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ERSTE PHASE: Die Entwicklung des impliziten gedanklichen Inhaltes im moralisch-ethischen Ideal der a

ERSTE PHASE: Die Entwicklung des impliziten gedanklichen Inhaltes im moralisch-ethischen Ideal der a

 

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(1803)

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ERSTE PHASE

Die Entwicklung des impliziten gedanklichen Inhaltes
im moralisch-ethischen Ideal der absoluten Sittlichkeit:
die Entstehung der Philosophie der Sittlichkeit
als der neuen natürlichen Ethik

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Hauptquelle: System der Sittlichkeit

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Wir befinden uns am Ende des Jahres 1802. Hegel hat vor kurzer Zeit  das moralisch-ethische Ideal der absoluten Sittlichkeit konzipiert, das gemeinsam mit dem religiös-metaphysischen Prinzip des Absoluten die Grundlage seines Denkens bildet: Auf der einen Seite die Ethik, die Wiedereinfügung des Menschen in die Natur auf Ebene von Geist und Materie, und auf der anderen Seite die Metaphysik, die Wiedereinfügung des Menschen in die Natur auf Ebene von Vernunft und Welt. Das Ergebnis dieser beiden Teiloperationen muss jedoch die vollständige Wiedereinfügung des Menschen in die Natur sein. Das Denken unseres Philosophen richtet sich von nun an auf die Suche nach dem Verständnis der Modalitäten für diese vollständige Wiedereinfügung, und zwar bis zum Jahre 1806, dem Jahr, in dem er dieses Ziel durch die erste Formulierung des vollständigen, wenn auch noch nicht definitiven Systems erreichen sollte.
Der Begriff der absoluten Sittlichkeit bedeutet, dass das praktische Handeln des einzelnen Individuums nicht rein individuell ist, weil es das Handeln des Absoluten ist, das sich in ihm manifestiert. Folgt man dieser Grundauffassung, so erstellt Hegel seine begriffliche Struktur der menschlichen Welt als Realisierung des Göttlichen, also des Absoluten. Somit entsteht mit dem sogenannten System der Sittlichkeit (1802/03) die erste systematische Formulierung der späteren Philosophie des objektiven Geistes.
In diesem Manuskript legt Hegel also jenen Teil seiner Philosophie dar, der ihm am meisten am Herzen lag, wie wir aus der ersten Phase seiner Gedankenentwicklung wissen, und zwar den ethischen Teil. Es ist unmöglich, hier eine vollständige Zusammenfassung des Textes zu geben, da es sich um eine bereits sehr komplexe Arbeit handelt, deren Darlegung und kritische Untersuchung eine eigene Studie erfordern würde. In der Folge sollen jedoch zumindest die Hauptpunkte dargestellt werden.
Was die angewandte Methode betrifft, so bewegt sich Hegel zunächst noch im kategorialen System der Schellingschen Philosophie der Identität. Er beschreibt die wahre Erkenntnis als Einheit von Anschauung und Begriff, die erste als Erkenntnisform des Allgemeinen und die zweite als Erkenntnis des Individuellen. Außerdem verwendet er sprachlich rein Schellingsche Ausdrücke und die entsprechenden Begriffe (Subsumption, Potenz, usw.)
Die Identität von Anschauung und Begriff ist die Idee und was die Ethik anbelangt, die Idee der absoluten Sittlichkeit. 
Diese Idee ist

„[...] das Zurücknehmen der absoluten Realität in sich, als in eine Einheit; so daß dieses Zurücknehmen und diese Einheit absolute Totalität ist; ihre Anschauung ist ein absolutes Volk; ihr Begriff ist das absolute Einsseyn der Individualitäten [...]„
(GW 5, 279,20-23).

