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2024/25, Wintersemester, Seminar EINFÜHRUNG IN DIE PHILOSOPHIE VON G.W.F HEGEL

2024/25, Wintersemester, Seminar EINFÜHRUNG IN DIE PHILOSOPHIE VON G.W.F HEGEL

 

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November 2024 - März 2025

Wintersemester

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ONLINE SEMINAR

 

EINFÜHRUNG IN DIE PHILOSOPHIE VON G.W.F. HEGEL

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geleitet
von

Marco de Angelis

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TEIL A

(25.11.2024)

 

Einführung zum Seminar

PHILOSOPHISCHE HINWEISE ZUM HAUPTZIEL DES SEMINARS

 

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Wichtigste digitale Referenz


Die wichtigste Referenz für das Seminar ist zunächst die von mir geschaffene und geleitete philosophische Plattform www.philosophyforfuture.org, insbesondere die folgende Sektion:


https://www.philosophyforfuture.org/de/news-292/deutsch-italienische-initiative-1-e8220-hegel-f_r-allee8221-.html


Der Hauptzweck dieser Plattform besteht darin, eine philosophische Theorie der politischen Organisation der zukünftigen Menschheit darzulegen, die in der Lage ist, die für uns alle offensichtlichen Widersprüche zu überwinden, die seit mindestens zweihundertfünfzig Jahren vor allem wehrlosen Zivilisten, in erster Linie Kindern, Frauen und älteren Menschen, immenses Leid zufügen.
Obwohl sich in dieser Zeit eine aufklärerische, also vernunftbasierte Mentalität, also Philosophie und Wissenschaft, wenn man so will, durchzusetzen begann, sind die Ergebnisse, die wir vor Augen haben, nicht gerade erfreulich, was bedeutet, dass bei dieser Durchsetzung der menschlichen aufklärerischen Vernunft etwas schiefgelaufen ist.
Die philosophische Plattform www.philosophyforfuture.org, die auch, aber nicht nur, als Unterstützung der Bewegung ‚Fridays for Future‘ gedacht wurde, enthält eine Vision von Vernunft und Rationalität, die meiner Meinung nach das wissenschaftlich-philosophische Fundament einer neuen Welt bilden könnte, in der Aufklärung und Vernunft, Philosophie und Wissenschaft, ganz in den Dienst der gesamten Menschheit und insbesondere ihrer unterstützungsbedürftigen Elemente gestellt werden müssten.


Philosophie und Politik


Dieser politische Bezug der Philosophie sollte uns nicht überraschen.  Philosophie ist nämlich nicht als einfache theoretische Spekulation über das Universum und seine Grundlagen entstanden, sondern auch und vielleicht vor allem als ethische Reflexion über die Prinzipien, die das Zusammenleben der Menschen auf dem Planeten Erde regeln sollen, um jedem ein möglichst lebenswertes Leben zu garantieren.
Für dieses ethische Ideal, das stets im Mittelpunkt einer ernsthaften philosophischen Auffassung steht, haben einige Philosophen sogar ihr Leben gegeben, wie Sokrates oder Giordano Bruno; andere haben ein schweres Leben unter Entbehrungen, Angst oder Verlust der geistigen Klarheit geführt (Descartes, Spinoza, Vico, Nietzsche); wieder andere wurden für ihre Ideen sogar zum Tode gefoltert oder direkt ermordet (Gramsci, Gentile). 
Kurzum, die Philosophie ist nicht gerade eine angenehme Tätigkeit und Disziplin, wenn sie im tiefsten Sinne des Wortes ausgeübt wird, d.h. als Liebe zur Weisheit, also zur Sapientia, die dann in den Dienst der Menschheit gestellt wird. (
1: Link zu diesen Begriffen hier).

Nur sehr wenigen Philosophen ist es gelungen, ein „fast“ normales Leben zu führen:  Die Philosophen des britischen Empirismus zwischen 1600 und 1700, Leibniz, der aus einer wohlhabenden Familie stammte und auf jeden Fall in der diplomatischen Politik tätig war; Kant, der es schaffte, als Universitätsprofessor zu leben, während er gleichzeitig auf seine eigene Familie verzichtete und in fast völliger Isolation lebte; unser eigener Hegel, der es irgendwie schaffte, in seinem Leben, nachdem er verschiedene Berufe ausgeübt hatte, Universitätsprofessor zu werden, aber, wie wir sehen werden, ihn und die Menschheit nach ihm einen enormen Preis für dieses begrenzte Wohlbefinden seines Individuums und seiner Familie zahlen ließ.
Die Philosophie ist, kurz gesagt, eine Tätigkeit, die im totalen Dienst an der Menschheit ausgeübt werden soll, für die man auch bereit sein muss, einen Preis zu zahlen, der sehr hoch sein kann, sogar bis zur Aufopferung des eigenen Lebens. Wer dazu nicht bereit ist, ist für diesen Beruf, der in Wahrheit eine „Mission“ ist, nicht geschaffen. Der Philosoph ist in der Tat der Missionar der Wahrheit, er ist es, der die Aufgabe hat, die Wahrheit auf dem Planeten Erde zu vertreten, koste es, was es wolle.


Philosophie und Revolution


Authentische Philosophie, nicht Philosophie, die wiederholt, was andere bereits gesagt haben, sondern Philosophie, die einen weiteren geistigen Fortschritt der Menschheit ermöglicht, ist immer „Revolution“ und als solche der Todfeind der etablierten Macht, die ihrem Wesen nach „Erhaltung-Konservation“ ist. 
Natürlich soll die philosophische Revolution eine friedliche Revolution sein, niemals gewaltsam und niemals kriminell.  Philosophen würden lieber selbst sterben, als den Tod anderer Menschen zu verursachen.  Der Philosoph liebt in der Tat die Menschheit und würde niemals anderen Menschen Leid zufügen.  Die konstituierte Macht aber denkt nicht so, sondern umgekehrt: Sie will keine Veränderung, sie will ihre machtbedingten Privilegien erhalten und betrachtet deshalb die wahren Philosophen, d.h. die Träger des Neuen, zwangsläufig als ihre gefährlichsten Feinde, die es zu isolieren, zu bekämpfen und notfalls zu töten gilt. 


Weltkrieg oder Weltstaat?


Die philosophische Plattform www.philosophyforfuture.org beabsichtigt, ihren eigenen philosophischen und wissenschaftlichen Beitrag zum kommenden Fortschritt der Menschheit zu leisten.  Dieser wird in gewisser Weise darin bestehen müssen, die politische Dimension der Organisation der Gesellschaft von der Ebene der Nation auf die der gesamten Menschheit auszudehnen.  Unsere Gesellschaft ist heute eindeutig eine globale Gesellschaft, in der das, was in einer Ecke der Welt geschieht, innerhalb kürzester Zeit sogar verheerende Auswirkungen auf den Rest der Welt haben kann.  Das haben wir zum Beispiel im Fall der Covid-19-Pandemie gesehen. 
Leider betrifft dies nicht nur den gesundheitlichen, sondern auch und vor allem den militärischen Aspekt: Das letzte Jahrhundert hat deutlich gemacht, dass Krieg nicht mehr eine lokale, sondern eine globale Angelegenheit ist.  Jeder lokale Konflikt spaltet heute die Welt und die Menschheit in zwei Hälften, eine gegen die andere.  Seit 1945 lebt die Menschheit in der Angst vor einem dritten Weltkonflikt, den letztlich niemand will, weil niemand glaubt, ihn gewinnen zu können, der aber dennoch als Bedrohung bleibt.
Die Geschichte lehrt uns Philosophen, dass wir kein Vertrauen in Politiker haben dürfen, die oft völlig unvorbereitete Menschen sind, von denen keiner für diesen immens wichtigen Beruf studiert hat, um ein so wichtiges Amt zu erreichen. Sie sind also unberechenbare Menschen, die oft von privaten und wirtschaftlichen Interessen geleitet werden, ganz sicher nicht von dem Wunsch, der Menschheit Gutes zu tun.  
Es ist daher legitim, dass ein normaler Bürger, der studieren und sich vorbereiten muss, um eine Qualifikation zu erlangen, die es ihm möglich macht, einen qualifizierten Beruf auszuüben, sich vor der Gerissenheit dieser Leute fürchtet, die oft, ohne studiert und sich qualifiziert zu haben, Positionen von solcher sozialen und wirtschaftlichen Macht erreicht haben.  Niemand kann uns garantieren, dass diese Menschen, die nicht auf der Ebene einer Universitätskarriere von offiziell qualifiziertem Personal ausgewählt wurden, nicht einen Fehler machen und früher oder später das auslösen, was wir alle befürchten, nämlich einen Weltkonflikt.

Die grundlegende Frage, die ich dem philosophischen Gedanken, den ich vertrete, und der Plattform, auf der ich ihn zum Ausdruck bringe, fast als Motto voranstellen möchte, lautet daher wie folgt:


„Weltkrieg oder Weltstaat“?


Das ist in der Tat das entscheidende Dilemma unserer heutigen Gesellschaft: Im Moment steuert die Gesellschaft auf einen Weltkrieg zu, auch wenn die objektiven Bedingungen dafür glücklicherweise bisher nicht eingetreten sind; dennoch kann niemand die Tatsache leugnen, dass die Weltgesellschaft seit 1945 mit dem Feuer spielt und dass so viele lokale Konflikte in einen Weltkonflikt umzuschlagen drohten und noch drohen. Wir können diese Gefahr nur bannen, wenn wir begreifen, dass eine Weltgesellschaft ohne globale politische Organisation nicht überleben kann; früher oder später wird sie zusammenbrechen.


Unsere Hoffnung: supranationale politische Institutionen


Andererseits hat die Menschheit selbst, die in der ständigen Bedrohung eines weltweiten Konflikts lebt, in den letzten rund 100 Jahren supranationale Strukturen geschaffen, deren Aufgabe gerade darin besteht, eine friedliche Auseinandersetzung zwischen den Nationen zu ermöglichen und damit eine militärische Konfrontation zu vermeiden. Die UNO ist zweifellos die wichtigste dieser Institutionen, und obwohl es ihr derzeit an effektiver Macht mangelt, ist sie dennoch ein Ort, an dem Streitigkeiten beigelegt werden können, bevor sie mit Waffen ausgetragen werden, d.h. ein Ort der Mediation, der Vermittlung.  
Es liegt auf der Hand, dass eines der Hauptziele der Menschheit in naher Zukunft darin bestehen muss, die UNO weiterzuentwickeln und ihr vor allem wirksame Befugnisse zu verleihen.
Eine weitere sehr wichtige Institution, die den beteiligten Nationen in den letzten 80 Jahren einen sehr langen Frieden gesichert hat, ist die Europäische Union. Staaten, die sich seit Jahrtausenden immer wieder bekriegt haben, haben seit Ende des Zweiten Weltkrieges beschlossen, einen Weg der gegenseitigen Annäherung zu beschreiten, mit dem Ziel, sich zu gegebener Zeit in einer politischen Föderation zu vereinen. Dies ist ein absolut avantgardistisches Modell, das für die ganze Welt eine Inspiration sein könnte.


Immanuel Kants Philosophie, die Grundlage supranationaler politischer Institutionen


An dieser Stelle stellt sich die berechtigte Frage: Was hat das alles mit Philosophie zu tun?
Nun, die Antwort ist, dass sowohl die UNO als auch die Europäische Union philosophische Produkte sind, denn sie basieren auf dem Gedankengut von Immanuel Kant, der bereits 1795 in seinem Buch "Zum ewigen Frieden" die grundlegenden konzeptionellen Umrisse eines supranationalen Staatenbundes dargelegt hat.
Erwähnenswert ist auch das "Manifest von Ventotene", das die grundlegenden theoretischen Elemente enthält, die zur Konstituierung der Europäischen Föderalistischen Bewegung und damit zur Geburt des europäischen politischen Einigungsprojekts führte. Es wurde von drei italienischen Intellektuellen, Arturo Spinelli, Eugenio Colorni und Ernesto Rossi, verfasst, die von Mussolini ins Exil auf die schöne Insel Ventotene gegenüber der römischen Küste geschickt wurden. (
2: Link zu Informationen über das Manifest von Ventotene hier; Link zum Text hier).

Vor diesem bedeutenden Manifest hatten aber auch andere Intellektuelle philosophische Projekte für die Einigung der europäischen Nationen ausgearbeitet, insbesondere Charles Lemonnier, der 1872 in Frankreich einen eindeutig vom Kantianismus inspirierten Text mit dem vielsagenden Titel "Die Vereinigten Staaten von Europa" veröffentlichte. (3: Link zum Text hier).

Einige Jahre später, nach dem Ersten Weltkrieg, veröffentlichte ein österreichischer Intellektueller, Richard Coudenhove-Kalergi, um einen zweiten Weltkrieg zu verhindern, einen Text mit dem Titel "Paneuropa" und gründete auch eine politische Bewegung mit demselben Namen. (4: Link über Coudenhove-Kalergi hier; Link über Paneuropa-Bewegung hier; Link zum Text des Paneuropa-Buchs hier).
Leider blieben die Stimmen von Lemonnier und Coudenhove-Kalergi ungehört und die Menschheit musste zwei Weltkriege mit Millionen von Toten erleiden, bevor sie nach 1945 die Botschaft der europäischen Einigung akzeptierte, vor allem dank des Manifests von Ventotene. Hätten die Politiker früher auf die Stimme der Philosophie gehört, wären mehrere Millionen Menschen am Leben geblieben, anstatt zu sterben. Das ist die harte und rohe Realität, wenn die Politik nicht auf die Philosophie, d. h. auf die Weisheit, hört. 
Auf der Insel Ventotene haben diese drei Intellektuellen die Idee der Überwindung des Nationalstaates zunächst in Europa, dann weltweit ausgearbeitet, und zwar, wie gesagt, auf der Grundlage von Kants Schrift "Zum ewigen Frieden". Eugenio Colorni war Philosophiedozent und Anhänger der Philosophie Kants. Seine Frau, die deutsche Ursula Hirschmann, die die Erlaubnis hatte, ihn zu besuchen, brachte diese Schrift auf Resten von Zigarettenschachtelpapier nach Rom, um sie inmitten des faschistischen Regimes und mitten im Krieg 1941 zu veröffentlichen.  (5: Erste Informationen über Ursula Hirschmann hier).

Dank ihres Mutes begann diese Schrift im Geheimen zu zirkulieren und vermittelte denjenigen, die sie lasen, die kantischen Vorstellungen von einem philosophischen Frieden durch eine Föderation der Völker und Staaten. Genau das ist es, was wir heute in Europa haben und was es unserer Generation, die nach 1945 geboren wurde, ermöglicht hat, ohne Bomben auf dem Kopf in Frieden zu leben, was keineswegs selbstverständlich ist! Wenn es uns letztlich möglich war, so gut zu leben, dann verdanken wir das vor allem Kant und denjenigen, die sein Denken verbreitet und auf die aktuelle politische Situation in der Gesellschaft angewendet haben. 
Als die Menschheit also in den Abgrund stürzte, in den die Politik der unvorbereiteten, unwissenden, gerissenen und kleinlichen Politiker sie geführt hatte, musste sie sich, um wieder aufzustehen, an das philosophische Denken wenden, das heißt an qualifizierte Menschen, an diejenigen, die ihr Leben dem ‚Studium‘ und der Bildung des Geistes widmen, das heißt an die Philosophen. Diese haben durch ständiges, ein Leben lang praktiziertes ‚Studium‘ gelernt zu denken, also auch die Grundlagen des Staates zu denken. 
Wenn irgendjemand oder irgendetwas die Menschheit vor einem dritten und leider wohl entscheidenden Weltkonflikt bewahren kann, dann können es nur Philosophen und die Philosophie sein!
Mit dieser langen Vorbemerkung im Hinterkopf ist es schließlich legitim, die folgende Frage zu stellen: Warum beschäftigen wir uns in unserem Seminar mit dem Denken Hegels und nicht mit dem Kants, wenn doch letzteres die Grundlage der supranationalen Institutionen ist, die den Frieden in der Welt und in Europa garantieren könnten?


