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1807-1831: Hegels Entwicklung nach der Ausarbeitung des Systems

1807-1831: Hegels Entwicklung nach der Ausarbeitung des Systems

 

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1807-1831

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Hegels Denkentwicklung
nach der Ausarbeitung des Systems

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Ankündigung des Verständnisses des Absoluten, 
Erweiterung des philosophischen Systems 
und Erfolg in der damaligen deutschen Gesellschaft
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Einleitende Bemerkungen
In den folgenden Jahren vertiefte und veröffentlichte der Philosoph zunächst verschiedene einzelne Teile des Systems (die "Phänomenologie des Geistes" 1807, dann die "Wissenschaft der Logik"  von 1812 bis 1816) und veröffentlichte dann 1817 erstmals das gesamte philosophische System, die "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften". Dieses enthält die Grundprinzipien aller philosophischen Disziplinen und entspricht in quantitativ detaillierterer, aber qualitativ identischer Weise dem philosophischen System von 1804-06. 1827, zehn Jahre später und nach der  Veröffentlichung eines weiteren wichtigen Teils des Systems, der "Grundlinien der Philosophie des Rechts" (1820), veröffentlichte Hegel eine neue Version der Enzyklopädie. Schließlich veröffentlichte er 1830 noch eine weitere Version, die letzte vor seinem plötzlichen und frühen Tod.  
Auch in der Zeit seiner Lehrtätigkeit am Nürnberger Gymnasium erarbeitete, ohne sie zu veröffentlichen, verschiedene Versionen des Systems. Daher liegen zwischen der ersten (1804-06) und der zweiten (1817) weitere Fassungen des Systems, die auch in Betracht gezogen werden müssen.
Es ist wichtig, die Tatsache zu betonen, dass es sich um  denselben Inhalt handelt, einige Absätze verschoben, andere gestrichen, andere hinzugefügt, kurz gesagt, es gibt Veränderungen und Verbesserungen, die jedoch die Hauptstruktur des Textes nicht verändern und sie wesentlich von der ersten Version, der von Jena, nicht unterscheiden.

Wir können daher behaupten, dass Hegel sogar die zukünftigen Entwicklungen der Informatik vorwegnahm und verstand, wie wichtig es ist, immer aktuellere und vollständigere Versionen eigener Werke zu geben, insbesondere wenn es um ein philosophisches System geht. Ein System muss in der Tat grundsätzlich das gesamte Bild des menschlichen Wissens umfassen und man kann nicht glauben, dass der Inhalt bereits in der ersten Version im Detail vorhanden ist. Es wird am Anfang in den allgemeinen Zügen vorhanden sein und kann dann nach einiger Zeit dank neuer Versionen des Werkes aktualisiert, erweitert, vertieft usw. werden. Schließlich ist der Philosoph ein Mensch wie jeder andere, der Zeit braucht, um seine Studien fortzusetzen, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen und sie organisch in den systematischen Rahmen einzufügen, den er auf der Grundlage der  angenommenen Prinzipien ausgearbeitet hat.

Somit vermittelt der Philosoph seinen Lesern eine geordnete, systematische und logische rekonstruktion des Wissens und der Welt, die regelmässig aktualisiert wird.

In den folgenden Abschnitten werden wir Hegels nachfolgende Veröffentlichungen bis 1831 einzeln auf ihren Zweck der detaillierten Explikation eines im Grunde schon begrifflich verstandenen Inhalts hin untersuchen. 

 

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A. 1807


Die Phänomenologie des Geistes und die Ankündigung des
erreichten Verständnisses des Absoluten 

 

Wie die dialektische Entwicklung zeigt, hat Hegels ursprüngliches philosophisches System, wie es in seiner ersten Fassung aus der zweiten Jenaer Periode um 1804-06 erscheint, einen tiefgreifenden ethisch-religiösen Sinn. Obwohl Rosenkranz sie fälschlicherweise einer früheren Periode, nämlich vor 1800, zuschreibt, bleibt er derjenige, der besser als andere Interpreten die zentrale Bedeutung dieser Texte für das Verständnis der Bedeutung des reifen philosophischen Systems verstanden hat (s. Hegels Leben, 1844).

