal“), auf die Aufklärung und auf „vollgeschriebenen Zeiten“, auf ihre „buchhafte Gelehrsamkeit“ ( ’Buchgelehrsamkeit’) und ’An den Mann des Buchstabens’ (’BuchstabenMenschen’)

[...] der hat nicht selbst und gelebt" (GW 1, 99, 18-19)

Als Produkt solcher Zeiten schließt Hegel dieses Blatt mit dem schönen und hoffnungsvollen Bild der Religion, die dem Menschen helfen kann, sein Häuschen zu bauen

 

 [...] das der Mensch alsdenn sein eigen nennen kan [...]" (GW 1, 99, 27-28)

Der Hinweis auf Lessings „Nathan“ und insbesondere auf die Stelle, an der der junge schwäbische Denker schon zur Stuttgarter Zeit auf diesen wichtigen Seiten nicht fehlen durfte, in denen Hegels subjektive, ja leidenschaftliche Beteiligung an der diskutierten Religionsproblematik deutlich wird. hatte sein eigenes Verständnis von Griechentum begründet:

„Und von vielen Dingen könnte ich dir erzählen

wie, wo, warum habe ich sie gelernt "

(GS 1 [11] ) GS 1, von 175.3 bis 175.21, p. 185)

(GW 1, 99.25-26)

Das eigene Wissen, die eigene Spiritualität von innen heraus geschaffen, also nicht von außen (auf dem Markt) erhalten zu haben, ist nach dem jungen Hegel das grundlegende Merkmal der Weisheit, also der wahren Erleuchtung (wie es ja auch sein wird auch für reifen Hegel). 

*

Anmerkungen

 

[1] ) Siehe GW 1, S. 473-475.

[2] Die Zäsur entspricht der Stelle 185,21 von GS 1. 

[3] ) Diese Angaben beziehen sich jeweils auf die Seite und die Zeile von GW 1. Die entsprechenden Stellen in GS 1 sind 169,1 und 171,10

[4] ) Siehe dazu Henrich, 1971, S. 58-59.

[5] ) GS 1: 171.11 bis 172.40

[6] ) „Die ganze Masse von ReligionsGrundsäzen - und von den daraus resultierenden fliessenden Empfindungen; und besonders der Grad von Stärke, womit sie auf Handlungsart beeinflussen können, ist der Hauptpunkt einer Volksreligion“ (GW 1, 86,26 – 87,1).

[7] ) GS 1: 171.1 bis 176.12

[8] ) „Auseinandersezung des Unterschieds zwischen objektiver und subjektiver Religion; Wichtigkeit dieser Auseinandersezung in Ansehung der ganzen Frage“ (GW 1, S. 87,16-17).

[9] ) GW 1, p. 87,1; GS 1, p. 172, 21-22

[10] ) GS 1, 173.4 bis 175.2

[11] ) GS 1, 175.3 bis 175.21

[12] ) GS 1: 176.14 bis 179.14

[13]) Wenn wir von vorangegangenen oder nachfolgenden Blättern sprechen, meinen wir dies nicht im chronologischen Sinne, da es nach derzeitigem Kenntnisstand nicht möglich ist, eine chronologische Abfolge innerhalb des Textes zu bestimmen 16. Es wird jedoch gezeigt, dass es eine logische Abfolge gibt unter anderem dadurch, dass Hegel selbst die verschiedenen Blätter nach der aktuellen Reihenfolge ordnete, die er dann mit den Buchstaben des lateinischen Alphabets markierte (vgl. GW 1, S. 473-475). Wenn Hegel es für notwendig hielt, in Text 16 ein Fragment vor ein anderes zu stellen, dann zweifellos, weil er dieses Fragment als Voraussetzung für die folgenden innerhalb des Ganzen betrachtete. Offensichtlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Philosoph das Fragment verfasst hat, die er aus logischer Sicht als Voraussetzung betrachtete und deshalb die anderen vorangehend nach ihnen überlieferte. In diesem Sinne werden hier also, dem Inhalt nach, die Ausdrücke „vorangehend“ und „vorhergehend“ in Bezug auf die Abfolge der verschiedenen Textblätter verwendet 16.

[14] ) Dies sind die folgenden Begriffe: Religion als praktisches Vernunftbedürfnis, höchstes Gut, die Theorie der Postulate, die Idee einer „Deduktion der Religion“ (vgl. GW 1, S. 90,28 f.). bis 91,7).

[15] ) Vgl. GW 1, S. 99.29.

[16] ) Das Blatt ’e’ ist nicht überliefert (vgl. GW 1, S. 473).

[17] ) GS 1: 179.15 bis 182.10

[18] ) Der Kontrast heiß-kalt / Herz-Intellekt bezieht sich offenbar auf Reinhold (er wurde auch von Rapp aufgegriffen).

[19] )

[20] ) Vgl. Schmidt-Japing, 1924, S. 3-4; de Angelis 1995, S. 41-49.

[21] ) GS 1: 10 bis 185,21

[22] ) „Etwas anderes als Aufklärung, als Räsonnement ist Weisheit“ (GW 1, S.97,8-9). wichtiger Begriff der „Weisheit“ im jungen und reifen Hegel siehe de Angelis, 1996, „Hegels Philosophie als Weisheitslehre“, insbesondere Kapitel 7 „Von der Weisheit zur Wissenschaft. Hegels philosophischer, dialektischer Werdegang’ ("Von der Weisheit zur Wissenschaft. Hegels dialektisch-philosophischer Weg").

 

*

ZWEITE STUFE
Von der Religion als „Sache des Herzens“ 
zur Religion als „Sache der Vernunft“
(Frühjahr 1793)
*

Wie bereits oben klargestellt, enthalten die Blätter ’h, i, k, l’ des Textes 16, obwohl sie thematisch zur gleichen Gruppe wie die anderen gehören, dennoch eine völlig andere Auffassung von Religion. Kerngedanke dieser Konzeption ist, dass das Fundament der Religion nicht das Herz, sondern die Vernunft sein soll.
Der Unterschied zwischen dieser Auffassung und der der Blätter von ’a’ bis ’g’ ist sehr markant und zeigt sich mit dem Beginn des Blattes ’h’, wo wir gleich von vernünftiger Religion (’Vernunftreligion’) als der richtigen Form sprechen Religion, plötzlich und ohne einen klaren logischen Schritt. Aus diesem Grund müssen wir von einem Bruch, von einem tiefen Bruch zwischen den beiden Blattblöcken sprechen.(1)
Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass Hegel den zweiten Blattsatz in späterer Zeit erstellt hat und dass der Anfang von Blatt „h“ keinesfalls die Fortsetzung des Endes von Blatt „g“ sein kann. Wenn dem so wäre, hätte der junge Denker sicherlich einige flüchtige Sätze geschrieben.
Es stellt sich daher die Frage, ob die so entstandene Lücke durch das uns überlieferte Schriftgut in irgendeiner Weise ausgefüllt werden kann. Eine Analyse der anderen überlieferten Texte aus diesen Jahren kann diesbezüglich aufschlussreich sein.
Einige dieser Texte können diesbezüglich keine brauchbaren Hinweise geben und müssen daher bereits ausgeschlossen werden, da sie oder inhaltlich deutlich vor Text 16 geschrieben wurden, wie zB. Text 12, oder danach, wie zB. Texte von 17 bis 26, die auch chronologisch sicherlich schon in die Berner Zeit gehören.(2)
Texte von 13 bis 15 enthalten eine Kritik der christlichen Religion (Text 13), des Lebens in Deutschland im Zeitvergleich das Leben der alten Griechen (Text 15), während Text 14 schließlich nur ein Blatt mit einigen Anmerkungen zu den Traditionen des deutschen Volkes ist.
Insgesamt scheinen sich diese Texte also auf eine frühere Periode der Entwicklung von Hegels Denken zu beziehen. Das Thema Volksreligion sowie die damit verbundene begriffliche Ausstattung fehlen hier gänzlich.
Nur der Text 13 enthält einige Bemerkungen über die Natur des Menschen, bestehend aus Sinnlichkeit und Vernunft, (3) die gut mit dem Anfang von Blatt ’a’ von Text 16 übereinstimmen können. In einer späteren Ergänzung am Rand dieses Textes He¬ Gel spricht auch vom gemeinen Volk (’gemeines Volk’).(4)
Dieser Text enthält auch eine Kritik an der christlichen Religion, die nach Ansicht Hegels nicht in der Lage wäre, die Repräsentationsfähigkeit des Volkes auf die Imagination zu lenken.(5) Sie entstand daher deutlich in Hegels Vergleich mit dem Begriff der Sensibilität. Von der Vernunft als Grundlage der Religion oder überhaupt von der Überwindung des den Blättern von ’a’ bis ’g’ eigenen Begriffs ist in diesem Text jedoch keine Rede.
Auch dieser Text kann daher nicht dazu beitragen, die Lücke zwischen den Blättern „g“ und „h“ des Textes 16 zu füllen. Übrig bleiben also nur die Predigten.
Der ersten Predigt (Text 8), die sich mit der göttlichen Gerechtigkeit befasst, liegt eine Vorstellung zugrunde, nach der „die Stimme des Gewissens“ oder gar „das Herz“ des Menschen direkt dem göttlichen Willen entsprechen und daher Grundlage der Moral sein können, eine Konzeption, die der der Blätter von ’a’ bis ’g’ sehr nahe kommt (sie könnte sich sogar auf eine frühere Phase beziehen).
Auch chronologisch gesehen ist diese Predigt sicherlich vor Text 12 geschrieben worden, da sie das Datum 10. Januar 1792 trägt und daher weder thematisch noch chronologisch die Passage zwischen den beiden Textgruppen darstellen kann Blätter 16.
Die zweite Predigt (Text 9), deren Datierung sehr problematisch ist ([6]), weist dagegen einen Inhalt auf, der eine neue Phase in der Entwicklung von Hegels Denken erkennen lässt. Es handelt von der „Versöhnlichkeit“ und enthält den wichtigen Gedanken der „Wandlung und Verbesserung des Herzens.“ (7)
Hegel verwendet diesen Begriff in Bezug auf die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Einstellungen zu moralischem Verhalten, die sie lassen sich – in Anlehnung an Kant und Fichte – als „Moral“ und „Legalität“ definieren. Ehrlich gesagt verwendet Hegel diese Ausdrücke nicht ausdrücklich, aber ohne jeden Zweifel setzt er dieses Begriffspaar in seinen Überlegungen voraus.
Tatsächlich unterscheidet er hier zwischen denen, die als „Beweggrund“ die Liebe zu Gott und den Menschen haben, moralisch zu handeln, und denen, die Tugenden aus anderen Gründen ausüben. Nur die ersteren können als wahre Christen gelten, die anderen nicht, da sie sich nicht „im Sinne der Lehre Jesu“ verhalten.(8)
Dieser Gedanke, den der junge Stiftler als Voraussetzung dafür ansieht, wahre Christen zu sein, ist es sehr interessant in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Füllen der Lücke zwischen den Blättern „g“ und „h“ des Textes 16, da sie in keiner Weise in die auf den Blättern von „a“ bis „g“ vorhandene Konzeption eingerahmt ist ’.
Nach der Auffassung dieser Blätter ist das Herz des Menschen tatsächlich in sich rein und braucht die Hilfe der Religion nur, um ein moralisches Verhalten in Gang zu setzen. Diese Hilfe darf jedoch nicht direkt das Herz betreffen, sondern die Sensibilität, die durch die Religion in einen weiteren Impuls oder ein Motiv für moralisches Handeln umgewandelt, dh verfeinert werden muss. Das Herz hingegen braucht keine Transformation! Es ist in der Tat sehr schwer vorstellbar, dass das Herz, das nach der Auffassung dieser Blätter das Fundament der Religion sein muss, einer „völligen Umänderung und Besserung“, also einer „totalen Veränderung und Verbesserung“, wie Hegel sich ausdrückt, bedarf die Predigt..
Die Unvereinbarkeit zwischen dem Gedanken der „Wandlung und Verbesserung des Herzens“ und der Auffassung von Religion als „Sache des Herzens“ wird noch deutlicher an einer Stelle dieser Predigt, wo von einem „durch Liebe zu Gott verbesserten Herzen“ die Rede ist „(9)
Hier ist in der Tat nicht mehr das Herz das Fundament der Religion, sondern die Religion ist im Gegenteil das Fundament eines reinen Herzens, zu dem die Liebe zu Gott führt. Daraus lässt sich ableiten, dass ohne Religion das Herz wäre nicht rein, das heißt, wer Gott nicht liebt, kann sich nicht moralisch verhalten.
In dieser Predigt werden wir also zweifelsohne mit einer ganz anderen Auffassung konfrontiert als der Religion als „Sache des Herzens“.
Man könnte diesbezüglich argumentieren, dass es sich um eine Predigt handelt und Hegel gezwungen war, darin das zu sagen, was er im Stift hören wollte. Ein Vergleich mit den anderen Predigten zeigt jedoch, dass der junge Denker sein wahres und sehr kritisches Urteil über die christliche Religion darin zwar nicht offen äußern konnte, was er im Gegenteil in für den privaten Gebrauch bestimmten Texten tat, aber nicht so war feige zu schweigen, ganz seine eigene religiöse Vorstellung.
In der ersten Predigt zum Beispiel. der junge Denker äußert sich einerseits sehr positiv über die "uns von Gott offenbarte Gesetzgebung" und präzisiert sogar, dass diese Offenbarung sowohl durch das Alte Testament als auch durch Jesus erfolgte, (10) andererseits aber sofort fügt hinzu:
„Diese Ordnung stimmt am vollständigsten mit dem überein, was unser Gewissen uns sagt“ (meine Übersetzung) (GW 1, 58,14-18)
Wenn wir zwischen den Zeilen dieses Zusatzes lesen, können wir schließen, dass, wenn das Gewissen die gleichen moralischen Gesetzgebung des Alten Testaments und der Lehre Jesu, dann brauchen die Menschen im Prinzip keine Religion, die sie moralisches Verhalten lehrt.
Auch die Analyse der anderen Predigten zeigt, dass Hegel darin einerseits versuchte, sich nicht explizit gegen die christliche Religion zu äußern, andererseits aber auch nicht darauf verzichtete, hier und da implizit seine eigentlichen Gedanken offenlegen zu lassen.
Daraus muss geschlossen werden, dass es notwendig ist, in diesen Predigten zwei unterschiedliche Ebenen der Darstellung zu unterscheiden: eine oberflächliche Ebene, gebildet durch Gedanken, die Hegel als christlichen Theologen erscheinen lassen, und eine verborgene Ebene, in der der Student seine Authentizität in einem zum Ausdruck bringt sehr scharfsinnige Art. philosophisch-religiöse Konzeption.
Unter diesem Gesichtspunkt ist daher den in den Predigten enthaltenen Gedanken durchaus Bedeutung beizumessen, und diese dürfen nicht als bloße Gelegenheitsschriften, sondern als authentische Spuren der geistigen Entwicklung Hegels betrachtet werden.
In Bezug auf die zweite Predigt und den Gedanken der „Wandlung und Besserung des Herzens“ muss also die Frage gestellt werden, wie es zu erklären ist, dass ein Apologet einer Volksreligion plötzlich und ohne Zwang als „Sache des Herzens“ definierte äußern die Meinung von „Veränderung und Verbesserung des Herzens“ als Voraussetzung für ein authentisch moralisches Verhalten.
Um diese Frage zu beantworten, bedarf es zunächst einer eingehenden Analyse der philosophisch-religiösen Konzeption, die der zweiten Predigt zugrunde liegt.
Eine sorgfältige Lektüre der Predigt führt in der Tat zu dem Schluss, dass darin eine wesentlich negative Vorstellung vom menschlichen Herzen vertreten wird, die nicht nur in den zitierten Sätzen zum Vorschein kommt, sondern den gesamten Text durchzieht. Nehmen wir als Beispiel folgende Ausdrücke: Zu den Quellen, „aus denen der Geist der Unversöhnlichkeit entspringt“ ([11]) zählt der junge Denker: Selbstliebe, Rachegelüste, Hass und Ressentiments. An gleicher Stelle spricht er auch von
„[...]Menschen die Bitterkeit und Haß im Herzen haben [...] ] "(GW 1, 61,7-8)
schließt die Predigt dann mit der Formulierung eines Gedankens, der mit der Auffassung von Religion als ’Sache des Herzens’ unvereinbar ist:
"der wahre Christus soll stark gegen sich selber aber geduldig gegen andere seyn", GW 1, 64,21-22).
Nicht der erste Teil dieses Satzes, sondern der zweite erregt Verwunderung. In Bezug darauf und zu dem darin zum Ausdruck gebrachten Gedanken stellt sich spontan folgende Frage: Wo ist der junge Stiftler, der an die Unschuld des einfachen Mannes glaubte, spontan und natürlich, nur auf der Grundlage eines reinen Herzens handelte?
Tatsächlich scheint es aus Sicht dieser Predigt, dass der Mensch, um sich moralisch zu verhalten, viel mehr braucht als nur die Hilfe der Religion, nach der in den Blättern von ’a’ bis ’g’ von Text 16 ausgedrückten Auffassung.
Die eingehende Analyse der zweiten Predigt muss daher mit der Überlegung abgeschlossen werden, dass es sich hier nicht um eine durch äußere Umstände bedingte gelegentliche Verschleierung der eigenen authentischen Meinung Hegels handelt, sondern um eine radikale Veränderung der philosophischen religiöse Grundlagen des Denkens des jungen Studenten.
Aus diesem Grund lohnt es sich sicherlich, dieser Gliederung zu folgen und auch die dritte und vierte Predigt zu analysieren, bevor man anhand der erzielten Ergebnisse die Frage nach dem Abstand zwischen den Blättern „g“ und „h“ endgültig beantwortet der Text 16.
Die dritte Predigt (Text 10) (12) befasst sich mit dem „wahren Glauben“ und knüpft damit an den in der zweiten Predigt vorhandenen Begriff des „wahren Christen“ an.
Der durch die Analyse der vorangegangenen Predigt gewonnene Schluss, dass Hegels philosophisch-religiöse Auffassung hier anders ist als die der Blätter von „a“ bis „g“ des Textes 16, wird durch die Lektüre dieser dritten Predigt bestätigt.
Schon am Anfang finden wir den Ausdruck „[...] das verderbte menschliche Herz [...]“ (13) und gegen Ende der Predigt definiert Hegel auch das Wesen des Menschen als „verderbt“ ([14] )
. Formulierungen bestätigen die bisher vertretene Hypothese eines damals vollzogenen Umbruchs in der philosophisch-religiösen Auffassung Hegels.
Ehrlich gesagt gibt es in dieser Predigt auch andere Ausdrücke, die sehr an die Auffassung von Religion als „Sache des Herzens“ erinnern, wie z. in dem an Gott gerichteten Satz:

Gib dass diese Wissenschaft zum lebendigen Glauben in uns werde, dass er reich an guten Früchten werde […]“ (GW 1, 68, 26-27).
Hier kommt der verborgene Gedanke der subjektiven Religion zum Vorschein, die keine tote Wissenschaft, sondern lebendiges moralisches Handeln sein darf.
Schon der Satz
„Diser Glaube ist nicht blos Sache des Verstandes“ (GW 1, 69,13)
führt uns zurück in ein bereits bekanntes Begriffsuniversum.
Die Ausdrücke, die sich auf das „korrupte Menschenherz“ beziehen, sind jedoch deutliche Hinweise darauf, dass sich Hegel in dieser Predigt nun in einen neuen Begriffshorizont bewegt und damit eine neue Stufe in der Entwicklung seines eigenen Denkens erreicht hat.
Das Überleben von Gedanken, die einem früheren Stadium angehören, wie zB. in diesem Fall kann die der „subjektiven Religion“ durch den methodischen Begriff der „dialektischen Überwindung“ erklärt werden. Die wichtigsten Gedanken der philosophisch-religiösen Konzeption der vorangegangenen Stufen bleiben in der Konzeption der neuen Stufe erhalten, innerhalb derer sie jedoch eine andere Bedeutung und einen anderen Wert erhalten.
Die vierte Predigt (Text 11) (15), die sich mit dem „Reich Gottes“ befasst, zeigt noch deutlicher, dass in der philosophisch-religiösen Konzeption des jungen Hegel ein Wendepunkt eingetreten ist: die grundlegende philosophische Die religiöse Konzeption dieser Predigt ist in der Tat zweifelsfrei diejenige, die der Meister von Königsberg in der Religionsschrift ausgearbeitet hat.(16)
Tatsächlich hat der deutsche Gelehrte Friedhelm Nicolin in seinem Aufsatz „Verschlüsselte Losung. Hegels letzte Tübinger Predigt“ durch eine eingehende Analyse der vierten Predigt gezeigt, dass die philosophisch-religiöse Konzeption des jungen Hegel darin auf Kants Religionsphilosophie aufbaut. Er hob auch hervor, wie der Vergleich von Hegel und den anderen Stiftlers mit der Religionsschrift unmittelbar nach dem Erscheinen dieses Werkes im Jahr 1793 stattfand.
Weiterhin sei hinzugefügt, dass die Herausgeber von GW 1, also Nicolin und Gisela Schüler selbst, in verschiedenen dokumentierten Anmerkungen, dass zahlreiche Stellen der Hegelschen Fragmente dieser Jahre und insbesondere des Textes 16 direkt mit den Kantischen Schriften und insbesondere mit der Religionsschrift in Verbindung zu bringen sind ([17])
Beispielsweise lesen wir bei Anmerkung 99,29 zu Text 16: ([18]) 
„Hegels Gedanken und Begriffe sind hier durch diese Schrift von Kant so deutlich bestimmt, dass wir daraus einen Hinweis für die Datierung des Textes 16 erhalten“.
Die Bedeutung von Kants philosophisch-religiöser Schrift für die Abfassung der frühhegelischen Texte und insbesondere des zweiten Teils des Textes 16 ist daher so deutlich und die expliziten Bezüge zu Kant so zahlreich, dass man durch sie sogar auf die Datierung einiger dieser Fragmente, als wären sie ein Kommentar des jungen Hegel zu Kant.
Inhaltlich ist erwähnenswert, dass sowohl der Gedanke an die Verbesserung des Herzens als Voraussetzung moralischen Verhaltens wieder auftaucht als auch der andere Gedanke an die Verderbnis des menschlichen Herzens, den Hegel hier sogar als „angeboren“ definiert. (’angeboren’) (19)
Aus der Analyse der Predigten 2, 3 und 4 muss daher geschlossen werden, dass zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Texte sowohl in den philosophisch-religiösen Grundlagen des Denkens Hegels als auch und folglich eine Zäsur eingetreten ist in seiner Vorstellung von Volksreligion. Tatsächlich stützen diese Predigten nicht länger eine Auffassung von Religion als „Sache des Herzens“.
In der vierten Predigt lässt sich der Einfluss der Religionsschrift mit Sicherheit nachweisen. Indirekt lässt sich auch schlussfolgern, dass sie implizit die Auffassung der Volksreligion als einer rationalen Religion stützt, indem die Gedanken, die ihre „verborgene Ebene“ bilden und von Kant stammen (das Reich Gottes als etwas Inneres also das Konzept der unsichtbaren Kirche usw.), kann als "rationale Religion" identifiziert werden.

Es bleibt daher nur zu klären, welche philosophisch-religiöse Konzeption den Predigten 2 und 3 zugrunde liegt und folglich welche Konzeption von Volksreligion in ihnen vertreten wird.

 

Anmerkungen

[1]) Die Stelle, die die Zäsur markiert, ist GW 1, S. 99.29.
[2]) Siehe §§ 34, 35 und 36 dieser Arbeit.
[3]) GW 1, p. 78.3-7
[4]) GW 1, p. 79,10 
[5]) GW 1, 79,1 ff.
[6]) GW 1, S. 465-467.
[7]) So lautet die ganze Stelle: „Es gibt manche Tugenden die leicht auszuüben sind, und die sehr in die Augen fallen, denen aber gerade das sind, das was ihnen in den Augen Gottes einen Werth gibt, abgeht, und was eben oft am schwersten zu erkämpfen ist, nem¬lich eine völlige Umänderung und Besserung des Herzens“ (GW 1, S. 60,9-12).
[8]) GW 1, p. 60.12 
[9]) GW 1, p. 63.16
[10]) Dass er wirklich daran geglaubt hat, ist aufgrund der anderen Privattexte dieser Jahre, in denen sich der junge Stiftler offensichtlich nicht zu verstecken brauchte und daher schreiben konnte, was er wirklich dachte, völlig auszuschließen.
[11]) „[...] aus welcher Unversöhnlichkeit entspringt [...]“ (GW 1, 60,25; GS 1, 120).
[12]) GW 1 S. 68-69 (SG 1, S. 127-129 - Datierung: 1. Mai 1793, siehe GW 1, Redaktionsbericht, S. 467-468).
[13]) „das verdorbene Herz des Menschen“ (GW 1, 68,4; SG 1, 127).
[14]) GW 1, p. 69.28-29; GS 1, p. 129.
[15]) GW 1, S. 70-72; GS1, S. 131-134; Datierung: 16. Juni 1793 (siehe GW 1, Redaktionsbericht, S. 468).
[16]) Die relativen Anmerkungen in GW 1 geben für verschiedene Stellen der Predigt die entsprechenden Stellen der kantischen Schrift an, aus denen sie stammen.
[17]) Vgl. hierzu vor allem die Anmerkungen von 70.9 bis 159.6, die im Index abgebildet sind.

18) GW 1, Redaktionsbericht, p. 566
19) Vgl. GW 1, S. 71.13 und 71.22-23.

 

*

DRITTE STUFE
„Volksreligion“ als „rationale Religion“

(Sommer 1793)
*

Wie in den vorangegangenen Abschnitten erwähnt, eröffnet die vierte Predigt eine neue Phase in Hegels Entwicklung. Sie besteht hauptsächlich darin, dass der junge Denker den Religionsbegriff als „Sache des Herzens“ durch den Religionsbegriff als „Vernunftreligion“, also „Vernunftreligion“ oder „Vernunftreligion“ ersetzt.
Der Zweck dieses Kapitels ist es, die neue Phase zu beschreiben. Darin wird zunächst der Inhalt der hegelschen philosophisch-religiösen Argumentation freigelegt, wie er durch die Analyse des Blattes „h“ des Textes 16 und der vierten Predigt rekonstruiert werden kann; zweitens wird die neue Konzeption der Volksreligion als einer vernünftigen Religion beschrieben, gemäß der systematischen Darstellung, die Hegel in den Blättern von ’i’ bis ’l’ von Text 16 gegeben hat.

Blatt ’h’ (GW 1: 99,29 bis 103,2) (1)

Der Anfang von Blatt „h“ ist unmittelbar mit dem vierten und letzten Kapitel von Kant verbunden. Hier vergleicht Hegel mit den Worten und Begriffen des Königsberger Denkers die Vernunftreligion mit dem Glauben der Fetischisten und kommt zu dem Schluss, dass sie es ist 

"[...] so wichtig für die Menschheit ist, diese immer mehr zur Vernunft Religion hinzufüh¬ren, und den Fetisch¬Glauben zu verdrängen" (GW 1, 100,4-5).
Hegel stellt sich diesen Zweck ausdrücklich und formuliert diese Überzeugung durch folgende Gedanken:
„[..] eine allgemeine geistige Kirche nur ein Ideal der Vernunft bleibt“ (GW 1, 100, 6); 

"[...] nicht wohl möglich ist, daß eine öffentliche Religion gegründet werden könnte, die alle Möglichkeit, Fetisch¬Glauben daraus ziehen benähme" (GW 1, 100, 6-8)]
Diese beiden Abgrenzungen stammen eindeutig von Kant, in dessen Werk wir lesen: 
“Die erhabene nie völlig erreichbare Idee eines ethischen gemeinen Wesens [...]” (S. 129).
Nachdem Hegel diese beiden Grenzen klar gesetzt hat, wirft er die Frage auf 
„[...] wie eine Volksreligion im allgemeinen eingerichtet werden müssen“ (GW 1, 100, 8-9), 
so dass folgende zwei Ziele erreicht werden können: 
- erstens die Ausbreitung des fetischistischen Glaubens („FetischGlauben“) im Volk zu verhindern (negativer Zweck) (GW 1, 100,9-10); 
- zweitens, die Menschen zur "Vernunftreligion" (positiver Zweck) zu führen (GW 1, 100,11-12): 
Diese Haltung gegenüber Kant zeigt, dass Hegel die Religionsschrift nicht nur gelesen, verstanden und assimiliert hat, sondern dass er sich Kants philosophisch-religiöse Konzeption angeeignet und sie von dem Punkt aus weiterentwickelt hat, an dem der Philosoph von Königsberg Ihr Werk geleitet hatte. 
Damit ist klar, was Hegel meint, wenn er in den beiden darauffolgenden Briefen Ende Januar und 16. April 1795 an Schelling schreibt, er arbeite an einer „Anwendung“ der Kants Philosophie und erwarte deren „ Vollendung (’Vollendung’). (3)
Das tut er zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit: Er wendet die Ergebnisse, zu denen Kant gelangt ist, auf seine eigene Vorstellung von „Volksreligion“ an.(4) Diese Anwendung ist zugleich eine Vervollständigung, da er auch versucht, das zu verwirklichen, was er Kant hatte in Absatz 5 des dritten Kapitels zurückgezogen, das heißt, den entscheidenden Schritt vom theoretischen Verständnis der rationalen Religion als der einzig wahren und absoluten Religion zur praktischen Entscheidung ihrer theoretischen Ausarbeitung zu tun. 
Durch die Konzeption einer möglichen Vereinigung von historischem Glauben und Vernunftreligion suchte Kant einen Ausweg aus dieser notwendigen Konsequenz seiner Theorie, weil es ihm unmöglich erschien, wirklich eine vernünftige Religion begründen zu können. Deshalb begab er sich auf den Weg des Kompromisses zwischen rationaler Religion und historischem Glauben. 
Dieser Weg hat jedoch nur Probleme und Hindernisse geschaffen, wie zB. die im vierten Kapitel erwähnten Probleme. Wäre er in seinen Gedanken konsequent gewesen, wäre er zu dem Schluss gekommen, dass es die Aufgabe der Zeit sei, die Menschen zu erziehen und sie dadurch zu den reinen und moralischen Wahrheiten der vernünftigen Religion zu führen. Auf diese Weise hätte er zum Initiator der wahren Religion und zum Begründer der „unsichtbaren Kirche“ sowie des „Reiches Gottes“ als der „ethischen Gesellschaft“ der Menschen werden können. Aber Kant hatte diese Neigung nicht: Er war ein großer Theoretiker, aber kein Volkserzieher! Im Gegenteil, Hegel hatte es, den seit Stuttgart die Frage bewegte, wie „der einfache Mann“ „aufgeklärt“ werden könne. 
Tatsächlich stellt Hegel in diesem Blatt kein Problem hinsichtlich der Möglichkeit der Übereinstimmung zwischen historischem Glauben und rationaler Religion: er weiß, dass dies nicht möglich ist. Der junge Philosoph setzt Kants Programm fort, da er in der ersten Person der Träger der Aufgabe ist, das Volk zur Rassenreligion zu führen. Dies belegen zweifellos die vorgenannten Zeilen des Blattes „h“ und insbesondere ihre Neigung zur Praxis (5). 
Auf den folgenden Seiten führt Hegel weitere Überlegungen zum Begriff der Volksreligion an, die jedoch nichts Neues hinzufügen. Sie sind jedoch wichtig, um den Einfluss von Kant zu verstehen, da sie einige Begriffe und sprachliche Relativformulierungen enthalten, die Hegel teilweise sogar wörtlich wieder von dem Philosophen von Königsberg übernommen hat. Hier eine unvollständige Aufzählung dieser Begriffe: 
- "Idee der Heiligkeit als letzte Größe der Ethik" (GW 1, 100,13; bei Kant: S. 47 und S. 159); (6)
- "Neigung zu Sensibilität“ (GW 1, 100,20) (bei Kant: S. 28: „Unter Neigung (propensio) meine ich [...]“ – siehe auch den gesamten zweiten Absatz des ersten Teils Von dem Hange zum Bösen in der menschliche Natur); 

