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1995C8:  Hegels Philosophie als Weisheitslehre

1995C8: Hegels Philosophie als Weisheitslehre

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1995

Hegels Philosophie als Weisheitslehre

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Capitolo 8 di Weisheitslehre

Papierbuch hier

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Digitaler Text hier unten

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Die Erforschung der Entstehung von Hegels Jugendideal, vor allem unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses von Rousseau, zeigt, welch wichtige Rolle das Ideal der Weisheit dabei gespielt hat. Rousseaus pädagogisches Ideal des natürlichen Menschen, also das von ihm erarbeitete Vorbild der Erziehung von Émile, hat in der Tat in der Weisheit sein Hauptmerkmal. Da dieses pädagogische Ideal gleichzeitig auch das Vorbild gewesen ist, nach dem sich Hegel selber erzogen hat (1), ist zu schließen, dass die Weisheit auch sein eigenes pädagogisches Ziel gewesen ist. Die Berichte von Personen, die ihn persönlich gut gekannt haben, weisen darauf hin, dass es ihm gelungen ist, sich zu einem ’weisen’, ’natürlichen’ Menschen selber zu erziehen.
Was für das hier behandelte Thema aber wichtiger ist, ist nicht so sehr die Frage, ob der Mensch Hegel zu einem ’weisen’, ’natürlichen’ Menschen wurde, sondern eher die andere Frage, ob das pädagogisch-moralische Ideal, das Hegels reife Philosophie ankündigt, durch das Hauptmerkmal der Weisheit gekennzeichnet ist. Anders gesagt, ist in der vorliegenden Untersuchung die Frage von zentraler Wichtigkeit, ob der Mensch, der sein eigenes Leben nach den Prinzipien von Hegels Philosophie richtet, als ’Weiser’ leben kann und als solcher zu bezeichnen ist. Fördert Hegels Philosophie Weisheit in dem Menschen? Dies ist die Frage, die ich im Folgenden zu beantworten versuchen möchte.
In der Tat wurde Hegels Philosophie in Einfluß als ’Weisheitslehre’ bezeichnet (2), ohne dass aber dort diese Definition auf eine systematische Art ausführlich begründet wurde. Dies soll hier nachgeholt werden. Um eine begründete Antwort auf jene Frage zu geben, soll jedoch zuvor die vorbereitende Frage beantwortet werden, was Weisheit überhaupt sei. Erst dann kann die Unternehmung in Angriff genommen werden, das von Hegels Philosophie gelieferte, ethische Vorbild des menschlichen Lebens als ’weise’ bzw. ’nicht weise’ zu bezeichnen.


§1 Über den Begriff ’Weisheit’
§1.1 Definition von ’Weisheit’

Weisheit bezieht sich auf das richtige Handeln in den Lebensgegebenheiten. Als ’weise’ gilt nicht derjenige, der viel weiß, wobei eine bestimmte Quantität an Wissen zur Weisheit gehören kann - muss aber nicht! -, sondern derjenige, der sich in den verschiedensten Fällen des Lebens zu bewegen weiß. Dies bedeutet, dass er imstande ist, die von den gegebenen Angelegenheiten geforderte richtige Entscheidung zu treffen. Unter dem Begriff ’richtige Entscheidung’ wird hier gemeint, dass eine Entscheidung getroffen wird, die zum gemeinen Wohle beiträgt und einen Fortschritt im Leben der daran Beteiligten ermöglicht.
Die Weisheit ist deshalb in ihrem Prinzip auf keinen Fall egoistisch, d.h. Entscheidungen, die nur zum individuellen, aber nicht zum gemeinsamen Wohle führen, sind keinesfalls als ’weise’ zu bezeichnen. Grund dafür ist, dass aufgrund der unvermeidlichen, intersubjektiven Vernetzung des Lebens der Menschen und der Völker es prinzipiell kein individuelles Wohl geben kann, das auf die Dauer hält, ohne früher oder später zu zerbrechen. Allein innerhalb des gemeinsamen Wohls ist es möglich, dass das individuelle Wohl lange hält.
Dieser Definition des Begriffs ’Weisheit’ liegt selbstverständlich die Annahme zugrunde, dass das Leben in sich ein Gut ist und es deshalb im Interesse der Menschen liegt, Schwierigkeiten und Hindernisse, die auf eine Minderung oder sogar Vernichtung des Gutes ’Leben’ zu führen drohen (wie z.B. Kriege), durch ’weise Entscheidungen’ zu überwinden und zu beseitigen. Dadurch kann sich das Leben im Frieden weiter entwickeln, und auf diese Art kann der Erhalt dieses immensen, aber für das einzelne Individuum auch sehr schnell zerbrechlichen Gutes langfristig gesichert werden.


§1.2 Die den Menschen wichtigsten drohenden Gefahren
Im Anschluss an das Verständnis des Begriffs ’Weisheit’ stellt sich also die Frage, welches die wichtigsten Gefahren sind, die das menschliche Leben bedrohen.
Es scheint, dass diese Gefahren in drei Hauptgruppen einzuordnen sind:
1. Gruppe: Dazu gehören die Gefahren, deren Ursache in der Konkurrenz zwischen den Menschen aufgrund der Knappheit an Ressourcen im Vergleich zu ihren Bedürfnissen und Wünschen liegt (wirtschaftliche Gefahren).
2. Gruppe: Diese Gruppe enthält die Gefahren, die ihre Ursache in der Abhängigkeit des Menschen von dem Erhalt der Lebensbedingungen auf der Erde haben (ökologische Gefahren).
3. Gruppe: In dieser Gruppe sind schließlich die Gefahren enthalten, deren Ursache in dem Unterschied zwischen den Mentalitäten und Lebenseinstellungen (Religionen, Weltanschauungen) der verschiedenen Völker liegt (weltanschauliche Gefahren).
Was die wirtschaftlichen Gefahren anbelangt, bestehen sie z.B. in Kriegen und harten Auseinandersetzungen, die ihren Ursprung in der Aufteilung eines Territoriums bzw. in der Verteilung des Nationalreichtums haben. Bezüglich der Aufteilung eines Territoriums und der Beschaffung von lebenswichtigen Ressourcen auf diesem Weg sind ein gutes Beispiel die imperialistischen Kriege dieses sowie des vergangenen Jahrhunderts, bei denen sich die westlichen Nationen als Meister in der technisch-wissenschaftlich programmierten und durchgeführten Massentötung zunehmend erwiesen haben (als Höhepunkt gelten mit Sicherheit der Holocaust sowie die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki).
In Bezug auf die Verteilung des Nationalreichtums ist ein gutes Beispiel der ständige Kampf zwischen den Besitzern der Produktionsmittel und den Arbeitnehmern. Wenn diese Auseinandersetzung nicht auf eine ’weise’ Art und deshalb friedlich gelöst wird - wie z.B. in den heutigen Demokratien durch Kompromisse zwischen den Vertretern der zwei Gruppierungen -, kann sie entarten und möglicherweise den Stillstand der Wirtschaft, die Spaltung der gesellschaftlichen Einheit, die Bildung von zwei entgegengesetzten Gruppierungen von Bürgern und eventuell auch sogar eine Revolution bzw. einen Bürgerkrieg letztendlich verursachen (die kommunistischen Revolutionen dieses Jahrhunderts sind konkrete Beispiele einer solchen Entartung).
Wenn sich eine solche gefährliche Lage ankündigt, ist das Auftreten eines ’weisen’ Menschen, der in der Lage ist, durch gerechte Entscheidungen die Interessen von beiden Parteien zu berücksichtigen und somit keiner von ihnen das Gefühl zu geben, betrogen zu werden, dringend erfordert.
In Bezug auf die ökologischen Gefahren besteht die Funktion des Weisen nicht nur in der Beseitigung von aufgetretenen Schwierigkeiten, sondern auch und vor allem in der Voraussicht künftiger Gefahren und, durch eine dazu geeignete Vorbereitung, in der Vermeidung bzw. Minderung der verursachten Schäden. In der Tat besteht diese Gruppe in Naturkatastrophen (Erdbeben, Dürre usw.), vor denen sich die Menschen meistens nur dann mit Erfolg schützen können, wenn sie in der Lage sind, sie rechtzeitig vorauszusehen (3). Der Weise hat diesbezüglich die Aufgabe, seine Mitbürger bzw. Mitmenschen dazu aufzufordern, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Folgen der aufkommenden Katastrophe entgegenzuwirken. In Bezug auf die von den Menschen verursachten Naturkatastrophen besteht die Aufgabe des Weisen in erster Linie darin, die Menschen daran zu hindern, diese Katastrophen überhaupt entstehen zu lassen (was bei den echten Naturkatastrophen leider nicht möglich ist). Sollte dies aufgrund von menschlicher Stumpfsinnigkeit erfolglos bleiben, dann wird die Aufgabe des Weisen, wie bei den echten Naturkatastrophen, die Minderung der Folgen sein (4).
Was die weltanschaulichen Gefahren anbelangt, bestehen sie in religiösen bzw. ideologischen Unterschieden zwischen den Völkern. Dass die Menschen von diesen Gefahren ständig bedroht sind, wird dadurch belegt, dass im Laufe der Geschichte bis zum heutigen Tage die meisten Kriege mit ihren Millionen von Toten hauptsächlich auch darauf zurückzuführen sind. Diese Ursache von Kriegen ist vor allem in Zusammenwirkung mit den wirtschaftlichen Faktoren äußerst gefährlich (man denke an die Lage im Nahen Osten, wo der Kampf um die Aufteilung des Territoriums zwischen Juden und Palästinensern und der scharfe Unterschied in der religiösen Weltanschauung beide miteinander an der Herbeiführung der gespannten Lage beteiligt sind).
Es handelt sich dabei um eine geistige Drohung, also eine Gefahr, die nicht auf die äußeren, natürlichen Lebensbedingungen, wie die anderen zwei Gefahren, sondern allein auf die Innerlichkeit des Menschen zurückzuführen ist. Diese Gefahr könnte er deshalb völlig in seinem Griff haben, wenn der Mensch es wirklich wollte.
Hauptaufgabe des Weisen ist in diesem Fall, die Menschen zu einer geistigen Einheit zu führen, entweder in Form einer gemeinsamen Lebenseinstellung, was sicherlich das Wünschenswerteste wäre, oder, sollte dies nicht möglich sein, wenigstens in Form von Toleranz gegen die Lebenseinstellung des anderen Menschen.