Insbesondere identifiziert Rosenkranz, auch aufgrund der Tatsache, dass er noch sehr wichtige Texte besaß, die leider später und sicher nicht zufällig verloren gingen, das "System der Sittlichkeit" (1802/03), vor allem aber dessen später (wohl um 1805) verfassten und als "Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit" überlieferten Schlussteil, als einen Schlüsseltext zum Verständnis dieser ethisch-religiösen Bedeutung.
Rosenkranz zitiert ausgiebig diesen Text, den er noch besaß, der aber inzwischen verloren gegangen ist. Das Zitat  kann als zuverlässig angesehen werden, da auch andere von ihm überlieferte Texte, die nicht verloren gegangen sind, getreu wiedergegeben wurden, so dass kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Biograph den Text verändert oder wesentliche Teile ausgelassen hat. Darüber hinaus schreibt Haym, Hegels anderer Biograph, der als letzter das Manuskript besaß, dass Rosenkranz’ Darstellung "ziemlich wörtlich" ist ("Hegel und seine Zeit", 152).

Andererseits gibt es viele Zweifel daran, dass die Nichtübermittlung an die Nachwelt ein Zufall ist. Spezielle Untersuchungen der deutschen Hegel-Forschung haben kürzlich gezeigt, wie einer von Hegels Söhnen, Karl, zusammen mit seiner Mutter eine radikale Auswahl unter Hegels Nachlässen getroffen hat, um nur diejenigen weiterzugeben, die "ein frommes Bild", ein orthodoxes Bild von Hegel, vermittelten, während diejenigen, die diesem Bild eines der institutionellen christlichen Religion treuen Hegels in irgendeiner Weise schaden könnten, in den Müll geworfen wurden. Die Lektüre des Schlussteils der Fortsetzung macht dies deutlicher. So drückt sich Rosenkranz aus:

 

„Obwohl nun Hegel damals den Protestantismus für eine eben so endliche Form des Christenthums hielt, als den Katholicismus, so ging er deswegen doch nicht, wie Viele seiner Zeitgenossen, zum Katholicismus über, sondern glaubte, daß aus dem Christenthum durch die Vermittelung der Philosophie eine dritte Form der Religion sich hervorbliden werde.“

(Hegels Leben, 1844, S. 140, jetzt auch in GW 5, 464, 20-24)
 

Dies sind die Worte von Hegel, die er zitiert:


Nach- | dem nun der Protentanismus die fremde Weihe ausgezogen, kann der Geist sich als Geist in eigener Gestalt zu heiligen und die ursprügliche Versöhnung mit sich in einer neuen Religion herzustellen wagen, in welche der unendliche Schmerz und die ganze Schwere seines Gegensatzes aufgenommen, aber ungertrübt und rein sich auflöst, wenn es nämlich ein freies Volk geben und die Vernunft ihre Realität als einen sittlichen Geist wiedergeboren haben wird, der die Kühnheit haben kann, auf eigenem Boden und aus eigener Majestät sich seine reine Gestalt zu nehmen.- Jeder Einzelne ist ein blindes Glied in der Kette der absoluten Nothwendigkeit, an der sich die Welt forbildet. Jeder Einzelne kann sich zur Herrschaft über eine größere Länge dieser Kette allein erheben, wenn er erkennt, wohin die große Nothwendigkeit will und aus dieser Erkenntniß die Zauberworte aussprechen lernt, die ihre Gestalt hervorrufen. Diese Erkenntniß, die ganze Energie des Leidens und des Gegensatzes, der ein paar tausend Jahre die Welt und alle Formen ihrer Ausbildung beherrscht hat, zugleich in sich zu schließen und sich über ihn zu erheben, diese  Erkenntniß vermag nur Philosophie zu geben.“
(Ebd. S. 140-1411; jetzt auch in GW 5, 465,1-17)

 