- Die Ausdrücke „Rechtmäßigkeit“ (100,21), „Motiv“ (100,22) und „Erfahrungscharakter“ (101,6; 100,9; 101,14) finden sich auch in der „Allgemeinen Anmerkung“ zum erster Teil (siehe vor allem S. 46-47) (7) 
Ausgehend von der Stelle 101,21 denkt Hegel über den Begriff der „Volksreligion“ nach. Er greift einige frühere Gedanken wieder auf, wie zB. der Gedanke an die Bedeutung des Herzens und der Vorstellungskraft im Leben des Menschen.(8)
Diese Überlegungen sind besonders interessant, weil er hier versucht, in der neuen, im Entstehen begriffenen Volksreligion als Vernunftreligion die wesentlichen Merkmale aufzugreifen bildeten den Inhalt seiner bisherigen Auffassung von Religion als „Sache des Herzens“. 
In dieser Hinsicht verdeutlicht es, dass der Mensch ist 
"[...] etwas so Komplexes, dass alles mit ihm gemacht werden kann" (meine Übersetzung) 
"[...] ein so vielseitiges Ding ist, daß sich alles aus ihm machen lässt" (GW 1, 102, 3 -4 ) 
und nachdem er festgestellt hat, wie vielfältig das menschliche Empfindungsgewebe ist, (9) gibt er eine sehr schöne Definition der "Aufgabe der Volksreligion" ("Geschäft der Volksreligion"), die darin bestehen muss 
"[...] dise schöne Fäden der Natur dieser gemäs in ein edles Band zu flechten" (GW 1, 102, 78) 

Hier zeigt sich, dass die Sprache und die Begriffe, mit denen Hegel an diesen Stellen arbeitet, nicht mehr ausschließlich und unmittelbar aus Kants Religionsschriften stammen, sondern an die Terminologie der Blätter von „a“ bis „g“ erinnern. Das bedeutet, dass Hegel, ausgehend von dieser Stelle, die intensive und unmittelbare Arbeit an der Religionsschrift bereits hinter sich gelassen hat und, nachdem er den Hauptinhalt dieser Arbeit auf seine Problematik angewendet hat, zu seinen Gedanken zurückkehrt – vorübergehend beiseite gelegt – und sie aufnimmt in der neuen Konzeption der Volksreligion als rationale Religion. 
Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der junge Philosoph in den folgenden Zeilen ebenfalls auf die Unterscheidung zwischen Volksreligion und Privatreligion zurückkommt, mit dem Unterschied, dass Religion nun eine viel wichtigere Rolle bei der Förderung der Moral spielt als überhaupt. innerhalb der Auffassung von Religion als „Sache des Herzens“. 
Im Zusammenhang mit der Auffassung von Religion als „Sache des Herzens“ war Hegel in der Tat der Meinung, dass die Wirkung der Religion auf die Moral „vermittelt“ (10) oder „negativ“ sein sollte, wie in dem Absatz zum Vorschein kommt bereits zitiert (11 )] "Meine Absicht [...]" von Blatt ’c’, das eine sehr genaue Definition seiner ersten Vorstellung von Volksreligion enthält. 
Innerhalb der neuen Konzeption der Volksreligion als rationale Religion ist die Funktion der Religion zur Förderung der Moral grundlegend geworden. Seine Aufgabe wird nun von Hegel nicht mehr als bloßes Hilfsmittel zur Förderung des reinen moralischen Gewissens verstanden (90,19-25). Im Gegenteil, die Wirkung, die die Religion auf den Menschen ausüben muss, definiert er als „mächtig“ und „unverzichtbar“:
„VolksReligion unterscheidet sich von privatReligion vornehmlich dadurch, dass der Zwek jener ist, indem sie mächtig auf Einbildungskraft und Herz wirkt, der Seele überhaupt die Kraft und den Enthusiasmus – den Geist einzuhauchen ist gross 1, 102, 10-13). 
Ein Vergleich dieser Stelle, in der Hegel die neue Auffassung von Volksreligion definiert, mit der bereits erwähnten Stelle „Meine Absicht [...]“, die die Definition seiner ersten Auffassung von Volksreligion enthält, zeigt also, dass inzwischen a In der Entwicklung von Stiftlers philosophisch-religiöser Problematik vollzog sich ein großer Wandel. Ursache dafür war zweifellos die Rezeption der Religionsschrift. Hegel hat durch diese Schrift das Ideal der vernünftigen Religion als der wahren Form der Religion ebenso erhalten wie das damit verbundene andere Ideal der Gründung einer universellen ethischen Gesellschaft als „unsichtbare Kirche“, darunter „Reich Gottes“. Männer.. 
In der Formulierung dieses doppelten Ideals kulminiert die Entwicklung der philosophisch-religiösen Überlegungen des jungen Hegel, deren Ausgangspunkt in Text 12 zu finden ist. Dieses Ideal liefert auch eine erste vollständige Lösung der textlich formulierten Frage 12, über die „Rettung“ der Religion in einer aufgeklärten Gesellschaft.(12)
Insofern ist es eine als „vorher“, aber nicht als „endgültig“ zu definierende Lösung, weil Hegel in der Jenaer Zeit, insbesondere zumindest ab dem Moment der Abfassung des Fragments Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit (1802/1805), wird er der Meinung sein, dass nur die Philosophie die Aufgabe erfüllen kann, die Moral in einem aufgeklärten Volk zu fördern. Dies wird seine endgültige Lösung für die Frage der Rettung der Religion sein. Religion kann in einer aufgeklärten Nation nur als Philosophie „gerettet“ und überwunden (im Sinne von „aufgehoben“) werden. Offensichtlich ist es eine Philosophie, die auch Religion ist, da sie aus einem absoluten System besteht, von dem die Menschen klare Anweisungen für moralisches Verhalten erhalten können. 
Gegenüber der Philosophie als „endgültiger“ Lösung erscheint die Konzeption der Religion als rationale Religion als die „erste“ Lösung des Problems der Rettung der Religion in einer aufgeklärten Nation.(13)

Anmerkungen

1) Siehe Briefe, Bd. 1, p. 16 und 23. [3] 

2) Er spricht in diesem Zusammenhang von einer "[...] größeren Anwendbarkeit auf allgemeiner verwendbare Begriffe" als die Begriffe der theoretischen Vernunft (vgl. Briefe, Bd. 1, S. 16).[4] 

3) Hier handelt es sich für Hegel nicht um die theoretische Frage nach der wahren Art von Religion: Er hat dies bereits von Kant gelernt; es ist vielmehr die praktische Frage nach der Institution ([5]) der rationalen Religion als der wahren Volksreligion. 

4) Siehe auch Fichte, Offenbarungsschrift, p. 19:21: "Die höchste Ethik [...]" [6] 

5) Diese Ausdrücke finden sich aber auch bei Fichte, der sie aus der Kritik der praktischen Vernunft übernommen hat (bei Fichte siehe zum Ausdruck [7] S. 30; zu S. 34; zu S. 67). 

6) „In einer Volksreligion ist es von größter Bedeutung, dass die Phantasie und das Herz nicht unbefriedigt bleiben“ (GW 1, S. 101,25-26).[8] 

7) Zur Wiederkehr dieses Ausdrucks vgl. Text 16, S. 90.9: "[...] das Gewebe menschlicher Empfindungen [...]" [9] 

8) Die Religion erstreckt sich nach Hegels Auffassung „[…] auf alle Zweige der menschlichen Neigungen (ohne dass die Seele sich dessen bewusst ist) und wirkt überall – aber nur unmittelbar […]“ (GW 1, S 90,13-15).[10] 

9) Siehe p. 86 dieser Arbeit.[11] 

10) Es ist zweifellos dieses Ideal, das sich von diesem Moment an [12] () bildet, für das sich die drei Gefährten des Stifts einsetzen wollten (vgl. Schellings Brief an Hegel vom Januar 1796, in: Briefe, Bd. 1, S. 35). : „Eigentlich glaube ich von Ihnen erwarten zu können, dass Sie sich auch öffentlich für die gute Sache einsetzen“). 

11) „Zweitens“, wenn wir die Konzeption von Religion als Sache des Herzens betrachten wollen, die allerdings eher als Etappe denn als wirkliche Lösung anzusehen ist. 

 

*

1.3.3 DRITTES STADIUM

 Die Entstehung von Hegels Lebensprogramm der Stiftung

einer neuen Volksreligion

(Wintersemester 1793/94)

*

Einleitende Überlegungen

Die Texte nach Text 16 offenbaren das Erreichen einer neuen Stufe in der spirituellen Entwicklung des jungen Denkers. Tatsächlich führt Hegel in ihnen hauptsächlich Reflexionen über die christliche Religion durch, um die Gründe für ihr Scheitern als Volksreligion zu verstehen. Die Ergebnisse, zu denen er gelangt, sind vor allem in den Texten 25 und 26 enthalten, mit denen die erste Phase seiner spirituellen Entwicklung endet.

In diesem Reflexionsprozess über die christliche Religion lassen sich drei Stufen klar unterscheiden.

 

  • Eine erste Stufe, in dem der junge Denker einige Aspekte der Sensibilität wiedererlangt, die er nicht mehr im Gegensatz zur Vernunft sieht, sondern im Kontext einer Vernunftreligion mit ihr in Einklang gebracht werden muss. 
  • Eine zweite Stufe, in der Hegel die christliche Religion mit seiner heutigen Auffassung von Volksreligion als Vernunftreligion vergleicht, um zu klären, ob sie als historischer Glaube die grundlegenden Merkmale einer authentischen Volksreligion besitzt. 
  • Schließlich eine dritte Stufe, in dem der junge Student nach einer negativen Antwort auf diese Frage zu dem Schluss kommt, dass es seine eigene Aufgabe sein muss, eine neue vernünftige Religion zu gründen, die eine authentische Volksreligion sein kann. So war das Ideal geboren, das dann die weitere geistige Entwicklung des jungen Philosophen Hegel von innen heraus bestimmen sollte. 

Damit zeigt Hegel, dass er seine ursprüngliche Vorstellung vom Herzen als Grundlage der Religion endgültig aufgegeben hat und dass er die kantische Lehre verstanden hat, dass nur die Vernunft die geeignete Grundlage für die Gründung einer wahren, also absoluten und universellen Religion sein kann. Er ging also von der Auffassung der Religion als „Sache des Herzens“ zur Religion als „Sache der Vernunft“ über.

Was die Chronologie betrifft, alle diese Texte wurden bereits von Hegel in Tschugg-Bern geschrieben, also in der Zeit des ersten Wintersemesters 1793/94.( [1] ) Eine genauere analytische Chronologie ist leider nicht möglich, das einzige was Mit philologischer Korrektheit kann behauptet werden, dass die Texte 24-26 erst nach den anderen aus der Universitätszeit überlieferten entstanden sind

( [2]).

 

Anmerkungen


[1] ) Vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 475ff.

[2] ) Vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 481ff.

 

*

ERSTE STUFE

„Volksreligion“ als „sensible und natürliche Religion“

(Herbst 1793)

Hauptquelle: Text 16, Blätter ’i’ bis ’l’

*

Die Rückkehr der Hauptbegriffe, die Hegel schon zur Zeit der Auffassung von Religion als Herzenssache erreicht hatte, erreicht ihren Höhepunkt in den Blättern von „i“ bis „l“, mit denen Text 16 systematisch endet die Ergebnisse der Überlegungen, die Hegel in dieser Zeit angestellt hat.

 

Blätter von ’i’ bis ’l’

(GW 1: von 103.2 bis 114.26) 

 

In diesen Blättern setzt sich Hegels Versuch fort, die Grundzüge der Volksreligion festzulegen. Der junge Denker ist nun überzeugt, dass nur eine zeitgemäße Religionsform im Volk Erfolg haben kann, sie zu einer vernünftigen Religion führt und damit ihre Moral fördert.“ ( [2] )

In dem Absatz, der mit den Worten beginnt: "Wie ist Volksreligion zu begründen?" (GW 1, ab 103,14) werden die Hauptfiguren der Volksreligion nach Hegels neuer Konzeption systematisch beschrieben.

Die Volksreligion muss sich wie folgt zusammensetzen (der Hegelsche Text wird in der Liste der Hauptmerkmale der Volksreligion getreu befolgt):

 

 

"I. Ihre Lehren müssen auf der allgemeinen Vernunft gegründet seyn“ (GW 1, 103, 18)

 

sie muss dann „rational“ sein nach dem, was Kant bereits durch den Begriff der „Vernunftreligion“ festgestellt hat; ( [3] )

 

 

"II. Phantasie, Herz und Sinnlichkeit müssen dabei nicht leer ausgehen“ (GW 1, 103, 19)

 

es muss also auch ‚sensibel‘ und nicht nur rational sein, damit es dem ganzen Volk und nicht nur einigen Gelehrten mitgeteilt werden kann; ( [4] )

 

„III. Sie müssen so beschaffen seyn, daß sich alle Bedürfnisse des Lebens - die öffentlichen Staatshandlungen daran anschliessen "

(GW 1, 103, 20)

 

es muss also „natürlich“ sein, es darf den „natürlichen Bedürfnissen“ des Menschen, „den Trieben einer wohlgeordneten Sinnlichkeit“ (GW 1, 103, 20-21)".

Zusammenfassend muss die Religion die konkrete und reale Konstitution des Menschen berücksichtigen, die nicht nur aus Vernunft, sondern auch aus Sensibilität besteht. Wenn dies nicht geschieht,

 

 

"Sobald eine Scheidewand zwischen Leben und Lehre" besteht, "so entsteht der Verdacht - dass die Form der Religion einen Fehler habe - entweder dass sie zuviel mit Wortkrämerei umgeht, oder an die Menschen zu grosse frömmelnde Foderungen macht"

(GW 1,

 

wie sich Hegel sehr präzise zu diesem Thema äußert (GW 1, 109,29 ff.).

