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4. Sitzung  (30.4.24) des Seminars: Entstehung und objektive Bedeutung der Philosophie Hegels

4. Sitzung (30.4.24) des Seminars: Entstehung und objektive Bedeutung der Philosophie Hegels

 

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30.4.2024

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4. Sitzung des Online-Seminars: 

Entstehung und objektive Bedeutung der Philosophie Hegels
von den Anfängen bis zur Jenaer Zeit

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geleitet von 

Marco de Angelis

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Liste der wichtigsten Punkte,

die erörtert werden sollen

(Im Grün sind die Punkte markiert, die schon behandelt worden sind.)

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Warum ist es sinnvoll, das philosophische System Hegels gründlich zu verstehen?

1. Philosophie als Wissenschaft vom Ganzen (Metaphysik und System) (Zitat 1)

2. Das Ganze der Welt ist "Entwicklung".

3. Die Entwicklung ist durch das Grundgesetz der Aufhebung bestimmt. (Zitat 2)

4. Das Letzte enthält in sich alles Vorhergehende, es ist das Wahre davon.
5. Das Wahre ist das Ganze, aber das Ganze in der Entwicklung ist das Resultat.
6. Hegels philosophisches System war also für ihn das Resultat der ganzen Geschichte der Philosophie und damit ihre Wahrheit, die Wahrheit von 2500 Jahren Geschichte der Erkenntnis des Absoluten und seiner Entwicklung als Welt. (Zitat 3)

7. Es ist aber auch das Ergebnis und damit die Wahrheit von 36 Jahren seiner Entwicklung (bis 1805-06, dem ersten System), der persönlichen Entwicklung Hegels.

8. Um ein solches System der Wahrheit gemäß zu verstehen, ist es daher notwendig, diese Entwicklung zu rekonstruieren, natürlich nicht in ihren sekundären und äußeren Aspekten, sondern in ihren primären und inneren Aspekten, d.h. die Entwicklung von Hegels Denken, seiner Überlegungen, die er glücklicherweise immer schriftlich festgehalten hat. 

9. Durch diese genetische (entwicklungsgeschichtliche) Untersuchung werden wir in der Lage sein, die wahre Bedeutung der Hegelschen Philosophie zu erkennen, ihr "Wesen" im Sinne von "Essenz", ihre Grundprinzipien, die in ihrer "Geburt" zu finden sind, wie Vico, der Begründer des Historismus, schrieb. Natur" und "Geburt" von etwas fallen in dem Sinne zusammen, dass die Geburt von etwas dann seine Natur bestimmt, d.h. seine Wahrheit, das, was etwas in seinem innersten Wesen ist, und damit sein Ergebnis, wobei die Wahrheit das Ergebnis der Entwicklung ist, wie Hegel deutlich erklärt hat. (Zitat 4)

10. Das Erste und das Letzte, die Geburt und das Ergebnis fallen also zusammen, das Voranschreiten im Leben ist nur eine Rückkehr zum Anfang, zur Grundlage, zum Fundament, wie Hegel in der Logik sehr gut dargelegt hat. (Zitat 5)

11. Die Entwicklung ist die Verwirklichung eines Ideals, eines vielleicht unbewussten, aber dennoch vorhandenen Projekts, das der Zeit bzw. der Entwicklung eine Form und eine Richtung gibt und all die verschiedenen geschichtlichen Etappen auf dem Weg vom ersten Schritt bis zum Ergebnis bestimmt.

