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1.3.3 DRITTES STADIUM:  Die Entstehung von Hegels Lebensprogramm der Stiftung  einer neuen Volksreli

1.3.3 DRITTES STADIUM:  Die Entstehung von Hegels Lebensprogramm der Stiftung einer neuen Volksreli

 

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1.3.3 DRITTES STADIUM

 Die Entstehung von Hegels Lebensprogramm der Stiftung

einer neuen Volksreligion

(Wintersemester 1793/94)

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Einleitende Überlegungen

Die Texte nach Text 16 offenbaren das Erreichen einer neuen Stufe in der spirituellen Entwicklung des jungen Denkers. Tatsächlich führt Hegel in ihnen hauptsächlich Reflexionen über die christliche Religion durch, um die Gründe für ihr Scheitern als Volksreligion zu verstehen. Die Ergebnisse, zu denen er gelangt, sind vor allem in den Texten 25 und 26 enthalten, mit denen die erste Phase seiner spirituellen Entwicklung endet.

In diesem Reflexionsprozess über die christliche Religion lassen sich drei Stufen klar unterscheiden.

 

  • Eine erste Stufe, in dem der junge Denker einige Aspekte der Sensibilität wiedererlangt, die er nicht mehr im Gegensatz zur Vernunft sieht, sondern im Kontext einer Vernunftreligion mit ihr in Einklang gebracht werden muss. 
  • Eine zweite Stufe, in der Hegel die christliche Religion mit seiner heutigen Auffassung von Volksreligion als Vernunftreligion vergleicht, um zu klären, ob sie als historischer Glaube die grundlegenden Merkmale einer authentischen Volksreligion besitzt. 
  • Schließlich eine dritte Stufe, in dem der junge Student nach einer negativen Antwort auf diese Frage zu dem Schluss kommt, dass es seine eigene Aufgabe sein muss, eine neue vernünftige Religion zu gründen, die eine authentische Volksreligion sein kann. So war das Ideal geboren, das dann die weitere geistige Entwicklung des jungen Philosophen Hegel von innen heraus bestimmen sollte. 

Damit zeigt Hegel, dass er seine ursprüngliche Vorstellung vom Herzen als Grundlage der Religion endgültig aufgegeben hat und dass er die kantische Lehre verstanden hat, dass nur die Vernunft die geeignete Grundlage für die Gründung einer wahren, also absoluten und universellen Religion sein kann. Er ging also von der Auffassung der Religion als „Sache des Herzens“ zur Religion als „Sache der Vernunft“ über.

Was die Chronologie betrifft, alle diese Texte wurden bereits von Hegel in Tschugg-Bern geschrieben, also in der Zeit des ersten Wintersemesters 1793/94.( [1] ) Eine genauere analytische Chronologie ist leider nicht möglich, das einzige was Mit philologischer Korrektheit kann behauptet werden, dass die Texte 24-26 erst nach den anderen aus der Universitätszeit überlieferten entstanden sind

( [2]).

 

FUSSNOTEN


[1] ) Vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 475ff.

[2] ) Vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 481ff.

 

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ERSTE STUFE

„Volksreligion“ als „sensible und natürliche Religion“

(Herbst 1793)

Hauptquelle: Text 16, Blätter ’i’ bis ’l’

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Die Rückkehr der Hauptbegriffe, die Hegel schon zur Zeit der Auffassung von Religion als Herzenssache erreicht hatte, erreicht ihren Höhepunkt in den Blättern von „i“ bis „l“, mit denen Text 16 systematisch endet die Ergebnisse der Überlegungen, die Hegel in dieser Zeit angestellt hat.

 

Blätter von ’i’ bis ’l’

(GW 1: von 103.2 bis 114.26) 

 

In diesen Blättern setzt sich Hegels Versuch fort, die Grundzüge der Volksreligion festzulegen. Der junge Denker ist nun überzeugt, dass nur eine zeitgemäße Religionsform im Volk Erfolg haben kann, sie zu einer vernünftigen Religion führt und damit ihre Moral fördert.“ ( [2] )

In dem Absatz, der mit den Worten beginnt: "Wie ist Volksreligion zu begründen?" (GW 1, ab 103,14) werden die Hauptfiguren der Volksreligion nach Hegels neuer Konzeption systematisch beschrieben.