Der Ausdruck "neue Religion" projiziert Hegel zunächst in eine Welt der Zukunft, nicht nur vom theoretischen und rein philosophischen, sondern auch vom menschlichen Standpunkt aus. Hegel war sein Leben lang auf der Suche nach einer eigenen Religion, nachdem er sich als junger Mann zusammen mit Schelling und Hölderlin endgültig vom institutionellen protestantischen Christentum gelöst hatte, dem auch er, wie Stiftler, schließlich als Theologe und Pfarrer dienen sollte. Vom Ende seiner Tübinger Studienzeit an begann er seine Wanderschaft durch verschiedene Städte, wobei er sowohl in katholischen als auch in protestantischen Städten zu leben versuchte, um diese Religion aus erster Hand kennenzulernen, wie aus seiner Korrespondenz hervorgeht. Wie Rosenkranz klugerweise feststellt, war er aber auch mit dem Katholizismus nicht zufrieden, so dass ihm schließlich nichts anderes übrig blieb, als auf der Grundlage der Religionsphilosophie Kants (wie mehrere neuere Studien, auch philologisch, hinreichend nachgewiesen haben) eine Vernunftreligion zunächst für sich selbst, dann auch für andere zu erarbeiten. 
Aus diesem Text, der uns einen äußerst aufschlussreichen Schlüssel zu den damaligen Schlussfolgerungen des Philosophen bietet, geht also hervor, dass er sein eigenes System als die Verwirklichung des Ideals seiner Jugendjahre sah, das er im Text Nr. 26 von 1794 formuliert hatte, in dem sich der junge Denker versprochen hatte, der Religion eine "wahre und eigentliche autonome Würde" zu verleihen, als Erfüllung von Kants Programm der Ausarbeitung einer universalen Vernunftreligion. 

Das System stellt sich dem Hegel von 1806 gerade als jene universelle Vernunftreligion dar, deren Grundlage Kant idealisiert und die er verwirklicht hatte. Eine solche Religion konnte nur das System der Philosophie als Wissenschaft sein, wie der Untertitel der „Phänomenologie des Geistes“, des Werkes, das Hegels Aufgabe war, seinen Zeitgenossen dieses wichtige Ergebnis zu verkünden, kurz darauf feststellte. In ihr ist der Geist tatsächlich bereit, in den Bereich des absoluten Wissens vorzudringen. Sie stellt die letzte Wahrheit dar:

"Die letzte Wahrheit finden sie zunächst in der Religion und dann in der Wissenschaft, also dem Resultate des Ganzen."

(Aus Hegels Selbstanzeige Hegels zur Phänomenologie des Geistes Auszug aus dem Intelligenzblatt der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 28. Oktober 1807).

 

Wissenschaft, Philosophie und Religion fielen also meisterhaft zusammen, und wie könnte es anders sein, wenn die Vernunftreligion nichts anderes ist als die Philosophie und diese die höchste Wissenschaft?

Das ist der Geist der Hegelschen Philosophie, d.h. ihre tiefe und authentische Bedeutung, wie wir aus der genetisch-dialektischen Rekonstruktion seines Denkens gelernt haben.
 

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B. 1808-1820

Die Erweiterung des Systems in den Hauptwerken

 

Nachdem damit die Grundzüge des neuen Systems der Philosophie festgelegt waren, galt es nun, die einzelnen Paragraphen und Kapitel dieses Systems, das in Hegels Schublade bereits in Ansätzen vorhanden war, aber noch verbessert werden musste, im Detail auszuarbeiten. Die folgenden Jahre stellen für Hegel gerade den Prozess der Vervollkommnung seines Systems durch die analytische Entwicklung der verschiedenen Teile dar. 
So erblickte die "Wissenschaft der Logik" (1812-16) das Licht der Welt, in der die im Hegelschen Manuskript über "Logik und Metaphysik" enthaltenen Gedanken offensichtlich ausgearbeitet wurden und den grundlegenden Teil des Systems, die neue Onto-Theologie, bildeten.

1817 erblickte dann die erste Fassung der "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" das Licht der Welt, d.h. das gesamte System, einschließlich des anderen grundlegenden Teils, der Philosophie des objektiven Geistes, entsprechend dem Jenaer "System der Sittlichkeit", das dann 1821 auch eine eigene Veröffentlichung als "Grundlinien der Philosophie des Rechts" erhalten sollte. 
So vollendete Hegel in den rund 15 Jahren von 1806 (Ausarbeitung des ersten vollständigen philosophischen Systems) bis 1821 (Veröffentlichung der Grundlinien) die Arbeit an der Vervollkommnung des Jenaer Systems und gab ihm eine möglichst wissenschaftliche und detaillierte Darstellungsform.
Wäre der Philosoph nicht 1831 eines plötzlichen Todes gestorben, hätte er dieses System sicherlich noch weiter perfektioniert, wie die beiden weiteren Veröffentlichungen der Enzyklopädie (1827 und 1830) sowie die weitere Ausarbeitung der "Wissenschaft der Logik" zeigen, die zum Zeitpunkt seines Todes in Arbeit war und von der er nur den ersten Teil fertigstellen konnte, dessen Vorwort der Philosoph erst vier Tage vor seinem Tod am 10. November 1831 unterzeichnete. Leider starb er wenige Tage später, am 14. desselben Monats.
 