§2 Die Grundzüge von Hegels Philosophie in Hinblick auf den Begriff ’Weisheit’
Nachdem der Inhalt des Begriffs ’Weisheit’ erläutert worden ist, soll als nächster Schritt die Frage beantwortet werden, ob Hegels Philosophie eine Lebenshaltung fördert, die sich dazu eignet, die oben aufgeführten Drohungen zu meistern und deshalb als ’weise’ bezeichnet werden kann. Um diese Frage zu beantworten, soll aber vorerst geklärt werden, ob Hegels Philosophie eine Lebenshaltung überhaupt fördert und, im positiven Falle, welche. Dazu ist eine systematische Untersuchung von Hegels System (5) notwendig.


§2.1 Die von Hegels Philosophie geförderte Lebenshaltung
Die Antwort auf die oben gestellte Frage befindet sich in dem praktischen Teil von Hegels System, also in der Philosophie des objektiven Geistes. Allein dieser Teil hat in der Tat zum Gegenstand das praktische Leben des Menschen, also dessen Verwirklichung in einer äußeren Gestalt. Nach den Prinzipien von Hegels Philosophie soll diese Selbstverwirklichung die ethische Grundhaltung des Menschen bilden.
Die übrigen zwei Teile der Philosophie des Geistes betreffen dagegen ausschließlich die Innerlichkeit des Geistes, und zwar behandelt die Philosophie des subjektiven Geistes die individuelle, von Natur aus bestimmte Subjektivität des Menschen, während die Philosophie des absoluten Geistes die absolute, von der Selbstdarstellung der Idee in der Geschichte der Kunst, der Religion und der Philosophie bestimmte Subjektivität untersucht.
Während die Gestalten des subjektiven und des absoluten Geistes also jeweils ihren Bereichen innerlich bleiben6), finden die Gestalten des objektiven Geistes in der Äußerlichkeit des intersubjektiven Lebens der Menschen ihren Ausdruck. Solche Gestalten sind z.B. die Familie und der Staat.
Bevor die Bedeutung dieses praktischen Teils von Hegels Philosophie weiter vertieft wird, ist es notwendig, der Frage nachzugehen, wie Hegel zu der Bestimmung des Inhaltes des ethischen Lebens des Menschen kommt, also wie er die Philosophie des objektiven Geistes und vor allem deren dritten Teil, Die Sittlichkeit, der die Bestimmung der Begriffe ’Familie’ und ’Staat’ enthält, begründet. Dazu ist es erforderlich, eine Rekonstruktion der gesamten Welt- und Menschenauffassung durchzuführen, die Hegels System zugrundeliegt, da die Philosophie des objektiven Geistes davon abgeleitet ist.

 