Die Volksreligion muss sich wie folgt zusammensetzen (der Hegelsche Text wird in der Liste der Hauptmerkmale der Volksreligion getreu befolgt):

 

 

"I. Ihre Lehren müssen auf der allgemeinen Vernunft gegründet seyn“ (GW 1, 103, 18)

 

sie muss dann „rational“ sein nach dem, was Kant bereits durch den Begriff der „Vernunftreligion“ festgestellt hat; ( [3] )

 

 

"II. Phantasie, Herz und Sinnlichkeit müssen dabei nicht leer ausgehen“ (GW 1, 103, 19)

 

es muss also auch ‚sensibel‘ und nicht nur rational sein, damit es dem ganzen Volk und nicht nur einigen Gelehrten mitgeteilt werden kann; ( [4] )

 

„III. Sie müssen so beschaffen seyn, daß sich alle Bedürfnisse des Lebens - die öffentlichen Staatshandlungen daran anschliessen "

(GW 1, 103, 20)

 

es muss also „natürlich“ sein, es darf den „natürlichen Bedürfnissen“ des Menschen, „den Trieben einer wohlgeordneten Sinnlichkeit“ (GW 1, 103, 20-21)".

Zusammenfassend muss die Religion die konkrete und reale Konstitution des Menschen berücksichtigen, die nicht nur aus Vernunft, sondern auch aus Sensibilität besteht. Wenn dies nicht geschieht,

 

 

"Sobald eine Scheidewand zwischen Leben und Lehre" besteht, "so entsteht der Verdacht - dass die Form der Religion einen Fehler habe - entweder dass sie zuviel mit Wortkrämerei umgeht, oder an die Menschen zu grosse frömmelnde Foderungen macht"

(GW 1,

 

wie sich Hegel sehr präzise zu diesem Thema äußert (GW 1, 109,29 ff.).

Die Religion darf also auf keinen Fall ein Gefängnis für den Menschen sein, sondern muss ihm beim Bau des Häuschens helfen

 

 

"[...] das der Mensch alsdenn sein eigen nennen kann" (GW 1,

 

in der er sich wohlfühlt und deren Symbol der von Hegel mehrfach zitierte Satz aus Lessings Nathan ist.

Zu den angeführten Charakteren kommen noch „Öffentlichkeit“ und „Subjektivität“ hinzu, die bereits im Begriff der „Volksreligion“ im Sinne des jungen Studenten enthalten sind.

Alle diese unverzichtbaren Eigenschaften der idealen Religion (Subjektivität, Öffentlichkeit, Rationalität, Sensibilität und Natürlichkeit) kennzeichnen die Hegelsche Auffassung von Volksreligion, die in der Lage ist, die Menschen zur rationalen Religion zu führen und dadurch die reine Moral in den Menschen zu fördern.

Diese Vorstellung kann als die Vorstellung einer Volksreligion definiert werden, die rational, sensibel und natürlich ist (Subjektivität und Werbung sind auch im Attribut „populär“ enthalten). Sie ist in engem Zusammenhang mit Kants Religionsschrift und als direkte Anwendung, aber auch als Erweiterung derselben zu sehen.

In den folgenden Abschnitten der hier untersuchten Blätter analysiert Hegel einzeln die verschiedenen Hauptfiguren der Volksreligion. In Blatt ’i’ und ’k’ (103.27 bis 106.32) wird der Charakter der Rationalität beschrieben, in Blatt ’k’ (107.1 bis 109.28) der der Sensibilität und schließlich in Blatt ’l’ (109.29 bis 113.26) sowie in Paragraph 114.1 ff. - das ehrlich gesagt nicht zu Blatt ’l’ gehört, sondern eine Umarbeitung desselben enthält -, das der Natürlichkeit.