12. Diese Etappen (Durchgänge) sind die Perioden, Phasen und Stadien der Entwicklung, zwischen denen die Beziehung der Aufhebung und die anderen logischen Beziehungen bestehen, z.B. Opposition und Synthese (Affirmation, Negation und Negation der Negation). Die Struktur der Logik ist die Struktur der Welt, des Ganzen, die Logik ist gleichzeitig Metaphysik.
13. Deshalb ist es unmöglich, das Wesen von etwas, in unserem Fall des Hegelschen philosophischen Systems, zu verstehen, ohne seine Geburt zu rekonstruieren, d.h. ohne seine jugendliche Entwicklung in all ihren Perioden, Phasen und Stadien gründlich zu verstehen.
14. Das Verständnis der echten Bedeutung des Hegelschen philosophischen Systems ist nicht nur von rein historischem Wert. Da die Geschichte die Darstellung der Wahrheit in ihrer Entwicklung ist, das gründliche und objektive Verständnis von Hegels Philosophie bedeutet, die Wahrheit so zu erfassen, wie sie um 1806 war, also bei der ersten Entstehung von Hegels System. Dies ist ein grundlegender Ausgangspunkt für das Verständnis der Wahrheit heute, denn Hegels System ist das letzte große philosophische System, das von Menschen entwickelt wurde.
15. Philosophie zu betreiben bedeutet heute, von diesem System auszugehen, nicht nur, um seine objektive Bedeutung zu verstehen, sondern auch um seine Grenzen zu überwinden und uns in der Geschichte der Philosophie einen Schritt vorwärts zu bringen (eben durch eine korrekte Aufhebung).
16. Die Philosophie seit Hegel hat dies getan, aber nur zum Teil, weil wir erst seit wenigen Jahrzehnten wissenschaftliche Ausgaben seiner Werke und vor allem seiner frühen Schriften haben. Viele der aus den oben genannten Gründen sehr wichtigen Jugendschriften Hegels waren bis vor wenigen Jahrzehnten entweder gar nicht bekannt oder chronologisch nicht gut eingeordnet, weshalb sich erst in den letzten Jahrzehnten die Möglichkeit eines entwicklungsgeschichtlichen Verständnisses der wahren Bedeutung seiner Philosophie ergeben hat. Die Versuche, Hegel in der Vergangenheit zu verstehen (von Marx bis Croce, über die vielen Hegelianer des internationalen Hegelianismus, über die Prof. Hoffmann geschrieben hat), haben zwangsläufig alle ihr Ziel verfehlt, da ihnen die korrekte entwicklungsgeschichtliche Untersuchung fehlte, die einzige, die ein wirkliches und authentisches Licht auf das Bedeutung von Hegels System werfen kann.

17. Dieser Studie, die ich in meiner Jugend begonnen habe, habe ich mein ganzes philosophisches Leben gewidmet, und kann im Internet als Buch hier sowie auch hier als eine Art „multimedialer Roman“ von Hegels Innenleben in der Außenwelt seiner Epoche gelesen werden.

18. Dadurch erfahren wir, dass der Sinn von Hegels Philosophie weitaus mehr ist, was man sich unter dem Wort ‚Philosophie‘ heute vorstellen würde. Hegel wollte eine neue Religion gründen, bzw. hat diese neue Religion, selbstverständlich als Vernunftreligion, durch sein System auch gegründet. 

19. Somit hat er das Programm nicht nur von ‚Vater Kant‘ verwirklicht, wie der Königsberger Philosoph in seinem 1792-93 erschienenen Buch „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ formuliert hatte, sondern seiner ganzen Epoche (in erster Linie in Deutschland, aber später auch in anderen Ländern, vor allem in Italien). Damals waren Verkaufsschlager unter den Büchern in Deutschland die Bücher über Religionsphilosophie, weil ein Teil der deutschen Kultur, insbesondere die Theologie und die Philosophie, die Motivation hatte, das Christentum durch eine neue Religion der Vernunft zu ersetzen, es also nicht nur einfach abzuschaffen. Dieser Teil der deutschen Kultur wollte damals die Religion von der Kritik der Aufklärung retten und der Menschheit eine Neubegründung der ethischen Werte geben, und zwar in Form der philosophischen Logik (eine Letztbegründung könnte man heute sagen). Damit wurde eine neue Epoche eingeleitet, die unsere Epoche ist, die Epoche der Philosophie, nur dass wir es noch nicht voll erkannt haben. 

20. Die Menschheit zu der Erkenntnis zu führen, dass nach den Epochen des Polytheismus und des Monotheismus die Epoche des Idealismus, d.h. der Philosophie im Allgemeinen, begonnen hat und diese Epoche mit einer geeigneten Theorie zu versehen, war die tiefe Absicht und die spezifische Leistung Hegels auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie sowie auch der Geschichte der Religion und der Theologie. 
Dies werde ich durch die Rekonstruktion der Entwicklung seines Denken Jahr nach Jahr von seiner ersten schriftlichen Spur (22. April 1785) bis zur Entstehung des ersten endgültigen, wenn auch noch nicht vollständigen Systems (1805-06), zeigen.