§2.2 Die Welt- und Menschenauffassung von Hegels Philosophie
Hegels Auffassung der Welt ist auf folgende Weise zusammenzufassen: Das erste Prinzip, von dem alle anderen Prinzipien abgeleitet werden, ist die absolute Idee (§§ 236 ff.). Sie besteht in den Kategorien bzw. Denkbestimmungen, die die Grundstruktur sowohl der Natur als auch des menschlichen Geistes bilden. In diesem Sinn sind die Kategorien das Absolute, da sie das ganze Sein prägen und bilden.
Die Kategorien besitzen eine innere Entwicklung, ein inneres Leben: die Dialektik. Sie entwickeln sich also nacheinander und zwar nicht auf eine zufällige, sondern auf eine notwendige Art. Die Notwendigkeit in der Entwicklung der Kategorien beruht auf dem Prinzip der Negation, das den Motor der Dialektik bildet. Die Kategorien negieren einander, und damit entwickeln sie sich nacheinander (z.B. ’Nichts’ negiert ’Sein’, ’Werden’ negiert ’Nichts’ usw.). Die Negation ist nicht einfach, sondern doppelt. Die erste Negation einer Kategorie ist deren Gegensatz (z.B. die Kategorie ’Nichts’ ist die erste Negation der Kategorie ’Sein’, da sie deren Gegensatz ist). Die zweite Negation als Negation der Negation ist dann die Einheit von der ersten (Affirmation) und der zweiten Kategorie (1. Negation) als deren innere Entwicklung, also deren Negierungsprozess (z.B. die Kategorie ’Werden’ als 2. Negation ist der Negierungsprozess zwischen ’Sein’ und ’Nichts’).
Daraus folgt:
- Erstens, dass die 2. Negation in sich sowohl die erste Kategorie (Affirmation) als auch die zweite (1. Negation) enthält, und zwar als in sich ’aufgehoben’ (7).
- Zweitens, dass die 2. Negation ihrerseits wieder etwas ’Positives’ ist, also eine neue Affirmation, die ihrerseits eine eigene 1. Negation hat. Sie ist deshalb Rückkehr zu der Affirmation (’Werden’ z.B. Rückkehr zum ’Sein’), angereichert aber durch den Beitrag der 1. Negation (z.B. durch die Kategorie ’Nichts’ - in der Tat ist das ’Werden’ ohne das ’Nichts’ als eigenes Moment undenkbar).
Die dialektische Entwicklung, die auf diese Art durch einen immanenten, notwendigen und selbstbestimmenden Gang gekennzeichnet ist, geht auf dieselbe Weise weiter, und zwar bis zur Kategorie, die alle vorigen Kategorien in sich enthält und deshalb als Prozess aller Prozesse diese Entwicklung abschließt. Diese abschließende Kategorie aller Kategorien ist ’die absolute Idee’, das sich denkende und erkennende Denken.
Die Dialektik, da sie den Gang der Entwicklung des Absoluten bildet und sich dieser in der Entwicklung der Natur und des Geistes seinerseits widerspiegelt, bildet auch die Art und Weise des Zustandekommens der existierenden Welt. Dies bedeutet, dass die Bildung der verschiedenen natürlichen und geistigen Seienden auch dialektisch, also nach dem Prinzip der doppelten Negation, geschieht (8).
Die erste Negation der absoluten Idee ist deren Gegensatz, also die Natur (9). Die Grundstruktur der Natur ist das Auseinanderliegen ihrer Gebilde (10). Die Natur entwickelt sich dialektisch, da in ihr die absolute Idee - also die Kategorien - tätig ist. Durch verschiedene Stufen führt die dialektische Entwicklung der Natur zu deren eigener Negation, dem Geist. Der Geist als Negation der Natur ist Negation der Negation, also 2. Negation und enthält in sich deshalb beide, sowohl die absolute Idee als auch die Natur. Insbesondere enthält er die Natur als Körper und die absolute Idee dagegen als das absolute Selbstbewusstsein, d.h. den Drang, den der Geist in sich spürt, sich ein Bild des Absoluten in Form z.B. von Religion bzw. Philosophie zu machen (s. §§ 553-577: Der absolute Geist). Der Geist erweist sich deshalb als der Ort, an dem Natur und absolute Idee, als die zwei Hauptgegensätze des Seins aufeinanderstoßen (11). Der Geist ist ihre Dialektik, ihre innere Entwicklung, wie ’Werden’ die innere Entwicklung, das Ineinanderfließen von ’Sein’ und ’Nichts’ ist.
Die Grundstruktur des Geistes ist das Zusammenhalten seiner Gebilde, im Gegensatz also zur Natur. Dies ist möglich, da der Geist das Absolute auf eine andere Art als die Natur ist. Die Natur, als 1. Negation der absoluten Idee, ist das Außer-sich-Sein der Kategorien (die Materie). Die Kategorien sind also auch in der Natur tätig, d.h. die Natur entwickelt sich dialektisch, ohne aber die eigene Entwicklung steuern zu können.
Der Geist dagegen, als zweite Negation der absoluten Idee, enthält in sich die Kategorien in ihrer eigenen Form, nämlich als etwas Ideelles.
Deswegen ist der Geist das Bei-sich-Sein der Kategorien, die in dieser Form über Selbststeuerung verfügen.
Die Fähigkeit des Geistes, sich selber zu steuern, ist dessen Freiheit, während die Natur dagegen unfrei ist. Freiheit ist nicht mit Willkür zu verwechseln. Da die Kategorien sich nacheinander auf eine notwendige Weise entwickeln, ist ihre Entwicklung auch im Geist notwendig. Der Geist besitzt jedoch Macht über sie, und zwar deswegen, weil er durch das Selbstbewusstsein den Prozeß der Entwicklung der Kategorien steuern kann. Darin besteht die Freiheit des Geistes, während die Natur, die keine Selbststeuerung besitzt, der Notwendigkeit der Entwicklung des Absoluten völlig ausgesetzt ist.
Aus diesem Grund ist Freiheit das Wesen des Geistes gegenüber der Natur. Sie besteht in der Steuerung der dialektischen Bewegung der Kategorien und der natürlichen Bestimmungen im Geist. Der Geist enthält also sowohl die Natur als auch die absolute Idee in sich, und zwar die eine als Körper und subjektiven Geist, die andere als weltanschauliches Denken (Selbstdarstellung des Absoluten in religiösen bzw. philosophischen Auffassungen). Der Geist besteht in der Vermittlung zwischen beiden, er soll beide zu einer Einheit bringen und genau darin, in dieser Möglichkeit der Steuerung beider dialektischer Prozesse, des Prozesses der Materie und des Prozesses des Absoluten, besteht seine Freiheit.
Die natürlichen Triebe werden von Hegel nicht in der Geistes-, sondern in der Naturphilosophie dargestellt. Grund dafür ist, dass sie in der Tat den natürlichen Bestandteil des Geistes ausmachen, den er gemeinsam mit den Tieren hat (12).
Die natürlichen Triebe sind im Wesentlichen zwei: der Trieb zur Assimilation (§§ 357 ff.) und der zur Fortpflanzung (§§ 367 ff.). Der Trieb zur Assimilation sichert das Überleben des einzelnen Individuums, der Trieb zur Fortpflanzung das Überleben der Art.
Das Hauptmerkmal beider Triebe sowie jeder Gestalt der Natur ist die Notwendigkeit. Dies bedeutet, dass die natürlichen Seienden - und darunter selbstverständlich auch der Mensch als Körper - gezwungen sind, diese Triebe zu befriedigen, wenn sie als Individuum bzw. als Art überleben wollen. Diese zwei Triebe sind deshalb zwei wesentliche Bestandteile des Lebens, da das Leben ohne deren Befriedigung nicht möglich ist. Aus diesem Grund sind die natürlichen, tierischen Organismen von diesen zwei Trieben unterjocht und auch der Mensch ist in seiner Körperlichkeit diesen Trieben unterworfen.