Bei der Aufdeckung der Rationalität und Sensibilität der Volksreligion kommt Hegel zu keinen neuen Ergebnissen: Er wiederholt im Grunde das, was er in den einschlägigen Texten geschrieben hat, und bezieht sich hinsichtlich des Charakters der Rationalität vor allem auf den Begriff der rationalen Religion, wofür es betrifft den Charakter der Sensibilität, es bezieht sich auf die Auffassung von Religion als „Herzensangelegenheit“. Bei dieser Rückgewinnung der bereits zuvor erzielten Ergebnisse, wenn auch in einer insgesamt neuen Gedankenkonstellation, wirkt wieder das Prinzip der ’Aufhebung’, wonach im Leben nichts wirklich Wichtiges verloren geht.

Ganz anders sieht es mit dem Charakter der Natürlichkeit aus, von dem sowohl im Blatt l als auch in seiner Weiterverarbeitung gesprochen wird ( [5] ) Dieser Grundcharakter wirkt auf das praktische Leben der Menschen und damit auf die Moral. Im Blatt „l“ wird der Charakter der Natürlichkeit der Volksreligion ausführlich und poetisch dargelegt. Hegel versucht, das Bild eines natürlichen Lebens des Menschen zu rekonstruieren,

 

 

"Das Bild eines Genius der Völker - eines Sohns des Glüks, der Freiheit, eines Zöglings der schönen Phantasie [...]"

(GW 1, 114, 3).

 

Er vergleicht dieses Bild des menschlichen Lebens, wie es sein sollte, mit dem wirklichen Leben, wie es zu seiner Zeit tatsächlich war. Letzteres hat in ihren Augen negative Eigenschaften (unglücklich, unzufrieden usw.):

 

 

„Einen anderen Genius der Nationen hat das Abendland ausgehekt - [...]“  (GW 1, 113, 1).

 

Auch der Gegensatz dieser beiden Bilder, die sich auf zwei verschiedene Möglichkeiten des menschlichen Lebens beziehen, hat, wie immer bei Hegel, einen historischen Bezug: Der Genius des freudigen Lebens entspricht dem Leben der Griechen, der Genius des unglücklichen Lebens dem Leben in das damalige Deutschland.

Hegel beschreibt daher das Lebensmodell, das von der Volksreligion gefördert werden muss, und die Behandlung dieses Themas im Blatt „l“ ist innerhalb der gesamten systematischen Synthese eine Wiederaufnahme bereits erreichter und gefestigter Überzeugungen, wie im Fall des anderen grundlegende Charaktere.

Im überlieferten Text lässt sich kein Hinweis auf eine kommende Ausstellung finden, die speziell dieser Hauptfigur gewidmet ist. Es gibt hier und da Andeutungen, aber es gibt keine besondere Darlegung der Gründe für oder gegen diesen Charakter, wie es bei den anderen Charakteren der Volksreligion der Fall ist. Das ist merkwürdig, da dieser Charakter wichtiger sein sollte als alle anderen, da die Moral der Zweck der Religion ist und nicht umgekehrt.

Daraus muss geschlossen werden, dass, wenn Hegel sich so ausführlich mit dem religiösen Problem befasst hat, er sich noch ausführlicher mit dem moralischen Problem hätte befassen müssen, da ihm dies besonders am Herzen lag.

Daher die doppelte Frage, in welchen Texten Hegel das moralische Problem direkt behandelt hat und vor allem wann dies geschah.

Die erste Frage kann nicht direkt beantwortet werden, weil es unter den überlieferten Texten jener Jahre keine gibt, die eine so eingehende Ausarbeitung des moralischen Problems enthalten. Einen Anhaltspunkt erhält man jedoch, wenn man sich die Stuttgarter Zeit genau anschaut. Diese Periode endet mit dem Verständnis der Natürlichkeit des Lebens der alten Griechen und noch in den ersten Monaten der Tübinger Zeit beschäftigt sich Hegel mit diesem Gedanken.“ ( [7]) Damit wird ein Bezug hergestellt zu dem Moment in Hegels geistiger Entwicklung, wo die genetische Rekonstruktion mangels überlieferter Schriften gestoppt werden muss. Hegel muss sich mit der moralischen Problematik und damit mit dem Charakter der Natürlichkeit der Volksreligion in der Zeit der sogenannten „dunklen Jahre“, also in den Jahren 1789-1792, auseinandergesetzt haben.“ ( [8] )

