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Über einige neue Forschungsperspektiven  in der Hegel-Forschung

Über einige neue Forschungsperspektiven  in der Hegel-Forschung

 

 

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Marco de Angelis

 

Über einige neue Forschungsperspektiven 
in der Hegel-Forschung

Hegels System der Philosophie als 
neue Vernunftreligion für die aufgeklärten Zeiten

 

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on the website www.philosophyforfuture.org)

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(www.philosophyforfuture.org)
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0. Einführung: Hegels philosophisches Lebensprogramm


Hegels philosophisches System präsentiert sich als Verwirklichung von seinem Ideal der Gründung einer neuen Volksreligion als Vernunftreligion. Das ist belegt durch verschiedene Texte, die den Gang zum System bilden. Das System erscheint bereits komplett in allen seinen Hautteilen in den Jahren 1805-06. Wir wollen in diesem Referat einige Hauptetappen nachzeichnen, die diese Interpretation belegen. 
Dies ist heute auf eine philologisch genaue Weise dank einiger Forschungen möglich, die in den letzten Jahrzehnten und mehr oder weniger in Verbindung mit der Edition der Gesammelte Werke getätigt wurden. Es handelt sich vor allem um die genaue chronologische Reihenfolge der frühen Texte, die bisher in der Ausgabe von Herman Nohl lagen, der die Texte leider aber als zusammenhängend und mit Titeln veröffentlichte, die nicht von Hegel stammten.
Die neue Edition hat die Reihenfolge der Text neu präsentiert, wie sie sich in den Manuskripten befinden. Diese neue Reihenfolge spiegelt die objektive Reihenfolge der Text wider und ist ohne subjektive Interpretation des Herausgebers. 
Insbesondere wichtig ist die neue Ausgabe der Tübinger und frühen Berner Texte, vor allem des von Nohl als „Volksreligion und Christentum“ einheitlich veröffentlichen Textes 16, der sich als eine Reihe von kleinen Texten dagegen zeigt, die Hegel in verschiedenen Momenten seiner Entwicklung verfasst hat, wie die Forschungen der Editoren von GW1, Friedhelm Nicolin und Gisela Schüler gezeigt haben.
Weitere wichtige Forschungen sind die von Gustav Jacobs geführt worden, der das intellektuelle Leben im Tübinger Stift rekonstruiert hat. Der Forscher konnte vor allem zeigen, welche wichtige Rolle der Philosophiedozent Johann Friedrich Flatt auf die Stiftler und somit auch auf Hegel ausübte. 
Auch die Forschungen von Dieter Henrich sind in diesem Bezug sehr relevant.
Was die Jenaer Zeit sind die Forschungen und die Chronologie von Heinz Kimmerle wichtig, die die verschiedenen Manuskripte, die Hegels erstes System bilden, ebenso streng chronologisch geordnet hat (GW5, 6, 7, 8).
Im Folgenden wollen wir zeigen, welche Etappen sich bei der Entstehung von Hegels System dadurch rekonstruieren lassen.

 

1. Die Entstehung von Hegels philosophischem Lebensideal


(Anmerkung 1: Es muss von Hegels ’Lebensideal’ und nicht nur  ’Jugendideal’ die Rede sein, da Hegel das ganze Leben lang und nicht nur in seiner Jugend an dem Projekt einer Vernunftreligion arbeitete, wie wir sehen werden. In Hegels Leben lässt sich eine ’dialektische Kontinuität’ eindeutig rekonstruieren).
Die im Wintersemester 1793/94 vollständig erfolgte Formulierung dieses Ideals schließt die erste Periode der Entwicklung von Hegels Denken mit der klaren, ausdrücklichen und bewussten Formulierung der Absicht, der Religion seiner eigenen autonomen Würde zu geben. Dieser Gedanke kommt sehr deutlich in Text 26 zum Ausdruck. Lesen wir Hegels Worte:

„Das System der Religion, das immer die Farbe der Zeit und der Staats- Verfassungen annahm, deren höchste Tugend Demuth, Bewußtsein seines  Unvermögens, das alles anders woher - das Böse selbst zum Theil  erwartet - wird izt eigne wahre, selbständige Würde erhalten -“
(GW I, S. 164,20-24).