Der Mensch ist aber selbstverständlich nicht nur ein tierisches, sondern auch und vor allem ein geistiges Wesen. In der Tat bildet der biologische Bestandteil des Menschen nicht dessen Wesen, sondern allein die Grundlage, worauf er sein eigentliches Leben als Geist entfalten kann. Der Mensch bezieht sich auf seinen Körper nach dem Prinzip des Habens (ich habe einen Körper), auf seinen Geist indessen nach dem Prinzip des Seins (ich bin mein Geist).
Das erste Verhältnis ist das Bewusstsein (§§ 418-419), das sich sowohl auf den eigenen Körper als auch auf andere äußere Gegenstände sowie Personen beziehen kann. Das zweite Verhältnis ist das Selbstbewusstsein (§§ 424-425), das sich hingegen nur auf sich selbst, und zwar auf das eigene Ich bezieht. Das Selbstbewusstsein als der Bezug auf den eigenen Geist und auf dessen vielfältige Fähigkeiten (Denken, Gedächtnis, Phantasie usw.) ist ein Hauptmerkmal des Geistes.
Dieser höhere Standpunkt, von dem sich der Geist nicht als einzelnes Individuum mit einem besonderen Charakter usw. betrachtet, sondern das Denken von sich selbst zum eigenen Wesen erhebt und als solches annimmt, ist in Hegels Terminologie ’der absolute Geist’. In der Tat erhebt sich der Geist dabei zum Standpunkt der Absolutheit, d.h. er betrachtet sich selbst als Verkörperung des Absoluten. Dies kann in verschiedenen Formen und Stufen geschehen, die von Hegel in dem gleichnamigen Kapitel der Enzyklopädie dargestellt werden, und zwar in der Sektion Der absolute Geist (§§ 553-577), in der Hegel die Kunst, die Religion und die Philosophie als die verschiedenen Weisen (und Stufen) der Selbstdarstellung des Absoluten im Geist darstellt.
Alle diese Formen und Stufen werden dadurch gekennzeichnet, dass sich der Geist dabei von seinen natürlichen Trieben allmählich distanziert und sich mit seinem ideellen und nicht materiellen, deshalb freien und nicht notwendigen Wesen identifiziert. Die erfolgte Identifizierung des Geistes mit seinem ideellen absoluten Wesen (13) bildet die Voraussetzung dafür, dass der Geist seine Haupttätigkeit, die Vermittlung zwischen Notwendigkeit der Natur und Freiheit der absoluten Idee, erfolgreich zustande bringen kann.
Die Fähigkeit des Geistes, die dafür zuständig ist, ist der Wille (§ 269 Der praktische Geist und vor allem §§ 481-482 Der freie Geist). Er hat die Aufgabe, die natürlichen Kräfte im Geist, also im Menschen, mit den geistigen zu vereinigen. Dies bedeutet, anders ausgedrückt, dass er eine Lösung für den Gegensatz zwischen der Freiheit der geistigen Prozesse und der Notwendigkeit der biologischen Prozesse im Geist finden soll. Dies kann er tun, indem es ihm gelingt, die natürlichen Triebe und die Selbstdarstellung des Absoluten im Menschen in Einklang zu bringen.
In der Tat sind die biologischen Triebe wohl zu befriedigen, wenn das Leben weitergehen soll, dies darf aber nicht auf eine rein biologische Weise geschehen, wie die Tiere es tun, ansonsten würde der Geist den biologischen Trieben unterjocht sein und könnte er nicht nach seinem eigentlichen Wesen, also in Freiheit leben.
Wie eine erfolgreiche Vermittlung zwischen Freiheit des Geistes und der Notwendigkeit von dessen natürlichen Trieben erfolgreich zustande zu bringen ist, wird von Hegel in der Philosophie des objektiven Geistes dargestellt. Hier und insbesondere in der dritten Sektion Die Sittlichkeit zeichnet Hegel die Gestalten nach, die es dem Geist ermöglichen, beiden Ansprüchen seiner Beschaffenheit gerecht zu werden.
Es handelt sich dabei um die Gestalten des intersubjektiven Lebens der Menschen: die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat.
Die Familie ermöglicht die Befriedigung des Triebes zur Fortpflanzung. Durch die Familie wird das Überleben der Menschheit garantiert, dies geschieht aber nicht auf eine rein natürliche und notwendige, sondern auf eine geistige, freie Art. Bei der Gründung und Gestaltung einer Familie soll es in der Tat nicht in erster Linie um die bloße Erzeugung von Kindern, also nicht um den rein biologischen Akt der Fortpflanzung gehen, sondern um die Kreation eines Gebildes, in dem deren Mitglieder Liebe, Zuwendung usw. geben und bekommen, schenken und genießen. Die Familie soll deshalb wie eine Hülle sein, in der sich die Fortpflanzung der Menschheit wohl vollzieht, jedoch, sozusagen, als Nebeneffekt. Was sich die Partner als Ziel bewusst setzen sollen, ist, ein Gebilde zu gründen, in dem sie glücklich (14) sein können. Dazu gehört auch die Geburt von Kindern, die ein wesentlicher Bestandteil - aber wohlgemerkt nicht der einzige - davon ist.
Aufgrund der zeitlich begrenzten Dimension der Entwicklung des Lebens von deren Mitgliedern wird sich die Familie irgendwann auflösen, das Leben der Menschheit wird sich aber wohl weiter entwickeln und dies genau dank diesem Gebilde, das einst das Nest der Glückseligkeit von einzelnen Individuen gewesen ist. Die Gründer der Familie beabsichtigten also, etwas für sich allein zu tun, und haben dagegen einen großen Beitrag zur Geschichte der ganzen Menschheit geleistet.
Ähnliches ist in Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft zu sagen: Sie beinhaltet die Arbeitswelt, den Staat als Wirtschaftswesen sowie Verwaltung, Polizei usw., in einem Wort, wie sich Hegel ausdrückt, den äußeren Staat (§ 523). Die Prinzipien des Staates (Verfassung, richtige Regierungsform usw.) werden von ihm dagegen in der dritten Gestalt der Sittlichkeit (Der Staat) dargestellt. Diese dritte Gestalt soll als ’innerer Staat’ gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft angesehen werden, wobei diesbezüglich anzumerken ist, dass es sich dabei nicht um zwei getrennte Gebilde, sondern um zwei verschiedene Dimensionen des einzigen Gebildes, also der organisierten Gesellschaft der Menschen handelt.
Bevor hier die Darstellung und Erläuterung der zweiten Gestalt der Sittlichkeit, also der ’bürgerlichen Gesellschaft’ fortgesetzt wird, soll zuerst ihr Begriff präzisiert werden. In der Behandlung dieses Begriffs hat sich Hegel m.E. selber widersprochen. In der Tat vertritt er folgende entgegengesetzten Meinungen: Einerseits schreibt er, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Sittlichkeit verloren geht, und zwar deswegen, weil die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft nicht füreinander tätig sind, sondern jeder für sich allein egoistisch lebt. Es handelt sich dabei um das System der Atomistik, wie sich Hegel ausdrückt:
"Die Substanz, als Geist sich abstract in viele Personen (die Familie ist nur Eine Person), in Familien oder Einzelne besondernd, die in selbstständiger Freiheit und als Besondere für sich sind, verliert zunächst ihre sittliche Bestimmung, indem diese Personen als solche nicht die absolute Einheit, sondern ihre eigene Besonderheit und ihr Fürsichseyn in ihrem Bewusstseyn und zu ihrem Zwecke haben, - das System der Atomistik." (§ 523)