Die Religion darf also auf keinen Fall ein Gefängnis für den Menschen sein, sondern muss ihm beim Bau des Häuschens helfen

 

 

"[...] das der Mensch alsdenn sein eigen nennen kann" (GW 1,

 

in der er sich wohlfühlt und deren Symbol der von Hegel mehrfach zitierte Satz aus Lessings Nathan ist.

Zu den angeführten Charakteren kommen noch „Öffentlichkeit“ und „Subjektivität“ hinzu, die bereits im Begriff der „Volksreligion“ im Sinne des jungen Studenten enthalten sind.

Alle diese unverzichtbaren Eigenschaften der idealen Religion (Subjektivität, Öffentlichkeit, Rationalität, Sensibilität und Natürlichkeit) kennzeichnen die Hegelsche Auffassung von Volksreligion, die in der Lage ist, die Menschen zur rationalen Religion zu führen und dadurch die reine Moral in den Menschen zu fördern.

Diese Vorstellung kann als die Vorstellung einer Volksreligion definiert werden, die rational, sensibel und natürlich ist (Subjektivität und Werbung sind auch im Attribut „populär“ enthalten). Sie ist in engem Zusammenhang mit Kants Religionsschrift und als direkte Anwendung, aber auch als Erweiterung derselben zu sehen.

In den folgenden Abschnitten der hier untersuchten Blätter analysiert Hegel einzeln die verschiedenen Hauptfiguren der Volksreligion. In Blatt ’i’ und ’k’ (103.27 bis 106.32) wird der Charakter der Rationalität beschrieben, in Blatt ’k’ (107.1 bis 109.28) der der Sensibilität und schließlich in Blatt ’l’ (109.29 bis 113.26) sowie in Paragraph 114.1 ff. - das ehrlich gesagt nicht zu Blatt ’l’ gehört, sondern eine Umarbeitung desselben enthält -, das der Natürlichkeit.

Bei der Aufdeckung der Rationalität und Sensibilität der Volksreligion kommt Hegel zu keinen neuen Ergebnissen: Er wiederholt im Grunde das, was er in den einschlägigen Texten geschrieben hat, und bezieht sich hinsichtlich des Charakters der Rationalität vor allem auf den Begriff der rationalen Religion, wofür es betrifft den Charakter der Sensibilität, es bezieht sich auf die Auffassung von Religion als „Herzensangelegenheit“. Bei dieser Rückgewinnung der bereits zuvor erzielten Ergebnisse, wenn auch in einer insgesamt neuen Gedankenkonstellation, wirkt wieder das Prinzip der ’Aufhebung’, wonach im Leben nichts wirklich Wichtiges verloren geht.

Ganz anders sieht es mit dem Charakter der Natürlichkeit aus, von dem sowohl im Blatt l als auch in seiner Weiterverarbeitung gesprochen wird ( [5] ) Dieser Grundcharakter wirkt auf das praktische Leben der Menschen und damit auf die Moral. Im Blatt „l“ wird der Charakter der Natürlichkeit der Volksreligion ausführlich und poetisch dargelegt. Hegel versucht, das Bild eines natürlichen Lebens des Menschen zu rekonstruieren,

 

 

"Das Bild eines Genius der Völker - eines Sohns des Glüks, der Freiheit, eines Zöglings der schönen Phantasie [...]"

(GW 1, 114, 3).

 

Er vergleicht dieses Bild des menschlichen Lebens, wie es sein sollte, mit dem wirklichen Leben, wie es zu seiner Zeit tatsächlich war. Letzteres hat in ihren Augen negative Eigenschaften (unglücklich, unzufrieden usw.):

 

 

„Einen anderen Genius der Nationen hat das Abendland ausgehekt - [...]“  (GW 1, 113, 1).

 

Auch der Gegensatz dieser beiden Bilder, die sich auf zwei verschiedene Möglichkeiten des menschlichen Lebens beziehen, hat, wie immer bei Hegel, einen historischen Bezug: Der Genius des freudigen Lebens entspricht dem Leben der Griechen, der Genius des unglücklichen Lebens dem Leben in das damalige Deutschland.

Hegel beschreibt daher das Lebensmodell, das von der Volksreligion gefördert werden muss, und die Behandlung dieses Themas im Blatt „l“ ist innerhalb der gesamten systematischen Synthese eine Wiederaufnahme bereits erreichter und gefestigter Überzeugungen, wie im Fall des anderen grundlegende Charaktere.

Im überlieferten Text lässt sich kein Hinweis auf eine kommende Ausstellung finden, die speziell dieser Hauptfigur gewidmet ist. Es gibt hier und da Andeutungen, aber es gibt keine besondere Darlegung der Gründe für oder gegen diesen Charakter, wie es bei den anderen Charakteren der Volksreligion der Fall ist. Das ist merkwürdig, da dieser Charakter wichtiger sein sollte als alle anderen, da die Moral der Zweck der Religion ist und nicht umgekehrt.

Daraus muss geschlossen werden, dass, wenn Hegel sich so ausführlich mit dem religiösen Problem befasst hat, er sich noch ausführlicher mit dem moralischen Problem hätte befassen müssen, da ihm dies besonders am Herzen lag.

Daher die doppelte Frage, in welchen Texten Hegel das moralische Problem direkt behandelt hat und vor allem wann dies geschah.

Die erste Frage kann nicht direkt beantwortet werden, weil es unter den überlieferten Texten jener Jahre keine gibt, die eine so eingehende Ausarbeitung des moralischen Problems enthalten. Einen Anhaltspunkt erhält man jedoch, wenn man sich die Stuttgarter Zeit genau anschaut. Diese Periode endet mit dem Verständnis der Natürlichkeit des Lebens der alten Griechen und noch in den ersten Monaten der Tübinger Zeit beschäftigt sich Hegel mit diesem Gedanken.“ ( [7]) Damit wird ein Bezug hergestellt zu dem Moment in Hegels geistiger Entwicklung, wo die genetische Rekonstruktion mangels überlieferter Schriften gestoppt werden muss. Hegel muss sich mit der moralischen Problematik und damit mit dem Charakter der Natürlichkeit der Volksreligion in der Zeit der sogenannten „dunklen Jahre“, also in den Jahren 1789-1792, auseinandergesetzt haben.“ ( [8] )

 

Anmerkungen

[1] ) Es fehlt hier

[2] ) Ein Zeichen dafür, dass Hegel in der Tübinger Zeit die in den Stuttgarter Jahren erworbenen Begriffe aus dem Bereich der Wissenschaften und Künste auf die Moral anwandte, ist die Rückkehr des Begriffs der. Im Auszug aus Nicolai vom 16.8.1787 sprechen wir über den Erfolg der Aufklärung („[...] sonst wird sie scheitern [...]“ (GW 1, S. 177), in der Schulaufgabe Über manche charakteristische Unterschiede... vom 7. August 1788 schreibt Hegel über den Erfolg der Dichtkunst (er spricht vom "[...] weiten Wirkungskreis [...]" der antiken Dichter - GW 1, S. 46, 4 ) und schließlich in den Texten der Jahre 1792 / 93-94 der Erfolg der Religion im Volk behandelt (siehe Text 16 auf S. 110 von GW 1 „Wenn die Religion auf das Volk wirken können muss […] ]").

[3] ) Dieses Merkmal wird von Hegel auf S. 103-106. In Bezug auf diese Eigenschaften fügt Hegel hinzu, dass die Religion auch sein muss(S. 104) Hrsg(S. 104-106).

[4] ) „Jede Religion, die eine Volksreligion sein muss, muss notwendigerweise so beschaffen sein, dass sie das Herz und die Vorstellungskraft beschäftigt – Auch die reinste rationale Religion erhält einen Körper in den Seelen der Menschen und noch mehr der Menschen und es wäre wirklich gut, um abenteuerlichen Ausschweifungen der Phantasie vorzubeugen, Mythen auch mit Religion zu verbinden, der Phantasie wenigstens eine schöne Möglichkeit zu zeigen, wie sie Blumen bestreuen kann – “(Zitat muss kontrolliert werden).

[5] ) Dieses Blatt wurde von Hegel mehrfach überarbeitet (vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 473).

[6] ) Noch deutlicher als in der Schulaufgabe vom 7. August 1788 erscheint an dieser Stelle das Beispiel des griechischen Lebens als schönes und glückliches Leben.

[7] ) Siehe die Schulaufgabe Zu einigen Vorteilen...

[8] ) Für eine eingehende Analyse dieses Problems siehe meine explizit diesem gewidmete Arbeit von 1995.

 

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ZWEITE STUFE

Unzulänglichkeit der christlichen
Religion als rationale Religion

(Sommer 1793 - Winter 1794)

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Die Lektüre der Texte 17-26 zeigt, dass sich die Sichtweise geändert hat, nach der Hegel sich nun mit der Problematik der Volksreligion befasst. Er befasst sich nicht mehr mit der rein theoretischen Frage nach den Grundzügen einer Volksreligion, sondern mit der praktischen Frage nach der Gründung einer solchen Religion. Es kann daher festgestellt werden, dass sich der junge Denker, nachdem er die Ausarbeitung des Begriffs „Volksreligion“ abgeschlossen hat, nun den praktischen und praktischen Aspekten davon widmet.

In Text 17 entwickelt er einen Vergleich zwischen Sokrates und Jesus, wobei hier nicht so sehr die Schlussfolgerungen wichtig sind, sondern dass Hegel das Bedürfnis verspürte, sich den Persönlichkeiten großer Volkserzieher und Religions- und Weltanschauungsstifter zu stellen. Dies zeigt deutlich den Wechsel in seinem Denken von der reinen Theorie zur Praxis.

Text 18 ist ein kurzer Notizzettel, der sich mit Jesus als Religionsstifter beschäftigt.

In Text 19 geht es wieder um etwas Praktisches, nämlich um die äußere Organisation der Kirche.

Text 20 ist sehr interessant, weil hier bereits einige Punkte von Hegels Kritik des Christentums erwähnt werden, die das Ergebnis der in den vorangegangenen Texten gemachten Überlegungen sind. Insbesondere geht der Stiftsschüler hier darauf ein, dass diese Religion nur als Privatreligion, nicht aber als Volksreligion geeignet ist (vgl. Passage 129,23 ff.).

Text 21 enthält auch eine scharfe Kritik an der christlichen Religion, insbesondere an ihrer pessimistischen Anthropologie (vgl. zum Umgang mit dem Tod.

Alle diese einzelnen Kritikpunkte an der christlichen Religion finden sich in der Synthese, die Hegel in den Texten von 23 bis 26 ausarbeitet.

Text 23 enthält diesbezüglich nur einen Versuch. In diesem Text kehren viele Begriffe wieder, die zur allgemeinen Problematik der Religion gehören, wie zB. Der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Religion. In diesem Zusammenhang kommt der junge Denker auch zu einem neuen interessanten Ergebnis, nämlich dass der Staat die Aufgabe hat, die Religion von objektiv in subjektiv zu verwandeln:

 

 

"Die objektive Religion subjektiv zu machen mus das grosse Geschäft des Staats seyn [...]" (GW 1, 139, 15-16 ).

 

In diesem Zusammenhang fragt sich Hegel, ob die christliche Religion dafür geeignet ist ( [1] ) und verwendet bei dem Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu finden, Begriffe, die sich eindeutig auf Mendelssohns Werk Jerusalem beziehen. ( [2] )

Es ist eine Analyse der christlichen Religion, die Hegel in Form grundlegender Punkte durchführt. Zu jedem wesentlichen Punkt (z. B. der historischen Grundlage des Christentums oder der darauf begründeten Lebensweise) gibt der junge Philosoph ein meist negatives Urteil ab.

In diesem Text kommt der Denker jedoch noch nicht zu einem endgültigen und umfassenden Urteil über die Eignung der christlichen Religion als Volksreligion. Dies geschieht in den etwas später geschriebenen Texten von 24 bis 26.

Text 25 fasst die Ergebnisse bisheriger Reflexionen über das Christentum zusammen und systematisiert sie. Aus diesem Grund kann dieser Text wohl als Hegels „Abrechnung“ mit dieser Religion dienen. Nachdem er die wichtigsten Gesichtspunkte aufgelistet hat, nach denen er als Religion anzusehen ist ( [3] ), stellt sich der junge Stiftler folgender grundsätzlichen Frage:

 

„Welches sind die Erfordernisse einer Volksreligion in Ansehung dieser Kriteriene – treffen wir sie bei der christlichen Religion an“ (GW 1, 155, 3-4).

 

Hegel kommt zu dem Schluss, dass die christliche Religion keine Volksreligion sein kann. Der Grund dafür ist, dass sie bei der Aufgabe, die Moral im Menschen zu fördern, zum Scheitern verurteilt ist, weil sie auf der Geschichte und nicht auf der Vernunft beruht. ( [5] )

Die christliche Religion gründet sich daher auf die äußere Autorität der historischen Tradition und nicht auf die innere Autorität der menschlichen Vernunft. Die Folge ist, dass Christus von den Menschen als Symbol der Tugend gesehen wird. ( [6] ) Diese Tugend ist den Menschen jedoch nicht nur dank des guten Willens zugänglich. ( [7] )

Zu diesem Thema schreibt Hegel ausdrücklich:

 

"Ach man hat uns überredet, daß diese Vermögen fremdartig, daß der Mensch nur in der Reihe der Naturwesen, und zwar verdorbener gehöre - man hat die Idee der Heiligkeit gänzlich isolirt, und allein fernem Wesen beigeleglict sie mit der Einsen für unvereinbar gehalten " (GW 1, 160, 23-26 ).

 

Und an der gleichen Stelle fügt er hinzu:

 

„Diese Erniedrigung der menschlichen Natur erlaubte es uns also nicht, in tugendhaften Menschen uns wieder zu erkennen“.

 

Als „Bild der Tugend“ bedarf es nach christlicher Lehre eines „Gottmenschen“, was der eindeutig kantianischen Hegelschen Auffassung widerspricht, dass die Idee des Sittengesetzes

 

"[...] wir am Ende freilich aus uns selbst ho-len müssen" (GW 1, 161, 4-5)

 

Die Erniedrigung des Menschen ist daher der grundlegende Grund, warum die christliche Religion die Moral bei den Menschen nicht fördern kann. Tatsächlich erkennt sie die Natur des Menschen nicht in ihrem positiven Wert an, im Gegenteil, sie betrachtet ihn als etwas Verdorbenes.

Hegel konnte dieser Ansicht nicht zustimmen. Obwohl er auf einer Stufe seiner Entwicklung – etwa im Frühjahr 1793 – unter dem Einfluss des ersten Teils der Religionsschrift zu einem teilweise ähnlichen Gedanken gelangt war, führte ihn die Rezeption der anderen Teile dieser Schrift später zu deren Ausarbeitung eine Anthropologie, die weder pessimistisch noch optimistisch, sondern ausgewogen ist.

Nach dieser Anthropologie ist die Natur des Menschen weder gut noch schlecht. Es schließt die beiden Möglichkeiten, die des moralischen wie auch des unmoralischen Verhaltens, in sich ein. Darauf beruht auch die Aufgabe der Religion, die darin besteht, die erste Möglichkeit zu fördern und die zweite zu verdrängen.

Deutliche Beweise für diese ausgewogene Anthropologie Hegels bereits am Ende dieser Periode sind z. der erwähnte Gedanke "Der Mensch ist so ein komplexes Ding [...]" von Blatt ’h’ sowie die Vorstellung einer ’geordneten Sensibilität’, enthalten vor allem (Text prüfen)

 

 

Anmerkungen

[1] ) "Inwieweit eignet sich die christliche Religion für diesen Zweck [...]" (GW 1, 139,24).