Hegels Arbeitsschema ist also klar: Das System als universelle Vernunftreligion des Idealismus, die den Monotheismus in der Offenbarung  des absoluten Geistes in der Welt ablösen soll, wie es sich aus dem Entwurf der ’Fortsetzung’ und der ’Phänomenologie’ ergibt, ist in seinen Grundzügen und damit auch in seiner Hauptbedeutung bereits 1806 endgültig ausgearbeitet; es geht nun darum, die inneren Hauptteile dieser neuen wissenschaftlichen Religion, deren Logik die neue Theologie und die Philosophie der Sittlichkeit die neue Ethik ist, inhaltlich zu entwickeln und ab und zu eine neue, aktualisierte Ausgabe des gesamten Systems zu veröffentlichen. Davon gab Hegel genau drei: die erste 1817, die zweite 1827 und schließlich die dritte 1830. 


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C. 1820-1831


Die Verteidigung des Systems und der Akkommodation als 
Schicksal der Hegelschen Philosophie

 

Bis zu diesem Punkt entspricht alles einer immanenten fortschreitenden Entwicklung, dennoch gibt es etwas, das in diese Entwicklung eingreift und den Fortschritt unterbricht.  Hegels letzte Werke, beginnend mit den "Grundlinien", zeigen ein kontinuierliches Bemühen des Philosophen, die Begriffe und die eindeutig revolutionäre Vision, die für seine Werke typisch und zum Beispiel in der "Phänomenologie des Geistes" sehr deutlich sind, abzuschwächen, wobei der zutiefst revolutionäre kosmisch-geschichtliche Sinn des Systems, der gewiss nicht verfälscht werden konnte, zweifellos erhalten bleibt. 

Der Philosoph führt zwei grundlegende Operationen durch, die vom Standpunkt des authentischen Sinns seines Systems, das in Jena begründet wurde und dann die Grundlage der Werke bis zu den Grundlinien blieb, absolut unerklärlich sind.


- Vom Standpunkt des grundlegenden Teils des Systems, d.h. der Logik-Metaphysik, betont und unterstreicht er, wo immer er kann, in seinen Werken, dass das Absolute, der Logos, dem Gott des Monotheismus und insbesondere, wie er später in Berlin in seinen Vorlesungen über Religionsphilosophie klarstellen wird, dem christlichen Gott entspricht. Er schlägt im Grunde eine Brücke, eine Verbindung zwischen seiner eigenen religiösen Konzeption, die als Idealismus und Vernunftreligion eine epochale Überwindung des Monotheismus darstellt, und dem protestantischen Christentum, fast so, als wolle er seine eigene Logik bzw. Theologie als den besten logischen Ausdruck der christlichen Theologie präsentieren.

Diese Anpassung an die damalige Gesellschaft ist dem Kenner der gesamten Hegelschen Philosophieproduktion allerdings recht fremd, denn der tiefe Sinn des hegelschen und philosophischen Logos entspricht in keinster Weise dem christlichen transzendenten Gott. Doch wenn der Autor schreibt, dass dies der Fall ist, kann man sich offenbar sicher sein, dass keine religiös-philosophische Revolution die religiösen Grundlagen der preußischen Monarchie bald bedrohen wird.

 
- Auch in ethischer Hinsicht, insbesondere in Bezug auf die Ethik und Politik, führt Hegel dieselbe Operation durch, indem er seinem Publikum, das ebenfalls aus Ministern und Studenten besteht, versichert, dass der sittlich Staat, den sein System begründet, letztlich eine Monarchie ist. Außerdem definiert er in einer Anmerkung zur Enzyklopädie von 1830 die evangelische Religion als die beste Stütze des monarchischen Staates.

