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ZWEITE PERIODE
(1794-1806)

Der Realisierungsprozess des Jugendideals

Die erste Periode der immanenten Entwicklung des Hegelschen Denkens endet zwischen Ende 1793 und der ersten Hälfte des Jahres 1794. Aus dieser Zeit stammen die letzten überlieferten Texte, die die Gedanken des jungen „Stiftlers“ über die ihm teure ethisch-religiöse Problematik enthalten. Das Resultat dieser Überlegungen ist die Formulierung des Ideals der Begründung einer neuen  ethisch-religiösen Auffassung. Diese soll dazu imstande sein, den Menschen wieder in die Natur einzufügen, in erster Linie auf der religiösen Ebene von Vernunft und Welt durch die Erfassung des Grundprinzips der Welt, sowie in zweiter Linie auf der ethischen Ebene von Geist und Materie, und zwar durch die Ausarbeitung des Ideals einer natürlichen Moralität.
Wie wir schon gesehen haben, erfüllt nach Ansicht des jungen Philosophen keine der traditionellen Lösungen alle Bedingungen des Ideals einer vollständi-gen Wiedereinfügung des Menschen in die Natur - weder die institutionelle Re-ligion des Christentums noch die Kantische Philosophie. Aber gerade durch die Kritik an den negativen Seiten dieser Lehren und durch die Fusion ihrer positi-ven Aspekte gelang es Hegel die Bedingungen zu verstehen, die vom neuen Re-ligionsprinzip (Popularität und Vernünftigkeit) und vom neuen Ethikideal (Na-türlichkeit) erfüllt werden müssen, um Erfolg beim Volk, also beim >gemeinen Mann<, zu haben.
Am Ende dieser ersten Periode in der Entwicklung seines Denkens war Hegel gerade erst 24 Jahre alt, offensichtlich ein bisschen zu jung, um ernsthaft eine neue ethisch-religiöse Lehre zu begründen. Und tatsächlich setzt er in der zweiten Periode dieser Entwicklung eine Tat, die die Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit seines Charakters unter Beweis stellt und der später eine ent-scheidende Rolle beim nachfolgenden Reifungsprozess als Philosoph zukommen wird. Diese Tat liefert ihm nämlich eine begriffliche Basis spekulativen Denkens, welche es ihm einige Jahre später wiederum erlauben wird, eine neue ethisch-religiöse Lehre zu begründen, die wirklich mit der Geschichte des Menschen verbunden sein wird und daher auch tatsächlich dazu geeignet ist, nach der polytheistischen und monotheistischen Religiosität( ) die dritte Form von Religiosität der Menschheit zu werden.
Bis zum Alter von 33 Jahren suchte Hegel, in der Stille seines Zimmers, bei der Geschichte der Menschheit Rat, wie er denn die neue Religion begründen solle, welche Begriffe er als Fundament verwenden solle usw. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, denn die Geschichte bedeutet für den Menschen dasselbe wie die Erde für den Baum. So wie der Baum seine Wurzeln tief in das Erdreich eingräbt und über sie Nahrung aufnimmt um zu wachsen und stärker zu werden, so muss der Mensch, auf der Suche nach der für seine geistige Rei-fung nötigen Nahrung, seine historischen Wurzeln wiederfinden, um seinen Geist zu stärken und intellektuell und moralisch zu reifen, da er mit dieser Geschichte seit seiner Geburt eng verbunden ist.
Hegel führte diese „Grabungsarbeit“ in der ethisch-religiösen sowie auch in der philosophischen Geschichte der Menschheit durch und begab sich in den Jahren 1794-1806 auf die Suche nach dem Fundament für eine neue Form von Religiosität. Dies wird für die Jahre 1794-1800, die vor allem dem genauen Stu-dium der Religionsgeschichte gewidmet sind, von zahlreichen überlieferten Tex-ten und Fragmenten dokumentiert, die Themen behandeln wie Das Leben Jesu (1794-95), Die Positivität der christlichen Religion (1795-96), Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1797-99) sowie das äußerst interessante Sys-temfragment aus dem Jahre 1800, das religiöse und zugleich philosophische Ge-danken enthält.
Für die folgenden Jahre (1801-1806), in denen sich Hegel vor allem mit der philosophischen Geschichte der Menschheit auseinandersetzte, ist dieser Prozess durch diverse Schriften und Manuskripte aus der Zeit in Jena dokumentiert, insbesondere durch die Differenzschrift (1801), den Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (1802-1803), das System der Sittlichkeit (1802-1803) sowie durch die systematischen Manuskripte der verschiedenen Vorlesungen an der Universität Jena sowie schlussendlich durch einige vorbereitende Arbeiten zur Phänomenologie des Geistes (erschienen im Jahre 1807).
Was den Gedankeninhalt betrifft, so führt Hegel in dieser zweiten Periode seiner geistigen Entwicklung drei Hauptoperationen durch:

- Zunächst arbeitet er aus der enormen Masse an Begriffen, Fakten, Wahrheiten, Visionen usw., aus der die theoretische und historische Struktur des Christen-tums besteht, das Wesen dieser Religion heraus, also den ursprünglichen Kern der Botschaft Jesu, und zwar durch eine Abtrennung desselben von all dem, was im Laufe der nachfolgenden historischen Entwicklung hinzugefügt worden ist (dieser Prozess fand von 1794 bis ca. 1797 statt).