[2] ) Siehe Schritt 139.25 ff.

[3] ) „Eine Religion kann in Betracht gezogen werden

a) in Bezug auf seine Lehren

b) zu seinen Traditionen -

c) bei seinen Zeremonien -

d) sein Verhältnis zum Staat oder als öffentliche Religion“ (GW 1, S. 154-155). Diese Liste entspricht derjenigen zum Begriff „Volksreligion“, die in Text 16 auf Seite 103 von GW 1 zu finden ist.

[4] ) In GW 1 fehlt das Fragezeichen am Satzende, während es in der Suhrkamp-Ausgabe (W 1, S. 89) zu finden ist. Ob es sich jedoch um eine Frage handelt, lässt sich sowohl aus der Art des Satzbaus als auch aus der Fortsetzung des Fragments ableiten, das eine Antwort auf diese Frage ist.

[5] ) „Der Glaube an Christus als historische Person ist kein Glaube, der auf einem praktischen Vernunftbedürfnis beruht, sondern ein Glaube, der auf dem Zeugnis anderer beruht“ (GW 1, S. 157). Dieser Gedanke findet sich bereits in Text 24 (vgl. Passage 151,1 ff.).

[6] ) „Christusglaube ist Glaube an ein personifiziertes Ideal“ (GW 1, S. 160).

[7] ) In Bezug auf diese Konzeption war zweifellos wieder der Einfluss von Lessings Nathan ausschlaggebend (vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 574, Anm. a 152,11-12). Eine andere Stelle, in der dieser Einfluss deutlich wird, ist 161,24-26: „Durch welche Veranstaltungen (‚Veranstaltungen‘) kann verwirklicht werden, dass in Christus nicht nur der Mensch, nicht nur sein Name, sondern die Tugend selbst erkannt und geliebt wird [...] ").

 

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DRITTE STUFE

Die Hegelsche Gründungsentscheidung

eine neue Volksreligion

(Winter 1794)

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Das Scheitern der christlichen Religion als Volksreligion bedeutet für Hegel zugleich das Scheitern allen historischen Glaubens an dieser Aufgabe. Jeder historische Glaube – und nicht nur das Christentum – ist auf Geschichte gegründet; Wenn also das Christentum aus diesem Grund nicht in der Lage ist, eine Volksreligion zu sein, wird dies auch jeder andere historische Glaube tun.

Was seiner Meinung nach notwendig ist, ist eine neue Volksreligion, die die von ihm aufgestellten unentbehrlichen Grundmerkmale besitzt und durch diese den Menschen lehren kann, die Tugend in sich selbst und nicht in einem fremden Wesen zu erkennen.

Kurz gesagt, die Zeit war reif, die reine Tugend endgültig von der Person Jesu zu trennen und sie als etwas Menschliches, als „Schönheit der menschlichen Natur“ und nicht als etwas Göttliches anzubeten. Hegel legt diese Gedanken deutlich in Text 26 offen, der seinem Inhalt nach der letzte dieser Stufe seiner geistigen Entwicklung zu sein scheint: ( [1] )

 

„Daher, wenn nach Jahrhunderten die Menschheit wieder Ideen fähig wird, das Interesse an dem Individuellen verschwindet, die Erfahrung von der Verdorbenheit der Menschen zwar bleibt, aber die Lehre von der Verworfenheit des Menschen abnimmt, und un dasjenige interessierte Ideen in ihrer Schönheit nach und nach hervortritt, von uns gedacht unser Eigenthum wird, [wir] das schöne der menschlichen Natur, was wir selbst in das fremde Individuum hineinlegten, [...] wieder als unser eignes Werk freudig unserkenneren, es aneignen, und dadurch Selbstachtung für uns empfinden [...] "(GW 1, 164, 3-13)

 

 

Die neue Volksreligion muss der Religion endlich eine „angemessene, wahre und autonome Würde“ verleihen, wie es im letzten Satz dieses sehr wichtigen Textes heißt:

 

"Das System der Religion, das immer die Farbe der Zeit und der Staatsverfassungen annahm, der höchste Tugend Demuth, Bewußtsein seines Unvermögens, das alles anderswoher - das Böse selbst zum Theil erwartet - wird izt eWähre wahre 1", 164, 20-24 )

 

Damit fügt der junge Philosoph seinem Begriff der Volksreligion einen weiteren Charakter hinzu, den ihrer „Absolutheit“. Bedenkt man, dass die neue Volksreligion nicht mehr „die Farben der Zeit und der Staatsverfassungen“ annehmen könne, sei der Schluss zu ziehen, dass ihre Gründung unabhängig von der Geschichte sein werde. Darin bestehe im Grunde seine „eigene, wahre und autonome Würde“. Eine von der Geschichte unabhängige Religion ist folglich „absolut“.

Hier ist schon Hegels Tendenz zu einer letztbegründet begründeten Auffassung des Absoluten erkennbar, die dann in der Wissenschaft der Logik ihren vollkommensten Ausdruck finden wird.

Die soeben zitierten Sätze sind nicht nur in ihrem begrifflichen Gehalt, sondern auch in ihren zeitlichen Bezügen so eindeutig ("Das System der Religion [...] wird jetzt [...] erhalten"; "[...] wenn nach Jahrhunderten [...]"), das in ihnen als bewusste Absicht, als Lebensprogramm, als Programm der Gründung eines neuen rationalen, sensiblen, natürlichen und absoluten Raumes erkennbar ist, geeignet zur Förderung der Moral im Menschen.

Diese Absicht kann als Ergebnis der Frühzeit von Hegels Jugendentwicklung (1785-1794) und als festes philosophisches Programm seines Lebens angesehen werden.

 

Anmerkungen


[1] ) Dieser Text wurde von Hegel vermutlich „in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Texten 24 und 25“, also im Jahr 1794 geschrieben, wie die Herausgeber von GW 1 im Redaktionsbericht (S. 482) schreiben.

 

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SEKTION B

Hegels geistige Entwicklung in den Jahren 1789-1792

 

 

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1.2.3 DRITTES STADIUM
(der zweiten Phase von Hegels dialektischer Entwicklung)

 

Die ‚dunklen Jahre‘ und die Anwendung der Kategorie der Natürlichkeit
auf die „Aufklärung des gemeinen Mannes“

 

(7. August 1788 - 10. Januar 1792)

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Hauptbegriff des neuen Stadiums

Die dritte Stufe dieser zweiten Phase in der Entwicklung des Denkens des jungen Hegel ist gekennzeichnet durch die Anwendung der Kategorie der Natürlichkeit auf das spezifische Feld der Aufklärung des einfachen Menschen. Hegel musste nämlich auf einem Nebenweg vorgehen, nämlich die Kategorie der Natürlichkeit auf den Bereich der Wis-senschaften und der Künste anwenden, weil er sich auf dem Gebiet der menschlichen Beziehungen noch zu jung und vor allem zu unerfahren fühlte, um direkt zur Identifizie-rung der Modalitäten der Aufklärung des gemeinen Menschen übergehen zu können.  Nachdem er aber diese Operation der An-wendung der Kategorie der Natürlichkeit auf das Gebiet der Wissenschaft und der Künste durch die historische Reflexion über den Un-terschied zwischen der Dichtung der Alten und der Modernen vollzogen hatte, fühlte sich der junge Gelehrte nun am Ende des Studiums an Gymnasium und Realschule und zu Beginn seiner Universitätslaufbahn, also zwischen 1788 und 1789, wenn schon nicht als Experte auf dem Gebiet der menschlichen Beziehungen, so doch zumindest in der Lage, die Geschichte von einem philosophischen Standpunkt aus zu betrachten.  Dies war eines der grundlegenden Prinzipien, die er von Beginn seiner Überlegungen an konzipiert hatte, als er um 1785 diese Art der Ge-schichtsbetrachtung als eine fast erkenntnistheoretische Voraussetzung identifiziert hatte, um einen moralischen, ethischen und pä-dagogischen Kurs durchführen zu können.  Die Anwendung der Kategorie der Natür-lichkeit auf den Bereich der Poesie versetzte ihn nun in die Lage, die Überlegenheit, zu-mindest in einigen grundlegenden Aspekten des Lebens der antiken griechischen Zivilisa-tion gegenüber der christlichen und mauri-schen Zivilisation, die seine Zeitgenossen waren, zu verstehen. Während nämlich die antiken Dichter ihre Schöpfungen in direktem Kontakt mit der Natur, also spontan und natürlich, erarbeiteten, denken die modernen Dichter im Gegenteil abstrakt über die ästhetischen und literarischen Regeln nach, sie schaffen also aus anderen Schöpfungen und nicht aus der Natur selbst. Aus diesem Grund haben sie den direkten Kontakt mit dem Sein verloren, könnte man aus metaphysischer Sicht sagen.  Das Thema der Spaltung des modernen Menschen taucht hier zum ersten Mal auf, und es wird dann im Laufe der wei-teren Überlegungen Hegels, dessen Philosophie zumindest ab den Jenaer Jahren, also etwa zehn Jahre später als die jetzt behandelte Periode, genau die Aufgabe übernimmt, einen möglichen Weg der Versöhnung des Menschen mit der Natur und dem Leben aufzuzeigen, einen immer wichtigeren Stellen-wert bekommen.

Philologische Lage der Texte: die ‚dunklen Jahre‘

In der Zeit des Übergangs zwischen dem Stuttgarter Gymnasium Illustre und dem Evangelischen Stift Tübingen, also genau in der Zeit, die wir jetzt untersuchen, macht Hegel diesen Übergang von der Anwendung der Kategorie der Natürlichkeit aus dem Bereich der Wissenschaften der Künste in den Bereich der Ethik, Moral und Pädagogik.  Der große Philosoph, auf den sich Hegel dabei eindeutig bezieht und von dem er sicherlich den größten Einfluss erhält, ist Jean-Jacques Rousseau. Leider haben wir nur sehr wenige direkte Elemente, um diesen Einfluss zu rekonstruieren, da die Schriften dieser Jahre zwischen 1789 und 1792 völlig verlo-ren gegangen sind oder, wie zwei deutsche Gelehrte vorschlagen, absichtlich zerstört wurden.  Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Hegels Witwe und ihr Sohn Karl auf-grund des plötzlichen Todes des Philosophen eine Auswahl innerhalb der hinterlassenen Manuskripte trafen und jene Schriften ver-nichteten, die ein atheistisches, antireligiöses und politisch revolutionäres Bild des Philo-sophen zu vermitteln drohten.  Kurzum, auch nach seinem Tod wurde alles getan, um ein Hegel-Bild zu bewahren, das der preußischen Monarchie und der protestantischen Kirche treu war.  Dies ist der Hegel, den sie uns überliefern wollten, aber es ist nicht der ein-zige Hegel und, wie wir in dieser geo-netischen und dialektischen Studie seiner Philosophie zu zeigen versuchen, nicht ein-mal der wirkliche Hegel. Der Hegel, den wir erhalten haben, ist ein Kompromiss zwischen dem wahren, authentischen Hegel, dem, der sich nur aus einer genetisch-dialektischen Untersuchung ergeben kann, und dem Hegel, der für die damalige Gesellschaft erträglich, sozusagen verdaulich, war.  Wenn Sie das nicht verstehen, werden Sie niemals zu einem objektiven Verständnis seines Denkens gelangen können, das es wert wäre und das wahre Hegelsche Denken nach 200 Jahren Lügen, Irrtümern und Unwahrheiten wiederherstellen würde.

Diese drei, fast vier Jahre der Entwicklung von Hegels Denken sind von der Kritik als die "dunklen Jahre" bezeichnet worden (Ripalda, de Angelis).  Und doch müssen es, wenn man darüber nachdenkt, die reichsten Jahre intellektueller Qualen gewesen sein, wenn man bedenkt, dass der junge Mann beim Eintritt in das Tübinger Stift mit eini-gen der höchsten Geister der Zeit, wie Schel-ling und Hölderlin, in Berührung kam.  Außerdem war 1789 die Französische Revoluti-on ausgebrochen. Mehrere französische Stu-denten aus den an Württemberg angrenzenden Städten, insbesondere Colmar und Montbéliard, studierten an der gleichen Universität wie Hegel, so dass er direkten Kontakt zu diesen Ereignissen hatte.  Es wird auch gesagt, dass Hegel ein Freund dieser französischen Studenten war, die damals zu seinen besten Freunden gehörten. Sicherlich gehörten sie zusammen mit Schelling und Hölderlin zu jener Gruppe von Studenten, die glühende Anhänger der Revolution waren. 

Aus dieser Reihe von Gründen scheint es wirklich unmöglich zu glauben, dass der junge Student, der an ein so strenges Leben gewöhnt war, das sowohl aus Lesungen und Exzerpten als auch aus eigenen Aufsätzen bestand, in denen er über die Entwicklungen seines eigenen Denkens berichtete, in diesen Jahren, die so reich an politischen, philoso-phischen und geistigen Turbulenzen waren, nichts geschrieben hat.  Diese Hypothese ist also unbedingt zu verwerfen, auch weil nach dem Ende des Jahres 1792 wieder eine Reihe von Hegels Aufsätzen zum Thema Religion vorliegt, es also eindeutig ein fehlendes Bin-deglied zwischen den Schriften der Stuttgar-ter Zeit, die sich auf die erste Phase der Entwicklung seines Denkens beziehen, und der dritten Phase, die gegen Ende des Jahres 1792 beginnen wird, gibt.  In dieser Phase belebte der junge Denker allmählich jene religiösen Studien, die mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts die Dimension seines Denkens ausmachen sollten.  

Es ist daher legitim zu fragen, was in diesen vier Jahren, dreieinhalb Jahren, passiert sein könnte, das so schwerwiegend war, dass er nicht einen einzigen Artikel schreiben konnte. Es hat nicht den Anschein, dass etwas passiert ist, im Gegenteil, es scheint, dass er eine enorme Menge an Anregungen und Ein-flüssen hatte.  Man muss daher leider den deutschen Gelehrten zustimmen, dass ein Teil des Hegelschen Erbes nach dem Tod des Philosophen von seiner Familie freiwillig vernichtet wurde.  Sicherlich gehört die ge-samte Hegelsche Produktion der Jahre 1789-179-1791 sowie der ersten Hälfte des Jahres 1792 - die ’dunklen Jahre’ - zu dieser Gruppe von freiwillig vernichteten Manuskripten.

Die ’dunklen Jahre Hegels in der Forschung

Auf die mangelnde Kenntnis dieser Jahre der geistigen Jugendentwicklung Hegels und gleichzeitig auf die enorme Bedeutung dieser Zeit für die Herausbildung seiner Philosophie hatte schon 1965 Henrich in seinem Aufsatz über Leutwein hingewiesen:

„Hegels Jugendgeschichte ist noch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Für mehrere Jahre seines Studiums in Tübingen besitzen wir von seiner eigenen Hand keine Dokumente. Denn das erste Manuskript der Schriften, die Nohl herausgegeben hat, entstand im letzten Jahr der theologischen Studien (1792/3), während die Überlieferung aus der Stuttgarter Gymnasialzeit, die nicht ganz spärlich ist, mit einem Aufsatz aus der Zeit endet, in der sich Hegel im theologischen Stift gerade einrichtete. Zwischen beiden hat Hegel eine tiefgehende Wandlung erfahren und den Weg begonnen, der ihm eigentümlich ist. Auf ihm ist er zum Philosophen geworden.“ (S. 39)

Fünfundzwanzig  Jahre  später hat  Ripalda in seinem Aufsatz Aufklä-rung beim jungen Hegel) diese Auffassung noch einmal betont, indem er die Erforschung dieser Jahre als „immer noch ein Desiderat“ bezeichnet hat:

„Vieles bleibt beim frühen Hegel, vor allem in den dunklen Jahren der großen Veränderung zwischen 1789 und 1792, noch zu erforschen; eine Integration der verschiedenen Komponenten - Wissenschaft, Poesie, Politik, Philosophie, Theologie - in den historischen Hintergrund und unter einander ist immer noch ein Desiderat.“ (S. 126)

Ripaldas Kennzeichnung dieser Zeit als  die ’dunklen Jahre’ der geistigen Entwicklung Hegels  scheint also den aktuellen Stand unserer diesbezüglichen Kenntnis sehr treffend zusammenzufassen).