Hegel, der ‚Anwender‘ (‚Umsetzer‘, ‚Verwirklicher‘) des religionsphilosophischen Programms von Kant


Wie ich in einem Vortrag dargelegt habe, den ich hier in Hagen im Rahmen eines von Professor Hoffmann geleiteten Treffens mit einigen Doktoranden aus Südamerika gehalten habe, ist Hegel als derjenige zu sehen, der das philosophische Programm von Vater Kant, wie er damals von den jungen Universitätsstudenten genannt wurde, realisiert hat. (6: Link zum Text meines Vortrages hier).   
Es gibt einen sehr schönen und bedeutsamen Satz, den Schelling in einem Brief an Hegel geschrieben hat, der den evangelischen Stift in Tübingen bereits verlassen hatte, da er fünf Jahre älter war als sein Freund.


Schelling an Hegel (am heil. Dreikönigsabend 1795):

„Ich lebe und webe gegenwärtig in der Philosophie. Die Philosophie ist noch nicht am Ende. Kant hat die Resultate gegeben; die Prämissen fehlen noch. Und wer kann Resultate verstehen ohne Prämissen?“
(7: In: "Briefe von und an Hegel", Bd. I, 1785-1812, Hamburg 1952, S. 14) 


Mit diesem Satz meinte Schelling, dass Kant im Grunde alles durchdacht habe, und hier bezog sich Schelling sicher mehr auf den Kant der späteren Werke, insbesondere der Religionsphilosophie, als auf den Kant der drei Kritiken.  Gerade Kants 1793 erschienene Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" hatte in der Tat einen enormen Einfluss auf die jungen Tübinger Theologiestudenten. (8: Quelle: I. Kant: "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" (1793); Link zur ersten Information hier; Link zum Text hier)
Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Schelling und Hegel nicht Philosophie, sondern Theologie studierten; sie bereiteten sich darauf vor, evangelische Pfarrer zu werden. 
In seinen letzten Werken, die genau in den Jahren geschrieben wurden, in denen Schelling, Hegel und Hölderlin in Tübingen studierten oder kurz danach, hatte Kant in seiner Schrift von 1795 auf politischer und in seiner Schrift von 1793 auf religiöser Ebene sehr präzise Hinweise darauf gegeben, wie die Welt der Zukunft aussehen sollte.  In dieser Schrift von 1793, die den größten Einfluss auf Hegel, Schelling und Hölderlin ausübte, wie die philologischen und historischen Studien der letzten Jahrzehnte im Rahmen der Hegel-Forschung hinreichend belegen, legte Kant den Grundgedanken einer Vernunftreligion dar, d.h. die Vision, nach der die Menschheit dazu tendiert, die mit Aberglauben und Dogmen am engsten verbundenen Elemente aus den Religionen allmählich zu entfernen. Am Ende dieses Prozesses, so Kant, wird es in der Welt nur eine einzige reine universelle Religion geben, die eine unsichtbare Kirche hervorbringen wird, die von all jenen gebildet wird, die das Gute wollen.  Dies ist die Vernunftreligion, zu der die Menschheit nach Kant tendiert. (9: Kants Buch von 1793 und seinen Einfluss auf die jungen Studenten des Tübinger Stifts habe ich in einem jetzt online veröffentlichten Aufsatz eingehend untersucht (Link hier).

Der junge Hegel hat, wie wir im Seminar des letzten Semesters gesehen haben, die Verwirklichung eines solchen kantischen religiös-rationalen Ideals zum intellektuellen Ziel seines Lebens gemacht, d.h. er hat sich die philosophische Aufgabe gestellt, ein solches Ideal zu verwirklichen, d.h. derjenige zu sein, der eine solche Vernunftreligion begründen würde.  Dies ist in den letzten Texten der Tübinger Jahre (Text 25 und 26) hinreichend dokumentiert, über die uns unsere ‚Mitphilosophin‘ (‚confilosofa‘ auf Italienisch) und Kollegin Sarina Fehst später berichten wird.
Deshalb ist es ein schwerer philosophiegeschichtlicher Irrtum, Hegel gegen Kant auszuspielen, denn es ist vielmehr aus Hegels jugendlichen Texten philologisch eindeutig belegt, dass er Kants Gedankengut in seinem eigenen Geistesleben aufgegriffen und zur Geltung gebracht hat, wie auch die folgenden Passagen aus Briefen Hegels an seinen Freund Schelling aus jenen Jahren zeigen.


Hegel an Schelling (Ende Januar 1795)


„Seit einiger Zeit habe ich das Studium der Kantischen Philosophie wieder hervorgenommen, um s[eine] wichtige[n] Resultate auf manche uns noch gang und gäbe Idee anwenden zu lernen oder diese nach jenen zu bearbeiten.“
(10: ebd., S. 15)

 

Am 16. April 1795 präzisiert er dann sehr deutlich, worin diese „Anwendung“ besteht:


„Vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung erwarte ich eine Revolution in Deutschland,  die von Prinzipien ausgehen wird,  die vorhanden sind und nur nötig haben, allgemein bearbeitet auf alles bisherige Wissen angewendet zu werden.“ 
(11: ebd., S. 23)

 

Genau das tut Hegel ab Passage 99.29 des Textes 16 (in GW1): Er wendet die Ergebnisse, zu denen Kant gekommen war, auf seine eigene Auffassung von Volksreligion an. Diese ’Anwendung’ ist zugleich eine ’Vollendung’, weil Hegel damit das verwirklicht, was Kant aus offensichtlichen Altersgründen im Kapitel IV des dritten Teils unterlassen hatte, nämlich den Übergang vom theoretischen Verständnis der Vernunftreligion zur praktischen Entscheidung über ihre Begründung zu vollziehen.


Historisch-philosophische Schlussfolgerung


Meine geschichtsphilosophische Schlussfolgerung an dieser Stelle lautet wie folgt: Wenn wir heute den Weg des Weltstaates, d.h. den einer Föderation von Nationalstaaten, einschlagen wollen, um einen weiteren Weltkrieg ein für alle Mal zu verhindern, denn es ist klar, dass ein Krieg zwischen den Staaten derselben Föderation nicht stattfinden kann, da sie alle einer höheren politischen Einheit angehören, die in der Lage ist, sie zu vereinen, zu regeln und zu leiten, müssen wir die supranationalen Institutionen, die den Frieden garantieren, d.h. die UNO und die Europäische Union, von einem hegelianischen und nicht mehr nur von einem kantischen Standpunkt aus neu überdenken. Der Grund ist ganz einfach: Kant war sicherlich derjenige, der im letzten Jahrzehnt seines Lebens sowohl die Entwicklung der Geschichte, den Begriff des Staates und schließlich den der wahren Weltreligion gründlich verstanden hat. Allerdings hatte er nur den abstrakten Begriff einer solchen evolutionären Auffassung der Menschheit hin zu einem Zustand der geistigen Vereinigung verstanden, aber er hatte nicht mehr die Zeit, da er nun weit in seinen Siebzigern war, die eigentliche detaillierte Theorie einer solchen titanischen historisch-philosophisch-religiösen Vision auszuarbeiten. Hier aber kommt die historische Dialektik ins Spiel, die Hegel in der Einleitung zu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie meisterhaft erläutert hat. 
(12: Link zur Quelle hier

Die Philosophie ist eine echte Wissenschaft, also gibt es eine Kontinuität zwischen echten Philosophen: Der junge Philosoph lernt vom älteren Philosophen und bringt, da er mehr Lebenszeit zur Verfügung hat, die Wissenschaft einen Schritt weiter, was der ältere Philosoph nicht mehr tun kann, nicht weil er unfähig ist, sondern weil ihm leider bald das wesentliche Element fehlt: Zeit und Leben. 
In der Geschichte der Philosophie gibt es also eine absolute Kontinuität zwischen dem vorhergehenden (älteren) Philosophen und dem nachfolgenden (jungen). Zwischen ihnen gibt es eine „Übergabe“, die oft philologisch rekonstruiert werden kann, wenn die Jugendschriften des letzteren erhalten geblieben sind. Das ist immer dann der Fall, wenn wir nur die großen Denker nehmen, die die philosophische Disziplin gerade weitergebracht haben. Andererseits gilt auch in den wissenschaftlichen Disziplinen das Prinzip der Kontinuität nur für die Wissenschaftler, die die Disziplin vorangebracht haben, keineswegs für alle, die sich für die Wissenschaft interessiert haben.


Das Grundprinzip der Hegelschen Philosophie, also der neuen Vernunftreligion der Menschheit: die Revolution der Anerkennung des Anderen


Das bedeutet vor allem, im Sinne der Dialektik denken zu lernen: Hegels Dialektik kommt immer zur Synthese, sie bleibt nie beim Gegensatz, bei der Opposition stehen. Dialektisch zu sein, dialektisch zu denken, bedeutet, die Opposition zu überwinden und den Modus der Versöhnung zu finden. Es bedeutet, zu verstehen, dass die Wahrheit nie auf nur einer Seite steht, sondern sich gerne in mehrere Teile aufteilt. Es bedeutet, unseren Gesprächspartner immer anzuerkennen und den Teil der Wahrheit, der Vernunft zu verstehen, den er in sich trägt. 
Dies ist die große Lehre von Hegels "Wissenschaft der Logik"! Die anderen Teile des Systems sind nichts anderes als die Anwendung dieses universellen Prinzips auf die verschiedenen Bereiche der Philosophie und damit des Lebens.
Der Krieg hingegen bleibt immer in der Opposition stecken, es gelingt ihm nie, eine Synthese zu erreichen, sondern er tendiert zur gegenseitigen Vernichtung der Gegensätze. Krieg ist analytisch, nicht synthetisch; Krieg trennt, statt zu vereinen. Einer der beiden Gegensätze muss verschwinden, und der Gewinner wird „die Synthese“ sein. In der Vergangenheit, als es noch keine Atomwaffen gab, hat das auch funktioniert, auch wenn es eine Spur von unermesslichem Schmerz hinterlassen hat, aber das ist nicht mehr der Fall, ein echter Krieg, also mit den heutigen Waffen, würde keinen Sieger, also keine Synthese haben. 
Die Menschheit soll daher lernen, synthetisch und dialektisch zu denken und das analytische und trennende Denken aufzugeben. Sie soll die Synthese und die Versöhnung suchen und die Opposition nicht durch die Vernichtung, sondern durch die gegenseitige Anerkennung überwinden, wie Hegel in seiner "Philosophie des Geistes" so gut gelehrt hat, insbesondere in §436 der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse  (Ausgabe 1830), der sich mit dem Begriff des „anerkennenden Selbstbewusstseins“ beschäftigt. (13: Link zum Text hier).
Die Anerkennung der Menschlichkeit des Anderen, selbst bei Unterschieden in den Mentalitäten, Traditionen, politischen Systemen usw., das ist die wirkliche Revolution, die wir heute brauchen, die einzige Revolution, die uns helfen kann, aus der Pattsituation herauszukommen, in der wir uns seit 1945 befinden und die jetzt jedes Jahr Kriege mit Zehntausenden von Toten hervorbringt, vor allem unter der Zivilbevölkerung, den jungen Menschen und den Schwachen. 
Im Grunde genommen brauchen wir die Revolution der Anerkennung des Anderen!
Dem nunmehr permanenten Krieg kann die Philosophie ein „Ende“ setzen, wenn wir die große ethische Lektion der Hegelschen Dialektik lernen, und vor allem, wenn wir sie den Politikern beibringen, denen, die unser Leben leider organisieren.


Dialektische Philosophie und die UNO 


Dies könnte, ja sollte das pädagogische Programm in allen Schulen der Welt werden, das von der UNO organisiert werden sollte. Wenn die UNO keine militärische Macht hat, so könnte sie doch in kultureller Hinsicht Macht haben. Die UNO muss die Zügel der zukünftigen Entwicklung der Menschheit in die Hand nehmen, indem sie vor allem mit weltweiten Schulprogrammen eingreift, um die jungen Erdenbürger dazu zu erziehen, dialektisch zu denken, d.h. sich trotz ihrer jeweiligen historischen Unterschiede in ihrer gemeinsamen Menschlichkeit anzuerkennen und sich nicht gegenseitig zu bekämpfen. 
Was machen wir in Europa zum Beispiel mit dem Erasmus-Programm? Wir geben jungen Menschen die Möglichkeit, einen Studienaufenthalt in anderen EU-Ländern zu verbringen, um andere Mentalitäten, andere Völker, andere Lebensweisen kennen zu lernen. Das führt dazu, dass sich viele junge Menschen aus Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien usw. mittlerweile als „Europäer“ fühlen, weil sie andere europäische Nationen und Völker kennen und schätzen gelernt haben und diese nun nicht mehr als „fremd“, sondern als „ähnlich“ und „interessant“ empfinden. 
Sich ‚Kennen‘ ist nämlich immer die Voraussetzung für das sich ‚Anerkennen‘, aber wenn junge Russen, Amerikaner, Chinesen usw. keinen Kontakt zueinander haben, wenn sie sich nicht kennen, wie können sie sich dann jemals anerkennen?


Die weltweite philosophisch-pädagogische Revolution


Dies ist die eigentliche Revolution, die wir als Menschheit anstreben sollten, eine weltweite philosophisch-pädagogische Revolution. Durch das Internet und andere technologische Innovationen sowie die heutige Leichtigkeit des globalen Reisens ist dies nun möglich. Man muss es nur wollen!
Das ist auch die Revolution, von der Hegel, Schelling und Hölderlin in Tübingen geträumt haben, zusammen mit vielen anderen jungen Menschen im idealistischen und romantischen Deutschland jener wunderschönen Zeit. 
Es gibt eine sehr beeindruckende Schrift, von der wir nicht genau wissen, wem sie zuzuschreiben ist, denn sie ist das Ergebnis eines späteren Treffens, 1797, also einige Jahre nach ihrem Studium in Tübingen, bei dem sich die drei Freunde in Frankfurt wieder trafen und Hegel, wie es seine Gewohnheit war, den folgenden Text niederschrieb, vielleicht von einem von ihnen diktiert oder gemeinsam verfasst, wir werden es nie erfahren, obwohl alles auf Schelling als Autor hindeutet. Lesen wir den abschließenden Teil.


Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus


„Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist - wir müßen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft werden.
Ehe wir die Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden, um das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blik, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden, dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! - Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte gröste Werk der Menschheit seyn." (GW 2, S. 615-617)

(14: Die kritische Ausgabe des Originaltextes ist von Christoph Jamme und Helmut Schneider veröffentlicht worden: "Hegels ‚ältestes Systemprogramm‘ des deutschen Idealismus", Frankfurt a. Main 1984; Infolink hier). 

 

Und weiter: Wie kann man diese schönen Worte Hölderlins in einem Brief an seinen Bruder Karl in diesem Bezug nicht erwähnen?


„Meine Liebe ist das Menschengeschlecht, freilich nicht das verdorbene, knechtische, träge, wie wir es nur zu oft finden, auch in der eingeschränktesten Erfahrung. Aber ich liebe die große, schöne Anlage auch in verdorbenen Menschen. Ich liebe das Geschlecht der kommenden Jahrhunderte. Denn dies ist meine seligste Hoffnung, der Glaube, der mich stark erhält und tätig, unsere Enkel werden besser sein als wir, die Freiheit muß einmal kommen, und die Tugend wird besser gedeihen in der Freiheit heiligem erwärmenden Lichte als unter der eiskalten Zone des Despotismus. Wir leben in einer Zeitperiode, wo alles hinarbeitet auf bessere Tage. Diese Keime der Aufklärung, diese stillen Wünsche und Bestrebungen einzelner zur Bildung des Menschengeschlechts werden sich ausbreiten und verstärken und herrliche Früchte tragen. Sieh! lieber Karl! dies ist’s, woran nun mein Herz hängt. Dies ist das heilige Ziel meiner Wünsche und meiner Tätigkeit - dies, daß ich in unserm Zeitalter die Keime wecke, die in einem künftigen reifen werden.“

(15: Tübingen, September 1793; in: Stuttgarter Ausgabe (StA), VI/1, p. 92). 