Dieser Text schließt die zweite Phase seines Aufenthalts in Tübingen bzw. Tschugg bei Bern ab. Glücklicherweise sind aus dieser Phase viele Texte erhalten, wir wissen nicht, ob alle von Hegel, aber sicherlich in einer solchen Menge, dass seine Überlegungen zum Religionsbegriff im Detail rekonstruiert werden können.
[Anmerkung 2: Dieser Text ist nach den Herausgebern vermutlich „in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zu den Texten 24 und 25“ also im Jahr 1794 von Hegel niedergeschrieben worden (s. GW 1, S. 482)]. 
In der Tat sind  die oben  zitierten Sätze aus Text 26 nicht nur in ihrem  gedanklichen Inhalt, sondern auch in ihren zeitlichen Bezügen so explizit  („Das System der Religion [...] wird izt eigne [...] Würde erhalten“; „[...]  wenn nach Jahrhunderten die Menschheit wieder Ideen fähig wird...“), dass  man dahinter eine bewusste Absicht, ein Lebensprogramm erkennen kann,  und zwar das Programm von der Gründung einer neuen, auf Vernunft basierten,  absoluten Volksreligion. Diese Absicht darf wohl als Ergebnis der ersten Periode von Hegels Entwicklung (1785-1794)  und als sein festes, philosophisches Lebensprogramm betrachtet werden.
Dass es sich dabei nicht um ein jugendliches Ideal handelt, das Hegel später verwirft, sondern um den Ursprung und die erste Motivation seiner reifen Philosophie, zeigen die verschiedenen Etappen, die einerseits zur Formulierung dieses Ideals und andererseits zu seiner Verwirklichung führten. 
Wir wollen hier zuerst untersuchen, wie Hegel dazu kam und danach werden wir untersuchen, wie das System als absolute Religion entstand. 


2. Hegels Gang zur Formulierung seines philosophischen Lebensideals (1785-1794)


In den fast zehn Jahren seit dem Tag, an dem wir die erste schriftliche Spur von Hegels Denken haben (22. April 1785, erster Eintrag ins Tagebuch) hat Hegel eine sehr lange und intensive Denkentwicklung gehabt.
Insbesondere Text 16 ist dabei grundlegend, nicht nur weil er der längste ist, sondern auch weil er den Punkt enthält, an dem Hegel deutlich zeigt, dass er Immanuel Kants Text über die Religion „Die Religion innerhalb der Grenzen der einfachen Vernunft“ gelesen und aufgenommen hat. Diese Schrift wurde von Kant zwischen Frühjahr 1792 (nur erstes Kapitel) und 1793 (vollständig) publiziert. 
Die Rezeption dieses Textes führt Hegel dazu, die völlig rousseuianische Position, die er bis dahin vertreten hatte, basierend auf dem Herzen als Fundament der Religion, aufzugeben und eine Position einzunehmen, in der die Vernunft ist, die eine wirklich universelle Religion (Weltreligion) erarbeiten soll. Genau das war Kants Konzeption.
Hegels Reflexionen über Religion sind sehr artikuliert und komplex, aber grundlegend für das Verständnis nicht nur seiner frühen Entwicklung, sondern vor allem der religiösen Bedeutung seines reifen Systems. Wir erinnern nämlich daran, dass Hegel noch im §554 der letzten Auflage der Enzyklopädie (1830), also ein Jahr vor seinem Tode, die Sphäre des absoluten Geistes, die in der Philosophie gipfelt, als „Religion“ überhaupt definiert. 

"Die Religion, wie diese höchste Sphäre im Allgemeinen bezeichnet werden kann, (...)”
(Enz. 1830, § 554, in GW 30, S. 542) 

Der Text 16, wie die Herausgeber von GW 1 gezeigt haben, besteht aus mehreren Bögen, die Hegel mit lateinischen Buchstaben versehen hatte. Der wichtigste Bogen ist der Bogen h, in dem sich eindeutig die Lektüre von Kants Religionsschrift belegen lässt. 
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sind vor allem den Arbeiten von Friedhelm Nicolin zu verdanken. In seinem 1988 erschienenen Aufsatz "Verschlüsselte Losung. Hegels letzte Tübinger Predigt" hob der Hegel-Forscher die unbestreitbare Präsenz wichtiger Begriffe der Religionsschrift in einer der Predigten Hegels im Stift hervor (es handelt sich insbesondere um die vierte Predigt, die jetzt als Text 11 in GW1 veröffentlicht ist). 
(Anmerkung 3: Nicolin, F.: Verschlüsselte Losung. Hegels letzte Predigt. In: Philosophie und Poesie. Otto Pöggeler zum 60. Geburtstag, hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert, Stuttgart 1988, Bd. 1, p. 367399; Link hier)

Der Text der Predigt ist auf den 16. Juni 1793 datiert und ist daher mehr oder weniger zeitgleich mit der Abfassung von Text 16 (oder zumindest einem Teil davon), dem zentralen Text unter den fünfzehn, die Hegel zwischen dem Ende seiner Periode in Tübingen und das erste Jahr seines Schweizer Aufenthaltes geschrieben hat. 
(Anmerkung 4: Es sind die Texte 12-26 von GW1. Link hier)

Dieser Text hat zu unserem Glück die unglücklichen Ereignisse seines Nachlasses überstanden. 
(Anmerkung 5: Siehe darüber Henrich Dieter / Becker Willi Ferdinand: Fragen und Quellen zur Geschichte von Hegels Nachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Band 35. Heft 3/4. 585s.; Link hier)