Andererseits behandelt er diese Gestalt trotz ihrer ’unsittlichen’ Grundlage in der Sphäre der Sittlichkeit, der aber die intersubjektive Struktur des ’absoluten Selbstbewusstseins’ offensichtlich zugrunde liegt und zu der deshalb nur Gestalten gehören dürfen, die sich darauf gründen und demzufolge intersubjektiv und sittlich sind:
"Das allgemeine Selbstbewusstseyn ist das affirmative Wissen seiner selbst im andern Selbst [...]. Diß allgemeine Wiedererscheinen des Selbstbewusstseyns, [...], ist die Form des Bewusstseyns der Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit, der Familie, des Vaterlandes, des Staats; sowie aller Tugenden, der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, des Ruhms." (§ 436)
Und in dem diesbezüglichen Zusatz ist bezüglich der Einheit der Subjekte im absoluten Selbstbewusstsein zu lesen:
"Sie bildet die Substanz der Sittlichkeit [...]." (SA 10, § 436, Zusatz)
Hier ist nicht der richtige Ort, zu untersuchen, aus welchen Gründen Hegel zu diesem unglücklichen Widerspruch gekommen ist. Um dies zu tun, sollte die Entwicklung dieses Begriffs durch die Entwicklung von Hegels Denken hindurch rekonstruiert werden, was selbstverständlich eine spezielle Studie erfordern würde (15).
Bei der folgenden Erläuterung des Begriffs ’bürgerliche Gesellschaft’ wird sich deshalb meine Interpretation von der Darstellung dieses Begriffs durch Hegel distanzieren und sich als Vorschlag einer möglichen Reform dieser Gestalt der Sittlichkeit anbieten.
Der Hauptbegriff meiner Interpretation des Begriffes ’bürgerliche Gesellschaft’ (bzw. im Allgemeinen der zweiten Gestalt der Sittlichkeit) ist, dass diese Gestalt hauptsächlich in der Arbeitswelt bestehen soll. In der Tat wird durch die Arbeit der andere notwendige natürliche Trieb der Menschen, der Trieb zur Assimilation befriedigt. Wie die Familie das Überleben der Menschheit sichert, so bildet die gesellschaftliche Arbeit die Voraussetzung dafür, dass das Überleben der einzelnen Menschen durch die gesellschaftliche Produktion der dazu notwendigen Mittel (die wirtschaftlichen Güter) abgesichert wird. Dem Arbeitsprozess liegt also eine intersubjektive Struktur zugrunde, und die egoistische Suche nach dem individuellen eigenen Profit ist die Grundstruktur eher einer geschichtlich begrenzten Art von Organisation der gesellschaftlichen Arbeit als von deren Begriff an sich.
Unter dieser Perspektive betrachtet, ist die bürgerliche Gesellschaft - die ich im folgenden als ’Arbeitswelt’ bezeichnen werde - die Sphäre der Organisation der Arbeitsteilung, in der auf eine gegenseitige, intersubjektive und deshalb sittliche Art das Überleben des Einzelnen durch die Produktion der dazu notwendigen Mittel gesichert wird.
Der Arbeitswelt liegt genauso wie der Familie (und dem Staat, s. unten) gegenseitige Anerkennung zwischen den Menschen, also Intersubjektivität und deshalb Sittlichkeit zugrunde. Durch die gesellschaftliche Arbeit werden die verschiedenen Mittel produziert, die zur Befriedigung der Bedürfnisse notwendig sind, die zur Assimilation gehören, und die deshalb das Überleben des Individuums ermöglichen. Dies geschieht in den ursprünglichen, einfacheren Gesellschaften auf eine unmittelbare Weise (die Jäger, Bauern usw. beschaffen sich selber das, was sie zum Leben brauchen) (16), während die entwickelten Gesellschaften die dazu gehörenden Vorgänge durch Arbeitsteilung, also auf eine vermittelte Weise organisieren.
Dank der Arbeitsteilung besteht die Arbeit in den entwickelten Gesellschaften nicht mehr in der direkten Beschaffung der Mittel, die zur Befriedigung des aufkommenden Triebes unmittelbar notwendig sind, sondern in einer Tätigkeit, die davon oft weit entfernt ist. Die berufliche Tätigkeit eines Arztes, eines Lehrers usw. hat mit der direkten Beschaffung der Mittel, die zur Befriedigung des Hungers und der anderen körperlichen Grundbedürfnisse notwendig sind, nichts mehr zu tun.
Dies wird dadurch ermöglicht, dass andere sich mit der direkten Produktion jener Mittel beschäftigen. Diejenigen, die Berufe ausüben, die mit dieser Produktion nichts mehr zu tun haben, können durch das verdiente Geld jene Mittel kaufen (17).
Es entsteht also in der Arbeitswelt ein ständiger Tausch zwischen den Beteiligten, der durch das Mittel ’Geld’ ermöglicht wird. Dieser Tausch ist bei den hochentwickelten Gesellschaften sicher komplizierter als in den einfacheren Gesellschaften, dessen Grundstruktur ist aber die gleiche.
Das Hauptmerkmal der Arbeit besteht deshalb seinem Begriff nach nicht in dem individuellen Profit, sondern in der Produktion von lebensnotwendigen Mitteln bzw. in der Ausübung von gemeinnützigen Berufen. Beide sind zur Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder mittelbar bzw. unmittelbar notwendig. Unter dieser, philosophisch tieferen Perspektive ist deshalb die Arbeit in ihrem Kern immer ein Dienst, dessen Empfänger die Mitmenschen sind. Für sie soll gearbeitet werden und dafür wird man durch das Gehalt belohnt (18).
Aus diesem Grund enthält in sich auch die Arbeit, wie die Familie, sowohl das natürliche Moment (die Befriedigung der biologischen, zur Assimilation gehörenden Grundbedürfnisse und dadurch die Garantie des Überlebens des einzelnen Menschen) als auch das geistige Moment (die Verwirklichung des kreativen Wesens des Geistes durch die Ausübung einer Tätigkeit, die dem Wohle anderer Menschen dient und deshalb einen lebenserfüllenden Sinn hat).
Auch bei der Arbeit ist das geistige Moment das wichtigste. Durch die Arbeit bauen die Menschen Gesellschaften, die nach ihrem Tod weiterbestehen und den künftigen Generationen bessere Lebensbedingungen ermöglichen. Wenn wir uns also von dem begrenzten Standpunkt des einzelnen Individuums zu dem unbegrenzten Standpunkt der Weltgeschichte, die auch die Vor- und Nachgeschichte in sich enthält, erheben (19), lassen sich hinter der Vergänglichkeit und Begrenztheit des Lebens der einzelnen Individuen die Unvergänglichkeit und Unbegrenztheit des Lebens der Menschheit hinter sich erkennen.
Auch die Arbeitswelt, in Hegels Worten die ’bürgerliche Gesellschaft’, erweist sich deshalb als eine Kreation des Geistes und deshalb als ein Ausdruck von dessen Freiheit und Kreativität, die in sich als Nebeneffekt auch die Befriedigung des Triebes zum Überleben der einzelnen Menschen enthält.
Auch der Arbeit liegt deshalb Intersubjektivität und Sittlichkeit zugrunde. Während in der Familie es der Partner ist, der als Mann bzw. Frau anerkannt wird, soll bei der Arbeit derjenige, für den unsere Arbeit verrichtet wird, als Zweck unserer beruflichen Tätigkeit angenommen werden. Für ihn soll gearbeitet und er soll als ’Genießer’ bzw. als Ziel unserer beruflichen Tätigkeit anerkannt werden.