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ZITATE

Zitat 1: Das Wahre ist das Ganze (aus: Phänomenologie des Geistes, hier)

"Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein. So widersprechend es scheinen mag, daß das Absolute wesentlich als Resultat zu begreifen sei, so stellt doch eine geringe Überlegung diesen Schein von Widerspruch zurecht. Der Anfang, das Prinzip oder das Absolute, wie es zuerst und unmittelbar ausgesprochen wird, ist nur das Allgemeine. Sowenig, wenn ich sage: alle Tiere, dies Wort für eine Zoologie gelten kann, ebenso fällt es auf, daß die Worte des Göttlichen, Absoluten, Ewigen usw. das nicht aussprechen, was darin enthalten ist; – und nur solche Worte drücken in der Tat die Anschauung als das Unmittelbare aus. Was mehr ist als ein solches Wort, der Übergang auch nur zu einem Satze, enthält ein Anderswerden, das zurückgenommen werden muß, ist eine Vermittlung. Diese aber ist das, was perhorresziert wird, als ob dadurch, daß mehr aus ihr gemacht wird denn nur dies, daß sie nichts Absolutes und im Absoluten gar nicht sei, die absolute Erkenntnis aufgegeben wäre."


Zitat 2: Über die Aufhebung (aus: Wissenschaft der Logik,
hier)

Anmerkung
Aufheben und das Aufgehobene (das Ideelle) ist einer der wichtigsten Begriffe der Philosophie, eine Grundbestimmung, die schlechthin allenthalben wiederkehrt, deren Sinn bestimmt aufzufassen und besonders vom Nichts zu unterscheiden ist. – Was sich aufhebt, wird dadurch nicht zu Nichts. Nichts ist das Unmittelbare; ein Aufgehobenes dagegen ist ein Vermitteltes, es ist das Nichtseiende, aber als Resultat, das von einem Sein ausgegangen ist; es hat daher die Bestimmtheit, aus der es herkommt, noch an sich.
Aufheben hat in der Sprache den gedoppelten Sinn, daß es soviel als aufbewahren, erhalten bedeutet und zugleich soviel als aufhören lassen, ein Ende machen.
Das Aufbewahren selbst schließt schon das Negative in sich, daß etwas seiner Unmittelbarkeit und damit einem den äußerlichen Einwirkungen offenen Dasein entnommen wird, um es zu erhalten. – So ist das Aufgehobene ein zugleich Aufbewahrtes, das nur seine Unmittelbarkeit verloren hat, aber darum nicht vernichtet ist. – Die angegebenen zwei Bestimmungen des Aufhebens können lexikalisch als zwei Bedeutungen dieses Wortes aufgeführt werden. Auffallend müßte es aber dabei sein, daß eine Sprache dazu gekommen ist, ein und dasselbe Wort für zwei entgegengesetzte Bestimmungen zu gebrauchen. Für das spekulative Denken ist es erfreulich, in der Sprache Wörter zu finden, welche eine spekulative Bedeutung an ihnen selbst haben; die deutsche Sprache hat mehrere dergleichen. Der Doppelsinn des lateinischen tollere (der durch den Ciceronianischen Witz »tollendum esse Octavium« berühmt geworden) geht nicht so weit, die affirmative Bestimmung geht nur bis zum Emporheben. Etwas ist nur insofern aufgehoben, als es in die Einheit mit seinem Entgegengesetzten getreten ist; in dieser näheren Bestimmung als ein Reflektiertes kann es passend Moment genannt werden. Gewicht und Entfernung von einem Punkt heißen beim Hebel dessen mechanische Momente, um der Dieselbigkeit ihrer Wirkung willen bei aller sonstigen Verschiedenheit eines Reellen, wie das ein Gewicht ist, und eines Ideellen, der bloßen räumlichen Bestimmung, der Linie; s. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 3. Ausgabe, § 261 Anm. – Noch öfter wird die Bemerkung sich aufdrängen, daß die philosophische Kunstsprache für reflektierte Bestimmungen lateinische Ausdrücke gebraucht, entweder weil die Muttersprache keine Ausdrücke dafür hat oder, wenn sie deren hat wie hier, weil ihr Ausdruck mehr an das Unmittelbare, die fremde Sprache aber mehr an das Reflektierte erinnert.
Der nähere Sinn und Ausdruck, den Sein und Nichts, indem sie nunmehr Momente sind, erhalten, hat sich bei der Betrachtung des Daseins als der Einheit, in der sie aufbewahrt sind, zu ergeben. Sein ist Sein und Nichts ist Nichts nur in ihrer Unterschiedenheit voneinander; in ihrer Wahrheit aber, in ihrer Einheit sind sie als diese Bestimmungen verschwunden und sind nun etwas anderes. Sein und Nichts sind dasselbe; darum weil sie dasselbe sind, sind sie nicht mehr Sein und Nichts und haben eine verschiedene Bestimmung; im Werden waren sie Entstehen und Vergehen; im Dasein als einer anders bestimmten Einheit sind sie wieder anders bestimmte Momente. Diese Einheit bleibt nun ihre Grundlage, aus der sie nicht mehr zur abstrakten Bedeutung von Sein und Nichts heraustreten.