Die durch die Rekonstruktion der Quellen der vierten Predigt erzielten Ergebnisse konnte Nicolin daher auch auf die Rekonstruktion der Quellen dieses Textes ausdehnen. In den entsprechenden Anmerkungen in GW 1 hat er, zusammen mit Gisela Schüler als Mitherausgeberin, tatsächlich für einige Passagen des Hegelschen Textes die entsprechenden Passagen im Kantischen Text eindeutig identifiziert.
Nicolin hat auch hervorgehoben, dass der Vergleich von Hegel und den anderen Stiftlern mit der Religionsschrift unmittelbar nach dem Erscheinen dieses Werkes im Jahr 1793 stattfand.
Weiterhin sei hinzugefügt, dass die Herausgeber von GW1 in verschiedenen dokumentierten Anmerkungen hervorheben, dass zahlreiche Stellen der Hegelschen Texte direkt mit den Kantischen Schriften und insbesondere mit der Religionsschrift in Verbindung zu bringen sind. Beispielsweise lesen wir in der Anmerkung zu 99,29 im Text 16:
 
„Hegels Gedanken und Begriffe sind hier durch diese Schrift von Kant so deutlich bestimmt, dass wir daraus einen Hinweis für die Datierung des Textes 16 erhalten.“
(GW 1, Editorischer Bericht, S. 566)

 
Die Bedeutung von Kants religionsphilosophischer Schrift für die Abfassung der frühen Texte Hegels und insbesondere des zweiten Teils des Textes 16 ist daher so deutlich und die expliziten Bezüge zu Kant so zahlreich, dass man durch sie sogar für Datierung einiger dieser Texte verwenden kann, als wären sie ein Kommentar des jungen Hegels zu Kants Religionsschrift!
Es handelt sich also um ein ‚philologisches Faktum‘, das in der Umwandlung der Begriffe und der Sprache Hegels ab der Textstelle GW1, 99,29 besteht. Dabei handelt es sich um keine subjektive Interpretation, sondern um eine objektive Tatsache, die durch eingehende philologische Studien ausführlich belegt ist. 
 
Die vollständige Textstelle ab 99.29, womit er Bogen ’h’ des Manuskripts beginnt, lautet:

„Wenn zwischen reiner Vernunftreligion, die Gott im Geist und in der Warhheit anbetet, und seinen Dienst nur in die Tugend sezt - und zwischen dem FetischGlauben, der sich bei Gott auch noch durch etwas [anderes] als einen an sich guten Willen, beliebt machen zu gönnen glaubt - ein so weiter Unterschied ist, daß dieser im Gegensaz gegen jene gar keinen Werth hat, daß beide von ganz verschiedener Gattung sind, und so wichtig es für die Menschheit ist, diese immer mehr zur VernunftReligion hinzuführen, und den FetischGlauben zu verdrängen, so fragt es sich, da eine allgemeine geistige Kirche nur ein Ideal der Vernunft bleibt - und da es nicht möglich ist, daß eine öffentliche Religion etablirt werden könnte, die alle Möglichkeit, FetischGlauben daraus zu ziehen benähme - wie eine Volksreligion im allgemeinen eingerichtet seyn müsse, um a) negativ so wenig als möglich Veranlassung zu geben an dem Buchstaben und den Gebräuchen hängen zu bleiben und b) positiv - daß das Volk zur VernunftReligion  geführt, Empfänglichkeit dafür bekäme.“
(GW1, S. 99,29 - 100,12)

 

Diese Textpassage enthält die Absicht Hegels, die Modalitäten einer Volksreligion nachzuzeichnen, die das Volk zur Religion der Vernunft führen kann. Es handelt sich eindeutig und die Fortsetzung von Kants religionsphilosophiscer Hauptidee.

 

3. Die Umwandlung in Hegels Auffassung der Volkreligion: von der Religion als ‚Sache des Herzens‘ zur Religion als ‚Sache der Vernunft‘

 

Inhaltlich ist erwähnenswert, dass zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Texte eine Umwandlung in den religionsphilosophischen Grundlagen des Denkens Hegels und insbesondere in seiner Idee einer ‚Volksreligion‘ eingetreten ist. 
Tatsächlich vertreten die Texte vor der Stelle GW1 99,29 eine Auffassung der Volksreligion als einer „Sache des Herzens“, während die darauffolgenden Texte betrachten die Volkreligion als eine ‚Sache der Vernunft‘. 
Dies bedeutet, dass das Herz der Menschen nicht reicht, um ein ethisches Verhalten zu begründen und zu garantieren. Dazu ist es nötig, eine „Verbesserung des Herzens“ zu befördern, wie sich Hegel, Kant folgend, in der zitierten Predigt ausdrückt. Zu diesem Zweck ist eben eine Vernunftreligion nötig, als eine Religion, die den ‚aufgeklärten Zeiten‘ adäquat ist. 
 