 

FUSSNOTEN

[1] ) nota mancante

[2] ) Ein Zeichen dafür, dass Hegel in der Tübinger Zeit die in den Stuttgarter Jahren erworbenen Begriffe aus dem Bereich der Wissenschaften und Künste auf die Moral anwandte, ist die Rückkehr des Begriffs der. Im Auszug aus Nicolai vom 16.8.1787 sprechen wir über den Erfolg der Aufklärung („[...] sonst wird sie scheitern [...]“ (GW 1, S. 177), in der Schulaufgabe Über manche charakteristische Unterschiede... vom 7. August 1788 schreibt Hegel über den Erfolg der Dichtkunst (er spricht vom "[...] weiten Wirkungskreis [...]" der antiken Dichter - GW 1, S. 46, 4 ) und schließlich in den Texten der Jahre 1792 / 93-94 der Erfolg der Religion im Volk behandelt (siehe Text 16 auf S. 110 von GW 1 „Wenn die Religion auf das Volk wirken können muss […] ]").

[3] ) Dieses Merkmal wird von Hegel auf S. 103-106. In Bezug auf diese Eigenschaften fügt Hegel hinzu, dass die Religion auch sein muss(S. 104) Hrsg(S. 104-106).

[4] ) „Jede Religion, die eine Volksreligion sein muss, muss notwendigerweise so beschaffen sein, dass sie das Herz und die Vorstellungskraft beschäftigt – Auch die reinste rationale Religion erhält einen Körper in den Seelen der Menschen und noch mehr der Menschen und es wäre wirklich gut, um abenteuerlichen Ausschweifungen der Phantasie vorzubeugen, Mythen auch mit Religion zu verbinden, der Phantasie wenigstens eine schöne Möglichkeit zu zeigen, wie sie Blumen bestreuen kann – “(Zitat muss kontrolliert werden).

[5] ) Dieses Blatt wurde von Hegel mehrfach überarbeitet (vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 473).

[6] ) Noch deutlicher als in der Schulaufgabe vom 7. August 1788 erscheint an dieser Stelle das Beispiel des griechischen Lebens als schönes und glückliches Leben.

[7] ) Siehe die Schulaufgabe Zu einigen Vorteilen...

[8] ) Für eine eingehende Analyse dieses Problems siehe meine explizit diesem gewidmete Arbeit von 1995.

 

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ZWEITE STUFE

Unzulänglichkeit der christlichen
Religion als rationale Religion

(Sommer 1793 - Winter 1794)

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Die Lektüre der Texte 17-26 zeigt, dass sich die Sichtweise geändert hat, nach der Hegel sich nun mit der Problematik der Volksreligion befasst. Er befasst sich nicht mehr mit der rein theoretischen Frage nach den Grundzügen einer Volksreligion, sondern mit der praktischen Frage nach der Gründung einer solchen Religion. Es kann daher festgestellt werden, dass sich der junge Denker, nachdem er die Ausarbeitung des Begriffs „Volksreligion“ abgeschlossen hat, nun den praktischen und praktischen Aspekten davon widmet.

In Text 17 entwickelt er einen Vergleich zwischen Sokrates und Jesus, wobei hier nicht so sehr die Schlussfolgerungen wichtig sind, sondern dass Hegel das Bedürfnis verspürte, sich den Persönlichkeiten großer Volkserzieher und Religions- und Weltanschauungsstifter zu stellen. Dies zeigt deutlich den Wechsel in seinem Denken von der reinen Theorie zur Praxis.

Text 18 ist ein kurzer Notizzettel, der sich mit Jesus als Religionsstifter beschäftigt.

In Text 19 geht es wieder um etwas Praktisches, nämlich um die äußere Organisation der Kirche.