Die deutsche Kultur jener wunderbaren Zeit, nicht nur die Philosophie, sondern auch die Literatur, allen voran natürlich Hölderlin, aber denken wir auch an Goethe und Schiller, Herder und Lessing, muss für uns wie ein Leuchtturm sein, der uns den richtigen Weg zeigt, um das Ziel zu erreichen, das nur das friedliche Zusammenleben der gesamten Menschheit auf dem Planeten Erde sein kann, unter menschenwürdigen Bedingungen für jeden Menschen, völlig unabhängig vom zufälligen Ort seiner Geburt.  
Dies ist die enorme Kraft, die uns aus der Botschaft jener großen Intellektuellen erwächst, und je kritischer und düsterer die Zeiten werden, desto mehr müssen wir wieder aus diesen Quellen der unendlichen Weisheit und ‚Sapientia‘ trinken. 


Ziel unseres Seminars


Das Hauptziel unseres Seminars wird es daher sein, zu lernen, was es wirklich bedeutet, dialektisch zu denken, d.h. niemals bei der Analyse und der Opposition stehen zu bleiben, sondern immer nach Synthese und Vereinigung zu streben. 
Diese ist die authentische Lehre Hegels, die heute aktueller und lebendiger ist denn je!


Dr. Marco de Angelis
(21-25. November 2024)

 

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TEIL B

(Dezember_Februar 2024)

 

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Entwicklung des Seminars

 

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1.Zusammenfassung des bisher Gesagten und des erreichten Standes der Rekonstruktion der Entwicklung des Hegelschen Denkens bis 1806

 

Der unterbrochene Schluss des Manuskript System der Sittlichkeit enthält implizit die Hegelsche Staatskonzeption, an der er gerade in diesen Jahren mit enormer Anstrengung arbeitete, um zu verstehen, was die „mögliche Form einer freien Regierung“ ist. Schauen wir uns das entsprechende Dokument wieder an, wo wir bei der letzten Sitzung angekommen waren.

Seiten 360 und 361 aus GW5: System der Sittlichkeit, Schlussteil

Nachdem Hegel Monarchie und Aristokratie als „mögliche Formen einer freien Regierung“ kategorisch ausgeschlossen hat, da beide auf etwas Zufälligem, nämlich auf Vererbung und Eigentum, und nicht auf etwas Notwendigem und Logischem beruhen, wendet er sich der Form der Demokratie zu, die ihm als einzige in der Lage zu sein scheint, ein gewisses Fundament zu haben. Dieses Fundament ist die Einheit, die Verbundenheit des Volkes, wie wir schon aus dem Aufsatz von 1802 Über die verschiedenen wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts kennen.

Er fragt sich, welche Form der Religion diese Einheit zu begründen vermag und findet vorerst keine Antwort, sondern schreibt nur, dass diese Religion den Menschen mit der Welt und mit sich selbst versöhnen soll, allerdings auf Kosten der Transzendenz, die in dieser demokratischen Religion, die, wie Hegel es ausdrückt, „rein sittlich“ sein soll, verloren geht. Das ist die subjektive Religion, die wir seit Tübingen kennen, im Gegensatz zur objektiven Religion.

Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Hegelsche Demokratiebegriff sowohl in diesem Text als auch in späteren Texten ein ganz anderer ist als der der britischen liberalen Tradition, der sich dann im Laufe der Geschichte vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt hat.

Hegel schreibt hier deutlich, dass die Demokratie, wie sie gemeinhin verstanden wird, notwendigerweise zu „Ochlokratie“, d.h. zu sozialer Unordnung führt (genau das Gegenteil von Adam Smith, dem Begründer der kapitalistischen politischen Ökonomie, demzufolge das freie Spiel der Individuen auf dem Markt schließlich zu sozialer Harmonie führt). In Bezug auf England schrieb der Philosoph einige Jahre später:

Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, §544

(Anmerkung über Demokratie, Monarchie, Aristokratie)

„Die Frage, die am meisten besprochen worden, ist, in welchem Sinne die Teilnahme der Privatpersonen an den Staatsangelegenheiten zu fassen sei. Denn als Privatpersonen sind die Mitglieder von Ständeversammlungen zunächst zu nehmen, sie seien als Individuen für sich oder als Repräsentanten vieler oder des Volkes geltend. Das Aggregat der Privaten pflegt nämlich häufig das Volk genannt zu werden; als solches Aggregat ist es aber vulgus, nicht populus; und in dieser Beziehung ist es der alleinige Zweck des Staates, daß ein Volk nicht als solches Aggregat zur Existenz, zur Gewalt und Handlung komme. Solcher Zustand eines Volks ist der Zustand der Unrechtlichkeit, Unsittlichkeit, der Unvernunft überhaupt; das Volk wäre in demselben nur als eine unförmliche, wüste, blinde Gewalt, wie die des aufgeregten, elementarischen Meeres, welches selbst jedoch sich nicht zerstört, wie das Volk als geistiges Element tun würde. Man hat solchen Zustand oft als den der wahren Freiheit vorstellen hören können. Damit es einen Verstand habe, sich auf die Frage der Teilnahme der Privatpersonen an den allgemeinen Angelegenheiten einzulassen, muß nicht das Unvernünftige, sondern schon ein organisiertes Volk, d.i. in welchem eine Regierungsgewalt vorhanden ist, vorausgesetzt werden. – Das Interesse solcher Teilnahme aber ist weder in den Vorzug besonderer Einsicht überhaupt zu setzen, welchen die Privatpersonen vor den Staatsbeamten besitzen sollen – es ist notwendig das Gegenteil der Fall –, noch in den Vorzug des guten Willens für das allgemeine Beste, – die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind vielmehr solche, welche ihr besonderes Interesse und, wie vornehmlich im Feudalzustande, das ihrer privilegierten Korporation zu ihrer nächsten Bestimmung machen. Wie z.B. von England, dessen Verfassung darum als die freiste angesehen wird, weil die Privatpersonen eine überwiegende Teilnahme an dem Staatsgeschäfte haben, die Erfahrung zeigt, daß dies Land in der bürgerlichen und peinlichen (strafrechtlichen) Gesetzgebung, dem Rechte und der Freiheit des Eigentums, den Veranstaltungen für Kunst und Wissenschaft usf., gegen die anderen gebildeten Staaten Europas am weitesten zurück und die objektive Freiheit, d.i. vernünftiges Recht, vielmehr der formellen Freiheit und dem besonderen Privatinteresse (dies sogar in den der Religion gewidmet sein sollenden Veranstaltungen und Besitztümern) aufgeopfert ist. – Das Interesse eines Anteils der Privaten an den öffentlichen Angelegenheiten ist zum Teil in die konkretere und daher dringendere Empfindung allgemeiner Bedürfnisse zu setzen, wesentlich aber in das Recht, daß der gemeinsame Geist auch zu der Erscheinung eines äußerlich allgemeinen Willens in einer geordneten und ausdrücklichen Wirksamkeit für die öffentliche Angelegentlichkeit gelange, durch diese Befriedigung ebenso eine Belebung für sich selbst empfange, als eine solche auf die Verwaltungsbehörden einfließt, welchen es hierdurch in gegenwärtigem Bewußtsein erhalten ist, daß sie, so sehr sie Pflichten zu fordern, ebenso wesentlich Rechte vor sich haben. Die Bürger sind im Staate die unverhältnismäßig größere Menge, und eine Menge von solchen, die als Personen anerkannt sind. Die vollende Vernunft stellt daher ihre Existenz in ihnen als Vielheit von Freien oder in einer Reflexions-Allgemeinheit dar, welcher in einem Anteil an der Staatsgewalt ihre Wirklichkeit gewährt wird. Es ist aber bereits als Moment der bürgerlichen Gesellschaft bemerklich gemacht (§ 527, 534), daß die Einzelnen sich aus der äußerlichen in die substantielle Allgemeinheit, nämlich als besondere Gattung, – die Stände, erheben; und es ist nicht in der unorganischen Form von Einzelnen als solchen (auf demokratische Weise des Wählens), sondern als organische Momente, als Stände, daß sie in jenen Anteil eintreten; eine Macht oder Tätigkeit im Staate muß nie in formloser, unorganischer Gestalt, d.i. aus dem Prinzip der Vielheit und der Menge erscheinen und handeln.“

(Im Internet hier)

Im Gegensatz zum liberalen, individualistischen Demokratieverständnis entwirft Hegel ein soziales Demokratieverständnis, das frei von Spannungen und Widersprüchen ist und sich ganz auf die Philosophie und die Vernunft stützt, nicht auf die Ökonomie und die privaten persönlichen Interessen.

Dies ist Hegels ursprüngliche politische Vision, wie wir sie zum ersten Mal systematisch in seinen beiden Schriften von 1802 und 1803, dem Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts und dem System der Sittlichkeit, finden können und bis zum letzten System der Enzyklopädie im Jahre 1803 immer gleichbleiben wird.

In diesen beiden Werken legt Hegel das Grundprinzip seiner politischen Theorie dar, das später den Kern seiner Philosophie des Geistes bilden und von großer historischer Bedeutung sein wird, insbesondere bei der von Marx vorgenommenen Revision, die, wie wir wissen, später zur kommunistischen Revolution und damit zur Schaffung einer konkreten historischen Alternative zur liberalen Konzeption der Demokratie führte.

Zusammenfassend, haben wir im Allgemeinen ein individuelles Demokratieverständnis, das auf dem von der britischen Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts (Locke, Berkeley, Hume, Smith) vertretenen Individualismus beruht, und ein soziales Demokratieverständnis, das dagegen vor allem von der europäischen, insbesondere deutschen Kontinentalphilosophie zwischen dem Ende des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertreten wurde (Rousseau, Kant, Hegel und dann auch Marx).

Auch wenn sich die individualistische anglo-amerikanische Auffassung der Demokratie im Westen zumindest bis heute durchgesetzt hat, bedeutet dies nicht, dass sie die „wahre“, d.h. logisch und philosophisch besser begründete ist.

Wir wollen die Demokratieauffassung Hegels untersuchen, der immer als Anhänger der Monarchie interpretiert wurde, während die Rekonstruktion seiner politischen Theorie uns genau das Gegenteil zeigt, nämlich dass die Monarchie für ihn nur einen formalen, nicht aber einen substantiellen Wert hat, weil das wahre Zentrum der Macht das Volk, eben der ‚Demos‘, das Volk ist. 

Während bei Marx der ‚Demos‘ das Proletariat ist, ist für Hegel der ‚Demos‘ das ganze Volk, das nicht nur aus dem Proletariat und der Arbeiterklasse, sondern auch aus den anderen Klassen besteht. Die verschiedenen Klassen bilden zusammen die ‚bürgerliche Gesellschaft‘, die das schlagende Herz des Volkes ist, das sein Leben ermöglicht.

Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, §528

„Der substantielle, natürliche Stand hat an dem fruchtbaren Grund und Boden ein natürliches und festes Vermögen; seine Tätigkeit erhält ihre Richtung und Inhalt durch Naturbestimmungen, und seine Sittlichkeit gründet sich auf Glauben und Vertrauen. Der zweite, der reflektierte Stand ist auf das Vermögen der Gesellschaft, auf das in Vermittlung, Vorstellung und in ein Zusammen der Zufälligkeiten gestellte Element, und das Individuum auf seine subjektive Geschicklichkeit, Talent, Verstand und Fleiß angewiesen. Der dritte, denkende Stand hat die allgemeinen Interessen zu seinem Geschäfte; wie der zweite hat er eine durch die eigene Geschicklichkeit vermittelte und wie der erste eine aber durch das Ganze der Gesellschaft gesicherte Subsistenz.“

(Im Internet hier)

Deshalb ist Hegel nicht für den Klassenkampf, sondern für die Zusammenarbeit zwischen den Klassen zur Erreichung des gemeinsamen Ziels, das das Wohl und die Freiheit aller ist. Der Staat soll dies möglich machen.

 

Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, §537

„Das Wesen des Staates ist das an und für sich Allgemeine, das Vernünftige des Willens, aber als sich wissend und betätigend schlechthin Subjektivität und als Wirklichkeit ein Individuum. Sein Werk überhaupt besteht in Beziehung auf das Extrem der Einzelheit als der Menge der Individuen in dem Gedoppelten, einmal sie als Personen zu erhalten, somit das Recht zur notwendigen Wirklichkeit zu machen, und dann ihr Wohl, das zunächst jeder für sich besorgt, das aber schlechthin eine allgemeine Seite hat, zu befördern, die Familie zu schützen und die bürgerliche Gesellschaft zu leiten, – das andere Mal aber beides und die ganze Gesinnung und Tätigkeit des Einzelnen, als der für sich ein Zentrum zu sein strebt, in das Leben der allgemeinen Substanz zurückzuführen und in diesem Sinne als freie Macht Jenen ihr untergeordneten Sphären Abbruch zu tun und sie in substantieller Immanenz zu erhalten.“

(Im Internet hier)

 

Hegels politische Philosophie, aber auch die Ethik, stellt daher eine mögliche Lösung für den Gegensatz Liberalismus-Kommunismus dar, der nicht nur ein theoretischer Gegensatz ist, sondern die leider immer noch bestehende Spaltung der Welt in zwei gegensätzliche ideologische Blöcke.

Es scheint daher lohnenswert, die folgende Forschungsfrage nachzugehen, ob Hegel im Anschluss an Kant die gefährliche Richtung, in die sich die Welt schon damals bewegte, frühzeitig erkannt und eine ethisch-politische Theorie entwickelt hat, die in der Lage ist, diesen Widerspruch zu überwinden (aufzuheben) und damit die Grundlage für eine politische Vision zu schaffen, die auf Kooperation und sozialem Frieden beruht. Heute brauchen wir dringend eine solche Vision, denn die Welt befindet sich in einem Zustand totaler und sehr gefährlicher politischer Spannungen.

Natürlich konnte Hegel nicht ahnen, dass Marx später auf der Grundlage seiner Dialektik eine politische Vision entwerfen würde, die der der liberalen Demokratie stark widerspricht und die Welt in eine absolute Spaltung in zwei gegensätzliche Lager führt. Er hatte jedoch erkannt, dass das Grundprinzip der liberalen Demokratie, nämlich der Individualismus, nicht in der Lage ist, eine Gesellschaft zu gründen, die auf Frieden und Harmonie beruht, denn wenn jeder Einzelne sowie jeder Staat nur auf sich selbst bedacht ist, ist eine soziale Konfrontation früher oder später unvermeidlich. Dies war in der Tat sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene der Fall. Die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, vor allem aber die des zwanzigsten Jahrhunderts bis heute, ist nichts anderes als eine Geschichte heftiger sozialer Auseinandersetzungen mit Millionen von Toten.

Versuchen wir nun, diese Begriffe zu verstehen, die für das Verständnis der Hegelschen Philosophie unter diesem Aspekt, der für den Philosophen am wichtigsten war, grundlegend sind.

Um dies zu tun, müssen wir seine Philosophie des Geistes verstehen. Der Staat, also die Politik, ist für Hegel eine Emanation (Kreation, Manifestation) des Geistes. Um den Begriff des Geistes bei Hegel zu verstehen, ist es jedoch notwendig, das gesamte philosophische System zu untersuchen und zu verstehen, von dem der Geist ein Teil ist.

 

2. Grundlegende Struktur des Hegelschen philosophischen Systems


Der Geist ist im Hegelschen System der dritte der dialektischen Triade nach dem Logos (bzw. Idee) und der Natur. Alle drei, Idee, Natur und Geist, sind Definitionen des Absoluten, d.h. des Ganzen, von allem, was existiert. 
Hegel hat uns jedoch in den letzten Abschnitten des Systems einen Schlüssel zum Verständnis dieser Triade gegeben, demzufolge die Reihenfolge auch anders gesehen werden kann. Es handelt sich um die Theorie der Schlüsse, die der Philosoph in den §§ 575, 576 und 577 der "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" (1830) darlegt. 


Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, §§ 575-576-577

§ 575 (1. Schluss: Idee-Natur-Geist – Ergänzung von mir, absoluter Idealismus bzw. metaphysischer Idealismus)


"Es ist dieses Erscheinen, welches zunächst die weitere Entwicklung begründet. Die erste Erscheinung macht der Schluß aus, welcher das Logische zum Grunde als Ausgangspunkt und die Natur zur Mitte hat, die den Geist mit demselben zusammenschließt. Das Logische wird zur Natur und die Natur zum Geiste. Die Natur, die zwischen dem Geiste und seinem Wesen steht, trennt sie zwar nicht zu Extremen endlicher[393] Abstraktion, noch sich von ihnen zu einem Selbständigen, das als Anderes nur Andere zusammenschlösse; denn der Schluß ist in der Idee und die Natur wesentlich nur als Durchgangspunkt und negatives Moment bestimmt und an sich die Idee; aber die Vermittlung des Begriffs hat die äußerliche Form des Übergehens und die Wissenschaft die des Ganges der Notwendigkeit, so daß nur in dem einen Extreme die Freiheit des Begriffs als sein Zusammenschließen mit sich selbst gesetzt ist."


§ 576 (2. Schluss: Natur-Geist-Idee – Ergänzung von mir, objektiver Idealismus bzw. materialistischer Idealismus)


"Diese Erscheinung ist im zweiten Schlüsse insoweit aufgehoben, als dieser bereits der Standpunkt des Geistes selbst ist, welcher das Vermittelnde des Prozesses ist, die Natur voraussetzt und sie mit dem Logischen zusammenschließt. Es ist der Schluß der geistigen Reflexion in der Idee; die Wissenschaft erscheint als ein subjektives Erkennen, dessen Zwecks die Freiheit und es selbst der Weg ist, sich dieselbe hervorzubringen."


§ 577 (3. Schluss: Geist-Idee-Natur – Ergänzung von mir, subjektiver Idealismus bzw. psychologischer Idealismus)


"Der dritte Schluß ist die Idee der Philosophie, welche die sich wissende Vernunft, das Absolut-Allgemeine zu ihrer Mitte hat, die sich in Geist und Natur entzweit, jenen zur Voraussetzung als den Prozeß der subjektiven Tätigkeit der Idee und diese zum allgemeinen Extreme macht, als den Prozeß der an sich, objektiv, seienden Idee. Das Sich-Urteilen der Idee in die beiden Erscheinungen (§ 575/6) bestimmt dieselben als ihre (der sich wissenden Vernunft) Manifestationen, und es vereinigt sich in ihr, daß die Natur der Sache, der Begriff, es ist, die sich fortbewegt und entwickelt, und diese Bewegung ebensosehr die Tätigkeit des Erkennens ist, die ewige an und für sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt.“

Es ist hier jedoch nicht der Fall, dieses Thema zu vertiefen, das sehr spezifisch ist und eine fortgeschrittenere Kenntnis des philosophischen Systems erfordert. Wir werden jedoch gegen Ende des Seminars kurz darüber sprechen. Es wäre schön, eine Hausarbeit darüber zu schreiben. Das ist ein sehr aktueller Aspekt der Hegel-Forschung.
Versuchen wir nun, den Hauptinhalt des Systems zu begreifen, egal in welcher Reihenfolge seine drei Hauptteile aufgestellt werden."


3. Das Absolute (bzw. die Idee oder der Logos)


Auf den ersten Blick mag es scheinen, als gäbe es in der Welt nur Materie, d.h. die Natur, und Geist, d.h. die vom Menschen geschaffene Welt, z.B. die Geschichte. Hegel und die Metaphysiker im Allgemeinen sagen uns jedoch, dass es auch eine andere Ebene der Existenz gibt, die weder materiell noch geistig ist, es ist weder die Welt der Natur noch die Welt des Menschen, sondern etwas Höheres, etwas Reines, das eine der Mathematik vergleichbare Existenz hat. 
Das sind die logischen Kategorien, z.B. Sein, Nichts, Quantität, Qualität, Ursache, Wirkung, Möglichkeit, Notwendigkeit, usw. Diese Kategorien sind nicht nur subjektiv und menschlich, sondern haben auch einen objektiven Wert, z. B. gibt es Ursachen in der Natur, Quantität und Qualität in der Natur usw., so dass ihre Existenz sowohl natürlich als auch geistig, also absolut ist. 
Der lateinische Begriff „absolutum“, von dem der deutsche Begriff „Absolutes“ und seine Ableitungen herkommen, bedeutet wörtlich „aufgelöst“, „getrennt“.

Das Absolute ist seinem Wesen nach etwas, das nicht mit den Sinnen empirisch wahrgenommen werden kann und nirgendwo als solches zu finden ist, und doch ist es da, es hat eine Existenz. Auch die Mathematik hat eine ‚absolute‘ Existenz, so dass wir niemals Zahlen und mathematische Größen in der Natur oder im Geist finden werden, obwohl sowohl die Natur als auch der Geist (z.B. die Musik) auf mathematischen Strukturen beruhen. Es ist bekannt, dass Pythagoras glaubte, die Zahlen seien die Erklärung für alles, das erste Prinzip des Seins. Für Hegel sind die Kategorie das erste Prinzip des Seins und die mathematischen Größen sind ein Teil der Kategorien, insbesondere der Kategorie der Quantität.

 

4. Hauptmerkmal des Absoluten: die logische Kreativität

 

Das erste Merkmal, das es zu nennen gibt, ist das der Kreativität.  Die absolute Vernunft ist Schöpferin, sie bringt alles hervor, was ist, sie kreiert das Monos, das Eins-Alles, das in seinem Inneren all jenes hat, was einen Anfang und ein Ende hat, die Welt also. 

Auch dieses Prinzip hat einen maßgeblichen Einfluss auf unser praktisches Leben: Es bedeutet nämlich, dass unser rationales Wesen nicht nur darin besteht, dass wir fähig sind, zu verstehen, sondern vor allem, dass wir fähig sind, zu erschaffen. Unser Wesen ist das eines Schöpfers. Unser Glück und unsere Selbstverwirklichung bestehen in nichts anderem als in der Schöpfung, in einem Leben als schöpferisches Wesen.

Etwas zu schaffen bedeutet zunächst, etwas gedanklich zu konzipieren (eine Reise, ein Kunstwerk, eine Familie, ein Gesetz, ein handwerkliches Objekt usw.) und es dann mittels verschiedener Momente, d.h. Entwicklungsphasen oder stadien,  zu realisieren. Am Ende wird das vollendete Werk die wahre Unendlichkeit des Prozesses vieler endlicher Momente sein (z.B. die Geburt der Kinder und die Momente ihres Lebens, sind die endlichen Momente des Lebens einer Familie; die Prüfungen sind die endlichen Momente eines Universitätsabschlusses; der Bau des Fundaments und der verschiedenen Stockwerke sind die endlichen Momente des Unendlichen in Form eines  Hauses usw.).

Damit wird an dieser Stelle eine Brücke zwischen Logik-Metaphysik und Ethik geschlagen. Bevor wir aber zur Ethik Hegels und zu seiner Theorie der Sittlichkeit und der Demokratie zurückkommen, versuchen wir etwas mehr über das Absolute zu erfahren.

 

5. Unterscheidung zwischen Idee (Logos), Natur und Geist

 

Nach diesen Bemerkungen über den Begriff des Absoluten kehren wir nun zum Thema des Verständnisses der "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" zurück.
Wie bereits erwähnt, existiert alles, was existiert, in einer dieser drei Formen, als logische, natürliche oder geistige Einheit. Sehen wir uns die Unterschiede an und auch, was sie gemeinsam haben. 
Gemeinsam ist ihnen, dass sie „Definitionen des Absoluten“ sind, wie Hegel in der ersten Ausgabe (1817) der Enzyklopädie schreibt. 


(Quelle: Seiten 36-37 und 180-181 von GW13)


Wir sollen jedoch sehr vorsichtig sein, um die Bedeutung des Begriffs „Definition“ bei Hegel zu verstehen. Der Philosoph versteht diesen Begriff nicht in dem subjektiven Sinne, dass es der Mensch, das Subjekt, ist, der einen Begriff auf diese Weise definiert, sondern dass sich die Begriffe in ihrer immanenten Begriffsentwicklung selbst definieren. Das heißt, dass in der "Konstruktion" des Systems ein Begriff einen anderen Begriff hervorbringt und sich auf diese Weise die Begriffe „selbst definieren“, selbst bestimmen. Das System konstruiert sich also selbst! 
Wir wollen nun sehen, was an ihnen anders ist. Lesen wir Hegels Erklärung, die der Einleitung zur Enzyklopädie von 1830 entnommen ist:


Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, § 18


„Wie von einer Philosophie nicht eine vorläufige, allgemeine Vorstellung gegeben werden kann, denn nur das Ganze der Wissenschaft ist die Darstellung der Idee, so kann auch ihre Einteilung nur erst aus dieser begriffen werden; sie ist wie diese, aus der sie zu nehmen ist, etwas Antizipiertes. Die Idee aber erweist sich als das schlechthin mit sich identische Denken und dies zugleich als die Tätigkeit, sich selbst, um für sich zu sein, sich gegenüberzustellen und in diesem Anderen nur bei sich selbst zu sein. So zerfällt die Wissenschaft in die drei Teile:


I. Die Logik, die Wissenschaft der Idee an und für sich,
II. Die Naturphilosophie als die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein, 
III. Die Philosophie des Geistes als der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt.


Oben § 15 ist bemerkt, daß die Unterschiede der besonderen philosophischen Wissenschaften nur Bestimmungen der Idee selbst sind und diese es nur ist, die sich in diesen verschiedenen Elementen darstellt. In der Natur ist es nicht ein Anderes als die Idee, welches erkannt würde, aber sie ist in der Form der Entäußerung, so wie im Geiste ebendieselbe als für sich seiend und an und für sich werdend. Eine solche Bestimmung, in der die Idee erscheint, ist zugleich ein fließendes Moment; daher ist die einzelne Wissenschaft ebensosehr dies, ihren Inhalt als seienden Gegenstand, als auch dies, unmittelbar darin seinen Übergang in seinen höheren Kreis zu erkennen. Die Vorstellung der Einteilung hat daher das Unrichtige, daß sie die besonderen Teile oder Wissenschaften nebeneinander hinstellt, als ob sie nur ruhende und in ihrer Unterscheidung substantielle, wie Arten, wären.“


Die logischen Bestimmungen, die Kategorien, sind das Absolute an und für sich, also in seiner reinen Form. 
Das Materielle, also die Natur, ist immer das Absolute, allerdings in der Form der Äußerlichkeit bzw. des Andersseins, also das Absolute außerhalb seiner selbst. 
Der Geist ist schließlich das Absolute, das aus seine Anderssein zu sich selbst zurückkehrt, also das Absolute in der Form der Innerlichkeit. 
Diese Trias Idee-Natur-Geist ist offensichtlich eine Entfaltung, d.h. man geht vom ersten zum letzten durch verschiedene begriffliche Bestimmungen, die das System konstruieren. Dieses System aber ist nichts anderes als die Welt, das Sein, so ist die "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" die Welt, das in Begriffen ausgedrückte Sein, sein ideales Dasein im Denken, das offenbar das Sein in seiner realen Form widerspiegelt bzw. erkennt und ausdrückt.

 

6. Korrespondenz von Vernünftigem (Logischem, Wissenschaftlichem) und Wirklichem

 

In diesem Bezug ist Hegels Formulierung von der Korrespondenz zwischen dem Vernünftigen und dem Wirklichen berühmt:


„Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“

(G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, GW 14, S. 14, Erstausgabe Berlin 1821)


Sie bedeutet nichts anderes als dies: Das wissenschaftliche Denken, und die Philosophie ist für Hegel die höchste Wissenschaft, die Königin der Wissenschaften oder die Wissenschaft der Wissenschaften, ist das Vernünftige, das als solches das Wirkliche ausdrückt, das seinerseits die Verwirklichung des Vernünftigen, der begrifflichen Struktur der Welt ist. Das Wirkliche und das Vernünftige fallen zusammen, wenn das Vernünftige natürlich die Wissenschaft, das strenge Denken, das Begründete, das Bewiesene ist.


7. Allgemeine Grundprinzipien der absoluten Vernunft

 

Versuchen wir nun, das Absolute, die absolute Vernunft, das Logos, welches sowohl in der Natur als auch im Geiste wirkt, tiefer zu verstehen.  Es ist in der Tat offensichtlich, dass man von diesem Absoluten ausgehen soll, um die objektive Natur und den subjektiven Geist zu erfassen, in denen es sich zuerst als notwendig und dann als frei erweist.

(Aus meinem Buch "Philosophie für alle", Lektion 7: "Die Grundstruktur der absoluten Vernunft", hier

 

7.1 Wie gelangt man zum Absoluten? (Wie kann man das Absolute erschließen? Wie kann man sich zum Absoluten erheben?)

 

Die erste Frage, die sich diesbezüglich aufdrängt, ist folgende: Wie können wir das Absolute erfassen, wie können wir es erkennen? In der Religion geschieht dies durch den Glauben, aber, wie wir gesehen haben, wendet die Philosophie eine gänzlich verschiedene Methode an, obwohl sie im Grunde dasselbe Ziel verfolgt wie die Religion. Diese Methode besteht in der Argumentation: Sie muss ihre Grundlagen beweisen und kein Glaubensakt, kein Dogma kann das tun. 
Der philosophische Zugang zum Absoluten erweist sich, wenn man dem bisherigen Gedanken folgt, als sehr viel einfacher und verständlicher, als es scheint: Da nämlich das Absolute im Grunde die absolute Vernunft ist und diese wiederum das Wesen unseres Geistes darstellt, also unser ununterbrochenes Denken, das Formulieren von Begriffen und Ideen usw., d.h. unsere gesamte logische Aktivität, können wir das Absolute verstehen, indem wir unsere Gedanken analysieren: ergo mithilfe der Wissenschaft der Logik. Die logische Erkenntnis des menschlichen Denkens und die Erkenntnis des Absoluten überschneiden sich. 

Diese Überschneidung führt offenkundig zu den Disziplinen der Logik und der Metaphysik, die bereits in den Anfängen der griechischen Philosophie als identisch erachtet wurden, denken wir an Parmenides und Heraklit (man vergleiche des Letztgenannten z.B. die Fragmente zum Logos, heute wie damals aktuell).
Diese beiden Vorbedingungen vorausgeschickt, dass der Zugang ausschließlich über die Logik erfolgen kann und diese daher sowohl mit der Metaphysik als auch mit der Theologie zusammenfällt, da diese zwei Wissenschaften traditionell die Erkenntnis des Absoluten als Ziel haben, stellen sich zwei weitere Probleme: Erstens, das einer präzisen Definition des Gegenstandes bzw.  die Frage, in was genau die Vernunft besteht; zweitens, welche die richtige Methode ist, um es auf ernsthafte und wissenschaftliche Weise zu untersuchen. 

 

7.1.1 Warum können wir uns überhaupt zum Absoluten erheben bzw. das Absolute erschließen?

 

Hegel hat es nicht geschafft, eine ’unhintergehbare Begründung’ (Letztbegründung) des absoluten Wissens zu geben.

Er hat in der Logik die "Phänomenologie des Geistes" als Weg zum absoluten Wissen präsentiert ("Allgemeiner Begriff der Logik", Internetquelle hier). In der "Enzyklopädie" hat aber eine andere Theorie als Einführung zur Logik und zum System entwickelt ("Vorbegriff zur Enzyklopädie", die drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität, Internetquelle hier).

Man versteht, man er sagen will, er ist aber nicht schlüssig. Grund dafür ist, dass man dabei das Wissen schon voraussetzt (Erklärung).

Ich habe eine eigene Theorie entwickelt, um das absolute Wissen auf eine ’unhintergehbare’ Weise zu begründen. Diese Theorie begründet Hegels System besser als das Hegel selbst gemacht hat. Das soll uns aber nicht wundern. Hegel hat eine Menge Arbeit in allen Sphären des Wissens geleistet, es ist klar, dass er in der relativ kurzen Zeit seines Lebens nicht ’alle’ Fragen lösen konnte. Das ist genau die sinnvolle philosophische Arbeit, die wir heute leisten sollen: Wir sollen den Idealismus auf theoretische Ebene in den Teilen befestigen, die bei Hegel unklar sind,  und auf praktische Ebene den idealistische Staat der absoluten Sittlichkeit politisch weltweit verwirklichen. Das ist meines Erachtens die heutige und künftige Hauptaufgabe der Philosophie. Teilweise haben es auch schon Friedrich Engels und Karl Marx gemacht, sie hatten aber, wie oft schon gesagt, nicht alle Schriften Hegels zur Verfügung und sowieso nicht in der wissenschaftlichen Ausgabe, die wir heute besitzen. Es waren dann auch andere Zeiten, in denen die soziale Frage in Europa ganz stark war und ihnen als Priorität erschien (Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.“). Aus diesen Gründen haben sie eine Theorie entwickelt, die zwar dialektisch ist, aber in vielen Punkten noch weniger schlüssig als Hegels dialektischer Idealismus (z.B. in Bezug auf die Religion). Wir haben heute alle Mittel, um ein besseres dialektisches Verständnis der Welt und der Gesellschaft zu erarbeiten.