4. Hegels Auffassung der Volksreligion als ‚Sache des Herzens‘ vor der Textstelle 99,29 (GW1)


Die Auffassung der Religion als ‚Sache des Herzens‘, die den Texten vor der Stelle 99,29 zugrunde liegt, gründete sich auf Rousseau. Wir wissen durch das Zeugnis von einem ehemaligen Studienkameraden Hegels, C.P.F. Leutwein, dass er sich in den ersten vier Jahren seines Studiums in Tübingen vornehmlich mit Rousseau beschäftigt hatte, der „sein Held“ war: 
(Anmerkung 6:  Christian Philipp Friedrich Leutwein, Link hier)

„Allein während der vier Jahre unsere Familiarität war Metaphysik Hegels Sache nicht sonderlich. Sein Held war Jean Jacques Rousseau, in dessen Emil, contrat social, confessions“.
(In: Henrich, Dieter: Leutwein über Hegel. Ein Dokument zu Hegels Biographie, Hegel-Studien Vol. 3 (1965), pp. 39-77, die zitierte Stelle befindet sich auf S. 56; Link hier)

Dabei bezieht er sich genau auf die Zeit vor der Stelle 99,29, also auf die ersten vier Jahre von Hegels Aufenthalt in Tübingen:

„Allerdings stand Hegel vier Jahre lang während seines Aufenthalts im Stifte mit mir auf so vertrautem Fuße, wie mit keinem andern. Ich war eine Promotion vor ihm. Von seinem fünften akademischen Jahre kann ich folglich nichts mehr sagen.“
(Ebd., S. 53)

Das überrascht uns aber nicht, denn Rousseau der Philosoph der Revolution war und wir wissen sehr wohl, dass Hegel, wie auch seine engen Freunde Schelling und Hölderlin, allesamt Anhänger der Revolution waren, sie unterstützten sie und erwartetes Großes für die Menschheit von diesen französischen revolutionären Bewegungen.  Hegel hatte vom ersten Augenblick an eine Haltung der Offenheit gegenüber der Revolution. Unter seinen besten Freunden im Stift waren viele aus Montbéliard und Colmar. Viele Widmungen in seinem Stammbuch wurden von diesen französischen Studenten verfasst.
Dabei handelt sich um die Zeit von 1788 bis 1792, die in der Forschung als die ‚dunkle Jahre‘ von Hegels Entwicklung gekennzeichnet wurden (Henrich, Ripalda). 
Auf die mangelnde Kenntnis dieser Jahre der geistigen Jugendentwicklung Hegels und gleichzeitig auf die enorme Bedeutung dieser Zeit für die Herausbildung seiner Philosophie hatte schon 1965 Dieter Henrich auf Seite 39 von seinem Aufsatz über Leutwein hingewiesen:
 
„Hegels Jugendgeschichte ist noch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Für mehrere Jahre seines Studiums in Tübingen besitzen wir von seiner eigenen Hand keine Dokumente. Denn das erste Manuskript der Schriften, die Nohl herausgegeben hat, entstand im letzten Jahr der theologischen Studien (1792/3), während die Überlieferung aus der Stuttgarter Gymnasialzeit, die nicht ganz spärlich ist, mit einem Aufsatz aus der Zeit endet, in der sich Hegel im theologischen Stift gerade einrichtete. Zwischen beiden hat Hegel eine tiefgehende Wandlung erfahren und den Weg begonnen, der ihm eigentümlich ist. Auf ihm ist er zum Philosophen geworden.“

 

Fünfundzwanzig  Jahre  später hat  José Maria Ripalda in seinem Aufsatz "Aufklärung beim jungen Hegel"  diese Problematik noch einmal aufgegriffen, indem er die Erforschung dieser Jahre als „immer noch ein Desiderat“ der Hegel-Forschung bezeichnete:

„Vieles bleibt beim frühen Hegel, vor allem in den dunklen Jahren der großen Veränderung zwischen 1789 und 1792, noch zu erforschen; eine Integration der verschiedenen Komponenten  Wissenschaft, Poesie, Politik, Philosophie, Theologie  in den historischen Hintergrund und untereinander ist immer noch ein Desiderat.“ (S. 126) 
(In: Jamme, C. - Schneider, H.: Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel; Frankfurt a. M. 1990, S. 126)

 
Ripaldas Kennzeichnung dieser Zeit als  die ’dunklen Jahre’ der geistigen Entwicklung Hegels scheint also den Stand unserer diesbezüglichen Kenntnis treffend zusammenzufassen.

Grund dafür ist eine nicht zufällige philologische Lücke in der Überlieferung der Manuskripte.  Sie wurden offensichtlich von Hegels Witwe und den Söhnen vernichtet, um „ein frommes Bild“ von Hegel der Nachwelt zu überlassen, wie Henrich und Becker in ihrem erwähnten Aufsatz auf der Grundlage der Untersuchung der Korrespondenz zwischen der Witwe und den Sohnen nach dem Tod Hegels überzeugend rekonstruiert haben. 
(Anmerkung 7: Diesbezüglich weisen wir hier auf unser 1995 erschienenes Buch hin. Darin haben wir versucht, Hegels Gedankenwelt in den ‚dunklen Jahren‘ trotz der spärlichen Manuskripte durch den Vergleich zwischen den Texten vor 1789 und nach 1792 zu rekonstruieren. Link hier).
 