Diese Definition der Idee der absoluten Sittlichkeit ist sehr wichtig, da sie zeigt: 

 

-  Erstens, dass Hegel das Wissen bereits dialektisch aufbaut, also nach der triadischen Bewegung der Anfangsposition (Affirmation), der Negation und schließlich der Rückkehr in sich (Negation der Negation);(1) 

-  Zweitens, ist es offensichtlich, dass Hegel bereits über einen Begriff der absoluten Wirklichkeit bzw. des Prinzips verfügt, das sich entwickelt und in sich zurückkehrt, aber er scheint noch keine definitive und genaue Vorstellung davon zu haben (d.h. dass es aus logischen Kategorien besteht usw.), was hingegen im Manuskript zur Logik und Metaphysik von 1804/05 der Fall sein wird; 

-  Drittens, stellt Hegel schließlich im Volk den synthetischen Moment, also die Rückkehr der absoluten Wirklichkeit in sich, fest und zeigt daher, dass er bis Ende 1803 noch nicht zum Begriff des absoluten Geistes gelangt war, der in den Fragmenten des Manuskriptes zur Philosophie des Geistes von 1805/06 den Moment der Rückkehr der absoluten Wirklichkeit in sich darstellen wird.

 

Diese drei Grundaspekte des Systems der Sittlichkeit zeigen, dass es in der Entwicklung des Hegelschen Denkens einen zentralen Platz einnimmt, und zwar zwischen den Studien, die man mit vollem Recht als ‚jugendlich‘ bezeichnen kann, da sie noch nicht die definitive Auffassung des Systems enthalten, und den reifen Studien, in denen diese Auffassung hingegen vollständig und eingehend entwickelt wird.
Dieses Manuskript enthält nämlich in seinen Grundzügen bereits die grundlegende Hegelsche Auffassung, dass das Absolute in der ethischen Welt, also im menschlichen Wirken, aus sich hervorgeht um in sich zurückzukehren. Es fehlen dazu allerdings noch die logisch-metaphysischen Voraussetzungen wie auch die philosophischen Schlussfolgerungen. In diesem Manuskript macht sich also das Fehlen der Formulierung der dialektischen Logik und der Auffassung vom absoluten Geist, d.h. der Philosophie als Selbsterkenntnis des Absoluten, bemerkbar.
Daraus kann man also den Schluss ziehen, dass das System der Sittlichkeit den Kern des philosophischen Systems von Hegel enthält, allerdings ohne Schale, ohne äußere Hülle.
Dennoch wird das Manuskript gerade durch die extreme Konzentration Hegels auf die ethischen Grundthemen seines Denkens, die ihm am meisten am Herzen lagen, besonders interessant und lehrreich, auch was eine korrekte Interpretation seines definitiven philosophischen Systems betrifft.
Im Manuskript überraschen wir Hegel nämlich bei einer der ersten systematischen Versionen, vielleicht sogar bei der ersten systematischen Version seiner Lehre von der absoluten Sittlichkeit, die später das Herzstück seines reifen philosophischen Systems bilden wird.
Alle Themen, die Hegel später im Kapitel über die ‘Sittlichkeit’ behandeln und in der Rechtsphilosophie genauer untersuchen wird (Anerkennung, Liebe, Familie, Arbeit, menschliche Gemeinschaft, Staat, Verfassung usw.), werden hier anlässlich der systematischen Auffassung Hegels von der ‚Rückkehr der absoluten  Wirklichkeit in sich‘ zum ersten Mal systematisch und einheitlich formuliert.
Mit dem System der Sittlichkeit haben wir also sozusagen eine „unverbrauchte“ Version der so wichtigen Hegelschen Theorie der absoluten Sittlichkeit vor uns, die weder durch die manchmal zu rigide Anwendung der dialektischen Prinzipien, noch durch jenes Zögern und jene Ängste verdorben ist, die Ilting in seiner Studie hervorgehoben hat und die schließlich die revolutionäre und befreiende Bedeutung der ethisch-politischen Philosophie des ehemaligen Stiftlers in den späten Jahren verdunkelten.(2)
Um eben diese Bedeutung zu unterstreichen, möchte ich an dieser Stelle die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Tatsache lenken, dass Hegel im oben zitierten Satz von ‘absolutem Volk’ spricht. Dieser Begriff ist von großer Bedeutung, da er den Kenner des Hegelschen Denkens, der den authentischen Geist der philosophischen Botschaft unvoreingenommen und gleichzeitig treu interpretieren will, zum Schluss kommen lässt, dass Hegel bei seiner Beschreibung des Volkes als Verkörperung des Absoluten niemals an ein bestimmtes historisches Volk gedacht hat, und schon gar nicht an das preußische Volk im Speziellen. 
Das in diesem Schritt dem Substantiv ‚Volk‘ hinzugefügte Attribut ‚absolut‘ gibt uns eine klare und eindeutige Vorstellung von der ursprünglichen Grundbedeutung des Hegelschen Begriffs des ‚Volkes‘: Das Volk ist für den schwäbischen Philosophen eine Gemeinschaft, die sich durch eine und dieselbe Auffassung des Absoluten erkennt, die im ‘Gott des Volkes’ einen äußerlichen und konkreten Aspekt annimmt. Dies wird vom Philosophen am Beginn des letzten Abschnittes des Manuskriptes beschrieben:

 

„[...] das Besondere, das Individuum, ist als besonderes Bewußtseyn schlechthin dem Allgemeinen gleich; und diese Allgemeinheit, welche die Besonderheit schlechthin mit sich vereinigt hat, ist die Göttlichkeit des Volkes, und dieses Allgemeine in der ideellen Form der Besonderheit angeschaut, ist der Gott des Volks; er ist eine ideelle Weise es anzuschauen.“ (GW 5, 326,9-13).

 

Daraus geht eindeutig hervor, dass Hegel die Zugehörigkeit zu einem Volk nicht in einer Blutsverwandtschaft oder in irgendeiner natürlichen Beziehung sieht, sondern in einer religiösen, also geistigen Verbundenheit. Ein Volk wird durch die Existenz einer gemeinsamen Religion, einer gemeinsamen Mentalität gekennzeichnet. Daraus folgt, dass ein Volk, wenn es ihm gelingt, zur wahren, absoluten Religion zu gelangen, zum absoluten Volk wird. Das ist die Bedeutung des Hegelschen Ausdruckes ‚absolutes Volk‘. Das absolute Volk verwirklicht auf perfekte Art und Weise die Rückkehr der absoluten Wirklichkeit in sich.(3) Die Absolutheit ist also kein Recht, das aufgrund irgendeines genetischen Faktors erworben wurde, sondern aufgrund eines präzisen historischen und geistigen Faktors, bzw. dadurch, dass die Mitglieder einer Gemeinschaft zur absoluten Religion gelangen konnten.(4)
Der Philosoph aus Stuttgart versteht nämlich genau, dass die Begründung der Ethik in der Religion zu suchen ist (natürlich im weitesten Sinn des Wortes), und so ist es kein Zufall, dass er schon in der Ergänzung zum Manuskript eine Skizze von der Beziehung zwischen verschiedenen Regierungsformen und der Religion entwirft. Es handelt sich nur um einige wenige Hinweise, die jedoch sehr wichtig sind, da sie uns den Weg zeigen, den er in den Jenenser Jahren eingeschlagen hatte, bevor er infolge auch der von Ilting beschriebenen historischen Ereignisse eine Richtungsänderung vornahm.
In diesem Zusammenhang sollte man genauer erklären, warum man von ‚Ergänzung‘ spricht. Aus dem Originalmanuskript, aufbewahrt in der Berliner Staatsbibliothek, geht ganz eindeutig hervor, dass der Text vom Wort ‘Kolonisation’ bis zum Ende hinzugefügt wurde, da er vom Rest des Manuskriptes durch eine Linie getrennt ist. Im fraglichen Manuskript ging die Entwicklung des Begriffs der absoluten Sittlichkeit also bis zum Begriff der Vermehrung des Volkes durch die Kindererzeugung, wobei das Thema der Beziehung Volk - Religion nicht entwickelt wurde. Dieses Problem muss Hegel erst später erkannt haben, bei der Frage der Begründung der Sittlichkeit und daher der Entwicklung des impliziten Gedankeninhaltes im Begriff des Absoluten (s. vorheriges Stadium). 
Diese abschließende Ergänzung sollte daher mit der von Karl Rosenkranz als  Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit überlieferten Text in Zusammenhang gebracht werden, der aus den Jahren 1802-05 stammt.(5)  Dieser außerordentlich interessanter Text behandelt in der Tat genau das Thema der Beziehung Volk - Religion, während das Manuskript System der Sittlichkeit richtigerweise beim Begriff des Volkes aufhört, eben weil es nur der Sittlichkeit, also nicht dem absoluten, sondern dem objektiven Geist gewidmet ist. 
Erst durch die Publikation des Manuskriptes im fünften Band der Gesammelten Werke wurde ein originalgetreues Manuskript publiziert. Die früheren Publikationen präsentieren die Ergänzung als Hauptbestandteil des Textes ohne jeden Hinweis (abgesehen von Mollat, der sie als Anmerkung einfügt).(6) Sie sind daher als irreführend einzustufen.
In dieser abschließenden Ergänzung zum Manuskript vollzieht Hegel einen Querschnitt durch verschiedene Regierungsformen, vor allem Monarchie, Aristokratie und Demokratie, und gelangt schließlich zum Schluss, dass:

„In der Demokratie zwar absolute Religion, aber unbefestigte, oder vielmehr Naturreligion, [...]“ (GW 5, 361,17-18)

und einige Zeilen weiter stellt er klar, dass:

„[...] die Religion muß rein sittlich seyn; (...) (GW 5, 361,20-21).

Es handelt sich hier um unvollständige Sätze und Gedanken, schwierig zu interpretieren, da das Manuskript an dieser Stelle abbricht, was sicher kein Zufall ist. Hegel dürfte es in diesem Entwicklungsstadium seines Denkens nicht gelungen sein, eine Antwort auf die Frage nach der absoluten Religionsform zu finden, die dazu imstande sein sollte, die absolute Regierung eines absoluten Volkes zu begründen. Dem System der Sittlichkeit fehlt also ein echter Schluss, weil es Hegel in diesem Stadium seiner Gedankenentwicklung nicht gelingt, eine Antwort auf die Frage zu geben, die sich ihm am Ende des Manuskriptes stellt, d.h. wie es möglich sei, die absolute Sittlichkeit, die Demokratie, wie er sie definiert, religions-philosophisch zu fundieren. Das Manuskript bricht nämlich in dem Moment ab, in dem es darum geht, die geeignete Religionsform zur Begründung der absoluten Sittlichkeit zu finden. Das sollte natürlich die absolute Religion sein, und zwar aufgrund des folgenden Schemas:

-  Die relativen Religionen begründen relative Sittlichkeiten (da sie nur eine historische, zeitlich-räumlich begrenzte Gültigkeit haben);

-  Die absolute Religion begründet die absolute Sittlichkeit (da sie eine ewige, zeitlich-räumlich unbegrenzte Gültigkeit hat).

Um das Jahr 1803 reflektiert Hegel also über den Begriff der absoluten Religion und deren Begründung, um eine Antwort auf die abschließende Frage bei der systematischen Erstellung der absoluten Sittlichkeit im System der Sittlichkeit geben zu können. Diese Suche stellt nämlich den roten Faden in der Entwicklung des Hegelschen Denkens in den nachfolgenden 2-3 Jahren dar, bis er schließlich ca. um 1805 zum Schluss kommt, dass nur die Philosophie die absolute Religion darstellten könne, insbesondere die Philosophie als Wissenschaft, die er gerade Schritt für Schritt erarbeitet.
Sehen wir uns nun den Weg an, der den schwäbischen Denker zu dieser höchst interessanten Schlussfolgerung führte.

 

ENDNOTEN

1) In diesem Zusammenhang muss man auf jeden Fall hervorheben, dass sich Hegel in diesem Text, auch wenn die Bewegung seines Denkens schon dialektisch war, noch nicht dessen bewusst ist, d.h. er gebraucht weder die Sprache oder die typischen Kategorien seiner zukünftigen dialektischen Logik, noch zeigt er sich in irgendeiner Art dessen bewusst, eine neue Methode zur philosophischen Erkenntnis ausgearbeitet zu haben, was hingegen zumindest ab der Phänomenologie des Geistes der Fall sein wird.
2) Von Ilting vgl. z.B. die Einleitung zur Ausgabe der Rechtsphilosophie (1973). Über diesen Aspekt des Hegelschen Denkens habe ich schon in Weisheitslehre, S. 182 ff., geschrieben und möchte hier darauf verweisen.
3) Auf den Seiten 340 ff. von GW 5 findet sich auch der Ausdruck (dies entspricht natürlich dem < absoluten Volk>).
4) Es muss noch geklärt werden, bis zu welchem Ausmaß die ersten historischen Wurzeln des faschistischen Phänomens nicht auch in einer falschen historischen Interpretation des Hegelschen Begriffs vom zu suchen sind. Eine solche historische Studie wäre sicher für ein korrektes Verständnis der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts von großem Nutzen.
5) Vgl. die Chronologie von Kimmerle (1967).
6) Vgl. die Ausagbe von Mollat.

 

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