 

1. Die Kontinuität von Hegels geistiger Entwicklung in der Zeit von 7. August 1788 bis 10. Januar 1792: die Idee einer aufgeklärten Volksreligion

Bei dem Vergleich zwischen den Hauptgedanken der Zeit von 1785 bis 1788  und denen der Jahre 1792/93-94 zeigt es sich, dass die Zeit 1789 bis 1792 kein Bruch, sondern ein Übergang in Hegels Geistes-entwicklung gewesen ist. Das Hauptargument zur Unterstützung dieser These ist, dass Hegel durch sein Ideal der Gründung einer neuen Volksreligion genau die  ’Aufklärung des gemeinen Mannes’ erreichen wollte. Die folgenden Textstellen, die sich in der ersten Hälfte und insbesondere im Bogen f  Aufklärung - wirken wollen durch den Ver-stand von  Text 16 befinden,  sind ein Hinweis darauf:

- „Wenn man davon spricht: man kläre ein Volk auf [...]“ (95,1)

- „[...] auch richtige vor der Untersuchung des Verstands standhaltende Säze sind beim gemeinen Volk [...]“ (95,11)

- „[...] - dem Volk seine Vorurtheile nehmen, es aufklären heist also - [...]“ (95,16-17)

- „[...] daß eine Religion, die allgemein fürs Volk seyn soll [...]“ (96,6).

In diesen Textstellen wird sichtbar, dass Hegels Überlegungen nicht mehr das gelehrte Gebiet der Aufklärung durch die Wissenschaften und die Künste, sondern das von der Aufklärung des ’gemeinen Mannes’ betreffen. In der Tat bezweckte Hegel durch das Ideal der Stiftung einer neuen Volksreligion nicht die ’Gelehrten’, sondern das Volk, also den ’gemeinen Mann’ aufzuklären. Dieses Ideal ist also nichts anderes als die Lösung der Frage nach einer Aufklärung des ’gemeinen Mannes’, die die erste Phase abschließt.

Mit der Auffassung, durch die Gründung einer neuen Volksreligion die Aufklärung des ’gemeinen Mannes’ befördern zu können, findet auch die Vermutung des Jahres 1786 eine Bestätigung, dass sich die Aufklärung des ’gemeinen Mannes’ nach der Religion richtet. Das wurde von Hegel dann auch im späteren System für wahr gehalten (wobei es sich dabei um einen erweiterten Sinn des Begriffs ’Religion’ handelt, der in sich auch die Philosophie einschließt)).

Der Vergleich zwischen den Inhalten der ersten und der dritten Phase von Hegels geistiger Entwicklung führt also zu dem Schluss, dass er in den Jahren 1792/93-94 einen wichtigen Schritt weiter gegangen ist in der Lösung seiner ursprünglichen Frage der Durchführung einer Aufklärung des ’gemeinen Mannes’. Er hat zwar diese Frage noch nicht gelöst, aber er hat schon begriffen, wie sie zu l”sen sei, nämlich durch die Gründung einer neuen Volksreligion. Hiermit hat er also die not-wendige Grundlage zu deren späterer Lösung gelegt.

Die Erkenntnis der Kontinuität zwischen der ersten und der dritten Phase von Hegels geistiger Entwicklung führt zu der weiteren Frage, wie sich dieser Übergang ereignet hat. Dabei gilt es vor allem zu ver-stehen, mit welchen Gedanken sich Hegel in den Jahren zwischen 1789 und 1792 beschäftigt hat. Hegels Entwicklung bis August  1788 ist mit der Gewinnung des Vorbildes des griechischen Dichters abgeschlossen worden. 

Damit hat Hegel die Lücke beseitigt, die ihn im Jahre 1786 gehindert hatte, sofort eine Aufklärung des ’gemeinen Mannes’ durchzuführen, d.h. den Mangel an einem ’gründlichen und philosophischen Studium der Geschichte’. Durch die Untersuchung der Aufklärung auf dem Ge-biet der Wissenschaften und der Künste und insbesondere durch den Vergleich zwischen der Kunst der alten und der neueren Dichter ist er zu einer insgesamt negativen Einstellung gegenüber der zeitgenössi-schen Kultur und dagegen zu einer positiven Einschätzung der alten, vor allem der griechischen Kultur gekommen. Dahinter versteckt sich auch eine nicht explizite, aber  implizite Auffassung der Weltgeschichte als Verfall. Die altgriechische Kultur wird für den jungen Hegel zum Vorbild einer Gesellschaft, deren Mitglieder natürlich, also in Harmonie mit der Natur und mit sich selbst zu leben wussten.

Mit der Gewinnung dieser Erkenntnis sind Hegels Untersuchungen auf dem Gebiet der Wissenschaften und Künste abgeschlossen. Was man von ihm als nächsten Schritt in seiner geistigen Entwicklung zu erwarten hat, ist also die Anwendung dieser Ergebnisse auf den Begriff des ’gemeinen Mannes’, mit dem Ziel der Durchführung einer Aufklärung  desselben. Eine Antwort auf die Frage, ob die Gedanken-entwicklung von Hegel in den ’dunklen Jahren’ wirklich hauptsächlich in dieser Anwendung bestanden hat, kann nur von einer Schichtuntersuchung der Texte der dritten Phase kommen.

 

Die an die ‚dunklen Jahre‘ angewendeten, spefizischen Methode: die Schichtuntersuchung

Wie ist es möglich, auf der Grundlage dieser tragischen philologischen Situation zu ver-stehen, welchen Schritt vorwärts dieser junge Gelehrte machte, der, wie wir bisher gesehen haben, fast jeden Monat seines Lebens einen Schritt vorwärts machen konnte?  Um dies zu erreichen, entschied ich mich, als ich um 1990 mit der Arbeit an dieser Periode der Entwicklung des Hegelschen Denkens be-gann, für eine Methode, die ich damals "Schichtuntersuchung" nannte.  Dies ist die Methode, die zum Beispiel in der Geologie oder auch in der Archäologie angewendet wird, wenn wir im Laufe der Geschichte eine Überschneidung von Zeugnissen über die Existenz einer früheren Zivilisation oder geo-logischen Epoche haben.  Wenn wir die ver-schiedenen Schichten analysieren, können wir unter einer oberflächlichen Schicht einige tiefere Schichten entdecken, die aus der äußeren Sicht nicht mehr überprüfbar sind, weil sie von der oberflächlichen Schicht be-deckt sind, und deshalb müssen wir, um sie zu verstehen und zu analysieren, genau unter der oberflächlichen Schicht graben und die vorherigen Schichten erreichen.  

Wir können diese geschichtete Analyse auf die Geschichte der Philosophie anwenden, insbesondere auf die Geschichte des Hegel-schen Denkens, denn zu unserem Glück ha-ben wir eine Fülle von Texten sowohl vor 1789 als auch nach 1792.  Wir können also sowohl das Denken vor als auch nach den dunklen Jahren genau rekonstruieren. Wie können wir aus diesem genauen Wissen vor und nach den dunklen Jahren auf den Inhalt dieser Jahre schließen? Sie wird in jenem Denkinhalt bestehen, der in den Schriften nach 1792 implizit, in den Schriften bis 1789 aber nicht explizit enthalten ist. Es geht also darum, fast eine mathematische Operation zu machen, nämlich von dem Gedankeninhalt, den wir in den Schriften unmittelbar nach 1792 haben, sowohl das abzuziehen, was in diesen Schriften nicht offen thematisiert wird, als auch das, was in ihnen vorhanden ist, ohne vom Philosophen in den Texten vor 1789 thematisiert worden zu sein. Das Ergebnis dieser Operation der Subtraktion wird offensichtlich das sein, was der junge Student in der Periode der dunklen Jahre als seine eigene neue Wahrheit ausgearbeitet hat.

Es gibt aber auch andere Elemente unseres Wissens, die uns bei diesem schwierigen, aber nicht unmöglichen Unterfangen helfen können, Hegels geistige Entwicklung in den dunklen Jahren zu verstehen.  Es gibt in der Tat kleine Dokumente wie Widmungen in Hegels Memoiren oder Zeugnisse von Studenten, die in jenen Jahren bei ihm in Tübin-gen waren.  All diese Dokumente können uns den philosophischen Inhalt von Hegels Den-ken in jenen Jahren nicht eindeutig offenba-ren, aber sie können als Anhaltspunkte für die spätere eigentliche Schichtungsanalyse betrachtet werden.

Das Zeugnis Leutweins

Das wichtigste dieser Dokumente ist das Zeugnis von Leutwein, einem Studienkollegen Hegels, der später evangelischer Pfarrer in der Region wurde, der normale Beruf für alle, die das Stift besuchten. 

Von Leutwein haben wir das folgende Zeugnis:

„Allein während der vier Jahre unsere Familiarität war Metaphysik Hegels Sache nicht sonderlich. Sein Held war Jean Jacques Rousseau, in dessen Emil, contrat social, confessions“.

Dabei bezieht er sich genau auf die Zeit der ’dunklen Jahre’:

„Allerdings stand Hegel vier Jahre lang während seines Aufenthalts im Stifte mit mir auf so vertrautem Fuße, wie mit keinem andern. Ich war eine Promotion vor ihm. Von seinem fünften akademischen Jahre kann ich folglich nichts mehr sagen.“)

Das schockiert oder überrascht uns nicht, denn Rousseau war der Philosoph der Revo-lution, und wir wissen sehr wohl, dass Hegel, wie auch seine engen Freunde Schelling und Hölderlin, allesamt Anhänger der Revolution waren, sie unterstützten sie und erwarteten Großes von diesen französischen revolutionären Bewegungen.  Hegel hatte vom ersten Augenblick an eine Haltung der Offenheit gegenüber der Revolution.  Es konnte auch gar nicht anders sein, denn wir haben gese-hen, dass er in der Stuttgarter Zeit, also in den Jahren unmittelbar vor der französischen Revolution, stark von der Kultur der Aufklä-rung durchdrungen war. Er ging sogar darü-ber hinaus und wollte die Aufklärung weiterentwickeln, sie vom gesellschaftlichen Status der Gelehrten auf den des einfachen Mannes ausweiten. So haben wir bei Hegel sogar den Gedanken an eine philosophische Revolution, die den einfachsten Menschen erreicht. Das war die philosophische Haltung Hegels in den Monaten unmittelbar vor der Revolution, weshalb uns die Aussage Leutweins nicht überrascht. Es ist daher naheliegend, dass er die französischen Studenten mit besonderem Vergnügen besuchte und die Revolution gemeinsam mit seinen Busenfreunden feierte.

Die Widmung Hegels an Weigelin

"Des connoissances qui sont à nôtre porté les unes sont fausses, les autres sont inutiles, les autres servent à nourrir l’orgueil de celui qui les a. Le petit nombre de celles qui contribuent réllement à nôtre bien-être est seul digne des recherches d’un homme sage; il ne s’agit point de savoir de ce qui est, mais seulement ce qui est utile." (J.-J. Rousseau, G.W.F. Hegel)

Dieser Gedanke ist eine Widmung Hegels an den Stiftskameraden Weigelin und ist dem "Émile" (S. 428) entnommen, wobei Hegel allein die Worte "& par consèquent d’un enfant qu’on veut rendre tel" hinter "d’un homme sage" ausgelassen hat, da Weigelin kein Kind war.)

Der Satz ist von besonderer Bedeutung, denn er enthält einen Gedanken, der im Denken sowohl des jungen Hegel als auch Rousseaus auftritt: Zweck der Kenntnisse, also des Wissens, ist die Weisheit und nicht das Wissen selber, als blosse Quantität von erworbenen Kenntnissen betrachtet. Die Weisheit besteht zwar auch aus Kenntnissen, diese dürfen jedoch nicht Selbstzweck sein, sondern sollen zu unserem Wohle dienen. Das Sich-wohl-fühlen des Menschen ist also der Maßstab für die Nützlichkeit der Kenntnisse und deshalb für ihren echten Wert.Philosophie ist in ihrem Wesen Weisheit und nicht Wissen, wie von den Griechen durch die Auswahl des Wortes ’Philosophie’ ein für allemal festgelegt wurde), und sie soll vor allem eine Art zu leben und nicht nur zu denken sein, wofür Sokrates das unvergängliche Vorbild geliefert hat. In dieser Hinsicht ist die Übereinstimmung zwischen Rousseau und dem jungen Hegel außerordentlich wichtig, denn sie bezieht sich nicht auf einen besonderen Begriff, sondern betrifft die Interpretation der Philosophie und ihrer Aufgabe im Allgemeinen und kann deshalb als Grundlage jedes anderen, besonderen Begriffs dienen.

Diese Übereinstimmung wird nicht nur durch die Widmung anWeigelin, sondern durch mehrere Textestellen der Tübinger Jahre weiter belegt, insbesondere z.B.:

"Etwas anderes als Aufklärung, als Räsonnement ist Weisheit - Aber Weisheit ist nicht Wissenschaft - Weisheit ist eine Erhebung der Seele, die sich durch Erfahrung verbunden mit Nachdenken über Abhängigkeit von Meinungen wie von den Eindrükken der Sinnlichkeit erhoben hatund nothwendig, wenn es praktische Weisheit, nicht blosse selbstgefällige oder prahlende Weisheit, von einer ruhigen Wärme, einem sanften Feuer begleitet seyn mus; [...] sie hat ihre Überzeugung nicht auf dem allgemeinen Markt eingekauft, wo man das Wissen an jeden, der richtig bezahlt, hergibt, [...] sondern spricht aus der Fülle des Herzens." (GW1, Text 16, S. 97)

Angesichts der Tatsache, dass die Philosophie in dem Denken des reifen Hegel aufgrund seines im Übrigen gerechtfertigten Bestrebens, sie als ’Wissenschaft’ darzustellen, Gefahr läuft, als Weisheit zu verschwinden, mögen diese Überlegungen zur Wiederentdeckung der echten Bedeutung von Hegels reifem System als ’Weisheitslehre’ und nicht nur als ’Wissenschaft’ beitragen.)

Die erste philosophische Auffassung Hegels

In dieser Publikation, die das Ergebnis meiner Doktorarbeit an der Universität Bochum ist, habe ich diese Beziehung zwischen Rousseaus Denken und dem Hegelschen Denken in diesen Jahren untersucht.  Diese explizit diesem Problem gewidmeten Studien haben gezeigt, dass die Hegelschen Schriften aus der zweiten Hälfte des Jahres 1792 bis, sagen wir, 1793 und 94, in denen wir die Ausarbeitung des Textes 16 haben, der das wichtigste Fragment dieser Periode ist, eine naturalistische oder mystische Konzeption der Welt und der Natur voraussetzen, die eindeutig von der Philosophie Rousseaus inspiriert ist.