 

Was also geschah in den Jahren nach der „Phänomenologie des Geistes“, in denen der Philosoph im Gefolge der „Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit“ deutlich die neue Welt ankündigte, die Zivilisation des Idealismus als nächste Phase der  Geschichte nach dem Zerfall der Zivilisation des Monotheismus infolge der Aufklärung, was dazu führte, dass Hegel sich nicht gewachsen fühlte, selbst der Förderer, der Begründer dieser neuen Zivilisationsform zu sein, und einen solchen Rückschlag machte, gar zum Garanten der bestehenden preußischen Ordnung wurde?

Dies ist Hegels berühmte Anschuldigung der Akkommodation, die zuerst vom jungen Marx gemacht und die dann von verschiedenen Hegelianischen Interpreten (Ilting, Becchi) auf verschiedene Weise behandelt und erklärt wurde. Dieser Kritik zufolge passte Hegel sein Denken bewusst an die vorherrschende historische Situation seiner Zeit an und machte es für die protestantische theologische Kultur des preußischen Staates gut verdaulich. Im Grunde hätte Hegel alles getan, um sein philosophisches System mit dem protestantischen Christentum und mit dem preußischen Staat in Einklang zu bringen. 

Diese Kritik ist richtig und durch die Texte der Berliner Zeit gerechtfertigt. Hegel war entgegenkommend. In allen seinen Werken seit den Richtlininen gibt es in überflüssiger und manchmal auch ärgerlicher Weise den ständigen Wunsch, dem Leser zu versichern, dass die Wahrheit des absoluten Idealismus nicht im Widerspruch zum herrschenden Glauben steht, im Gegenteil, sie ist davon die stärkste Stütze. Im Vorwort zur zweiten Auflage der "Wissenschaft der Logik" (1831) lesen wir zum Beispiel:

 

„Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deßwegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist. 

(GW 21, S. 34,6-11) 

 

Selbst die Hegelsche Geschichtsauffassung, die im germanischen Reich den höchsten Moment der Weltgeschichte und der Freiheit für alle feststellte, dürfte den damaligen Regierenden des preußischen Staates und damit auch Hegels Dienstherrn offenbar nicht missfallen haben. 

In der Enzyklopädie von 1830 lesen wir dann in § 542:

 

„Die monarchische Verfassung ist also die Verfassung der entwickelten Vernunft: alle anderen Verfassungen gehören niederen Stufen der Vernunftentwicklung und -verwirklichung an" 

(GW 20, S. 516, 8-10) 

 

Schließlich schreibt Hegel gerade in Bezug auf das Verhältnis von Religion und Politik, Kirche und Staat in der sehr wichtigen Anmerkung in § 552, die den Abschnitt des objektiven Geistes der Enzyklopädie abschließt und damit den Übergang zum absoluten Geist markiert:

 

„So wird zuletzt das Princip des religiösen und des sittlichen Gewissens ein und dasselbe, in dem protestantischen Gewissen – der freie Geist in seiner Vernünftigkeit und Wahrheit sich wissend. Die Verfassung und Gesetzgebung wie deren Bethätigungen haben zu ihrem Inhalt das Prinzip und die Entwicklung der Sittlichkeit, welche hervor aus der zu ihrem ursprünglichen Prinzip hergestellten und damit erst als solche Wahrheit der Religion herrühren. Die Sittlichkeit des Staates und die religiöse Geistigkeit des Staates sind sich so die gegenseitigen festen Garantien.“

(GW 20, S. 541,2-11)

 

Kurz gesagt, die Art und Weise, wie Hegel seine Philosophie ausgehend von den Richtlinien darlegte, war sicherlich kein Hindernis für seine akademische Karriere. Hegel war entschieden entgegenkommend mit theologischer und politischer Macht, er präsentierte seine Philosophie so weit wie möglich in einem versöhnlichen und entgegenkommenden Sinn, er drückte die Begriffe seines Systems aus, immer bemüht, dessen Vereinbarkeit mit den Prinzipien der protestantischen christlichen Religion und mit dem preußischen Staat zu zeigen, um nicht in Konflikt mit der etablierten religiösen und politischen Macht zu geraten. Der Philosoph suchte alle Möglichkeiten, sich als preußischer Staatsphilosoph zu profilieren. 

Es müssen nun zwei relevante Fragen angesprochen werden: Die erste betrifft die äußere Ursache, falls es eine gab, für diesen offensichtlichen Wendepunkt im Hegelschen Denken; die zweite hat mit dem Schicksal der Philosophie Hegels sowohl zu seinen Lebzeiten als auch nach dem Tod des Philosophen zu tun.