Die Arbeitswelt soll deshalb als die zweite Gestalt der Sittlichkeit betrachtet werden, und dabei handelt sich um eine Gestalt, die genauso sittlich ist wie die Familie (und der Staat). Grund dafür ist, dass auch der Arbeit die Grundstruktur der ’allgemeinen Anerkennung’ zugrunde liegt, wie bei der Familie (und dem Staat). Hegel hat deshalb einen Fehler begangen, als er von der ’Unsittlichkeit’ der zweiten Gestalt der Sittlichkeit, also der bürgerlichen Gesellschaft geschrieben hat.
Die dritte und letzte Gestalt der Sittlichkeit ist der Staat. Er besteht in den Prinzipien, die das soziale Leben der Menschen regeln (20). Deswegen bildet der Staat die Einheit von Familie und Arbeitswelt, da sich beide nach diesen Prinzipien entwickeln.
Der Staat ist etwas rein Ideelles und führt deshalb zu der Befriedigung von keinem besonderen natürlichen Trieb. Seine Grundlage ist keine Bestimmung der Natur - wie es bei der Familie der Fortpflanzungstrieb und bei der Arbeit die Assimilation sind. In der Tat ist der Staat eine Mehrzahl von Menschen, die sich aufgrund verschiedener kultureller Faktoren (Traditionen, Religion, Werten, Sprache usw.) gegenseitig als zusammengehörend anerkennen und sich in einer Einheit, in einem Volk vereinigen.
Hier kann nicht erläutert werden, ob es eine richtige Form von Staat nach Hegel gibt und welche diese ist. Es soll aber wenigstens darauf hingewiesen werden, dass das Weiterdenken von Hegels Rechtsphilosophie, wie Schild davon einen vorbildlichen Ansatz geliefert hat (21), zu der Feststellung führt, dass in den Prinzipien von Hegels Philosophie kein logischer Grund vorliegt, aufgrund dessen die höchste Form von staatlicher Organisation der Menschheit in dem Nationalstaat anzusehen ist, wie Hegel selbst dies tut. In einer offenen, aktualisierenden Lektüre von Hegels politischer Philosophie scheint dagegen der Weltstaat die staatliche Organisationsform zu sein, die dem Begriff von ’Weltgeist’, der über den ’Volksgeist’ als Gipfel des objektiven Geistes steht und erster Motor der Weltgeschichte ist, entspricht.
Dem Staat, und zwar sowohl als National- als auch als Weltstaat, liegt immer eine geistige Grundlage in Form einer Gestalt des absoluten Geistes zugrunde (22). Es kann sich dabei um eine ästhetische, eine religiöse oder eine philosophische Auffassung handeln, die die geistige Bindung zwischen den Staatsbürgern bildet und dadurch die ideelle Grundlage des Staates ausmacht. Es sind also die Selbstbewusstseine der einzelnen Menschen, die sich zu einem Volk zusammenschließen und das intersubjektive Leben, also den geistigen Inhalt des Familien- und Arbeitslebens, nach gemeinsam gefühlten und demokratisch festgelegten Prinzipien organisieren.
Der Staat ist also ein weiterer Ausdruck der Kreativität des menschlichen Geistes, und zwar ist er eigentlich derjenige Ausdruck, der ohne Rücksicht auf natürliche Triebe tätig ist. In der Bildung von Staaten sind die Menschen also völlig frei, sie hängen nur von der eigenen Fähigkeit ab, sich von dem Standpunkt des endlichen Selbstbewusstseins - was für die Menschen aufgrund der Begrenztheit und Notwendigkeit ihres biologischen Lebens unvermeidlich ist -, zu dem Standpunkt des unendlichen bzw. absoluten Selbstbewusstseins - was sie andererseits aufgrund der Unbegrenztheit und Freiheit ihres geistigen Lebens sind - zu erheben. In dem Leben für den Staat, und zwar nach dem eben erklärten Sinn als sittliche Weltgemeinschaft der sich als geistige, kreative Wesen gegenseitig anerkennenden Menschen, liegt deshalb der Sinn des menschlichen Lebens nach den Prinzipien - zum Teil hier neu interpretiert - von Hegels Philosophie (23). ’Für den Staat zu leben’, heißt aber nicht, für ein fremdes Wesen zu leben, sondern bedeutet dasselbe wie ’für den Geist zu leben’, da dieser das Wesen der einzelnen Menschen - und zwar sowohl der gestorbenen als auch der jetzt lebenden und der künftig lebenden Menschen - ausmacht.
Konkret äußert sich eine solche Lebensführung nicht nur in der politischen Teilnahme durch die Wahlen an den Entscheidungen, die das Staatsleben bestimmen, sondern auch in dem Engagement für die eigene Familie und für diejenigen, die unsere Arbeit als Dienst benötigen. Grund dafür ist, dass Familie und Arbeitswelt zum Staat gehören, deshalb kommt das Engagement für die Familie und für die Arbeit dem Staate zugute und umgekehrt, das Engagement für den Staat kommt der Familie und der Arbeitswelt, also auch der eigenen Arbeit, zugute.
Allein eine solche Lebensführung ist ’sittlich’ in dem vollen, Hegelschen Sinn des Wortes. Allein dadurch wird die volle Kraft des menschlichen Geistes verwirklicht und ein wahres, menschenwürdiges Leben zustande gebracht. In einem auf diese Art geführten Leben findet der Mensch sowohl die Befriedigung seiner biologischen Grundbedürfnisse als auch die Verwirklichung seiner geistigen Freiheit, seiner Kreativität. Er befriedigt seine Grundbedürfnisse ohne deren Knecht zu sein. Der Fortpflanzungstrieb findet in der Liebe seine Sublimation und in einer glücklichen Familie seinen geistigen Ausdruck. Er hört damit auf, etwas bloß Körperliches zu sein und wird zu einem geistigen Erlebnis. Der Assimilationstrieb findet in einem kreativen, freigewählten Beruf (24) seine indirekte Befriedigung. Durch einen solchen Beruf bekommen die Menschen das erfüllende Gefühl, zum Gemeinwohl und zum Fortschritt der eigenen Gemeinde sowie der Menschheit im Allgemeinen persönlich beizutragen.
Durch die engagierte Teilnahme am sittlichen Leben des Staates, und zwar nicht nur des eigenen Volkes, sondern der internationalen Gemeinschaft im Ganzen soll der einzelne Mensch seinen eigenen Beitrag dafür geben, dass die notwendigen gesellschaftlichen Bedingungen, die einer solchen sittlichen Organisation des Familien- und Arbeitslebens der Menschen zugrunde liegen müssen, geschaffen werden bzw. erhalten bleiben.
Allein eine solche Lebensführung ermöglicht ein menschliches Leben, das als ’glücklich’ (25) und menschenwürdig bezeichnet werden kann. Grund dafür ist, dass sie dem Wesen des Menschen, also seiner Schöpferkraft bzw. Kreativität (26) entspricht und deren Verwirklichung ermöglicht. Die Begründung des kreativen Wesens des Geistes befindet sich in der Philosophie des subjektiven Geistes, und zwar in der dritten Sektion Psychologie. Der Geist (27) und auf einem tieferen und allgemeineren Niveau in der Wissenschaft der Logik, und zwar in der Lehre vom Begriff (28).
Der sowohl rein logisch als auch natur- und geisteswissenschaftlich begründete Hinweis auf eine solche Lebensführung als Weg zur menschlichen Glückseligkeit soll als die ethische Botschaft von Hegels Philosophie angesehen werden.