Text 20 ist sehr interessant, weil hier bereits einige Punkte von Hegels Kritik des Christentums erwähnt werden, die das Ergebnis der in den vorangegangenen Texten gemachten Überlegungen sind. Insbesondere geht der Stiftsschüler hier darauf ein, dass diese Religion nur als Privatreligion, nicht aber als Volksreligion geeignet ist (vgl. Passage 129,23 ff.).

Text 21 enthält auch eine scharfe Kritik an der christlichen Religion, insbesondere an ihrer pessimistischen Anthropologie (vgl. zum Umgang mit dem Tod.

Alle diese einzelnen Kritikpunkte an der christlichen Religion finden sich in der Synthese, die Hegel in den Texten von 23 bis 26 ausarbeitet.

Text 23 enthält diesbezüglich nur einen Versuch. In diesem Text kehren viele Begriffe wieder, die zur allgemeinen Problematik der Religion gehören, wie zB. Der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Religion. In diesem Zusammenhang kommt der junge Denker auch zu einem neuen interessanten Ergebnis, nämlich dass der Staat die Aufgabe hat, die Religion von objektiv in subjektiv zu verwandeln:

 

 

"Die objektive Religion subjektiv zu machen mus das grosse Geschäft des Staats seyn [...]" (GW 1, 139, 15-16 ).

 

In diesem Zusammenhang fragt sich Hegel, ob die christliche Religion dafür geeignet ist ( [1] ) und verwendet bei dem Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu finden, Begriffe, die sich eindeutig auf Mendelssohns Werk Jerusalem beziehen. ( [2] )

Es ist eine Analyse der christlichen Religion, die Hegel in Form grundlegender Punkte durchführt. Zu jedem wesentlichen Punkt (z. B. der historischen Grundlage des Christentums oder der darauf begründeten Lebensweise) gibt der junge Philosoph ein meist negatives Urteil ab.

In diesem Text kommt der Denker jedoch noch nicht zu einem endgültigen und umfassenden Urteil über die Eignung der christlichen Religion als Volksreligion. Dies geschieht in den etwas später geschriebenen Texten von 24 bis 26.

Text 25 fasst die Ergebnisse bisheriger Reflexionen über das Christentum zusammen und systematisiert sie. Aus diesem Grund kann dieser Text wohl als Hegels „Abrechnung“ mit dieser Religion dienen. Nachdem er die wichtigsten Gesichtspunkte aufgelistet hat, nach denen er als Religion anzusehen ist ( [3] ), stellt sich der junge Stiftler folgender grundsätzlichen Frage:

 

„Welches sind die Erfordernisse einer Volksreligion in Ansehung dieser Kriteriene – treffen wir sie bei der christlichen Religion an“ (GW 1, 155, 3-4 ).

 

Hegel kommt zu dem Schluss, dass die christliche Religion keine Volksreligion sein kann. Der Grund dafür ist, dass sie bei der Aufgabe, die Moral im Menschen zu fördern, zum Scheitern verurteilt ist, weil sie auf der Geschichte und nicht auf der Vernunft beruht. ( [5] )

Die christliche Religion gründet sich daher auf die äußere Autorität der historischen Tradition und nicht auf die innere Autorität der menschlichen Vernunft. Die Folge ist, dass Christus von den Menschen als Symbol der Tugend gesehen wird. ( [6] ) Diese Tugend ist den Menschen jedoch nicht nur dank des guten Willens zugänglich. ( [7] )

Zu diesem Thema schreibt Hegel ausdrücklich:

 

"Ach man hat uns überredet, daß diese Vermögen fremdartig, daß der Mensch nur in der Reihe der Naturwesen, und zwar verdorbener gehöre - man hat die Idee der Heiligkeit gänzlich isolirt, und allein fernem Wesen beigeleglict sie mit der Einsen für unvereinbar gehalten " (GW 1, 160, 23-26 ).

 

Und an der gleichen Stelle fügt er hinzu:

 

„Diese Erniedrigung der menschlichen Natur erlaubte es uns also nicht, in tugendhaften Menschen uns wieder zu erkennen“.