Hegel geht in diesen Schriften davon aus, dass es keinen Gott außerhalb der Natur gibt, sondern dass das Göttliche selbst zur Natur gehört.  Wir haben also definitiv eine monistische und nicht eine dualistische Sichtweise.  Die Natur wird als ein geordneter Organismus gesehen, der unabhängig vom Menschen seine eigene Ordnung hat und Gott ist der Garant dieser Ordnung, aber ein immanenter Gott, nicht äußerlich, nicht transzendent.  Schließlich wird der Mensch als gut in sich selbst gesehen, da er zu jener Ordnung ge-hört, in der jede Entität in sich selbst die Rechtfertigung ihres eigenen Seins und damit ihre eigene Güte hat.  Der Sitz solcher Güte im Menschen ist das Herz, dem Hegel den Intellekt entgegensetzt, der oft gegen die Gründe des Herzens geht. Diese sind aber Ausdruck der Echtheit und Natürlichkeit des Menschen, deshalb ist es falsch, wenn der Intellekt gegen die Gründe des Herzens vorgeht. 

Dies ist sicherlich eine vereinfachte Darstellung dessen, was jedoch die philosophische Grundstruktur der Hegelschen Texte unmit-telbar nach 1792 ausmacht.  Diese Ansicht entspricht sicherlich der philosophischen Konzeption, die Rousseau in seinem Werk Emile oder die Erziehung (1762) ausgearbeitet hatte.  Sicherlich ist dies das Werk, das Hegel gelesen hat, sowohl weil man eine Reihe von wörtlichen Parallelen finden kann, wie ich in meiner Studie gezeigt habe, als auch weil dies die Art der Lektüre war, die Hegel zu dieser Zeit bevorzugte.  Wir erinnern uns genau an die Lektüre von Zimmer-manns Text über die Einsamkeit sowie an die Lektüre von Campe’s Text Theophron. Es handelte sich um Texte pädagogisch-erzieherischer Art, die dazu dienten, dem jungen Intellektuellen der Zeit eine Orientie-rung zu geben. 

Die Lektüre von Rousseau ist also eine grundlegende Synthese von allem, was Hegel bis zu diesem Moment gelesen und rezipiert hatte. Rousseaus Emile erlaubte es ihm, eine erste philosophische Synthese seines eigenen Denkens auszuarbeiten, eine erste wirkliche Philosophie, auch wenn sie noch nicht in einem wirklichen philosophischen System formuliert war.  Es ist diese Philosophie, die in den überlieferten Fragmenten ab 1792 die nicht explizit thematisierte, in ihnen implizit angedeutete, aber nicht explizit thematisierte Grundlage bildet.  Da sie aber in den Schriften bis 1789 nicht einmal explizit enthalten ist, muss gefolgert werden, dass Hegel diese seine erste philosophische Konzeption im Rousseau’schen Stil in der Zeit der dunklen Jahre ausgearbeitet hat.  Er las sicherlich viel, wie er es zu tun pflegte, und schrieb sowohl Auszüge aus seinen eigenen Lektüren als auch seine eigenen Schriften. Er hat diese Schriften sicherlich auf seine verschiedenen Umzüge mitgenommen, wie auch seine früheren und späteren Schriften.  Es muss eine enorme Masse an Material gewesen sein, denn es müssen seine Vorlesungsskripte und damit seine Universitätskurse gewesen sein. Kurzum, es werden nicht nur ein paar Seiten gewesen sein, wie im Falle des Tagebuchs, sondern viele Auszüge, viele Überlegungen zum Universitätsunterricht, viele Auszüge aus Rousseaus Emile und möglicherweise auch aus anderen Werken. So viele Schriften, die sicherlich alle aus diesen dunklen Jahren stammen. Da diese Schriften offensichtlich eine philosophische Vision enthielten, die auf Rousseau basierte und daher sowohl in Bezug auf die Monarchie als auch auf die protestantische Theologie stark revolutionär war, konnten sie nicht überliefert werden, zumindest nicht, indem sie eine Vision von Hegels Persönlichkeit lieferten, die sich völlig von derjenigen unterschied, die die preu-ßische Familie und der Staat zu überliefern beabsichtigten. 

Aus dieser Reihe von Gründen scheint es wissenschaftlich gut begründet, die Leere der dunklen Jahre mit der von Hegel durchge-führten Operation der Ausarbeitung seiner eigenen ersten Philosophie, die eindeutig Rousseau’schen Ursprungs ist, zu füllen, auf deren Grundlage er dann in den unmittelbar folgenden Jahren seine eigenen Reflexionen philosophisch-religiöser Art ausarbeitete. wenn wir diese Naturphilosophie monistischen Typs nicht verstehen, können wir auch jene religiösen Reflexionen nicht vollständig verstehen, die nichts anderes sind als die Anwendung dieser Grundphilosophie auf das religiöse Thema.

 

 

*

Abschließende Betrachtungen über die erste Periode
der dialektischen Entwicklung des Hegelschen Denkens

 

Texte 16 und 26 in Bezug
auf das ausgereifte philosophische System

*

 

Hegels philosophisches System präsentiert sich als Verwirklichung des jugendlichen Ideals der Gründung einer neuen Volks-, Vernunft- und Naturreligion. Die im Wintersemester 1793/94 vollständig erfolgte Formulierung dieses Ideals schließt die erste Periode der Entwicklung von Hegels Denken mit der klaren, ausdrücklichen und bewußten Formulierung der Intention, der Religion zu geben, die an der Zeit war Gegenstand des Universitätsstudiums und auch der persönlichen Reflexionen des jungen Philosophen, seiner eigenen autonomen Würde. Dieser Gedanke kommt sehr deutlich in Text 26 zum Ausdruck. Lesen wir seine Worte noch einmal:

„Das System der Religion, das immer die Farbe der Epoche und der Staatsverfassungen angenommen hat, dessen höchste Tugend die Demut war, das Bewusstsein der eigenen Ohnmacht, die alles, teilweise sogar das Böse, von außen erwartet, wird nun sein Eigenes erhalten, wahre und autonome Würde“ 
(meine Übersetzung; in SG 1 S. 260, letzter Absatz von Text 26)

Dieser Text schließt die zweite Phase seines Aufenthalts in Tübingen ab, das Hegel vor einigen Monaten verlassen hatte, um als Hauslehrer nach Tschugg bei Bern zu ziehen. Glücklicherweise sind aus dieser Phase viele Texte erhalten, wir wissen nicht, ob alle von Hegel, aber sicherlich in einer solchen Menge, dass seine Überlegungen zum Religionsbegriff im Detail rekonstruiert werden können. 
Insbesondere Text 16 ist grundlegend, nicht nur weil er der längste ist, sondern auch weil er den Punkt enthält, an dem Hegel deutlich zeigt, dass er Immanuel Kants Text über die Religion „Religion innerhalb der Grenzen der einfachen Vernunft“ gelesen hat, der war kürzlich veröffentlicht zwischen Frühjahr 1792 (nur erstes Kapitel) und 1793 (vollständig). Die Rezeption dieses Textes führt den jungen Denker dazu, die völlig rousseuanische Position, die er bis dahin vertreten hatte, basierend auf dem Herzen als Sitz der Religion, aufzugeben und eine Position einzunehmen, in der die Vernunft eine wirklich universelle Religion erarbeiten muss. Genau das war Kants Konzeption. 
Hegels Reflexionen über Religion sind sehr artikuliert und komplex, aber grundlegend für das Verständnis nicht nur seiner jugendlichen Entwicklung, sondern vor allem der religiösen Bedeutung seines reifen Systems. Wir erinnern nämlich daran, dass Hegel in §554 noch in der letzten Auflage der Enzyklopädie, der von 1830, also ein Jahr vor seinem Tode, die Sphäre des absoluten Geistes, die in der Philosophie kulminiert, als „Religion“ überhaupt definiert. 

"Religion, wie lässt sich diese höhere Sphäre überhaupt definieren, [...]"
(Lexikon der philosophischen Wissenschaften im Kompendium, meine Übersetzung, § 554) 

Darüber hinaus haben wir bereits ausführlich gesehen, wie die Wissenschaft der Logik sowohl eine theologische als auch eine logische und ontologische Bedeutung hat, da ihr Objekt, das Absolute (oder Idee in der Hegelschen Sprache), von Hegel auch als Gott „vor der Schöpfung“ bezeichnet wird eine endliche Natur und Geist “. Lesen wir noch einmal, was er in der Einführung in die Wissenschaft der Logik geschrieben hat:

Wahrheit als Wissenschaft ist reines sich selbst entwickelndes Selbstbewusstsein und hat die Figur des Selbst, dass der an und für sich selbst erkennende Begriff, der Begriff als solcher, das Sein (was ist) an und für sich ist.
Dieses objektive Denken ist dann der Inhalt der reinen Wissenschaft. Statt formaler, statt sachleerer als wahrer und wirksamer Erkenntnis ist daher nur ihr Inhalt die absolute Wahrheit, das heißt, wenn wir das Wort „Materie“ noch gebrauchen wollen, wahre Materie, – aber eine Materie, zu der die Form ist kein Äußeres, weil diese Materie tatsächlich reiner Gedanke ist, also dieselbe absolute Form. 
Die Logik ist also als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Denkens aufzufassen. Dieses Reich ist die Wahrheit selbst, da es an und für sich hüllenlos ist; daher kann gesagt werden, dass dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist. 
(Science of Logic, Hrsg. Laterza, 1978, S. 41)

Diese Hinweise, die wir auch an verschiedenen anderen Stellen seiner Werke finden und die eines der immer wiederkehrenden Themen sind, führen uns zu einer ersten Schlussfolgerung, die wir wie folgt formulieren können: Hegels philosophisches System, insbesondere die Wissenschaft der Logik, sein erstes Teils stellt sie die Verwirklichung des in Text 26 formulierten Jugendideals dar, der Religion ihre "eigene autonome Würde" zu verleihen. 

Religion wird diesen Namen würdig, wenn sie nicht mehr von historischen Faktoren und Elementen abhängig ist (Offenbarung, heilige Texte und alles, was der junge Hegel höhnisch als ‚positiv‘, also institutionell und historisch definiert, im Gegensatz zu dem, was stattdessen ‚natürlich‘ ist., also der Welt selbst zugehörig, unabhängig von menschlichen Institutionen). 
Eine Religion, die nicht von historischen Faktoren abhängt, ist zunächst universell, also nicht national, da sie rational ist und daher auf dem menschlichen Wesen beruht, das allen Menschen gemeinsam ist. 
Eine voll rationale und damit universelle Religion, die an kein Volk und keine bestimmte nationale Tradition gebunden ist, kann letztlich nur eine wissenschaftliche Religion sein, wie es Hegels Studienkollege Friedrich Niethammer in seinem Büchlein „Religion als Wissenschaft“ ausdrückte. 
Eine wissenschaftliche Religion ist also eine rational und logisch begründete Auffassung des Absoluten, des ersten Prinzips und der von ihm geschaffenen Welt, also eine Philosophie. 
Was Hegel damit in seinem eigenen philosophischen System geleistet hat, war die Begründung der Religion als Wissenschaft. Nach ihm musste weder der Atheismus entwickelt werden (wie die Hegelsche Linke und insbesondere offensichtlich Marx) noch die christliche Religion als wahr begründet angesehen werden (wie die Hegelsche Rechte), sondern die Religion als solche, in der ihr Begriff ist Wissenschaft geworden und fällt als solcher heute, also in der Welt nach Hegel, mit der Philosophie zusammen, offenbar im Sinne einer idealistischen und dialektischen Metaphysik. 

Das ist die Revolution, die Hegel vollbracht hat, nachdem er eine der aufgeklärten Zeit angemessene Religion hervorgebracht hat, wie er in den Seiten des Stuttgarter Tagebuchs geschrieben hatte. 
Leider hat die posthegelianische Welt diese Botschaft nicht verstanden und den Weg des Atheismus, sowohl des liberalen als auch des kommunistischen, oder der traditionellen Religion (z mit Europa unvereinbar, auch wenn sich das niemand zu sagen traut). 
Heute müssen wir also wieder von 1831 ausgehen, was folgte, war nur ein tragischer historischer Irrtum, der sicher seine Ursachen hat, aber auf jeden Fall ein Irrtum bleibt. 

 

*

Der Hegelsche Religionsbegriff: 
Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Religion

(Text 16 und früher)

*

Zu dieser sehr wichtigen Schlussfolgerung gelangte Hegel nicht unmittelbar nach Text 26, sondern es bedurfte weiterer 7-8 Jahre des Studiums und Nachdenkens, bevor er dann um 1801-02 klar und deutlich die Auffassung vom Unterschied zwischen Glaube und Erkenntnis formulierte, nach dem gleichnamigen Aufsatz von 1802. Es ist nun sehr klar, warum dieser Aufsatz Glaube und Erkenntnis und nicht Religion und Philosophie heißt: Während für Hegel Glaube und Erkenntnis letztlich unvereinbar sind, sind Religion und Philosophie im Gegenteil vereinbar. Insbesondere ist die Philosophie als rationale Religion die vollkommenste und vollständigste Form der Religion. Beides fällt also zusammen, während es zwischen Glaube und Erkenntnis keineswegs eine Koinzidenz, sondern nur einen Gegensatz geben kann. 
Diese Hegelsche Vision wurde von dem jungen Denker im zweiten Teil der Periode der Tubinghese-Studien formuliert und wird daher in den Texten dieser Zeit thematisiert und aufgelöst, die dem Text 26 mit seinem philosophischen Programm vorangehen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, wie allgemein gesagt, Text 16. Er blieb dann zeitlebens unverändert, so dass wir noch wenige Monate vor dem Tod im Alter von 60 Jahren in Paragraph 554 die Sphäre des absoluten Geistes allgemein als a definieren Religion bezieht er sich offensichtlich auf diese Bedeutung dieses Begriffs und nicht auf die Bedeutung als Glaube, die er damals wie auch heute im täglichen Leben hat. Wenn wir die festgelegte Bedeutung dieses spezifischen Hegelschen Vokabulars nicht verstehen, können wir seine Philosophie nicht verstehen, 
Hegel hat keine Art „idealistisch-absolutes Vokabular“ geschrieben, vielleicht sollte dies heute getan werden, um das Verständnis seiner systematischen Arbeiten zu erleichtern. Schließlich verwendet jeder originelle Philosoph seine eigene Sprache, die sich in den frühen Jahren gebildet hat, wie Dieter Henrich gut erklärt hat. Zu denken, einen Philosophen zu verstehen, ohne seine Sprache und damit seine frühen Werke zu kennen, ist eine Illusion. 
In der Fortsetzung unserer Begegnungen über die Entwicklung von Hegels dialektischem Denken werden wir alle verschiedenen Phasen und inneren Stationen dieser fortschreitenden und beständigen Reise des jungen Denkers vom Ideal einer neuen Religion, die diesen Namen verdient, bis zu ihrer Verwirklichung in seiner eigenen rekonstruieren Philosophie. Es wird viele Schriften zu lesen und logische Schritte zu rekonstruieren geben. Versuchen wir heute nur, den Begriff der Würde der neuen Religion zu vertiefen und warum die Idee des philosophischen Systems bereits in diesem jugendlichen Ideal auf den Punkt gebracht wurde.
Der erste Charakter, den die neue Religion haben muss, ist zunächst Rationalität, logische „Gründbarkeit“. Nur eine rationale Religion kann würdig und autonom sein. Diese Konzeption ist offenbar die Wiederaufnahme des grundlegenden Inhalts der Kantischen Schriften von 1792/93. Wir werden diesen Aspekt später vertiefen. Dies war Hegel jedoch nicht genug. Die Religion der Zukunft muss neben der Vernunft, Kant folgend, eine weitere Konnotation haben: sie muss „volkstümlich“ sein. Hegel gebraucht in seinen Texten dieser Tübinger Jahre immer den Ausdruck „Volksreligion“, das heißt Volksreligion.
Er kontrastiert sie mit der Idee einer Religion der Gelehrten, also mit Theologie. Für Hegel ist nicht die Theologie wichtig, da sie nur wenige dem Studium gewidmete Menschen betreffen kann, sondern die Religion im vollen Sinne des Wortes, die er auch als „subjektiv“ definiert. Theologie, verstanden als gelehrtes Wissen um die Inhalte der Religion, ist vielmehr „objektiv“, was in der Hegelschen Sprache dieser Jahre einen negativen Wert hat, der dem Begriff „positiv“, also institutionell und historisch, entspricht. 
Auch Hegel drückt sich so aus, dass die subjektive Religion etwas Lebendiges, die objektive Religion aber tot sei. Die erste belebt die Geistigkeit der Menschen, während die zweite sie unterdrückt. Das erste entspricht einem authentischen Wissen, das als Weisheit verstanden wird (das das Erbe des Einflusses darstellt, den Rousseaus Lektüre in den dunklen Jahren 1789-92 ausübte, wie wir zuvor gesehen haben), das zweite hingegen dem Laboratorium des Naturforschers, in dem das Leben nur darin aufbewahrt wird die Form biologischer Artefakte, die jetzt tot sind. Dies entspricht Wissen, das als statisch, fixiert, nicht vital und lebendig verstanden wird. 
Lesen wir in diesem Zusammenhang einige sehr interessante Hegelsche Passagen.