§3 Vergleich zwischen dem Begriff ’Weisheit’ und dem von Hegels Philosophie begründeten, ethischen Vorbild: Antwort auf die Frage, ob die von Hegels System geförderte Lebensführung als ’weise’ zu bezeichnen sei
Nachdem festgestellt worden ist, dass Hegels Philosophie eine Lebensführung begründet, die in dem Engagement für die sittlichen Institutionen des intersubjektiven Lebens der Menschen (Familie, Arbeit und Staat) besteht, ist es nun möglich, die zweite Ausgangsfrage zu beantworten, ob eine solche Lebensführung als ’weise’ zu bezeichnen sei.
Die Grundlage für die zu gebende Antwort hängt selbstverständlich von dem oben angeführten Weisheitsbegriff ab. Es ist also zu untersuchen, ob eine ’Hegelianische bzw. absolut-idealistische Lebensführung’ - wie das ethische Leben nach den dargestellten Prinzipien von Hegels Philosophie der Sittlichkeit bezeichnet werden kann - den drei Hauptforderungen der Weisheit gerecht wird.
Was die erste Forderung angeht, dass also eine weise Lebensführung gegen die Gefahr von Streitigkeiten unter den Menschen aufgrund der Knappheit an materiellen Ressourcen wirken soll, wird diese deswegen erfüllt, weil Zweck des wirtschaftlichen Lebens der Menschen, also der Arbeit, nach den Prinzipien des absoluten Idealismus nicht in erster Linie die Befriedigung der eigenen biologischen Grundbedürfnisse, sondern die Ausübung einer kreativen, sinnvollen beruflichen Tätigkeit sein soll. Diese soll unmittelbar auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse von Mitmenschen und nur mittelbar durch deren Honorierung auf die Beschaffung des nötigen Geldes für die Befriedigung der eigenen Grundbedürfnisse gerichtet sein29).
Wenn die Menschen auf diese echt idealistische Art ihre biologischen Grundbedürfnisse befriedigen, laufen sie keine Gefahr, miteinander in harte, wirtschaftliche Konkurrenz zu treten. Grund dafür ist, dass Zweck der Organisation ihrer Berufstätigkeit auf gemeinschaftlicher Ebene (also des Staates) die Beschaffung der Bedingungen dafür sein wird, dass möglicherweise jeder Bürger eine Einstellung hat, durch die er sowohl den eigenen Wunsch nach einer kreativen, sinnvollen Arbeit als auch die eigenen biologischen Bedürfnisse befriedigt. Dadurch könnte auch der Bedarf der Gesellschaft nach seinem Beitrag zum gemeinsamen Reichtum gleichzeitig sichergestellt werden.
In bezug auf die Gefahren, die von der wirtschaftlichen Konkurrenz unter den Menschen ausgehen, ist eine ’Hegelianische (absolut-idealistische) Lebensführung’ also als ’weise’ zu bezeichnen.
Was die zweite Forderung betrifft, d.h. die Bewältigung der Gefahren, die von der Natur kommen, ist eine ’Hegelianische (absolut-idealistische) Lebensführung’ deswegen imstande, ihnen entgegenzuwirken, weil sie auf der Vernunft gegründet ist und deshalb auf die Entwicklung von Wissenschaft und Technik fördernd wirkt.
Was die Wissenschaft angeht, so liegt in der Tat Hegels Philosophie der Gedanke zugrunde, dass die Vernunft, die in unserem Denken tätig ist und deren Kategorien durch die Logik zum Bewusstsein gebracht werden können, gleichsam auch die Vernunft ist, die, selbstverständlich in einer nicht-bewussten Form, in den Abläufen der Natur tätig ist und ihren Gesetzen zugrunde liegt. In dieser Hinsicht ist einem Hegelianer bzw. absolut-idealistisch denkenden Philosophen selbstverständlich, dass das menschliche Denken in sich die Möglichkeit trägt, die Gesetze und die Entwicklung der Natur mit Genauigkeit zu erkennen, vorausgesetzt, dass man sich an ein streng vernünftiges und logisches Denken hält bzw., mit Hegels schönen Worten, dass man bereit ist, "die Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen" (30).
Was die Technik betrifft, so ist ein Hauptgedanke von Hegels Philosophie, dass der Geist über die Natur herrschen soll, und zwar nicht in dem Sinne, dass er sie zu unterdrücken hat (31), sondern in dem Sinne, dass er den Ablauf der Naturprozesse durch die Anwendung seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu seinen Gunsten lenken soll. Nach den Prinzipien einer ’Hegelianischen (absolut-idealistischen) Lebensführung’ soll der Geist in die Natur eingreifen, aber unter Berücksichtigung ihrer eigenen Beschaffenheit und gesetzmäßigen Ordnung.
Daraus lässt sich schließen, dass eine ’Hegelianische (absolut-idealistische) Lebensführung’ ein ausgewogenes Mensch-Natur-Verhältnis fördert, indem sie beide extreme Positionen meidet, und zwar die einer schwachen, ausschließlich naturorientierten Handlung, die als Endergebnis die Unfähigkeit des Menschen hat, die Naturkatastrophen vorherzusehen und möglicherweise zu beherrschen, und die einer arroganten, ausschließlich menschorientierten Handlung, die als Endergebnis die Unterdrückung der Natur und die Zerstörung der biologischen Lebensgrundlagen hat.
Die eben dargestellte Ausgewogenheit der Haltung zur Natur durch die Auffassung der Wissenschaft und der Technik, die von der ’Hegelianischen (absolut-idealistischen) Lebensführung’ gefördert wird, besteht also darin, dass ein nach dieser Philosophie lebender Mensch und eine auf deren Prinzipien organisierte Gesellschaft in der Lage sind, sowohl die biologische Abhängigkeit des Menschen von der Natur als auch die immensen Kräfte, die in der menschlichen Vernunft liegen, anzuerkennen. Aufgrund dieser umfassenden Erkenntnis werden sie deshalb versuchen, den Ablauf der Naturprozesse zu den eigenen Gunsten zu lenken, ohne aber das natürliche Gleichgewicht zu zerstören. Sie werden also die immensen Kräfte der Vernunft weder hemmen noch ihnen völlig freien
Lauf lassen, sondern eher auf eine richtige, also ’weise’ Art anwenden. Auch den Naturkatastrophen gegenüber scheint also die Philosophie des absoluten Idealismus eine weise Haltung fördern zu können.
In Bezug auf die dritte Forderung der Weisheit, die Forderung nach Wirkung gegen die Gefahren, die von den Kriegen unter den Völkern aufgrund der verschiedenen religiösen und ideologischen Weltanschauungen ausgehen, ist ebenso zu schließen, dass sich eine ’Hegelianische (absolut-idealistische) Lebensführung’ sehr gut dazu eignet, solchen Gefahren entgegenzuwirken. Grund dafür ist, dass diese Philosophie eine vernünftige Auffassung des Absoluten vertritt, die den Anspruch erhebt, letztbegründet zu sein. Dies bedeutet, dass ihre ersten Prinzipien, worauf das ganze System der Welt- und Menschenauffassung aufgebaut wird, durch die Vernunft begründet werden sollen und können.
Wenn sich die Menschen also ihrer Vernunft nicht verschließen, müsste es prinzipiell möglich sein, dass sie alle - oder wenigstens die überwiegende Mehrheit von ihnen - zu einer Übereinstimmung über diese ersten Prinzipien kommen, so wie es heute bei den Naturwissenschaften im großen und ganzen der Fall ist. Es ist allein eine Frage der Bereitschaft, der Fähigkeit und der Ausdauer, mit denen diejenigen, die zu der Erkenntnis der absoluten Wahrheit von Hegels Philosophie (32) schon gekommen sind, die, die noch nicht Hegelianer bzw. Absolut-Idealisten sind, von der letztbegründeten Wahrheit dieser Philosophie auf eine wissenschaftliche Weise überzeugen wollen und können. Der Erfolg einer solchen Unternehmung hängt aber selbstverständlich gleichermaßen auch von der Bereitschaft derer, die noch nicht Hegelianer bzw. Absolut-Idealisten sind, ab, "auf sich die Anstrengung des Begriffs zu nehmen" und sich dadurch ohne Vorurteile und ohne oberflächlichen, gefährlichen und letztendlich dogmatischen Skeptizismus der Möglichkeit einer absoluten, philosophisch-wissenschaftlich begründeten Wahrheit zu öffnen.
Nichts spricht dagegen, sondern alles spricht dafür, dass die Philosophie, insbesondere in der absolut-idealistischen Form, die Hegel ihr gegeben hat und die sich heutzutage in einem sehr lebendigen Aktualisierungsprozess befindet, eine allgemein anerkannte Welt- und Menschenauffassung verbreiten und demzufolge die philosophisch-wissenschaftliche Grundlage für eine auf gemeinsamen Werten gegründete, ethische Weltgemeinschaft bilden könnte.
Die verschiedenen Religionen und politischen Ideologien dagegen, da sie ihre ersten Grundsätze nicht auf eine überprüfbare wissenschaftlich-logisch begründete Folge von Argumenten, sondern auf ein dogmatisches, wissenschaftlich-logisch unüberprüfbares erstes Prinzip stützen, zwingen die Menschen dazu, diese Grundsätze zu akzeptieren, ohne sie durch die Vernunft und deren Argumente überprüfen zu können. Aus diesem Grund ist es für jede Religion und jede Ideologie nicht nur praktisch schwierig, wie es selbstverständlich auch bei der Philosophie der Fall ist, sondern prinzipiell unmöglich, alle Menschen oder auch die große Mehrheit von ihnen anzusprechen, da es immer einige gab, gibt und geben wird, die entweder fordern, dass auch die ersten Grundsätze durch die Vernunft bewiesen werden müssen (33), oder andere, ebenso dogmatische erste Grundsätze annehmen.
Hegels Philosophie bzw. die Philosophie des absoluten Idealismus kann also die Weltauffassung werden, die die verschiedenen Welt- und Menschenauffassungen der Menschen und deshalb letztendlich deren Lebensweise zu einer Einheit bringt und dadurch die Gefahr von Religions- bzw. Ideologiekriegen radikal aus der Welt schafft.
Auch die dritte Hauptforderung der Weisheit wird von Hegels Philosophie erfüllt und auch in dieser Hinsicht ist die von ihr geförderte Lebensführung deshalb als ’weise’ zu bezeichnen.
Schluss
Es ist nun möglich, die Schlüsse aus den aufgeführten Überlegungen zu ziehen. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Philosophie Hegels eine Lebensführung in den Menschen fördert, die als ’weise’ bezeichnet werden kann. Diese Lebensführung kann in der Tat allen Hauptgefahren entgegenwirken, die das Leben der Menschen bedrohen. Sie kann sowohl die Gefahren beseitigen bzw. mindern, die von der wirtschaftlichen Konkurrenz unter den Menschen ausgehen, als auch die, die von der Natur verursacht sind und schließlich auch die, die in den unterschiedlichen Mentalitäten und Lebensweisen der Völker ihren Ursprung haben.
Der Mensch bzw. die Gesellschaft, der bzw. die auf der Grundlage einer ’Hegelianischen (absolut-idealistischen) Lebensführung’ lebt, ist imstande, bei jeder Gelegenheit eine ’weise’ Entscheidung zu treffen, d.h. nicht eine solche, die ’allein’ für die Individualität der eigenen Person bzw. der eigenen Nation gut ist und deshalb als egoistisch (34) bezeichnet werden muß, sondern eine, die für ’alle’ Beteiligten, also letztendlich ’auch’ für die eigene Person bzw. Nation gut ist. Allein solche Entscheidungen können das Zusammenleben der Menschen langfristig in Frieden erhalten, und deshalb sind alle Menschen und Gesellschaften dazu moralisch aufgefordert, sich anzustrengen, ihre öffentliche Entscheidungen auf eine solche, ’weise’ Art zu treffen.
Ganz besonders gilt diese Aufforderung selbstverständlich für diejenigen, die in einer Gesellschaft verantwortliche Positionen einnehmen, wie etwa die Politiker. Für diese Menschen ist die Weisheit kein ’Extra’, sondern sollte die Voraussetzung ihrer Berufswahl sein. Grund dafür ist, dass sie die Entscheidungen treffen, die das gesamte Leben des Volkes regeln und, in der heutigen, weitgehend vernetzten Weltgemeinschaft, das Schicksal der ganzen Menschheit mittelbar mitbestimmen.
Der alte Gedanke, dass die Philosophen bzw. die Philosophie regieren sollen (35), zeigt sich deshalb gar nicht als Utopie, sondern eher als nüchterne Wahrheit. Damit wird selbstverständlich nicht gemeint, dass die ’Universitätsprofessoren’ regieren sollen, da die Philosophie etwas ist, das sich nicht an akademischen Graden, sondern nur an der Weisheit eines Menschen messen lässt. Dass die Philosophen regieren sollen, bedeutet also, dass die ’Weisen’ regieren sollen. Diese könnten genauso Ärzte, Rechtsanwälte, Angestellte, Arbeiter, Bauern usw. sein. Der ausgeübte Beruf und der erreichte Schulabschluss bzw. akademische Grad sind dabei völlig unbedeutend. Nur die Weisheit zählt, also die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die zum gemeinsamen Wohle aller Beteiligten führen.
Wie eine solche, für die heutige, sehr komplexe Weltgemeinschaft unentbehrliche Fähigkeit in den Menschen konkret gefördert werden könnte, ist in diesem Beitrag ansatzweise (36) dargestellt worden sein.