5. Hegels Auffassung der Volksreligion als ‚Sache der Vernunft‘ nach der Textstelle 99,29 (GW1)


Kants Religionsschrift erschien im April 1793, so dass diese philologischen und chronologischen Hinweise wunderbar zusammenpassen: Bis 1792, also in seinem vierten Jahr in Tübingen, vertrat Hegel, Rousseau folgend,  eine Auffassung der Religion als ‚Sache des Herzens‘ (wie von Leutwein bezeugt); ab Frühjahr-Sommer 1793 unter dem Einfluss der Religionsschrift übernahm er Kants Auffassung, dass eine Vernunftreligion den Menschen dabei helfen soll, das Gute umzusetzen. Dazu ist das Herz allein nicht in der Lage, da es viele Menschen gibt, in denen der ‚Hang zum Bösen‘ ‚den Hang zum Guten‘ übersteigt. Die Vernunftreligion soll das richten und die ‚Wiederherstellung des Hangs zum Guten‘ ermöglichen.
(Anmerkung 8: Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Link hier)
Ab dieser Textstelle und Zeitpunkt vertritt Hegel Kants Vision einer Vernunftreligion als Lösung der Problematik einer für aufgeklärte Zeiten adäquaten Volksreligion. In aufgeklärten Zeiten kann die Religion nur als Vernunftreligion gerettet werden.
(Anmerkung 9: Die Problematik der ’Rettung der Religion’ nach der Postulatenlehre Kants war im damaligen Deutschland und insbesondere im Tübinger Stift absolut zentral. Für viele Theologe ging es darum, eine Form der Religion zu finden, die die Aufklärung überstehen konnte. Insbesondere der Philosophiedozent Johann Friedrich Flatt hatte sehr viel Erfolg bei den Studenten mit seiner Kantkritik. Hegel behandelt diese Problematik im Text 12, der als die Grundlage aller anderen Tübinger Texte sowie seiner gesamten philosophischen Produktion zu betrachten ist. Link hier).

Die Vernunftreligion soll Kants Meinung nach aus dem Prozess der Bereinigung der historischen Religionen resultieren, da diese im Laufe der Zeit auf Grund des Fortschritts der menschlichen Vernunft ihre fetischistischen und abergläubigen Seiten immer mehr ablegen werden, bis es am Ende dieses Prozesses eine einzige Vernunftreligion auf der Welt herrschen wird. Die Vernunftreligion wird die Herzen und die Geister der Menschen in einer universellen, unsichtbaren Kirche vereinigen und eine Weltgemeinde der ethisch handelnden Menschen begründen und ermöglichen. In dieser wird das Prinzip des Guten über das Prinzip des Bösen siegen. 
Von dieser Zeit an (Frühjahr 1793) bildet dieses kantische Ideal der „unsichtbaren Kirche“ das unauflösliche Band, das Hegel mit Schelling und Hölderlin sowie anderen Stiftlern, die ebenfalls Anhänger des religionsphilosophischen Denkens von Vater Kant waren, vereinigte. Sicherlich haben diese jungen Menschen auf unterschiedliche Weise zu dem beitragen, was Schelling in einem seiner Briefe an Hegel als „gute Sache“ bezeichnete.  
(Anmerkung 10: Hier ist die Stelle, wo sich Schelling über die ’gute Sache’ äußert, an der sich Hegel anschließen soll: "In der Tat, ich glaube von Dir fordern zu dürfern, daß Du Dich auch öffentlich an die gute Sache anschließt." Es handelt sich um den Brief von Schelling an Hegel vom Januar 1796, in: Briefe von und an Hegel, Hrsg. von Hoffmeister, J. und Nicolin, F., Hamburg 1952, 4 Bände, Bd.1, S. 35)
Um diese ’gute Sache’ inhaltlich besser zu verstehen, ist eine Textstelle sehr aufschlussreich, die sich in dem Brief befindet, den Hegel an Schelling ein Jahr davor, am Ende Januar 1795, geschrieben hatte:
 
"Das Reich Gottes komme, und unsre Hände seien nicht müßig im Schoße! [...] Vernunft und Freiheit bleiben unsre Losung, und unser Vereinigungspunkt die unsichtbare Kirche."
(Ebd., S. 18)
 

Wir haben hier das Wort ’Losung’, worauf Nicolin seinen Aufsatz geschrieben hat, und eine eindeutige religionsphilosophische Perspektive im Zeichen der Religionsschrift Kants. 
Leider wird diese Vielfalt der Modalitäten sowie das praktische Bedürfnis, Karriere zu machen und sich beruflich zu behaupten, später zum Bruch zwischen Hegel und Schelling führen, bzw. im Falle Hölderlins die enorme Diskrepanz zwischen diesem Ideal und der wirklichen Realität der Zeit den Verlust des geistigen Gleichgewichts verursachen. 