Was die erste Frage betrifft, findet sich die Antwort in den Karlsbader Beschlüssen von 1819. Nach der Ermordung des russischen Konsuls August von Kotzebue durch den bayerischen Studenten Karl Ludwig Sand, der sich ihm entgegenstellte und ihn tötete, nahm der Deutsche Bund eine Reihe von Gegenmaßnahmen vor, die darauf abzielten, mit echten Spionagesystemen nicht nur das Leben von Studenten und ihren Vereinen, sondern auch die Lehre der Hochschullehrer zu kontrollieren. Tatsächlich galten die Dozenten als die eigentlichen Unruhestifter der Studenten, da sie diese zu rebellischen Aktionen anstachelten, und zwar nter den Idealen der liberalen Revolution. Dies führte in extremen Fällen zu gewalttätigen Aktionen und im Fall Sands sogar zu einem Mord. Aus diesem Grund wurde ein Klima der Hexenjagd geschaffen und alle Dozenten überwacht, 
In diesem Klima der Repression musste Hegel in Berlin lehren, er wurde besonders ins Visier genommen, weil er bald zu einem der berühmtesten Hochschullehrer wurde, der dadurch einen besonders starken Einfluss auf die Studenten ausübte. Außerdem wurde er Rektor der Universität und musste daher ein Vorbild für andere Lehrer sein. 
Diese besondere Situation und die Tatsache, dass sein Erfolg ihm bald den Neid seiner Kollegen einbrachte, die ihn des "Atheismus" beschuldigten, ist der Hintergrund, der uns verstehen lässt, warum wir gerade in den Schriften der letzten etwa zehn Jahre seines Lebens, beginnend mit den "Grundlinien", ein fast verzweifeltes Bemühen Hegels erkennen, die Leserschaft davon zu überzeugen, dass seine Philosophie mit dem Christentum und der preußischen Monarchie völlig übereinstimmt, dass es sich also um eine Philosophie handelt, die im Wesentlichen konservativ ist und die bestehende Ordnung rechtfertigt.

Viele von Hegels berühmten Sätzen stammen aus dieser Zeit und können in eine solche Vision eingerahmt werden. Sowohl wenn die Philosophie von ihm als "seine eigene Zeit in Gedanken erfasst" dargestellt wird, Hegels sogenannter Passatismus, als auch die Entsprechung zwischen Wirklichem und Vernünftigem, und wiederum die Vorstellung, dass die protestantische Religion die beste Stütze des Staates sein kann, all dies Hegelsche Formulierungen gehören grundsätzlich dieser Phase an und verbergen in sich den offensichtlichen Versuch, die Obrigkeit zu beruhigen, dass von einer solchen Philosophie kein Einfluss auf die Studenten ausgehen kann, der sie zum Aufstand gegen die bestehende Ordnung motivieren könnte. 
Mit solchen prägnanten und leicht einprägsamen Phrasen sowie mit den relativen Auffassungen sicherte sich Hegel gleichsam seine akademische Stellung, die ihm aber nicht einmal innere Ruhe gab. Im Gegenteil, aus seiner Korrespondenz und aus den Zeugnissen seiner damaligen Schüler und Bekannten erfahren wir, dass er in der Berliner Zeit trotz des Erfolgs äußerst nervös war. Offenbar war er Opfer eines inneren Kampfes zwischen der authentischen, vollen Wahrheit, die bis in die Jenaer Zeit zurückreicht, und der unauthentischen, verstummelten Wahrheit, die er durch die Karlsbader Beschlüsse konkret publik machen durfte. 
Abschließend darf man bei der Beurteilung und Interpretation der Schriften und Vorträge der Berliner Zeit dieser gesellschaftspolitische Hintergrund keineswegs außer Acht gelassen werden, da er der Publikations- und Lehrfreiheit Hegels ganz bestimmte Grenzen setzte. Wenn Hegel in diesem letzten Jahrzehnt seines Lebens, das von größtem Erfolg gekrönt war, in einigen sogar wichtigen Punkten seines Denkens, aber nur in gelegentlichen, hier und da in seinen Werken hinzugefügten Sätzen, von der philosophischen Vision abwich, die er bis dahin vertreten hatte, so lag dies an diesem Umstand historischer Natur und nicht an einer Entwicklung seines eigenen Denkens, die eher eine Involution gewesen wäre.