Ich möchte hier diese Theorie kurz darstellen. 

(Das Wissen als System von Begriffen, wissenschaftliche Bibliothek und Welt, Theorie des ’Ich verstehe’ und faktische Begründung des objektiven Wissen, Unterschied zwischen Dualismus und Monismus und Erklärung des absoluten Wissens)

Bibliographische Quelle:  Marco de Angelis, Philosophie für alle. Manifest für die philosophische Identität des europäischen Volkes, Möhnesee 2016 

Politische Anwendung: Europa als philosophisches Projekt

Das Manifest von Ventotene  (Grundlage: Kants "Zum ewigen Frieden")

Ursula Hirschmann

Ein neues Manifest für ein neues Europa? Grundlage diesmal aber Hegel, nicht Kant! Monismus und nicht Dualismus!

Gründungsväter (wieso nicht auch Gründungsmütter?) der Europäischen Union (Diese waren nur ’Arbeiter der Wahrheit’, dann haben wir die ’Architekten der Wahrheit’, z.B. Kant, und die ’Ingenieure der Wahrheit’, z.B. die drei intellektuellen von Ventotene. Die Politiker, die dann die Wahrheit umsetzen, befinden sich ganz am Ende der Kette der Wahrheit, sie machen die manuelle Arbeit, nicht die geistige Arbeit, die nur von Philosophen gemacht werden kann. Die Philosophie regiert die Welt, nicht die Politik!).

 

7.2 Was genau ist die absolute Vernunft bzw. der Untersuchungsgegenstand der Logik-Metaphysik?


Wenn wir unsere Sprache untersuchen, bemerken wir, dass es sicher Begriffe gibt, die Erfahrung voraussetzen, um existieren zu können. Der Mensch hätte z.B. nie den Begriff und das Wort “Baum”, wenn er diesen nie gesehen hätte oder alternativ wenn er sich diesen nie vorgestellt hätte.. Das gilt für alle konkreten und abstrakten Nomen, aber auch für Verben und die Handlungen, die diese designieren. Dann gibt es andere Begriffe, die dazu dienen, die Syntax der Sprache zu formulieren (Präpositionen, Konjunktionen usw.). Dazu gibt es noch weitere Worte, welche die Bedeutungen von Nomen und Verben präzisieren (verstärken, abschwächen usw.) wie Adjektive und Adverbien.
Dieser Teil der Sprache ist also auf die konkrete, aber auch abstrakte Erfahrung (z.B. die der Fantasie) und auf die Syntax zurückzuführen, mithilfe derer wir Sätzen einen Sinn geben. Ein anderer Teil der Sprache ist jedoch nicht auf eine interne oder externe Erfahrung zurückzuführen, sondern existiert bereits vor dieser und ist sogar eine notwendige Bedingung, um alle Assoziationen einer begrifflichen Einheit und somit das Wort, das diese Einheit bezeichnet, einzuordnen.
Schauen wir uns den folgenden Beispielsatz an: “Der Tisch ist hoch.” Darin gibt es einige Begriffe, die über die einfache Bedeutung jenes Satzes hinausgehen. Bereits im Wort “Tisch” steckt die Formulierung eines einzigen Begriffs für ein Zusammenspiel mehrerer Einzelteile, die Einheit einer Vielzahl, über die hier bereits gesprochen wurde. Diese sind Tischplatte, Tischbeine, Schrauben, Material, Farben und gegebenenfalls weitere vorhandene Teile, die zu einer Funktion zusammengesetzt sind, die bereits weit über das einfache Wort hinausgeht, z.B. die Funktion Bücher oder Lampen zu tragen usw. Dies beinhaltet die Reduktion der Vielzahl auf eine begriffliche und funktionelle Einheit. Diese Art der Reduktion findet sich noch deutlicher im Begriff “Klassenraum” wieder, in dem die Teile, die das Ganze darstellen, voneinander getrennt und nicht physisch miteinander verbunden sind (während sie im Tisch physisch miteinander verbunden sind).
Im selben Satz “Der Tisch ist hoch” haben wir außerdem eine konjugierte Form des Verbs “sein”, welches offensichtlich komplexer ist als das Substantiv “Tisch” und das Adjektiv “hoch”. Das Verb drückt ein Urteil aus, indem einem Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen wird. Dieser Akt entspringt offensichtlich unserer Logik, da der Tisch per se weder niedrig noch hoch ist. 
Werfen wir nun einen flüchtigen Blick auf die bisher im einfachen Beispielsatz ermittelten Begriffe, die wir analysiert haben, um den Aufbau des Satzes zu erläutern:

 
Begriff (der Tisch ist ein Begriff, ein Gattungsname);
Einheit-Vielzahl, Ganzes-Einzelteile (die Struktur des Begriffs);
Urteil (dass der Tisch für uns hoch ist);
Sein (die Verknüpfung einer Eigenschaft mit einem Gegenstand);
Qualität (Tisch ist anders als Stuhl) und Quantität (die Höhe, das Hoch sein).


Alle diese Elemente, die notwendig sind, um diesen einfachen Satz zu formulieren, sind offenkundig weder reale Gegenstände (Nomen), noch Handlungen (Verben) noch syntaktische Diskursstrukturen (Präpositionen, Konjunktionen), sondern “Kategorien” bzw. Gedankenstrukturen, mithilfe derer wir die Realität, unsere Gedanken und Ideen und alles, über was wir nachdenken, sprachlich bestimmen können. 
Die Kategorien sind das echte und eigentliche Herzstück des Denkens, das Netz, über das das Denken die Vielzahl auf logische Weise vereinen und ausdrücken kann. Sie bilden daher den echten und eigentlichen Inhalt des Denkens, seine Essenz, sein Wesen. Das Denken besteht aus Kategorien, welche dann - angewandt auf die innere und äußere Erfahrung - zur Kenntnis der Welt führen. Sie sind, sozusagen, die reine Form der Welt: Auf der Welt gibt es die Inhalte der Kategorien in einer empirischen Form (im Plural), während die Kategorien in sich besitzen eine reine, ideelle Form (im Singular). Wenn wir in uns diese singulare Form der Kategorien nicht hätten, würden wir nicht denken können. 
Aufgrund unseres bisher ausgeführten Verständnisses der Beziehung zwischen Denken und Absolutem scheint es naheliegend, dass die Kategorien, also die Grundstrukturen des Denkens, ebenfalls die Struktur des Absoluten darstellen. Die absolute Vernunft, das Logos, besteht demnach aus Kategorien. 
Die Logik ist daher die Wissenschaft der Kategorien, vor allem im subjektiven Sinne als Wissenschaft des menschlichen Denkens (so etwa bei Aristoteles und Kant); folgt man Hegel hingegen, der, wie wir gesehen haben, eine tiefere Auffassung der Logik als Kenntnis des Absoluten ausgearbeitet hat, so ist diese Wissenschaft auch Metaphysik und Theologie. 
Wir haben schließlich auf der einen Seite die sogenannte  bzw. subjektive Logik (Aristoteles, Kategorien als Organon, Werkzeug des Denkens) bzw. Kants transzendentale Logik (Kategorien als intersubjektive transzendentale Strukturen der Erkenntnis), auf der anderen Seite die substantielle bzw. metaphysische Logik Hegels (dialektische Logik).
Die formale und transzendentale Logik erkennen nicht die unauflösbare Verknüpfung des menschlichen Denkens, also der subjektiven Vernunft, mit der rationalen Struktur der Welt, also mit der objektiven Vernunft, und somit entsagt sie sich für immer der Möglichkeit, die tieferen Gründe einer Erkenntniserweiterung zu verstehen. 
Auf diese Weise öffnet sie eine unüberwindbare Kluft, auch auf ethischem Niveau, zwischen dem Menschen und der Welt, Vernunft und Materie. So schafft man einen Dualismus zwischen dem Menschen und der Natur, Vernunft und Welt, der eine Reihe ernster Probleme aufwirft, sowohl für die theoretische Philosophie als auch – oder vor allem – auf dem Gebiet der ethischen Philosophie. Im ersten Fall geht es um Phänomene wie den zeitgenössischen Relativismus bzw. den Mangel an Vertrauen in eine absolute und objektive Wahrheit, die unabhängig vom einzelnen Menschen ist; Im zweiten Fall haben wir das Phänomen der Ausbeutung des Menschen und der Natur seitens des Menschen mit den uns gut bekannten Auswirkungen. All dies hat als erste philosophische Ursache den Dualismus.
 
7.3 Über die mäeutische Methode der Logik-Metaphysik


Den Gegenstand der Logik verdeutlicht, kommen wir nun zu ihrer Methodik, d.h. wie wir die Kategorien am besten erkennen können. Hier gibt es zwei Möglichkeiten, die auch in diesem Falle auf radikale Weise die subjektive bzw. intersubjektive und die objektive Logik unterscheiden. Im ersten Fall werden die Kategorien über die Analyse der Sprache ermittelt, anhand einer Überlegung des Philosophen, der die Kategorien ermittelt, auflistet und ihre verschiedenen Bedeutungen erläutert; im zweiten Falle hingegen muss der Denker, der Philosoph, fast verschwinden, und die Kategorien müssen sich von selbst erkennen, nach einer eigenen Methode, bei welcher der Philosoph zwar physisch präsent ist, aber  minimal auf die Selbsterklärung der Kategorien einwirkt. 
Dieses Verfahren erinnert stark an die mäeutisch-sokratische Methode, der zufolge die Wahrheit per se im Subjekt existiert, und zwar unabhängig von diesem, und die Aufgabe des Philosophen nicht darin besteht, die Wahrheit zu erschaffen und sie dem Schüler zu diktieren, was eine willkürliche Aktion darstellen würde, sondern ihm zu helfen, die Wahrheit, die er in sich trägt, selber ans Licht zu bringen. So verhält es sich auch in der substantiellen Logik: Die Kategorien, die ja die Vernunft und somit das Absolute darstellen, sind selbst die Wahrheit, die sich in uns allen findet. Wir alle sind das Absolute in unserem Logos, in unserem Denken. Der Philosoph ist derjenige, der diesen Logos versteht, der sich dessen bewusstwird und deswegen seinesgleichen helfen kann, dieselbe Bewusstwerdung zu vollziehen, also die Selbstbewusstwerdung, die er zuerst vollzogen hat, weswegen er jedoch nicht mehr Logos besitzt als die Anderen. Er ist sich dessen lediglich bewusster. 
Der substanziellen Logik nach darf sich der Philosoph nicht das Recht anmaßen, die Kategorien auszuwählen und aufzulisten, weil er sich so das Recht zuspräche, als ein individuelles Ich das Absolute zu bestimmen; er darf der Logik lediglich seine Stimme verleihen, indem er als Akt voller Genügsamkeit und Bescheidenheit seine eigene subjektive Persönlichkeit vollständig ausblendet. Es ist also nicht der Denker, ob es Hegel oder wer auch immer ist, der den Kategorien seine eigene Logik aufzwingen muss. Die Kategorien benötigen keinen solchen Akt, weil sie die Logik bereits in sich tragen. Sie selbst sind nämlich die Logik, wie könnte also ein Mensch, auch wenn er ein Philosoph oder Wissenschaftler ist, die logische Ordnung der Erklärung der Kategorien festlegen? Der Philosoph muss jene innere Logik der Kategorien bescheiden anerkennen und sie dann zum Ausdruck bringen. Dabei muss er sich an sie halten und seine eigenen Beiträge auf das Nötigste beschränken. So wird er eine mäeutische Funktion hinsichtlich des Logos einnehmen, er wird diesem helfen, sich selbst zu erkennen und sich zum Ausdruck zu bringen. 
Die Grundidee der substanziellen Logik ist also, dass die Kategorien eine eigene Logik besitzen, die der Philosoph daher nur ermitteln soll, damit diese Logik sich selbst entwickelt, ohne äußere Einwirkungen. Der Knackpunkt, das eigentliche Hindernis ist dabei, den Anfang zu finden, die erste Kategorie, auf die, wenn sie erst einmal gefunden ist, die anderen automatisch folgen, weil sie sich aus der inneren Notwendigkeit der Logik ergeben. 
 
7.4 Das Problem des Anfangs der Logik-Metaphysik bzw. die erste Kategorie: das Sein (die absolute Vernunft ‚ist‘; Affirmation)

(Internetquelle für die Punkte 7.4 bis 7.10 hier)


Welche kann die erste Kategorie sein? Denken wir einen Moment gemeinsam darüber nach. Wir wissen nun, dass die Vernunft das Absolute ist und dass sie unsere Essenz darstellt, die wir auf objektive Weise erkennen können, weil die Möglichkeit der Wahrheitskenntnis einerseits eine logische Wahrheit und andererseits eine empirische Tatsache darstellt, so wie wir es zuvor in der Theorie des “Ich verstehe” verdeutlicht haben.
In der Logik sind Subjekt und Objekt eins. Das Subjekt, die individuelle Vernunft, möchte das Objekt, den Logos bzw. die universelle Vernunft, erforschen und erkennen, die jedoch im Grunde sie selbst ist. Das Denken erkennt sich selbst, das ist der erste logische Schritt, der Ausgangspunkt. Was weiß das Denken zunächst über sich selbst, was weiß die Vernunft über sich? Haben wir bereits eine Wahrheit, wissen wir bereits etwas in diesem ersten Moment? Wir wissen tatsächlich, dass sie ist: Die Existenz der Vernunft kann nicht bezweifelt werden (das kartesianische cogito ergo sum). Daher ist ihr “Sein” das Allererste, das erste Hauptmerkmal, die erste Bestimmung, die erste Definition, die wir ihr zusprechen können. Deswegen ist das Sein auch die erste Kategorie. 
Die erste Kategorie des Denkens, das erste Hauptmerkmal der Vernunft, ist folglich das Sein. Und diese Kategorie ist in der Tat, wie wir von Parmenides wissen, auch die Grundkategorie der Metaphysik: Alles ist, bevor wir es als etwas Spezifisches weiterbestimmen. Das ist die allgemeinste, am wenigsten spezifische und detaillierte Bestimmung, die dafür jedoch universeller ist. Man kann sie allem zuschreiben, jedem materiellen oder auch abstrakten Objekt, in dem Moment, in dem wir an es denken. 

 
7.5 Das Nichts als zweite Kategorie (die absolute Vernunft ist ‚Nichts‘; erste Negation)

 

Es ist jedoch klar, dass das Wissen über die Existenz der Absoluten Vernunft nicht bedeutet, diese auch zu kennen. Wir haben ihren Inhalt noch nicht bestimmt. Das, was wir in diesem ersten Schritt der logischen Erkenntnis darüber wissen, ist noch nichts. Und genau dieses ‚Nichts‘ stellt die zweite Kategorie der Vernunft dar, zu der wir wie man nachfolgen kann – durch unsere eigene ‚passive‘ Überlegung über die Kategorie des Seins gelangt sind. 
In der Tat haben wir der Kategorie des Seins nicht durch unsere subjektive Willkür die des Nichts hinzugefügt, sondern jene hat sich als die notwendigerweise auf die des Seins folgende aufgedrängt. Wir haben diese logische Reihenfolge nur erkannt, nicht erschaffen. Darin besteht die mäeutische Kennzeichnung der angewandten Methodik. 
“Sein” und “Nichts” sind daher die ersten zwei Bestimmungen des Logos, der absoluten Vernunft, also die ersten beiden Kategorien der Logik. Es ist nicht an uns, diese zu bestimmen, sie bestimmen sich selbst, die eine entwickelt sich aus der anderen. Das Nichts geht aus dem Sein hervor, aber man kann auch das Gegenteil behaupten bzw. dass der Ausgangspunkt der Logik die Vernunft ist, über die wir noch nichts wissen, außer dass sie ist. Aus dieser Perspektive gesehen, kommt also zuerst das Nichts und dann das Sein als dessen Negation vor. 
Wie man sieht, sind also die Kategorien, die wir in diesem ersten Schritt der Erkenntnis der Vernunft derselben zuschreiben, die einfacheren Kategorien. Sie gehören zum Anfang des Prozesses der Vernunft, die sich selbst kennt. Am Anfang kann sie nicht mehr von sich wissen, als dass sie ist, aber das heißt, dass sie noch nichts Inhaltliches von sich weiß: Sie weiß, dass sie ist, aber nicht was sie ist.