- Danach widmete er sich der Umwandlung der Grundwahrheiten, aus denen dieser Kern besteht und die von Jesus in vorstellender Form ausgedrückt wur-den, in philosophische Begriffe. Auf diese Art und Weise schuf er die Grundbe-griffe seines eigenen philosophischen Systems, d.h. das Absolute und die abso-lute Sittlichkeit (von 1797 bis 1802/1803).

- Schließlich erarbeitete Hegel während der zweiten Hälfte seines Aufenthaltes in Jena die erste komplette, wenn auch noch nicht definitive Fassung seines phi-losophischen Systems, indem er den begrifflichen und impliziten Inhalt jener beiden Hauptbegriffe entwickelte, die das Resultat dieses Umwandlungsprozes-ses bildeten. Somit führte die begriffliche Entwicklung des logisch-metaphysischen Prinzips des Absoluten oder „Logos“ zur Logik-Metaphysik als erste Formulierung der späteren Wissenschaft der Logik, während die begriffli-che Entwicklung des ethisch-moralischen Ideals der absoluten Sittlichkeit oder „Ethos“ zur ursprünglichen Formulierung der Philosophie des Geistes führte (von 1802 bis 1806).

In dieser Periode zeigt die immanente Entwicklung des Hegelschen Denkens klare dialektische Züge und lässt sich in drei Hauptphasen einteilen.

Erste Phase (1794-1798): Hegel trennt die ursprüngliche Botschaft Jesu von ih-rer historischen Überlieferung durch die Apostel, indem er in den Grunddarstel-lungen dieser Botschaft (das religiöse Prinzip der universellen Liebe und das ethische Ideal des Anbruchs des Reichs Gottes) den Grundinhalt der neuen ethisch-religiösen Lehre  sieht, die er gerade im Begriff ist zu gründen (erstes Stadium, 1794/95). Der junge schwäbische Denker begreift nämlich, dass der ursprüngliche Inhalt der Botschaft Jesu zwar auf ewig wahr ist, dies jedoch nicht auf die vorstellende Form, mit der die Botschaft von Jesus ausgedrückt und da-nach im Laufe der Jahrhunderte überliefert wurde, zutrifft. Letztere war histo-risch gesehen nur für ein bestimmtes Volk und einen bestimmten historischen Zeitpunkt geeignet (zweites Stadium, 1795-1796). Hegel unterscheidet also zwi-schen der ursprünglichen Botschaft Jesu, die den ewig wahren „Geist“ des Christentums darstellt und daher als solche in der neuen ethisch-religiösen Lehre aufbewahrt werden muss (in der Bedeutung von „Aufhebung“, also auch als Überwindung), und seiner Ausdrucksform, die das „positive“ Schicksal darstellt und im Gegensatz dazu endgültig zurückgewiesen werden muss (drittes Stadi-um, 1796-1797).

Zweite Phase (1797-1802/03): Um die historische Ausdrucksform an die ewige Wahrheit des Inhaltes anzupassen, wandelt Hegel die ethisch-religiösen Vorstel-lungen des ursprünglichen Christentums in die entsprechenden philosophischen Begriffe um. Dadurch entstehen über verschiedene Entwicklungsstadien und       -stufen die beiden Grundbegriffe seines zukünftigen, reifen philosophischen Systems, und zwar der Begriff des Absoluten als philosophischer Ausdruck der christlich-ursprünglichen  Vorstellung des theologischen Prinzips der universa-len Liebe, und der Begriff der absoluten Sittlichkeit als philosophischer Aus-druck des christlichen Moralideals vom Anbruch des Reichs Gottes.

Dritte Phase (1802/03-1806): Indem er diese beiden Begriffe in eine logische und systematische Form bringt, erarbeitet Hegel schließlich in den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Jena sein philosophisches System als .  Dieses System stellt zumindest in seinen Grundlinien bereits die de-finitive Form der reifen Philosophie Hegels dar. Somit erfolgt in dieser Phase (zweite Negation) die Rückkehr zur ersten Phase (Affirmation), dominiert vom Verständnis der Originalbotschaft Jesu. Diese Botschaft überlebt - nun allerdings aufgenommen in einer begrifflichen philosophischen Struktur, die das Ergebnis der Entwicklung aus der zweiten Phase (erste Negation) darstellt.


 

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