Text 12 (siehe Chronologie)
"Inwieweit ist Religion zu würdigen, subjektiv oder objektiv?" 
(GS 1, 159).

 

Hier stellt Hegel eine der Grundfragen seiner Forschung, und zwar deutlich in Bezug auf Fichtes 1792 erschienenen Text „Versuch, jede Offenbarung zu kritisieren“. 

Die Antwort auf diese Frage findet sich in Text 16, dem umfangreichsten und auch bekanntesten dieser frühen Texte. Es besteht aus verschiedenen Manuskriptblättern, die von den Herausgebern der Gesammelten Werke mit verschiedenen Buchstaben des Alphabets von a bis l gekennzeichnet wurden. Es beginnt mit den berühmten Worten der Hegelschen Forschung:

"Religion ist eines der wichtigsten Themen in unserem Leben." (SG, S. 169)

Im ersten Teil des Textes, Folios ab, fasst Hegel seine bis dahin entwickelten Gedanken zum Religionsbegriff zusammen.
(Lesen der Blätter ab)

Ab Seite 173 (italienische Ausgabe von 1993), die sich auf Blatt c des Manuskripts befinden, stellt er sich dieser Frage dann offen.
(Leseblatt c) 

Subjektive Religion, die Hegel als einzige noch gültige Religionsform in der nun aufgeklärten und säkularisierten Welt bezeichnet, wie wir heute sagen würden, ist eng verbunden mit ethischem Handeln, sich gut zu verhalten, mit einem Wort Weisheit. Eine rationale Religion, die populär sein soll, muss daher subjektiv sein, das heißt, sie muss in der Lage sein, ein gutes und gutes zu fördern (ein Konzept, das nicht nur in den Hegelschen Schriften, sondern auch in denen vieler anderer junger Gelehrter dieser Zeit sehr oft wiederkehrt). kluges Verhalten, das ist ethisch. 
Der Grund für diese Zentralität der Problematik der Ethikförderung oder, wie damals auch gesagt wurde, der Erforschung eines Beweggrundes ergibt sich gerade aus dem Fehlen einer offiziellen (objektiven) Religion als Grundlage der Ethik. So wie ein Gebäude ohne Fundament nicht existieren kann, so hätte für diese jungen Theologen, die auf die neue säkularisierte Welt blickten, nicht einmal die Ethik ohne ihr Fundament überleben können. Es war daher notwendig, eine neue Begründung der Ethik zu suchen, die nicht objektiv und dogmatisch, sondern subjektiv und fundiert ist. Das war das grundlegende Problem, das all diese jungen Theologen gegenüber dem Neuen gemeinsam haben, zu deren Gruppe Hegel gehörte (deren Konstellation wir nach Henrich sagen könnten). 
Wir könnten die subjektive Religion auch als eine ethische Religion definieren, die sich nicht in äußeren Gebeten und Handlungen manifestiert, sondern in konkreten Hilfswerken für andere, ja in einer Lebenseinstellung, in der wir, immer Kant folgend, sagen könnten, dass der andere Mensch Sein Sein wird vor allem als Zweck gesehen, nicht nur als Mittel. Obwohl wir bei Hegel dieser Zeit keinen konkreten Hinweis auf die Kantsche Theorie der kategorischen Imperative finden, ist dies doch das, was zwischen den Zeilen zu lesen ist. Von subjektiver Religion beseelte Menschen arbeiten nach dem Guten und verwirklichen es auf Erden. Sie verhalten sich daher ethisch. Wir fügen also ein weiteres Element hinzu, das die Würde der neuen Religion kennzeichnet: Das Sein muss ethisch sein. Aber was bedeutet „ethisch“ (oder moralisch) für Hegel in dieser Zeit? 
Der Begriff, der am häufigsten wiederkehrt, ist der einer „geordneten Sensibilität“, d. h. eines Lebens, das dem folgt, was Gefühle und Empfindungen dem Menschen anzeigen, also Sensibilität im Allgemeinen, aber in einer geordneten, daher ausgewogenen, weisen Weise gelebt wird. ohne Exzess. 
Lesen wir dazu die folgende Passage aus Blatt k:

„III. Sobald es zwischen Leben und Lehre eine Spaltung oder nur eine Trennung oder eine große gegenseitige Entfremdung gibt, kommt der Verdacht auf, dass die Form der Religion in irgendetwas fehlerhaft ist, sei es, dass sie zu viel redet oder exorbitante Forderungen falscher Hingabe stellt Männer, die ihrem Bedürfnis nach einer geordneten Sensibilität gegenüberstehen, τῆς σωφροσύνης oder beides. Wenn menschliche Freude und Fröhlichkeit sich der Religion schämen müssen, wenn sich derjenige, der sich an einem öffentlichen Fest erfreut hat, in den Tempel schleichen muss, hat die Form der Religion einen zu düsteren Aspekt, um zu versprechen, für ihre Bitten auf die Freuden des Lebens zu verzichten.. (GS 1, S. 196)

Dies ist das Ideal eines natürlichen Lebens, auch, wie wir gesehen haben, ein Erbe des Einflusses Rousseaus und der von ihm inspirierten deutschen Volksphilosophie (Mendelssohn, Nicolai). In den letzten Jahren hat Hegel unterstützt, aber die Konzeption im ausgereiften System wird nicht anders sein, die Idee einer natürlichen Moral, das heißt, die es dem Menschen ermöglicht, sein eigenes natürliches Wesen zu verwirklichen, das nicht nur aus der Vernunft besteht. sondern auch des Körpers. 
Aus diesem Grund hatte Hegel, obwohl er den Menschen als Zweck für den anderen Menschen betrachtete, nie eine besondere Sympathie für die kantische Moral der kategorischen Imperative. Wenn eine subjektive und lebendige Religion den Menschen inspiriert, wird er sich seiner Meinung nach auf natürliche und spontane Weise ethisch verhalten, also wird er andere Menschen als Zweck betrachten, niemals nur als Mittel. Hegel geht es nicht um eine zu erfüllende Pflicht, sondern um ein Vergnügen, ein Recht, ein Lebensgefühl. 

Für Hegel ist die Geselligkeit, wie wir in den Stuttgarter Schriften gesehen haben, ein grundlegender Aspekt des Glücks, ja seine unabdingbare Bedingung. Ohne Geselligkeit kein Glück. Mit anderen Menschen zusammen zu sein und sie als Ziel zu betrachten, muss eine natürliche, spontane Sache sein, die nicht unbedingt von einer intellektuellen Pflicht veranlasst wird, als ob uns die Sensibilität dazu drängte, sie als Mittel zu verwenden. Wenn sich ein Mensch unethisch verhält und andere Menschen ausbeutet, bedeutet dies, dass etwas in seiner Erziehung schief gelaufen ist und dass der Einzelne nicht in der Lage war, eine subjektive Religion zu verinnerlichen, dh eine weise und ausgewogene Art, seine Sensibilität zu leben. Denn es ist die Sensibilität, die uns zu sozialen Beziehungen führt, nicht der Intellekt. 
Wenn uns die Sensibilität direkt zum anderen führt, muss diese Sensibilität von einer weisen Lebensweise geleitet werden, damit sie „gut geordnet“ ist und dies die Hauptaufgabe der subjektiven Religion ist. Es darf jedoch nicht als Pflicht getan werden, denn wenn der Einzelne es als „Pflicht“ wahrnehmen muss, den anderen als Zweck zu betrachten, bedeutet dies, dass er ihn ohne diese Pflicht als Mittel verwenden würde, aber dann ist er es bereits an sich unmoralisch, also Überbringer des ’Übels’. Für Hegel hingegen wird der Einzelne, wenn ihm als Kind und Jugendlicher eine subjektive Religion beigebracht wird, also eine weise Art, seine eigenen Bedürfnisse und Empfindungen zu leben, als Erwachsener automatisch andere als solche betrachten Zweck und darf es nicht auf der Grundlage eines Imperativs, einer Pflicht, 
Hier wird das Ideal des Griechentums aufgepfropft: Die Griechen (Polytheismus) hatten für Hegel nach Hölderlin diese Einheit von Seele und Körper, Vernunft und Empfindsamkeit erreicht, die der Monotheismus dann brach, indem er der Körperlichkeit eine negative Konnotation als Böses zuschrieb. Für Hegel hingegen gehört der Körper zum Guten, denn ohne Instinkte und Bedürfnisse gäbe es keine Geselligkeit und damit auch kein Glück. Es ist nur notwendig, den jungen Menschen dazu zu erziehen, seine eigene Leiblichkeit, seine Bedürfnisse harmonisch und geordnet zu leben, und genau das ist die Aufgabe von Moral und Ethik (wir finden beim jungen Hegel noch keine Unterscheidung zwischen diesen beiden Konzepten), also von Religion als Subjekt, als Lebensweise. 
Die neue Religion muss also sein: rational, volkstümlich und naturbegründet, nicht intellektualistisch, genussorientiert, maßvoll und geordnet, nicht pflichtbewusst.

Auch im reifen System hat Hegel diesen Aspekt verwirklicht, insbesondere in der Theorie der absoluten Sittlichkeit. Auch hier findet sich ihre Formulierung zu Beginn der Jenaer Zeit um 1802/03 im schriftlichen System der Ethik. Im definitiven System dagegen ist es die Philosophie des objektiven Geistes, die diese Lehre enthält. 
Die ethischen Werte der Familie, der Arbeit (Zivilgesellschaft) und des Staates sind der ethische Ausdruck der Wissenschaft der Logik, verstanden als subjektive Religion. Ein Mensch, der sein Leben von der neuen Theologie der Wissenschaft der Logik inspiriert, wird das Absolute in der Kreativität sehen und daher in geselliger Weise mit anderen Menschen leben und mit ihnen etwas schaffen, an dem sie glücklich sind. Diese Geselligkeit wird offensichtlich auf dem Körper und auf den Bedürfnissen beruhen: Die Fortpflanzung führt den Menschen zur Familie, die die „geordnete“, harmonische Art ist, den Sexualtrieb und alles, was zu diesem natürlichen Bereich unseres Lebens gehört, zu leben; Arbeit wird die „geordnete“ und harmonische Art sein, den Assimilationsinstinkt zu erfahren, bezogen auf das individuelle Überleben, durch Arbeitsteilung und damit Ausübung eines mehr oder weniger kreativen Berufs; schließlich ist der Staat die absolute Schöpfung, da er ein „geordnetes“ und harmonisches Leben der Menschen ermöglicht. Ohne den Staat wäre es der Krieg aller gegen alle, es ist der Staat, der letztlich die Aufgabe hat, die subjektive Religion zu verbreiten und zu fördern, sich um die „religiöse“ Erziehung der Jugend zu kümmern, was für Hegel selbstverständlich sein kann dies ziele ich nur auf eine philosophische Bildung ab, insbesondere auf eine logisch-metaphysische. 
Der ethische Staat, der oft sehr fälschlich als diktatorischer Staat gedeutet wird, ist für Hegel vielmehr der Staat der subjektiven Religion, also der Fähigkeit, die Menschen zu einem weisen, philosophischen, „geordneten“ Leben im Einklang mit der inneren Natur zu erziehen (Körper) und äußerlich (Umwelt) sowie mit anderen Menschen. 
Das ist die Botschaft, die Hegel uns sowohl 1794 mit dem Ideal der Schaffung einer ethischen Religion hinterlassen wollte, die diesen Namen verdient, als auch in den Jahren der Reife mit dem Ideal einer absoluten Ethik, die auf Erden durch erziehungsfähige Staaten erreicht werden sollte Weisheit, also zu einem philosophischen Leben.
Heute müssen wir dieses meisterhafte Werk der Vereinigung von Philosophie und Leben, von Wissen und Handeln, von Subjektivität und Objektivität fortsetzen, das das Leitmotiv, der grundlegende Grund für den gesamten intellektuellen und Lebensweg unseres Meisters war. Nur die absolute Philosophie, also die dialektische Logik-Metaphysik, kann die ihres Namens würdige Religion sein, die also in der Lage ist, Weisheit und Ethik in den Menschen von klein auf durch eine angemessene philosophische Erziehung zu fördern, so dass sie später eines moralischen Imperativs nicht wirklich bedürfen, denn den anderen Menschen als Zweck zu betrachten, wird für sie eine Sitte, eine Sitte im Deutschen, eine Art des Alltags, eine Selbstverständlichkeit sein.
Ethik zu einem Automatismus im positiven Sinne zu machen, scheint mir offensichtlich der Sinn des dialektischen Idealismus zu sein: Der Weise erkennt das Gute, ohne darüber nachzudenken, weil er (im neutralen Sinne er oder sie) das Gute verkörpert, es ist das Gute selbst. lebendig werden. Das war der Sinn von Hegels Leben und Werk, nämlich Lebendiges gut zu machen, und das ist auch der Sinn der Philosophie selbst. 
Dieser Begriff des „lebendigen Guten“ ist der Angelpunkt, um den sich der gesamte ethische, aber auch rechtliche und politische Hegelsche Diskurs dreht, wie wir in den Grundzügen der Rechtsphilosophie bei §142 lesen können, die gerade den Abschnitt über die Ethik einleiten:

„Ethik ist die Idee der Freiheit, als lebendiges Gut. Die in ihrem Selbstbewusstsein ihr Bewusstsein, ihren Willen und durch ihr Handeln ihre Wirklichkeit hat; wie diese im sittlichen Wesen ihren an sich und für sich bestehenden Grund und den bewegenden Zweck hat, - ist es der weltlich gewordene Begriff der Freiheit und das Wesen des Selbstbewußtseins." (Grundzüge der Rechtsphilosophie, Bari 1979, S. 163).

 

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