 
7.6 Das Werden als dritte Kategorie (die absolute Vernunft ‚wird‘; zweite Negation oder Negation der Negation) 


Im aktuellen Erkenntnisstadium, zu dem wir nun gelangt sind, haben wir also das Sein und das Nichts; Der Gedanke weiß, dass er ist, aber er weiß noch nicht, was er ist. Dieses ‚noch‘ leitet einen weiteren logischen Schritt ein und mit diesem eine neue Kategorie: das Werden. Wir wissen nämlich jetzt, dass das Logos, die absolute Vernunft, wird. Sie erscheint. Wir sind dabei, sie zu erkennen, sie ist auf dem Weg zu werden, sie entsteht. Die Kategorien sind, sozusagen, dabei, sich zu entwickeln, zu zeigen. 
Daher ist das Werden die nächste Kategorie, die dieses erste Erkenntnisstadium abschließt, weil das Werden die Verbindung, die Einheit zwischen dem Sein und dem Nichts ausdrückt. Wenn etwas wird, bedeutet das, dass es vom Sein zum Nichts oder vom Nichts zum Sein übergeht (die Geburt und der Tod, der Anfang und das Ende usw.). Das Werden bildet daher die Beziehung zwischen den ersten beiden Kategorien, zwischen Sein und Nichts.

 

7.7. Das Dasein und die weitere Entwicklung des Seins

 

Hegel-Zitat:

"Das Dasein
Dasein ist bestimmtes Sein; seine Bestimmtheit ist seiende Bestimmtheit, Qualität. Durch seine Qualität ist Etwas gegen ein Anderes, ist veränderlich und endlich, nicht nur gegen ein Anderes, sondern an ihm schlechthin negativ bestimmt. Diese seine Negation dem endlichen Etwas zunächst gegenüber ist das Unendliche, der abstrakte Gegensatz, in welchem diese Bestimmungen erscheinen, löst sich in die gegensatzlose Unendlichkeit, in das Fürsichsein auf."


7.8 Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft:  der Begriff von ‚Moment‘


Das Sein und das Nichts als solche sind Momente (dies ist ein sehr wichtiges Prinzip der substantiellen Logik) des Werdens, welches jetzt die aktuelle   Kategorie und Bestimmung der absoluten Vernunft ist. Sein und Nichts sind einseitige, partielle Momente. Alles, was wahrhaftig existiert auf dieser Stufe der logischen Entwicklung, ist das Werden der Vernunft, die sich selbst kennt. Das ist die Wahrheit, die wir jetzt haben, die Vernunft ist dabei, sich selbst zu erkennen, sie wird, sie besteht in dieser Selbstwerdung.
Betrachten wir das Ganze von einem metaphysischen Standpunkt aus, nachdem wir bemerkt haben, dass es sich dabei um eine substantielle und objektive, also um keine bloß formale und subjektive Logik handelt, so können wir die bisher erreichte Wahrheit mit dem folgenden Satz ausdrücken: Das Absolute wird, ist im Werden. Dieser Gedanke führt uns vor allem zum anderen großen griechischen Denker zurück, der zusammen mit Parmenides die Metaphysik begründet hat: Heraklit, dessen Philosophie das Werden als Hauptprinzip hat.
Dazu kommt, dass es sich außerdem um einen Gedanken handelt, der auf außerordentliche Weise mit der kontemporären wissenschaftlichen Weltauffassung konform geht. Dieser zufolge ist in der Tat alles Evolution, Werden, Zeit. Im Folgenden werden wir sehen, dass die logisch-substanzielle Auffassung, obwohl sie deutlich flexibler und komplexer ist, unbestreitbar die Vision der Realität als Prozess des Werdens in sich trägt, die in völligem Einklang mit dem heutigen wissenschaftlichen Weltverständnis ist.
Ist dieser erste logische Gedankengang vollzogen, der uns dahin geführt hat, im Werden die erste synthetische Kategorie zu erkennen, da sie in sich die entgegengesetzten Momente des Seins und des Nichts enthält, können wir noch einmal über die Methode nachdenken und so die weiteren allgemeinen Prinzipien der absoluten Vernunft ermitteln.

 

Hegel-Zitate:

"Das Werden, Entstehen und Vergehen, ist die Ungetrenntheit des Seins und Nichts; nicht die Einheit, welche vom Sein und Nichts abstrahiert, sondern als Einheit des Seins und Nichts ist es diese bestimmte Einheit oder [die,] in welcher sowohl Sein als Nichts ist. Aber indem Sein und Nichts jedes ungetrennt von seinem Anderen ist, ist es nicht. Sie sind also in dieser Einheit, aber als Verschwindende, nur als Aufgehobene. Sie sinken von ihrer zunächst vorgestellten Selbständigkeit zu Momenten herab, noch unterschiedenen, aber zugleich aufgehobenen."

"Etwas ist nur insofern aufgehoben, als es in die Einheit mit seinem Entgegengesetzten getreten ist; in dieser näheren Bestimmung als ein Reflektiertes kann es passend Moment genannt werden."

 

7.9 Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: die Aufhebung


Ein weiteres Grundprinzip stellt das Prinzip der Aufhebung dar. Das Werden übersteigt sowohl das Nichts als auch das Sein, aber es bewahrt sie in sich als sein Begriff, weil es letztlich nur den Übergang vom Sein zum Nichts und vom Nichts zum Sein ist. Deshalb gilt das, was in der Entwicklung überwunden wird, geht nicht komplett verloren, sondern bleibt auf eine ideale Weise, zwar nicht mehr real, aber es bleibt. Die Entwicklung ist also Wachstum, Fortschritt, der selbstverständlich keinerlei Bewertung impliziert, keine Beurteilung und Bewertung.

 

Hegel-Zitat:

"c. Aufheben des Werdens
Das Gleichgewicht, worein sich Entstehen und Vergehen setzen, ist zunächst das Werden selbst. Aber dieses geht ebenso in ruhige Einheit zusammen. Sein und Nichts sind in ihm nur als Verschwindende; aber das Werden als solches ist nur durch die Unterschiedenheit derselben. Ihr Verschwinden ist daher das Verschwinden des Werdens oder Verschwinden des Verschwindens selbst. Das Werden ist eine haltungslose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt.
Dies könnte auch so ausgedrückt werden: Das Werden ist das Verschwinden von Sein in Nichts und von Nichts in Sein und das Verschwinden von Sein und Nichts überhaupt; aber es beruht zugleich auf dem Unterschiede derselben. Es widerspricht sich also in sich selbst, weil es solches in sich vereint, das sich entgegengesetzt ist; eine solche Vereinigung aber zerstört sich.
Dies Resultat ist das Verschwundensein, aber nicht als Nichts, so wäre es nur ein Rückfall in die eine der schon aufgehobenen Bestimmungen, nicht Resultat des Nichts und des Seins. Es ist die zur ruhigen Einfachheit gewordene Einheit des Seins und Nichts. Die ruhige Einfachheit aber ist Sein, jedoch ebenso nicht mehr für sich, sondern als Bestimmung des Ganzen.
Das Werden so [als] Übergehen in die Einheit des Seins und Nichts, welche als seiend ist oder die Gestalt der einseitigen unmittelbaren Einheit dieser Momente hat, ist das Dasein.
 
Anmerkung
Aufheben und das Aufgehobene (das Ideelle) ist einer der wichtigsten Begriffe der Philosophie, eine Grundbestimmung, die schlechthin allenthalben wiederkehrt, deren Sinn bestimmt aufzufassen und besonders vom Nichts zu unterscheiden ist. – Was sich aufhebt, wird dadurch nicht zu Nichts. Nichts ist das Unmittelbare; ein Aufgehobenes dagegen ist ein Vermitteltes, es ist das Nichtseiende, aber als Resultat, das von einem Sein ausgegangen ist; es hat daher die Bestimmtheit, aus der es herkommt, noch an sich.
Aufheben hat in der Sprache den gedoppelten Sinn, daß es soviel als aufbewahren, erhalten bedeutet und zugleich soviel als aufhören lassen, ein Ende machen. Das Aufbewahren selbst schließt schon das Negative in sich, daß etwas seiner Unmittelbarkeit und damit einem den äußerlichen Einwirkungen offenen Dasein entnommen wird, um es zu erhalten. – So ist das Aufgehobene ein zugleich Aufbewahrtes, das nur seine Unmittelbarkeit verloren hat, aber darum nicht vernichtet ist. – Die angegebenen zwei Bestimmungen des Aufhebens können lexikalisch als zwei Bedeutungen dieses Wortes aufgeführt werden. Auffallend müßte es aber dabei sein, daß eine Sprache dazu gekommen ist, ein und dasselbe Wort für zwei entgegengesetzte Bestimmungen zu gebrauchen. Für das spekulative Denken ist es erfreulich, in der Sprache Wörter zu finden, welche eine spekulative Bedeutung an ihnen selbst haben; die deutsche Sprache hat mehrere dergleichen. Der Doppelsinn des lateinischen tollere (der durch den Ciceronianischen Witz »tollendum esse Octavium« berühmt geworden) geht nicht so weit, die affirmative Bestimmung geht nur bis zum Emporheben. Etwas ist nur insofern aufgehoben, als es in die Einheit mit seinem Entgegengesetzten getreten ist; in dieser näheren Bestimmung als ein Reflektiertes kann es passend Moment genannt werden. Gewicht und Entfernung von einem Punkt heißen beim Hebel dessen mechanische Momente, um der Dieselbigkeit ihrer Wirkung willen bei aller sonstigen Verschiedenheit eines Reellen, wie das ein Gewicht ist, und eines Ideellen, der bloßen räumlichen Bestimmung, der Linie; s. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 3. Ausgabe, § 261 Anm. – Noch öfter wird die Bemerkung sich aufdrängen, daß die philosophische Kunstsprache für reflektierte Bestimmungen lateinische Ausdrücke gebraucht, entweder weil die Muttersprache keine Ausdrücke dafür hat oder, wenn sie deren hat wie hier, weil ihr Ausdruck mehr an das Unmittelbare, die fremde Sprache aber mehr an das Reflektierte erinnert.
Der nähere Sinn und Ausdruck, den Sein und Nichts, indem sie nunmehr Momente sind, erhalten, hat sich bei der Betrachtung des Daseins als der Einheit, in der sie aufbewahrt sind, zu ergeben. Sein ist Sein und Nichts ist Nichts nur in ihrer Unterschiedenheit voneinander; in ihrer Wahrheit aber, in ihrer Einheit sind sie als diese Bestimmungen verschwunden und sind nun etwas anderes. Sein und Nichts sind dasselbe; darum weil sie dasselbe sind, sind sie nicht mehr Sein und Nichts und haben eine verschiedene Bestimmung; im Werden waren sie Entstehen und Vergehen; im Dasein als einer anders bestimmten Einheit sind sie wieder anders bestimmte Momente. Diese Einheit bleibt nun ihre Grundlage, aus der sie nicht mehr zur abstrakten Bedeutung von Sein und Nichts heraustreten."


7.10 Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: Affirmation, erste Negation und zweite Negation bzw. Negation der Negation


Innerhalb des Entwicklungsprozesses, der von der Aufhebung gekennzeichnet ist, muss man auf drei Grundmomente hinweisen: die Affirmation, die erste Negation und die Negation der Negation, die auch zweite Negation bezeichnet werden kann. 
Die Affirmation ist der (dynamisch) oder das (statisch ?) erste Moment, der Beginn (im Falle des Beginns der Logik z.B. das Sein). Sie ist die Position, das, was unmittelbar ist, der Ausgangsbegriff. Sie ist der thetische Moment der Entwicklung.
Die erste Negation hingegen besteht im Gegenteil jener Affirmation bzw. dessen Negation (im Falle der ersten drei Kategorien ist das Nichts). Dieser (dynamisch, oder dieses, statisch) Moment ist absolut essentiell, er-es ist der eigentliche Motor der Entwicklung. Wenn es ihn nicht gäbe, gäbe es keine Entwicklung. Die Negativität ist eine Grundeigenschaft des Seins, auch von uns selbst. Wir negieren unaufhörlich das, was ist, so gehen wir weiter, so schreiten wir in unserem Leben fort. Manchmal sind wir müde und wir wünschen uns, zu entspannen, anzuhalten, positiv zu sein, angekommen und unbeweglich, affirmativ. Aber nach einer Weile langweilt uns dies, und die Hektik, wenn wir sie so nennen möchten, der Negativität beginnt von vorne. Wir verlassen die Position des Stillstands und beginnen eine neue Aktivität, neue Projekte. Man könnte sagen, dass je geistiger eine Person ist, desto negativer ist sie hinsichtlich der Stabilität, also dessen, was ihr gegenübersteht. Sie will darüber hinausgehen, es ändern. Die Negation ist der-das wahre dialektische Moment.Deshalb stellt er den-das Moment der Suche nach seiner Überwindung dar. Es ist der-das antithetische Moment.
Der-das dritte Moment ist schließlich der der zweiten Negation oder der Negation der Negation, bzw. das Erreichen einer neuen Position, einer neuen Affirmation, die der Ausgangsposition übergeordnet ist, weil sie in sich alles das trägt, was ihr der-das negative Moment eingebracht hat. Diese Position ist also synthetisch. Sie birgt in sich den gesamten Prozess der Negation, aber hat jetzt eine neue Stabilität erreicht.

 

Hegel-Zitat: 

"Das Einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen – und um dessen ganz einfache Einsicht sich wesentlich zu bemühen ist –, ist die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr positiv ist oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besonderen Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist; daß also im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert, – was eigentlich eine Tautologie ist, denn sonst wäre es ein Unmittelbares, nicht ein Resultat. Indem das Resultierende, die Negation, bestimmte Negation ist, hat sie einen Inhalt. Sie ist ein neuer Begriff, aber der höhere, reichere Begriff als der vorhergehende; denn sie ist um dessen Negation oder Entgegengesetztes reicher geworden, enthält ihn also, aber auch mehr als ihn, und ist die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten. – In diesem Wege hat sich das System der Begriffe überhaupt zu bilden – und in unaufhaltsamem, reinem, von außen nichts hereinnehmendem Gange sich zu vollenden.

Wie würde ich meinen können, daß nicht die Methode, die ich in diesem Systeme der Logik befolge – oder vielmehr die dies System an ihm selbst befolgt –, noch vieler Vervollkommnung, vieler Durchbildung im einzelnen fähig sei; aber ich weiß zugleich, daß sie die einzige wahrhafte ist. Dies erhellt für sich schon daraus, daß sie von ihrem Gegenstande und Inhalte nichts Unterschiedenes ist; – denn es ist der Inhalt in sich, die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt. Es ist klar, daß keine Darstellungen für wissenschaftlich gelten können, welche nicht den Gang dieser Methode gehen und ihrem einfachen Rhythmus gemäß sind, denn es ist der Gang der Sache selbst.

In Gemäßheit dieser Methode erinnere ich, daß die Einteilungen und Überschriften der Bücher, Abschnitte und Kapitel, die in dem Werke angegeben sind, sowie etwa die damit verbundenen Erklärungen, zum Behuf einer vorläufigen Übersicht gemacht und daß sie eigentlich nur von historischem Werte sind. Sie gehören nicht zum Inhalte und Körper der Wissenschaft, sondern sind Zusammenstellungen der äußeren Reflexion, welche das Ganze der Ausführung schon durchlaufen hat, daher die Folge seiner Momente vorausweiß und angibt, ehe sie noch durch die Sache selbst sich herbeiführen."