Hegels eigener Weg in der Stiftung einer neuen Religion als Vernunftreligion: die Texte 25 und 26 (1793-94)
Die von Kant ist eine eschatologische, auch schon phänomenologische Vision, wenn wir so wollen, die Hegel teilt, allerding mit einem Unterschied. der bald auftauchen wird: In den Texten, die er am Ende dieser Zeit, schon 1794 in Bern, verfasste, zeigt Hegel den eindeutigen Willen, eine solche Vernunftreligion selbst stiften zu wollen. Er teilt also Kants Meinung nicht, dass sich die Entwicklung hin zu einer Vernunftreligion fast von selbst ereignen wird. Hegel ist jung und macht das Ideal der ‚unsichtbaren Kirche’ sowie der Stiftung einer Vernunftreligion zur eigenen Lebensaufgabe. Darauf wird er seine eigene Identität als Philosoph und insbesondere als ‚Religionsphilosoph‘ aufbauen. 

(Anmerkung 11: Dieter Henrich hat in seinem Buch "Werke im Werden" gezeigt, wie authentische, originelle Philosophien in den jungen Jahren eines Philosophen entstehen und wie sich oft Konstellationen von Freunden und Studienkameraden bilden, deren Seelen sich von gemeinsamen Idealen ernähren. In unserem Fall z.B. wäre die Konstellation Hegel-Schelling-Hölderlin. Link hier).

Die Textstelle vom Text 26, die wir am Anfang dieses Referates gelesen haben, ist der eindeutige Beweis dafür, dass sich Hegel ab 1794 auf dem Weg zur Realisierung einer Volksreligion als Vernunftreligion getan hat.


6. Texte aus der Berner und Frankfurter Zeit (GW1, GW2)


Die Texte aus den Berner und Frankfurter Zeit arbeiten dieses Konzept weiter aus, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Erhebung des Menschen (also des Endlichen) zu Gott (dem Unendlichen). Hegel übt eine scharfe Kritik an der christlichen Religion, weil er weiß, dass sie immer an die Geschichte gebunden, also „positiv“ bleiben wird und niemals eine Vernunftreligion werden kann. Das Schicksal des Christentums ist an seine Ursprünge im Alten Testament gebunden. Dennoch versteht er, dass das von Jesus formulierte Ideal der Liebe, das die Grundlage und das Wesen der christlichen Religion darstellt, nicht positiv, sondern natürlich und vernünftig ist. Es gilt also, eine rationale, logische Struktur zu schaffen, die in der Lage sei, diesem Ideal eine neue Grundlage zu geben, die auf Vernunft beruhe.

Das ist es, was ab der Jenaer Zeit mit der Erarbeitung der Dialektik geschehen wird. Obowohl sie Hegel zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausdfrücklich formuliert hat, sind die Überlegungen, die er in Bezug auf den Begriff der Liebe in Frankfurt anstellt, schon voll dialektisch. Die Dialektik der Mann-Frau-Kind Beziehung, die die Theorie der Familie in der Philosophie des objektiven Geistes bilden wird, wird hier zum ersten Mal von Hegel konzipiert. Es nicht falsch zu behaupten, dass Hegels Dialektik aus seinen Reflexionen über den Familienbegriff entstanden ist, die er zum ersten Mal in der Frankfurter Zeit entwickelte. 

Die Philosophie des absoluten Idealismus ist eine Philosophie der Liebe, wie wir in einem anderen Referat dargelegt haben (link hier).

Grund dafür ist, dass die Dialektik die Struktur der Liebe und der Vereinigung ist. Zu dieser Gelegenheit möchte ich auf ein sehr schönes Buch von dem leider früh gestorbenen Hegel-Forscher Christoph Jamme hinweisen, in dem er gezeigt hat, wie die Freundschaft zwischen Hegel, Schellung und Hlderlin um die Begriffe von Liebe und Vereinigung kreiste

(Anmerkung 12: C. Jamme: Ein ungelehrtes Buch: Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797–1800 (Hegel-Studien, Beihefte), Bonn1983, link hier)

 

7. Die Jenaer Zeit als die Geburtsstunde des philosophischen Systems als Vernunftreligion (GW4-8)


Dass das Jenaer System eine Vernunftreligion ist, bezeugt ein sehr wichtiger Text, der uns von Rosenkranz überliefert wurde. Es handelt sich um die sogenannte "Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit" (entstanden laut Kimmerle um 1802 bzw. 1805, wir werden zeigen, dass der Text aus dem Jahre 1805 stammt).
(Anmerkung 13: Original in: Rosenkranz, Karl, Hegels Leben, Berlin, 1844, S. 135-141; auch in GW5, S. 459-468; Link zu Rosenkranz hier)