 Anmerkungen


1) Über Hegels Selbsterziehungsbestreben s. Einfluss, S. 34.
2) Siehe den Paragraphen 7 von dem Schluss.
3) Dazu sind auch die Naturkatastrophen zu rechnen, die von den Menschen selbst verursacht werden, wie z.B. jene, die vom Ozonloch verursacht werden könnten.
4) Die präzisierenden Erläuterungen bezüglich der von den Menschen verursachten Katastrophen verdanke ich der aufmerksamen Lektüre und scharfen Kritik meiner Lebensgefährtin Monika Hummel.
5) Diese Untersuchung wird auf der Grundlage der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1830 durchgeführt. Grund dafür ist, dass dieses Werk das letzte gesamte System Hegels enthält, während die anderen Hauptwerke nur Spezialteile desselben enthalten. Die folgenden Angaben der Paragraphen beziehen sich, sofern nichts anderes gesagt, auf dieses Werk und zwar auf die folgende Ausgabe: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), hrsg. von Wolfgang Bonsiepen und Hans-Christian Lucas. Hamburg 1992 (GW 20).
6) Z.B. in Form von Träumen, Leidenschaften, subjektiven Gedanken (was den subjektiven Geist betrifft) bzw. in Form von religiösen bzw. philosophischen Weltauffassungen (was den absoluten Geist angeht).
7) Über die ’Aufhebung’ als Grundgesetz der Dialektik s. die diesbezügliche Anmerkung Hegels in der Wissenschaft der Logik (1832), GW 21, S. 94-95.
8) Es kann weder der einen Frage, ob wirklich alle einzelnen Seienden dialektisch entstehen und sich dialektisch entwickeln, noch der anderen, mit dieser ersten verbundenen Frage, welche Rolle der Zufall gegenüber der Notwendigkeit des dialektischen Prozesses in der Entwicklung der Natur und des Geistes spielt, nachgegangen werden. Die Behandlung dieser Fragen würde eine eigene, spezielle Untersuchung erfordern.
9) Für die Begründung dieses Überganges s. § 244 und 247 sowie Wandschneider 1985 und 1990.
10) Siehe darüber Wandschneider 1985.
11) Als Schnittpunkt zwischen Natur und absoluter Idee im Geist ist seine individuelle Dimension, der subjektive Geist zu betrachten (Seele, Träume, Leidenschaften gehören dazu - s. §§ 387-482).
12) Dieses Element bildet aber selbstverständlich für den Geist nur einen unter verschiedenen Ausgangspunkten seines Lebens und sicherlich nicht sein Wesen, wie bei den Tieren.
13) Es ist selbstverständlich auch möglich, dass eine solche Identifizierung gar nicht stattfindet bzw. nicht erfolgreich zustande kommt. In diesem Fall lebt der Mensch, der sich nicht mit seinem ideellen Wesen identifiziert hat, auf eine tierische Weise, also der Notwendigkeit der natürlichen Bedürfnisse unterworfen (das ist letztendlich das Böse).
14) Über die Suche nach Glückseligkeit als psychologischer Grundlage nicht nur der Familie, sondern der Sittlichkeit überhaupt s. die Philosophie des subjektiven Geistes, §§ 479-480.
15) Ich habe vor, dieses Thema in einer Studie zu behandeln, in der ich eine neue Gesamtinterpretation von Hegels System vorschlagen werde, die die Reform bzw. Neuinterpretation nicht nur des Begriffs ’bürgerliche Gesellschaft’, sondern auch mehrerer anderer Begriffe beinhalten wird (s. den Ausblick).
16) Wobei auch in diesem Fall der Tausch von Gütern, also schon ein Ansatz von Intersubjektivität, unausweichlich ist.
17) Auf diese Weise wird es außerdem einer wachsenden Anzahl von Menschen ermöglicht, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, die in keiner direkten Verbindung zu den Grundbedürfnissen der Assimilation mehr steht. Solche Berufe weisen meistens eine höhere Kreativität und deshalb geistige Kennzeichen auf.
18) Der Profit als Grundgesinnung zur Arbeit ist deshalb philosophisch falsch und führt aus diesem Grund, wie alles, was philosophisch falsch ist und trotzdem praktisch umgesetzt wird, früher oder später zu individuellen bzw. gesellschaftlichen katastrophalen Folgen.
19) Mit Hegel könnten wir sagen, dass es sich dabei um den Standpunkt des Absoluten handelt.
20) Solche Prinzipien werden in der Verfassung festgelegt.
21) Siehe von ihm die angegebene Literatur am Ende dieser Sektion.
22) Siehe § 552 über den Volksgeist und insbesondere ab S. 531 "Es ist damit hier der Ort, auf das Verhältnis Staat und Religion näher einzugehen [...]".
23) Das ist die echte Bedeutung des so oft missverstandenen Ausdrucks Hegels ’sittlicher Staat’ (vgl. Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), SA 7, § 257: "Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee [...]").
24) In den hochentwickelten Gesellschaften wird die Arbeit immer mehr etwas Geistiges, in dem man ’Spaß’ findet, da es die eigene Selbstverwirklichung mit ermöglicht. Auch die Rahmenbedingungen der Arbeit - Arbeitszeit, Arbeitssicherheit usw. - werden immer mehr an die eigenen Kräfte und Möglichkeiten des Menschen angepasst, so dass die Arbeit nicht als Pflicht und Last, sondern allmählich immer mehr als Recht und Freude empfunden und angesehen wird.
25) Der Begriff ’Glückseligkeit’ als psychologische Grundlage der Sittlichkeit wird von Hegel in der Philosophie des subjektiven Geistes erläutert und in der Philosophie des objektiven Geistes deshalb vorausgesetzt (s. auch Anm. 14).
26) Über die Kreativität als Hauptmerkmal des Geistes sind richtungsweisend die Bemerkungen von Masullo in dem Kapitel 6.1 La metafisica ed il problema del tempo in Hegel (Die Metaphysik und die Frage nach der Zeit bei Hegel) und insbesondere in dem Paragraphen 6.1.2 Il concetto come futuro senza tempo (Der Begriff als zeitlose Zukunft) in seinem Buch Metafisica.
27) Siehe z. B. § 442: "Das Fortschreiten des Geistes ist Entwicklung, insofern seine Existenz, das Wissen, [...], d.i. das Vernünftige zum Gehalte und Zweck hat, also die Tätigkeit des Übersetzens rein nur der formelle Übergang in die Manifestation und darin Rückkehr in sich ist".
28) So Masullo, 1980, S. 218: "Il concetto, che non si riduca ad un’astratta rappresentazione, ma concretamente esista, è lo ‘scopo’" ("Der Begriff, der sich nicht bloß auf eine Vorstellung reduziert, sondern konkret existiert, ist der ‘Zweck’").
29) Z.B. der Beruf eines Arztes soll in erster Linie für die Erhaltung der Gesundheit der Patienten und nur als Nebeneffekt als Verdienstquelle ausgeübt werden.
30) Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 41
31) Aufgrund der Tatsache, dass der Mensch in seinem biologischen Bestandteil von der Natur letztendlich abhängig ist, soll er sich wohl bemühen, in Einheit mit ihr zu leben, also die biologischen Lebensgrundlagen nicht zu zerstören.
32) Um sich treffender auszudrücken, soll von der absoluten Wahrheit der Philosophie des absoluten Idealismus die Rede sein, von der Hegels System sicherlich die Hauptprinzipien enthält, aber aus diesen nicht alle richtigen Schlüsse zieht. Es soll die heutige Hauptaufgabe der Philosophen sein, die sich mit dieser Philosophie identifizieren, eine Aktualisierung bzw. Umschreibung derselben vorzunehmen, wie Wandschneider in Bezug auf die Naturphilosophie und Schild auf die Rechtsphilosophie ein bahnbrechendes Beispiel in den letzten Jahren geliefert haben (für deren Werke s. Literaturverzeichnis am Ende dieser Sektion).
33) Meistens sind es gerade die Gelehrten, die sich weigern, Anhänger einer herrschenden Religion bzw. Ideologie zu werden, da sie aufgrund ihrer Kenntnisse wissen, dass in jeder Religion bzw. Ideologie von Prinzip aus ein methodologischer Fehler vorliegt.
34) Dabei ist philosophisch unbedeutend, ob es sich um einen Egoismus der Person bzw. des Volkes handelt.
35) Siehe Plato, Der Staat, sechstes Buch.
36) Ich beabsichtige, eine gezielte, umfangreichere Untersuchung in den kommenden Jahren durchzuführen, in der die Grundlinien eines auf den Prinzipien der Philosophie des absoluten Idealismus gegründeten Staates geschildert werden sollen (s. darüber den Ausblick).

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