 

7.11 Das Resultat (das wahrhaft Unendliche) als inneres Endziel der Entwicklung

 

Diesen Grundprinzipien muss man ein weiteres hinzufügen, das des Resultats als des immanenten Endziels der Entwicklung. Das Resultat ist nämlich nicht zufällig bzw. aus der Beziehung zwischen Affirmation und Negation geht nicht zufällig irgendeine Negation der Negation als Resultat hervor, sondern es (das Resultat) bzw. sie (die Negation der Negation) ist bereits von Beginn an als Potenz vorhanden. Unser Verständnis des Seins als Affirmation sowie des Nichts als dessen Negation enthält in sich schon das Werden, welches dann am Ende als Resultat expliziert wird. Das bedeutet, dass der Bestimmung der absoluten Vernunft als Sein und Nichts lag schon die Kategorie des Werdens zugrunde, da die absolute Vernunft als solche bei Ihnen im Werden war.
Die Negation der Negation ist daher das Explizieren dessen, was im Übergangsprozess von der Affirmation zur ersten Negation bereits implizit enthalten ist. Daher arbeitet das Resultat als Grund bereits in seinen endlichen Momenten und gibt ihnen einen Sinn, ein Endziel.
Kehren wir zurück zu unseren vorherigen Beispielen, so führen die Prüfungen nicht zufällig zum Abschluss, sondern der Abschluss wird Stück für Stück mit jeder Prüfung vorangebracht. Er ist bereits präsent in jedem einzelnen Moment des Weges, der zum Endresultat führt.
Im Fall des Liebespaares geschieht dasselbe: Der Mann und die Frau, die mit der Zeit verstehen, dass sie sich lieben und zusammenleben wollen, leben dies nicht nur an einem entscheidenden Tag, wie etwa dem ihrer Hochzeit, sondern in jedem einzelnen Moment ihres gemeinsamen Weges, der zu diesem Resultat führt. Die wahre Unendlichkeit erscheint als solche erst am Ende des Prozesses, aber sie ist im gesamten Prozess präsent, wenn auch still und versteckt.

 

7.12 Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: die vollkommene Immanenz der Entwicklung 


Zunächst muss man klarstellen, dass es sich dabei nicht direkt um eine extern angewendete Methode handelt, die von der Sache selbst trennbar wäre, sondern dass es die Bewegung, die Entwicklung, welche den Kategorien inhärent ist, selbst ist, die diese Methode bildet. Wir stellen zwar unsere Überlegungen zur Methode von außen an, wir gewinnen die allgemeinen Prinzipien aus ihr, aber es muss unmissverständlich klar sein, dass wir den Kategorien keine Methode subjektiv aufzwingen, sondern dass diese sich nach einem inneren Ablauf die eine von der anderen herausbilden, der nicht von außen beeinflusst wird.
Demnach haben wir bereits das Prinzip der vollkommenen Immanenz der Entwicklung, also der Selbstentwicklung der Sache selbst. Dies wiederum ist ebenfalls ein Grundaspekt der Welt: Die Welt entwickelt sich auf immanente Weise weiter, ohne von außen beeinflusst zu werden, auch die ihre ist eine Selbstentwicklung.

 

Hegel-Zitat:

"Auch die Überschriften und Einteilungen, die in diesem Systeme vorkommen, sollen für sich keine andere Bedeutung haben als die einer Inhaltsanzeige. Außerdem aber muß die Notwendigkeit des Zusammenhangs und die immanente Entstehung der Unterschiede sich in der Abhandlung der Sache selbst vorfinden, denn sie fällt in die eigene Fortbestimmung des Begriffes."


7.13 Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: der Kreis als geometrische Figur, die den dialektischen Prozess abbildet

 

Ein weiteres Grundprinzip der substantiellen Logik ist das des Kreises. Dieses resultiert direkt aus dem, was wir gerade gesagt haben. Die passende geometrische Figur, die jene Logik visuell abbildet, ist nämlich keine Gerade oder Halbgerade, sondern der Kreis. 
Der Prozess zielt auf ein Resultat ab, das als solches in Idealform bereits vorher existierte. In diesem Sinne ist die Verwirklichung des Resultats, das wahrhaft Unendliche also, die Verwirklichung des Ideals, eines Projektes, das von Beginn an in Idealform implizite existiert. Im Falle der ersten Triade Sein, Nichts, Werden ist das Resultat das Werden, aber unsere anfängliche Idee war es bereits, die Kenntnis der absoluten Vernunft zu erlangen, daher wirkt sein Werden bereits von Anfang an als Grund der Entwicklung. Der Prozess ist also nicht zufällig, sondern strebt danach, etwas Ideales zu verwirklichen, das der Entwicklung vorausgesetzt ist. Diese Entwicklung führt dann zurück zu jenem Ausgangspunkt des Kreises, mit dem Unterschied, dass am Anfang lediglich das nicht realisierte Ideal war, der Begriff des Baumes im Samen, der Familie im Liebespaar, während das Endresultat im verwirklichten Ideal besteht, d.h. im entstandenen Baum, in der entstandenen Familie usw.

 

Hegel-Zitat:

Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, Einleitung, § 15

"Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein sich in sich selbst schließender Kreis, aber die philosophische Idee ist darin in einer besonderen Bestimmtheit oder Elemente. Der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar, deren jeder ein notwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigentümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem einzelnen erscheint."

 

7.14 Die Logik des Begriffs und des Lebens: Begriff der fortschreitenden Bestimmung des Inhalts als Entfaltung, Manifestation und Rückkehr zum Anfang


Ein Inhalt erscheint zunächst in einer unbestimmten, allgemeinen Form, in der nur sein Grundprinzip, das noch nicht entwickelt ist, dargelegt ist. Das Sein besteht in der Entfaltung dieses unbestimmten, verallgemeinerten Inhalts und in seiner fortschreitenden Bestimmung, die zugleich seine Verwirklichung oder Manifestation ist. Deswegen ist ‚Sein‘ eigentlich ‚Werden‘ (s. die ersten drei Kategorien der "Wissenschaft der Logik")
Nehmen wir das Beispiel einer Blume: Im Samen ist bereits der Begriff bzw. das Allgemeine der Blume enthalten, die blühen wird, z.B. eine Rose. Am Anfang ist im Samen bereits die Rose enthalten, aber in unbestimmter, verallgemeinerter oder universeller Weise. Wir wissen noch nicht, wie sie sein wird, denn die konkrete, besondere Rose ist noch nicht da, es gibt nur den abstrakten Begriff der Rose, eben das Universelle der Rose. Die spätere Entwicklung des Samenkorns wird, wenn die verschiedenen Bedingungen günstig sind, zur Manifestation dieses Inhalts, zu seiner Verwirklichung führen, d.h. zur konkreten, besonderen Rose, die sich natürlich von allen anderen Rosen unterscheiden wird. 
Das Sein ist, kurz gesagt, die Entfaltung eines Inhalts, der zunächst nur abstrakt und universell existiert und dann allmählich partikular und konkret wird. Dies ist die Hauptstruktur des Werdens und sie ist allem eigen, auch uns selbst. Auch wir sind die Entfaltung eines universellen Inhalts, der unser ursprüngliches Selbst war, der sich im Laufe unseres Lebens realisiert und partikularisiert, also konkret wird. Wenn wir in der Lage sind, zu dem zurückzugehen, was wir als Kinder waren, denn leider können wir uns nicht daran erinnern, was wir vor einem bestimmten Alter waren, werden wir in dem Kind, das wir waren, das Universelle des Besonderen finden, das wir geworden sind oder, besser noch, werden, denn der Prozess der Verwirklichung des Universellen dauert an, solange es Leben gibt. 
Wir werden, was wir schon immer waren, da wir die Entwicklung eines Allgemeinen sind, das am Anfang unentwickelt (unentfaltet) war.
Unter der Perspektive der Dialektik ist die Welt ihrem Wesen nach beseelt, alles entfaltet sich, alles wird, wie zu griechischer Zeit schon Heraklit, der Vater der Dialektik, verstanden hatte. Berühmt ist sein Satz, dass „alles fließt“ (panta rhei) und wir niemals im gleichen Fluss baden können, da das Wasser ständig anders ist.

Aus der Sicht der Dialektik ist die Welt im Wesentlichen beseelt, alles entfaltet sich, alles wird, wie Heraklit, der Vater der Dialektik, schon in griechischer Zeit verstanden hatte. Sein Satz, dass „alles fließt“ (panta rei) und wir nie in demselben Fluss baden können, weil das Wasser immer anders ist, ist sehr bekannt. 
Alles entwickelt sich, alles ‚wird‘ in dem tiefsten Sinne des Wortes, da es ein Universelles ist, das sich im Laufe der Zeit individualisiert (partikularisiert). So drückt sich Hegel darüber aus:


Wissenschaft der Logik, Erstes Buch, 1831


„Die Einsicht, daß das Absolut-Wahre ein Resultat sein müsse, und umgekehrt, daß ein Resultat ein erstes Wahres voraussetzt, das aber, weil es Erstes ist, objektiv betrachtet nicht notwendig und nach der subjektiven Seite nicht erkannt ist, – hat in neueren Zeiten den Gedanken hervorgebracht, daß die Philosophie nur mit einem hypothetischen und problematischen Wahren anfangen und das Philosophieren daher zuerst nur ein Suchen sein könne, eine Ansicht, welche Reinhold in den späteren Zeiten seines Philosophierens vielfach urgiert hat und der man die Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, daß ihr ein wahrhaftes Interesse zugrunde liegt, welches die spekulative Natur des philosophischen Anfangs betrifft. Die Auseinandersetzung dieser Ansicht ist zugleich eine Veranlassung, ein vorläufiges Verständnis über den Sinn des logischen Fortschreitens überhaupt einzuleiten; denn jene Ansicht schließt die Rücksicht auf das Fortgehen sogleich in sich. Und zwar stellt sie es so vor, daß das Vorwärtsschreiten in der Philosophie vielmehr ein Rückwärtsgehen und Begründen sei, durch welches erst sich ergebe, daß das, womit angefangen wurde, nicht bloß ein willkürlich Angenommenes, sondern in der Tat teils das Wahre, teils das erste Wahre sei.
Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist – die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird –, daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem das, womit der Anfang ge macht wurde, abhängt und in der Tat hervorgebracht wird. – So wird das Bewußtsein auf seinem Wege von der Unmittelbarkeit aus, mit der es anfängt, zum absoluten Wissen als seiner innersten Wahrheit zurückgeführt. Dies Letzte, der Grund, ist denn auch dasjenige, aus welchem das Erste hervorgeht, das zuerst als Unmittelbares auftrat. – So wird noch mehr der absolute Geist, der als die konkrete und letzte höchste Wahrheit alles Seins sich ergibt, erkannt, als am Ende der Entwicklung sich mit Freiheit entäußernd und sich zur Gestalt eines unmittelbaren Seins entlassend, – zur Schöpfung einer Welt sich entschließend, welche alles das enthält, was in die Entwicklung, die jenem Resultate vorangegangen, fiel und das durch diese umgekehrte Stellung mit seinem Anfang in ein von dem Resultate als dem Prinzip Abhängiges verwandelt wird. Das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sei, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird.
Daher ergibt sich auf der andern Seite als ebenso notwendig, dasjenige, in welches die Bewegung als in seinen Grund zurückgeht, als Resultat zu betrachten. Nach dieser Rücksicht ist das Erste ebensosehr der Grund und das Letzte ein Abgeleitetes; indem von dem Ersten ausgegangen und durch richtige Folgerungen auf das Letzte als auf den Grund gekommen wird, ist dieser Resultat. Der Fortgang ferner von dem, was den Anfang macht, ist nur als eine weitere Bestimmung desselben zu betrachten, so daß das Anfangende allem Folgenden zugrunde liegen bleibt und nicht daraus verschwindet. Das Fortgehen besteht nicht darin, daß nur ein Anderes abgeleitet oder daß in ein wahrhaft Anderes übergegangen würde; – und insofern dies Übergehen vorkommt, so hebt es sich ebensosehr wieder auf. So ist der Anfang der Philosophie die in allen folgenden Entwicklungen gegenwärtige und sich erhaltende Grundlage, das seinen weiteren Bestimmungen durchaus immanent Bleibende.
Durch diesen Fortgang denn verliert der Anfang das, was er in dieser Bestimmtheit, ein Unmittelbares und Abstraktes überhaupt zu sein, Einseitiges hat; er wird ein Vermitteltes, und die Linie der wissenschaftlichen Fortbewegung macht sich damit zu einem Kreise. – Zugleich ergibt sich, daß das, was den Anfang macht, indem es darin das noch Unentwickelte, Inhaltslose ist, im Anfange noch nicht wahrhaft erkannt wird und daß erst die Wissenschaft, und zwar in ihrer ganzen Entwicklung, seine vollendete, inhaltsvolle und erst wahrhaft begründete Erkenntnis ist.
Darum aber, weil das Resultat erst als der absolute Grund hervortritt, ist das Fortschreiten dieses Erkennens nicht etwas Provisorisches noch ein problematisches und hypothetisches, sondern es muß durch die Natur der Sache und des Inhaltes selbst bestimmt sein. Weder ist jener Anfang etwas Willkürliches und nur einstweilen Angenommenes noch ein als willkürlich Erscheinendes und bittweise Vorausgesetztes, von dem sich aber doch in der Folge zeige, daß man recht daran getan habe, es zum Anfange zu machen; nicht wie bei den Konstruktionen, die man zum Behuf des Beweises eines geometrischen Satzes zu machen angewiesen wird, es der Fall ist, daß von ihnen es sich erst hinterher an den Beweisen ergibt, daß man wohlgetan habe, gerade diese Linien zu ziehen und dann in den Beweisen selbst mit der Vergleichung dieser Linien oder Winkel anzufangen; für sich an diesem Linienziehen oder Vergleichen begreift es sich nicht.
So ist vorhin der Grund, warum in der reinen Wissenschaft vom reinen Sein angefangen wird, unmittelbar an ihr selbst angegeben worden. Dies reine Sein ist die Einheit, in die das reine Wissen zurückgeht, oder wenn dieses selbst noch als Form von seiner Einheit unterschieden gehalten werden soll, so ist es auch der Inhalt desselben. Dies ist die Seite, nach welcher dies reine Sein, dies Absolut-Unmittelbare, ebenso absolut Vermitteltes ist. Aber es muß ebenso wesentlich nur in der Einseitigkeit, das Rein-Unmittelbare zu sein, genommen werden, eben weil es hier als der Anfang ist. Insofern es nicht diese reine Unbestimmtheit, insofern es bestimmt wäre, würde es als Vermitteltes, schon Weitergeführtes genommen; ein Bestimmtes enthält ein Anderes zu einem Ersten. Es liegt also in der Natur des Anfangs selbst, daß er das Sein sei und sonst nichts. Es bedarf daher keiner sonstigen Vorbereitungen, um in die Philosophie hineinzukommen, noch anderweitiger Reflexionen und Anknüpfungspunkte.“

 