 

In diesem Text nimmt Hegel den Schlussteil des Manuskripts "System der Sittlichkeit" wieder auf, den er 1803 unterbrochen hatte, weil er nicht bestimmen konnte, welche absolute Religion in der Lage ist, die absolute Sittlichkeit zu begründen, die er im Manuskript dargestellt hatte. Hegel hatte die Lehre einer absoluten Sittlichkeit im Wesentlichen ausgearbeitet, war aber gezwungen gewesen, den Abschluss des Manuskripts zu unterbrechen und seine Veröffentlichung zu verschieben, weil ihm der Begriff Religion fehlte, die den philosophisch gerechten Staat und damit die absolute Sittlichkeit begründen konnte. Er hat die absolute Sittlichkeit verstanden, fehlt ihm aber den Begriff der absoluten Religion, die die absolute Sittlichkeit begründen kann. Die historischen Religionen können nur relative Sittlichkeit, aber keine absolute Sittlichkeit begründen. Welche ist die absolute Religion, die die absolute Sittlichkeit begründen kann?  Die Suche nach der Antwort auf diese Frage bewegt Hegels Geist ab 1803 bis 1805. Die Antwort wird sein vollständiges System sein.
 
In der Tat, um 1805, nachdem er den Begriff des Absoluten in der Logik-Metaphysik von 1804/05 ausgearbeitet hatte, kehrte Hegel zum Manuskript über die Sittlichkeit zurück und schließt es mit der Schlussfolgerung ab, dass die einzige Religion, die eine absolute Sittlichkeit begründen kann, die Philosophie ist, natürlich seine eigene, neu ausgearbeitete Philosophie des Absoluten. 
Rosenkranz schreibt zu dieser Thematik folgendes und kommentiert dabei den Text, den er noch besaß:

“Obwohl nun Hegel damals, wie aus den vorstehenden Mittheilungen zur Genüge hervorgeht, den Protestantismus für eine eben so endlicher Form des Christenthums hielt, als den Katholizismus, so ging er deswegen doch nicht, wie Viele seiner Zeitgenossen, zum Katholizismus über, sondern glaubte, daß aus dem Christenthum durch die Vermittelung der Philosophie der Philosophie eine dritte Form der Religion sich hervorbilden werde.“
(GW 5, S. 464,20-24) 

In diesem sehr wichtigen Text bringt Hegel deutlich zum Ausdruck, dass die Philosophie die Aufgabe der Religion übernehmen muss, die Sittlichkeit zu begründen, und er skizziert sie auf diese Weise als eine Vernunftreligion. Hier ist die wichtigste Stelle, die uns Rosenkranz überliefert hat:

“Nachdem nun der Protestantismus die fremde Weihe ausgezogen, kann der Geist sich als Geist in eigener Gestalt zu heiligen und die ursprüngliche Versöhnung mit sich in einer neuen Religion herzustellen wagen, in welche der unendliche Schmerz und die ganze Schwere seines Gegensatzes aufgenommen, aber ungetrübt und rein sich auflöst, wenn es nämlich ein freies Volk geben und die Vernunft ihre Realität als einen sittlichen Geist wiedergeboren haben wird, der die Kühnheit haben kann, auf eigenem Boden, und aus eigener Majestät sich seine reine Gestalt zu nehmen. – Jeder Einzelne ist ein blindes Glied in der Kette der absoluten Nothwendigkeit, an der sich die Welt fortbildet. Jeder Einzelne kann sich zur Herrschaft über eine größere Lände dieser Kette allein erheben, wenn er erkennt, wohin die große Nothwendigkeit will und aus dieser Erkenntniß die Zauberworte aussprechen lernt, die ihre Gestalt hervorrufen. Diese Erkenntniß, die ganze Energie des Leidens und des Gegensatzes, der ein paar tausend Jahre die Welt und alle Formen ihrer Ausbildung beherrscht hat, zugleich in sich zu schließen und sich über ihn zu erheben, diese Erkenntniß vermag nur Philosophie zu geben.“
(GW 5, S. 465, 117) 

(Anmerkung 14: Auch dieser Text wurde von der Familie wahrscheinlich vernichtet und nicht komplett überliefert wie offensichtlich auch andere Texte, in denen sich Hegel für die Gründung einer neuen Religion als Vernunftreligion ausgedruckt hatte).

Mehr als zehn Jahre nach der Auseinandersetzung mit Kants Religionsschrift begreift Hegel also definitiv, dass die Vernunftreligion die Philosophie ist, und zwar die von ihm gerade ausgearbeitet dialektische Philosophie des absoluten Idealismus, die in den Manuskripten der zweiten Jenaer Periode enthalten ist (heute in GW6, 7 und 8).
Vernunftreligion und dialektische Erkenntnis des Absoluten (Logik-Metaphysik) fallen also zusammen und begründen die Lehre der absoluten Sittlichkeit (Philosophie des objektiven Geistes).