 

Als „Bild der Tugend“ bedarf es nach christlicher Lehre eines „Gottmenschen“, was der eindeutig kantianischen Hegelschen Auffassung widerspricht, dass die Idee des Sittengesetzes

 

"[...] wir am Ende freilich aus uns selbst ho-len müssen" (GW 1, 161, 4-5)

 

Die Erniedrigung des Menschen ist daher der grundlegende Grund, warum die christliche Religion die Moral bei den Menschen nicht fördern kann. Tatsächlich erkennt sie die Natur des Menschen nicht in ihrem positiven Wert an, im Gegenteil, sie betrachtet ihn als etwas Verdorbenes.

Hegel konnte dieser Ansicht nicht zustimmen. Obwohl er auf einer Stufe seiner Entwicklung – etwa im Frühjahr 1793 – unter dem Einfluss des ersten Teils der Religionsschrift zu einem teilweise ähnlichen Gedanken gelangt war, führte ihn die Rezeption der anderen Teile dieser Schrift später zu deren Ausarbeitung eine Anthropologie, die weder pessimistisch noch optimistisch, sondern ausgewogen ist.

Nach dieser Anthropologie ist die Natur des Menschen weder gut noch schlecht. Es schließt die beiden Möglichkeiten, die des moralischen wie auch des unmoralischen Verhaltens, in sich ein. Darauf beruht auch die Aufgabe der Religion, die darin besteht, die erste Möglichkeit zu fördern und die zweite zu verdrängen.

Deutliche Beweise für diese ausgewogene Anthropologie Hegels bereits am Ende dieser Periode sind z. der erwähnte Gedanke "Der Mensch ist so ein komplexes Ding [...]" von Blatt ’h’ sowie die Vorstellung einer ’geordneten Sensibilität’, enthalten vor allem (Text prüfen)

 

FUSSNOTEN


[1] ) "Inwieweit eignet sich die christliche Religion für diesen Zweck [...]" (GW 1, 139,24).

[2] ) Siehe Schritt 139.25 ff.

[3] ) „Eine Religion kann in Betracht gezogen werden

a) in Bezug auf seine Lehren

b) zu seinen Traditionen -

c) bei seinen Zeremonien -

d) sein Verhältnis zum Staat oder als öffentliche Religion“ (GW 1, S. 154-155). Diese Liste entspricht derjenigen zum Begriff „Volksreligion“, die in Text 16 auf Seite 103 von GW 1 zu finden ist.

[4] ) In GW 1 fehlt das Fragezeichen am Satzende, während es in der Suhrkamp-Ausgabe (W 1, S. 89) zu finden ist. Ob es sich jedoch um eine Frage handelt, lässt sich sowohl aus der Art des Satzbaus als auch aus der Fortsetzung des Fragments ableiten, das eine Antwort auf diese Frage ist.

[5] ) „Der Glaube an Christus als historische Person ist kein Glaube, der auf einem praktischen Vernunftbedürfnis beruht, sondern ein Glaube, der auf dem Zeugnis anderer beruht“ (GW 1, S. 157). Dieser Gedanke findet sich bereits in Text 24 (vgl. Passage 151,1 ff.).

[6] ) „Christusglaube ist Glaube an ein personifiziertes Ideal“ (GW 1, S. 160).

[7] ) In Bezug auf diese Konzeption war zweifellos wieder der Einfluss von Lessings Nathan ausschlaggebend (vgl. GW 1, Redaktionsbericht, S. 574, Anm. a 152,11-12). Eine andere Stelle, in der dieser Einfluss deutlich wird, ist 161,24-26: „Durch welche Veranstaltungen (‚Veranstaltungen‘) kann verwirklicht werden, dass in Christus nicht nur der Mensch, nicht nur sein Name, sondern die Tugend selbst erkannt und geliebt wird [...] ").