7.15 Allgemeine Prinzipien der absoluten Vernunft: Die Unterscheidung zwischen falscher und wahrer Unendlichkeit

Die neue Affirmation wird wiederum eine eigene Negation erfahren und so wird der Prozess fortgeführt werden, aber nicht unendlich. In der Sequenz der Kategorien werden nämlich auch die Kategorien des Endlichen und Unendlichen erläutert. Das Endliche wird dabei vom affirmativen und negativen Teilmoment der Entwicklung repräsentiert (im Falle der ersten Triade sind es das Sein und das Nichts). Das Unendliche ist hingegen der dritte Moment, der synthetische (in unserem Falle das Werden). Daher muss man das Unendliche so verstehen, dass es das Vollendete ist. Es ist das Resultat der Entwicklung, das die Momente enthält, aus denen es resultiert, sowohl als überwundene als auch als bewahrte Momente.
Von diesem Begriff des Unendlichen, welches die wahre Unendlichkeit darstellt, muss man die falsche Unendlichkeit unterscheiden. Die falsche Unendlichkeit ist das, was wir allgemeinsprachlich als Unendlichkeit verstehen, d.h. die unendliche Weiterentwicklung, die keine Ende hat. Jene ist aber nur reine Wiederholung, ohne jemals zu einem vollendeten Resultat zu gelangen, das der Entwicklung einen Sinn gibt.
Diese Unterscheidung ist in der substantiellen Logik grundlegend, weil sie weitreichende Folgen für den Menschen hat, beispielsweise in der Ethik. Geht man von der falschen Unendlichkeit aus, so kann man sagen, dass unser Leben ein positiver und negativer Prozess ist, mit dem wir am Ende nichts erreichen: Viel Mühe kostet uns das Leben, am Ende für nichts. Wir bauen auf, kämpfen, freuen uns und leiden, aber alles ist nur eine Reihenfolge von Momenten, die kein bleibendes Ergebnis mit sich bringen. Vom Standpunkt der wahren Unendlichkeit aus ist das nicht aber so. Diesem zufolge ist es nämlich nicht die Häufigkeit der Wiederholung, die zählt, sondern die Qualität ihres Resultates. Wir studieren, lernen und bestehen Prüfungen in einem kontinuierlichen Prozess, der scheinbar zu nichts führt und repetitiv ist. Aber in diesem Prozess verändern wir uns selbst, lernen einen Beruf, formen unseren Geist und werden zum Resultat dieses Lernprozesses. Daher scheint es, dass wir eine unnütze Sequenz von positiven und negativen Momenten durchlaufen haben, eine Dialektik, aber das, was zählt, ist das Endergebnis, nicht die Note der Abschlussarbeit, sondern unsere Vorbereitung, wir selbst als Resultat des dialektischen Lernprozesses. Wir selbst sind die wahre Unendlichkeit als Folge von endlichen Momenten (Unterrichtsstunden, Prüfungen, Seminaren) usw. Der mit Schweiß verdiente Universitätsabschluss und die Opfer, die wir für die Prüfungen gebracht haben, besiegeln den dialektischen Prozess und geben den endlichen Momenten seiner Entwicklung einen Sinn. Sie sind das Zeugnis dessen, dass wir etwas gelernt haben, dass wir jemand anderes sind die Person, die sich an der Universität eingeschrieben hat. Wir haben uns qualifiziert, Fähigkeiten erarbeitet, die uns dazu befähigen, einen Beruf innerhalb der Gemeinschaft, in der wir leben, auszuführen. Ein gekaufter Abschluss, ohne Lernprozess, hat keinerlei Wert, und das nicht für die Gesellschaft, für die sie ihn sogar haben könnte, sondern für uns und die Logik, weil der gesamte dialektische Lernprozess und der gesamte Veränderungsprozess des Ichs.
Auch eine Liebesbeziehung ist so: Die gesamte Reihe von Treffen, Gesprächen, Küssen, Zärtlichkeiten und vielleicht auch Streitereien usw. ist so ein Prozess, der als solcher zu einem Ergebnis, zu einer Unendlichkeit in Form des Liebespaares bzw. der Familie führen soll, um Sinn zu haben und wertvoll zu werden. Die Familie enthält in sich den Prozess, d.h. die beiden Einzelpersonen, das Positive und das Negative, aber als eine Einheit, das Paar, in dem jeder sich im Anderen wiedererkennt. In jenem Resultat existiert das Ich nur als Moment des Paares, es ist aufgehoben, ist somit überschritten aber auch auf einem übergeordneten Niveau bewahrt.  Jeder ist dank des Anderen nicht mehr alleine und erhält seinen Sinn in der Gesamtheit des Paares, und jetzt kann es Ehemann, Ehefrau, Mutter, Vater werden. Das solide Liebespaar ist wahrhaft unendlich, als Resultat des dialektischen Liebesprozesses. Das Paar generiert wiederum einen weiteren Prozess, nämlich den der natürlichen Zeugung sowie der geistigen Erziehung ihrer Kinder, in dem das wahrhaft Unendliche im Ergebnis bzw. im gut erzogenen Kind besteht, welches seinerseits die Fähigkeit besitzt, in einer weiteren Liebesbeziehung weitere gut erzogene Menschen  hervorzubringen usw.  
Schlussendlich liefert uns die substantielle Logik einen Schlüssel zur Interpretation der Realität, weil sie voraussetzt, dass die logischen Kategorien nach der parmenideischen Auffassung von Identität zwischen Gedanken und Sein nicht nur dem Gedanken, sondern dem gesamten Sein eigen sind. Diese Auffassung ist das Fundament der gesamten Geschichte der Metaphysik und wir haben gesehen, dass sie von einem Erkenntnis und wahrheitstheoretischen Standpunkt aus dank der Theorie des “Ich verstehe” stets Gültigkeit besitzt. 

Zitat: "Das Unendliche in seinem einfachen Begriff kann zunächst als eine neue Definition des Absoluten angesehen werden."

 

7.16 Die dialektische Struktur der Geschichte der Philosophie (nach den Prinzipien der Aufhebung und der wahren Unendlichkeit)

 

Hegel-Quelle: G.W.F. Hegel, Werke, Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Bd. 18

Hegel-Zitate:
 

"Nach dieser Idee behaupte ich nun, daß die Aufeinanderfolge der Systeme der Philosophie in der Geschichte dieselbe ist als die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee. Ich behaupte, daß, wenn man die Grundbegriffe der in der Geschichte der Philosophie erschienenen Systeme rein dessen entkleidet, was ihre äußerliche Gestaltung, ihre Anwendung auf das Besondere und dergleichen betrifft, so erhält man die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe. Umgekehrt, den logischen Fortgang für sich genommen, so hat man darin nach seinen Hauptmomenten den Fortgang der geschichtlichen Erscheinungen;  – aber man muß freilich diese reinen Begriffe in dem zu erkennen wissen, was die geschichtliche Gestalt enthält.“

(G.W.F. Hegel, Werke, Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Bd. 18, S. 49, Suhrkampausgabe).


„Ferner unterscheidet sich allerdings auch nach einer Seite die Folge als Zeitfolge der Geschichte von der Folge in der Ordnung der Begriffe. Wo diese Seite liegt, dies näher zu zeigen, würde uns aber von unserem Zwecke zu weit abführen.“
(Ebd.)


„An diesem Punkt ist also der universelle Geist angekommen, und jede Stufe hat ihre spezifische Form im wahren System der Philosophie: nichts geht verloren, alle Prinzipien werden bewahrt; die ultimative Philosophie und in der Tat die Gesamtheit der Formen. Diese konkrete Idee ist der Abschluss des Würgens des Geistes, in dem zweieinhalb Jahrtausende sehr ernsthaft daran gearbeitet haben, sich selbst objektiv zu werden, sich selbst zu erkennen.“
(G.W.F. Hegel, Werke, Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Bd. 20, S. 455, Suhrkampausgabe)

 

*

TEIL C

 

Schulsssitzung des Seminars

(3.3.2025)

*

Einführung in das philosophische System Hegels

*

Systematisches Schema der Hauptgedanken von Hegels Philosophie
als ‚Vernunftreligion‘ für die gesamte Menschheit

*

 

1. Die Philosophie ist eine reine Wissenschaft.

2. In ihr Subjekt (Logos) und Objekt (Logos) sind dasselbe. In diesem Sinn braucht sie keine Erfahrung, sie ist eine Wissenschaft ‚a-priori‘, die das ‚a-posteriori‘ (die Erfahrung) bestimmen soll.

3. Der Logos ist das Absolute, in der Sprache des Glaubens ‚Gott‘.

4. Als solche ist Philosophie vor allem Logik-Metaphysik. Alle anderen Sektionen der Philosophie sind ‚Anwendungen‘ bzw. ‚Erweiterungen‘ der Logik-Metaphysik. 

5. Sie hat eine Geschichte, die in Griechenland und Süditalien (Groß-Griechenland bzw. Magna Grecia) mit Parmenides vor 2500 Jahre angefangen hat und in Deutschland mit dem Tod von Hegel 1831 zu Ende gekommen ist. 

6. Das Ende der Philosophie ist kein zeitlicher Begriff, sondern ein qualitativer Begriff. Dies Bedeutet, dass sich der Logos in Hegels Philosophie erkannt hat. Es ist als Vollendung im Sinne der wahrhaften Unendlichkeit zu begreifen. Dies bedeutet, dass vom Standpunkt der Zeit aus, also der schlechten Unendlichkeit, die Geschichte der Philosophie geht natürlich weiter, obwohl ihr Resultat eigentlich schon erreicht wurde. 

7. Die Zeit nach der Erreichung des Resultats besteht aus mehreren Tätigkeiten: 

- erstens, soll das Resultat, also Hegels Philosophie, gründlich gelernt und unterrichtet werden; 
- zweitens, soll dieses Resultat verbessert werden; 
- drittens, soll diese Philosophie in einer aktuellen Sprache ausgedrückt werden.
- viertens, soll eine entsprechende Weltgesellschaft danach gestaltet werden.
- fünftens, es soll individuell nach ihren Hauptprinzipien gelebt werden.
Usw. usf.

Es gibt also eine Menge für die Philosophen zu tun, obwohl das Resultat schon erreicht wurde! Eine Menge philosophische Arbeit wartet auf die Menschen…

8. In der Geschichte der Philosophie nach Hegels Tod gab bis heute viele Denker, die daran gearbeitet haben, Hegels Philosophie zu ‚pflegen‘, seine Manuskripte wissenschaftlich zu editieren, seine Entwicklung zu rekonstruieren, sogar eine neue Gesellschaftsform nach seiner dialektischen Logik zu gründen, was der Marxismus bewirkte. Die wahre Geschichte der Philosophie nach Hegel ist diese Pflege, Anwendung und Erweiterung seiner Philosophie, alles andere (Nietzsche, Heidegger, sowieso die anglo-amerikanische Philosophie usw.)  ist Philosophie als Meinung, nicht Philosophie als Wissenschaft. Die Pflege, Erweiterung und Anwendung des dialektischen Denkens ist dagegen der echte Inhalt der Geschichte der Philosophie als Wissenschaft nach Hegels Tod. Darin wurden die wichtigsten Fortschritte der Philosophie gemacht. 

9. Wir befinden uns heute Mitte in dieser Tätigkeit der Pflege und Anwendung der Philosophie Hegels und sollen dies weiterführen. Das ist unsere eigentliche philosophische Aufgabe, wenn wir die Philosophie als Wissenschaft und nicht als bloß subjektive Meinung leben wollen.

10. Insbesondere ist es heute wichtig, Hegels Philosophie als Vernunftreligion weltweit zu etablieren, wie wir in Europa die Philosophie Kant seit 1945 etablieren. Die UE ist auf dem Weg, eine Föderation von Nationalstaaten zu werden, wie Kant in seiner Schrift ‚Zum ewigen Frieden‘ (1795) dargestellt hatte. Dies wurde im Manifest von Ventotene, das Gründungsmanifest der Europäischen Bewegung festgehalten. Nur diese ‚Anwendung‘ von Kants Philosophie hat unseren Europäern einen dritten Krieg nach 1945 erspart. Wir haben damals den Weg des Friedens unter uns eingeschlagen, also uns für Kants Philosophie des ‚ewigen Friedens‘ definitiv entschieden.
Das reicht aber nicht, wie man sehen kann, um Frieden unter den Menschen weltweit zu stiften. Dazu braucht man eine echte allgemeine Religion, eine Weltreligion, die Kant als ’unsichtbare universelle Kirche‘ bezeichnet hatte. Diese universelle Religion kann nur die Philosophie als Wissenschaft sein, wie sie Hegel präsentiert hat, denn es Kant nicht gelingen konnte, in seinem Leben diesem Gedanken eine systematische und wissenschaftliche Form zu geben, vielleicht war er einfach schon zu alt dafür. Diese Aufgabe wurde aber in Tübingen von Hölderlin, Schelling und Hegel übernommen. 

11. Das Hauptprinzip einer solchen philosophischen Weltreligion ist die Anerkennung des Anderen als Logos, als Absoluten, als Gott (in der Sprache des Glaubens). Die Achtung vor dem Anderen, egal welcher Nationalität, Geschlecht, Reichtum usw. ist das absolute, unverzichtbare Hauptprinzip der philosophisch-dialektischen Weltreligion. Jeder Mensch ist Verkörperung des Logos, des Absoluten und darf niemals für uns ein Mittel, sondern immer nur ein Zweck sein. Der Mensch als Zweck nach dem Kantischen zweiten Imperativ, allerdings nicht formell, wie Kant dieses Prinzip ausgedruckt hat, sondern substantiell, inhaltlich.

12. Die absolute Sittlichkeit ist die Umsetzung dieses Prinzips. In der Familie sind  Partner und Kinder absoluter Zweck füreinander; in der Arbeit sollen die Adressaten unserer Arbeitstätigkeit absoluter Zweck sein; schließlich in dem Staat sollen alle Bürger (vergangenen durch die Erinnerung an sie, aktuelle und künftige) Zweck füreinander sein. 

13. Familie, Arbeit, Staat sind also die drei absoluten Werte der philosophisch-dialektischen, wissenschaftlichen Weltethik.

14. Diese Werte sind gleichzeitig Pflicht (Kant) und Recht (Hegel). Pflicht, weil sie auf Vernunft basiert sind und wir sind eben Vernunftwesen, die nach logischen Prinzipien leben sollen; Recht, weil wir unsere kreative Kraft als Logos nur dabei verwirklichen können. Familie, Arbeit, Staat sind in der Tat die höchsten, gemeinsamen Kreationen der Menschen. 

15. Sie sind die höchsten Kreationen der Menschen, da sie ‚notwendig‘ sind. Sie haben ihre Wurzeln in der Natur des Menschen. Die Familie ist die geistige und kreative Form des Überlebens der Menschheit; die Arbeit (bürgerliche Gesellschaft) ist die geistige und kreative Form des Überlebens des Einzelnen; der Staat ist die geistige und kreative Form der philosophischen Organisation von Familie und Arbeit. Ohne Familie und ohne Arbeit die Menschheit stirbt. Deshalb sind diese Werte notwendig und die höchstmöglichen Werte. 

16. Dies ist Hegels Begriff der wahren substanziellen Demokratie, sein Begriff der wahren Freiheit. Wahrhaft frei zu sein bedeutet, nach diesen sozialen und objektiven Werten zu leben (nach dem „objektiven Geist“). Der westliche Freiheitsbegriff, der auf die britische Philosophie des 18. Jahrhunderts zurückgeht, ist stärker individuell geprägt und sollte nach Hegel als „Willkür“ und nicht als „Freiheit“ definiert werden.

17. In einem Leben nach dieser wissenschaftlichen Weltsittlichkeit bzw. Weltethik ist der Mensch ‚glücklich‘, da er seinen Logos, sein kreatives Wesen verwirklicht und danach lebt. Das ist der höchste Anspruch des Menschen und seine höchste Selbstverwirklichung. Mehr Glück (Glücklichkeit, Glückseligkeit) ist im Leben nicht möglich!

18. Ein philosophischer Weltstaat, Hegels Begriff des Weltgeistes entsprechend (Aktualisierung von Hegels Philosophie), soll es ermöglichen, dass es, ob ein Kind im reichen Europa oder im armen Nigeria auf die Welt kommt, überhaupt keine Differenz mehr ausmacht. Das müsste die Hauptaufgabe der Philosophie in der Zukunft sein (www.philosophyforfuture.org). Alles andere ist nur Gerede für reiche und übersatte Menschen, während andere leiden und massenhaft sterben müssen.

19. Erst nach der Gründung des philosophischen Weltstaates werden die Menschen behaupten können, dass sie aus der Vorgeschichte, d.h. aus der Zeit der Unmündigkeit (nach Kant) herausgetreten sind. Solange aber wir Menschen nicht in der Lage sind, das neugeborene Leben (also den Logos) zu schützen, egal wo diese auf die Welt kommt, werden wir in der Vorgeschichte bleiben und im Grunde genommen immer noch eine ‚unzivilisierte Menschheit‘ sein. 

Das ist mein Vorschlag, wie wir Hegels Philosophie heute lesen sollten.


Vielen Dank dafür, dass Sie mich auf dieser Reise zur Entdeckung des echten und aktuellen Sinnes der Philosophie Hegels sowie der ganzen philosophischen Bewegung, wovon sie im damaligen Deutschland der Gipfel war, so geduldig (auf Grund meiner deutschen Sprache) und so interessiert begleitet haben. 

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