1805-06 kann Hegel auf Grund der erzielten Resultat endlich die Philosophie als absolute Religion bezeichnen, die in der Lage ist, die absolute Sittlichkeit zu begründen. Somit kann er sein System der Sittlichkeit abschliessen, das jetzt aber schon in Form seiner Philosophie des objektiven Geistes als Teil des System existiert. Er fügt zu der Philosophie des objektiven Geistes den letzte abschliessende Kapitel, die er Kunst, Religon und Wissenschaft benennt. Das soll uns nicht wundern, da es nach Hegel VEr unftreligkon, Philosophie und Wissenschaft im Grunde genommen Sysonyme sind. Mit der Hinzufügung dieses abschliessenden Kapitels ist Hegels System definitiv entstanden. Alle wichtigen Begriffe und Teile sind da, die spätere Durcharbeit wieder darin bestehen, diese Begriffe detaillierter auszudrücken (Link hier). 
 
8. Schluss: Das philosophische System der Enzyklopädie als Vernunftreligion und Verwirklichung von Hegels philosophischem Lebensideal

Wir dürfen nicht denken, dass diese Überlegungen Hegels in Jena, als er bereits 36 Jahre alt war, ‚jugendliche Gedanken‘ blieben, erstens weil er mit 36 Jahren bereits reif war, zweitens weil echte Philosophen, d.h. die Begründer „wissenschaftlicher Wahrheitssysteme“, wie z.B. Platon, Aristoteles und Kant, solche Systeme Tag nach Tag in einem allmählichen, aber stetigen Fortschritt ihres Denkens und parallel dazu ihrer Sprache bis zum letzten Lebenstag kontinuierlich aufbauen (s. das schon erwähnte Buch von Dieter Henrich "Werke im Werden"). Wir können solche „wissenschaftliche Wahrheitssysteme“ nicht vollständig verstehen, wenn wir nicht in aller Bescheidenheit diesen Weg nachgehen.
In der letzten Fassung der Enzyklopädie (1830), §554, betont Hegel noch einmal, dass die gesamte Sphäre des absoluten Geistes, also das gesamte philosophische System, das nach dem dialektischen Gesetz der Aufhebung in seinem letzten Kapitel komplett enthalten ist, als eine Religion zu betrachten ist, natürlich eine Vernunftreligion. Hier ist die schon zitierte Stelle wieder:

„Die Religion, wie diese höchste Sphäre im Allgemeinen bezeichnet werden kann, (...)“.
(GW 20, S. 542)

 
Wir haben also zwei Ebenen der Verwendung des Begriffs ’Religion’ in Hegels reifem System:

- eine erste Ebene, die der Religion im engeren Sinne als Glaube und Vorstellung und die die zweite Entwicklungsstufe des absoluten Geistes bildet (positive Religion, Glaube);
- dann haben wir aber auch eine zweite Ebene, die der Religion in dem weiteren Sinne, dass die ganze Sphäre des absoluten Geistes ‚Religion‘ ist, selbstverständlich im Sinne einer ‚Vernunftreligion‘.

Diese zweite Ebene bezeichnet die gesamte Sphäre des absoluten Geistes und damit indirekt das gesamte philosophische System, das in ihr aufgehoben ist. Wir wissen, dass nach den Prinzipien der Dialektik das Wahre das Resultat ist, das in sich das Ganze als ein Aufgehobenes enthält. Wir müssen also zum Schluss kommen, dass, wenn die gesamte Sphäre des absoluten Geistes Vernunftreligion ist, da diese Sphäre in sich das ganze System als aufgehoben enthält, dies unausweichlich bedeutet, dass Hegels philosophisches System als Ganzes eine Vernunftreligion ist.

Hierdurch wird deutlich, wie die Forschungen über die frühen Texte Hegels ein neues Licht auf die Deutung des Gesamtsystems werfen und uns zwingen, zum Schluss zu kommen, dass die Philosophie des dialektischen Idealismus nach dem Polytheismus und dem Monotheismus die dritte Religionsform der Menschheit sein soll, wie in der ’Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit’ von Hegels selbst geschrieben wurde. 
Mit seinem System leistete Hegel also seinen eigenen Beitrag zur „guten Sache“, wie es sein Freund Schelling gefordert hatte, damit die Menschheit eines Tages eine unsichtbare, auf eine reine Vernunftreligion gegründete Weltkirche und eine sittliche, in gegenseitiger Anerkennung lebende Weltgemeinschaft haben kann: Hegels Beitrag bestand darin, der Menschheit eine logisch begründete Vernunftreligion als Grundlage dazu zu Verfügung zu stellen. Den Rest sollen die Nachfolger tun, d.h. die Gründung einer solchen ‚unsichtbaren philosophischen Weltkirche sowie Weltgemeinschaft‘ in der historischen Wirklichkeit soll die philosophische Lebensaufgabe der kommenden Generationen sein.

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