 

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DRITTE STUFE

Die Hegelsche Gründungsentscheidung

eine neue Volksreligion

(Winter 1794)

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Das Scheitern der christlichen Religion als Volksreligion bedeutet für Hegel zugleich das Scheitern allen historischen Glaubens an dieser Aufgabe. Jeder historische Glaube – und nicht nur das Christentum – ist auf Geschichte gegründet; Wenn also das Christentum aus diesem Grund nicht in der Lage ist, eine Volksreligion zu sein, wird dies auch jeder andere historische Glaube tun.

Was seiner Meinung nach notwendig ist, ist eine neue Volksreligion, die die von ihm aufgestellten unentbehrlichen Grundmerkmale besitzt und durch diese den Menschen lehren kann, die Tugend in sich selbst und nicht in einem fremden Wesen zu erkennen.

Kurz gesagt, die Zeit war reif, die reine Tugend endgültig von der Person Jesu zu trennen und sie als etwas Menschliches, als „Schönheit der menschlichen Natur“ und nicht als etwas Göttliches anzubeten. Hegel legt diese Gedanken deutlich in Text 26 offen, der seinem Inhalt nach der letzte dieser Stufe seiner geistigen Entwicklung zu sein scheint: ( [1] )

 

„Daher, wenn nach Jahrhunderten die Menschheit wieder Ideen fähig wird, das Interesse an dem Individuellen verschwindet, die Erfahrung von der Verdorbenheit der Menschen zwar bleibt, aber die Lehre von der Verworfenheit des Menschen abnimmt, und un dasjenige interessierte Ideen in ihrer Schönheit nach und nach hervortritt, von uns gedacht unser Eigenthum wird, [wir] das schöne der menschlichen Natur, was wir selbst in das fremde Individuum hineinlegten, [...] wieder als unser eignes Werk freudig unserkenneren, es aneignen, und dadurch Selbstachtung für uns empfinden [...] "(GW 1, 164, 3-13)

 

 

Die neue Volksreligion muss der Religion endlich eine „angemessene, wahre und autonome Würde“ verleihen, wie es im letzten Satz dieses sehr wichtigen Textes heißt:

 

"Das System der Religion, das immer die Farbe der Zeit und der Staatsverfassungen annahm, der höchste Tugend Demuth, Bewußtsein seines Unvermögens, das alles anderswoher - das Böse selbst zum Theil erwartet - wird izt eWähre wahre 1", 164, 20-24 )

 

Damit fügt der junge Philosoph seinem Begriff der Volksreligion einen weiteren Charakter hinzu, den ihrer „Absolutheit“. Bedenkt man, dass die neue Volksreligion nicht mehr „die Farben der Zeit und der Staatsverfassungen“ annehmen könne, sei der Schluss zu ziehen, dass ihre Gründung unabhängig von der Geschichte sein werde. Darin bestehe im Grunde seine „eigene, wahre und autonome Würde“. Eine von der Geschichte unabhängige Religion ist folglich „absolut“.

Hier ist schon Hegels Tendenz zu einer letztbegründet begründeten Auffassung des Absoluten erkennbar, die dann in der Wissenschaft der Logik ihren vollkommensten Ausdruck finden wird.

Die soeben zitierten Sätze sind nicht nur in ihrem begrifflichen Gehalt, sondern auch in ihren zeitlichen Bezügen so eindeutig ("Das System der Religion [...] wird jetzt [...] erhalten"; "[...] wenn nach Jahrhunderten [...]"), das in ihnen als bewusste Absicht, als Lebensprogramm, als Programm der Gründung eines neuen rationalen, sensiblen, natürlichen und absoluten Raumes erkennbar ist, geeignet zur Förderung der Moral im Menschen.

Diese Absicht kann als Ergebnis der Frühzeit von Hegels Jugendentwicklung (1785-1794) und als festes philosophisches Programm seines Lebens angesehen werden.

 

FUSSNOTEN


[1] ) Dieser Text wurde von Hegel vermutlich „in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Texten 24 und 25“, also im Jahr 1794 geschrieben, wie die Herausgeber von GW 1 im Redaktionsbericht (S. 482) schreiben.

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