 

Zitat 3: Über die letzte Philosophie (aus: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, hier)

Bis hierher ist nun der Weltgeist gekommen. Die letzte Philosophie ist das Resultat aller früheren; nichts ist verloren, alle Prinzipien sind erhalten. Diese konkrete Idee ist das Resultat der Bemühungen des Geistes durch fast 2500 Jahre (Thales wurde 640 vor Christus geboren), – seiner ernsthaftesten Arbeit, sich selbst objektiv zu werden, sich zu erkennen: Tantae molis erat, se ipsam cognoscere mentem. 

 

Zitat 4: Entstehung und Wesen (Natur) der Dinge fallen zusammen (nach dem Grundprinzip des Historismus, das als erstes von Giambattista Vico in Degnità XIV seiner Scienza nuova, 1744, im Abschnitt II Degli Elementi, ausgedrückt wurde): 


„Die Natur der Dinge i
st nichts anderes als ihre Entstehung zu bestimmten Zeiten und auf bestimmte Weise; immer dann, wenn diese so sind, entstehen die Dinge daraus so und nicht anders“ 
(dt. Übersetzung von Vittorio Hösle und Christoph Jermann, Hamburg 1990, S.94; ital. Original: „Natura di cose altro non è che nascimento di esse in certi tempi e con certe guise, le quali sempre che sono tali, indi tali e non altre nascon le cose”).

 

Zitat 5: Die Entwicklung des Lebens und der Wissenschaft ist ein Kreislauf (aus: Wissenschaft der Logik, hier)

"Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist – die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird –, daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt und in der Tat hervorgebracht wird. – So wird das Bewußtsein auf seinem Wege von der Unmittelbarkeit aus, mit der es anfängt, zum absoluten Wissen als seiner innersten Wahrheit zurückgeführt. Dies Letzte, der Grund, ist denn auch dasjenige, aus welchem das Erste hervorgeht, das zuerst als Unmittelbares auftrat. – So wird noch mehr der absolute Geist, der als die konkrete und letzte höchste Wahrheit alles Seins sich ergibt, erkannt, als am Ende der Entwicklung sich mit Freiheit entäußernd und sich zur Gestalt eines unmittelbaren Seins entlassend, – zur Schöpfung einer Welt sich entschließend, welche alles das enthält, was in die Entwicklung, die jenem Resultate vorangegangen, fiel und das durch diese umgekehrte Stellung mit seinem Anfang in ein von dem Resultate als dem Prinzip Abhängiges verwandelt wird. Das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sei, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird." 

 

Zitat 6: Die Religion als die Hauptdimension des absoluten Geistes (aus: Enzyklopädie der der philosophischen Wissenschaften, hier)

"Die Religion, wie diese höchste Sphäre im Allgemeinen bezeichnet werden kann, (...)”

(Enz. 1830, § 554, in: GW 30, S. 542)

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