Aber fragen wir uns nun: Ist es nicht so, dass Hegel, nachdem er eine glänzende Karriere gemacht und die Sympathie und den Schutz der theologischen und politischen Mächte seiner Zeit auf sich gezogen hat, stattdessen seinem eigenen philosophischen System den Erfolg bei der Nachwelt versperrt hat, einem Erfolg, den eben dieses System, insofern es die absolute Philosophie enthält, sicherlich verdient hätte und immer noch verdient?

Mit anderen Worten, war nicht das Hegelsche Diktat selbst, der Buchstabe seiner Philosophie, ein Hindernis für ihren Erfolg, nicht für den flüchtigen und vergänglichen Erfolg der Gegenwart, den es gab, sondern für ihren ewigen Erfolg, der allein der absoluten Wahrheit zukommt und den es leider nicht gab?

Alle diese Fragen sind zu bejahen. In Hegels Werken finden wir bereits den Keim, der sie in ihrer Zeit sehr geschätzt, später aber von einigen der größten nachfolgenden Denker verachtet werden wird, die in ihm nur einen ängstlichen Anhänger der Macht und nicht einen mutigen Verfechter der Wahrheit sehen werden.

Daher haben wir einerseits seine absolute Wahrheit, andererseits seine zeitbezogene Funktion als Stütze der theologisch-politischen Macht der Zeit; einerseits die Absolutheit der Hegelschen Philosophie, andererseits ihre historische Relativität.

Bevor wir dieses scheinbare Dilemma auflösen, wollen wir hier klarstellen, dass Hegel sich dessen voll bewusst war. Er war sich völlig bewusst, dass er die absolute Philosophie, die ultimative Philosophie der Menschheit, entwickelt hatte. Er wusste auch, dass diese Philosophie für die damalige Zeit eine Bombe war, da sie die Keime einer theologischen und politischen Revolution in sich trug. Aber aus psychologischen Gründen (sein eigener ruhiger und ängstlicher Charakter, sein Respekt vor seinen Familienmitgliedern, insbesondere vor seiner gläubigen Frau und damit vor der Erziehung seiner Kinder, sicherlich auch der Wunsch, die wichtige akademische Position nicht zu verlieren, die er nach so vielen Opfern erreicht hatte) sowie aus philosophischen Gründen (er war überzeugt, dass das Absolute früher oder später seinen eigenen Weg gehen würde, auch ohne seine ausdrückliche Unterstützung), beschloss er, diese Bombe nicht explodieren zu lassen. 

Wir können also Hegel als den sanften Riesen darstellen, der eine Bombe in der Hand hatte, sie aber nicht zündete, sondern mit allen Mitteln versuchte, sie zu entschärfen, wobei einige seiner Anhänger (Feuerbach, Marx usw.), wenn auch in unangemessener Weise, die Lunte zu zünden brachten (die Theorie der Entfremdung ist eine grundlegend hegelianische Theorie, vor allem des jungen Hegel, von der Dialektik ganz zu schweigen).

Aber war es nicht auch so, dass das Absolute, die Totalität der Welt, insofern sie sich nur in Form einer Totalität, eines Systems ausdrücken kann, und da das System nur das Ergebnis methodischer und mühsamer Arbeit sein kann, Begriff für Begriff, eine ruhige, stille Persönlichkeit brauchte, einen fleißigen und aufmerksamen Denker, und keinen Revolutionär, keinen leidenschaftlichen Verteidiger bis zum letzten Punkt der Wahrheit, sondern vielmehr ihren stillen, schweigenden Wortführer?

Hegel hat das Absolute ausgedrückt, er hat es der Nachwelt überliefert, das war seine historische Aufgabe, nicht die, persönlich für den Aufbau der Welt zu kämpfen, die diesem Absoluten wirklich entspricht.

Es war daher das „Schicksal“ des absoluten Idealismus, von einem ruhigen, methodischen Menschen formuliert zu werden, der keinen revolutionären Charakter hatte und daher auch dazu neigte, Anpassungen zu suchen; es war daher auch sein Schicksal, dass wenige Jahre nach seinem Tod seine eigene Philosophie verworfen wurde, die in sich die absolute Wahrheit enthielt, die also ihr „Geist“ ist.

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